EU-Gesetz gegen TerrorpropagandaUploadfilter gehen immer

Trotz der Corona-Pandemie drängt die EU-Kommission, ein Gesetz gegen Terrorpropaganda rasch zu beschließen. Einige Abgeordnete im EU-Parlament wehren sich gegen übereilte Maßnahmen.

Antiterroreinheiten
Bereit für den Einsatz: Österreichische Polizisten CC-BY 2.0 Beatrice Hart/Holding Graz, Bearbeitung netzpolitik.org

Religiöse Fanatiker. Rechte Attentäter. Linke Splittergruppen. Staatsverweigerer. Wer die Jahresberichte von europäischen Sicherheitsbehörden durchblättert, könnte glauben, an jeder Ecke lauere Gefahr. Seit dem 11. September 2001 bietet die Terrorbekämpfung Anlass für immer neue Sicherheitsmaßnahmen. Wenn westliche Staaten etwas durchsetzen wollen, lautet die Begründung oft: Kampf gegen den Terror.

Ein Beispiel liefert ein Gesetzesvorschlag gegen Terrorpropaganda. Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten kündigten bereits nach den Anschlägen in Paris und Brüssel 2015 und 2016 neue Maßnahmen gegen die Verbreitung islamistischer Propaganda in sozialen Netzwerken an. Die Vorschläge, die daraufhin folgten, wurden immer ambitionierter. Seit zwei Jahren arbeitet die EU an einer Verordnung, die Plattformen wie Facebook und Youtube harte Auflagen bei solchen Inhalten machen soll.

Die Kommission und die Mitgliedstaaten fordern in ihren Entwürfen für das Gesetz Uploadfilter gegen Inhalte, die für Terrorismus werben. Plattformbetreibern soll oft nur eine Stunde bleiben, um Inhalte zu löschen. Behörden sollen in anderen EU-Staaten Löschungen anordnen können, teils ohne Kontrolle durch die Justiz vor Ort.

Das sorgt für Kritik aus der Zivilgesellschaft: Eine Gruppe von Digital-NGOs warnt, die Filter könnten auch viele legitime Inhalte aus dem Netz fegen. Das Gesetz müsse den Schutz der freien Meinungsäußerung sicherstellen.

„Kampf sollte nicht verzögert werden“

Trotz der Bedenken von NGOs und Experten drückt die EU-Kommission auch in Zeiten von Corona aufs Tempo. In einem Brief an den Innenausschuss des EU-Parlaments, den netzpolitik.org im Volltext veröffentlicht, fordert die EU-Kommissarin Ylva Johansson neue Verhandlungsrunden über einen endgültigen Text noch im April.

Ylva Johansson
EU-Kommissarin Ylva Johansson - Alle Rechte vorbehalten European Union

„Der Kampf gegen terroristische Inhalte im Netz bleibt auch heute eine Herausforderung, auch während der Gesundheitskrise durch Covid-19, und sollte nicht verzögert werden“, schreibt die Kommissarin für Inneres. Die jüngste Erfahrung zeige, dass Verhandlungen auch online geführt werden könnten.

Die Verordnung gegen Terrorpropaganda soll damit nach Wunsch der Kommissarin einen Vorrang vor anderen Themen erhalten, etwa vor den weit fortgeschrittenen Verhandlungen über ein neues Visainformationssystem.

Die Kommission wollte den Brief nicht direkt kommentieren. Ein Sprecher betonte auf Anfrage lediglich, das weiterhin auf eine rasche Lösung gehofft werde.

Für einen fertigen Gesetzesentwurf fehlt eine Einigung der Kommission und des Rates der Mitgliedsstaaten mit dem EU-Parlament. Die Abgeordneten vertreten jedoch eine moderatere Linie als Rat und Kommission, in ihrer Verhandlungsposition sprechen sie sich etwa gegen Uploadfilter aus.

„Verhandlungen weiterzuführen, ist absurd“

Einige Abgeordnete warnen davor, die Verhandlungen übers Knie zu brechen. Im Verhandlungsteam des Europaparlaments vertritt die deutsche Abgeordnete Cornelia Ernst die Linksfraktion, der Pirat Patrick Breyer die Fraktion der Grünen. Beide halten den Ruf der Kommission für voreilig.

„Die Verhandlungen jetzt weiterzuführen, ist völlig absurd. Die Verordnung wird lange nicht so dringend gebraucht wie die Kommission jetzt tut“, sagt Ernst zu netzpolitik.org. „Gerade weil die geplante Terrorverordnung einen Präzedenzfall setzt, müssen die Verhandlungen unter besseren Rahmenbedingungen stattfinden als es online möglich ist“, sagt Breyer.

Das Parlament legte bereits einen Kompromissvorschlag vor, berichtet das EU-Nachrichtenportal Euractiv, allerdings gibt es darüber bisher keine Einigkeit zwischen Rat und Kommission.

„Die kroatische Ratspräsidentschaft weiß anscheinend überhaupt nicht, wo im Rat die Mehrheiten liegen und ist bei den letzten Treffen nicht in der Lage gewesen, Kompromissvorschläge seitens des Parlaments zu beantworten. Solange sich das nicht ändert, macht es keinen Sinn, sich weiter zu treffen, physisch oder online“, betont die Linken-Abgeordnete Ernst.

„Hilfreicher als Onlinetriloge wäre es, wenn sich die Mitgliedstaaten über ihre Kompromissbereitschaft verständigen würden und wenn sich auch die EU-Kommission Alternativen zu Zwangsuploadfiltern und grenzüberschreitenden Schnelllöschungen öffnen würde“, sagt der Piratenabgeordnete Breyer.

Wie es mit dem Gesetz gegen Terrorproganda nun weitergeht, ist vorerst unklar. Ein vorläufiger Arbeitsplan des Innenausschusses im Parlament hält fest, dass sichere Verhandlungen mit den anderen EU-Institutionen aus technischen Gründen derzeit nicht machbar seien. Sie sollten darum vermieden werden.

Chefverhandler möchte weiterreden

Der Chefverhandler des Parlaments, der Abgeordnete Patryk Jaki von der nationalkonservativen Regierungspartei Vereinigtes Polen, hält dennoch die Online-Fortsetzung der Verhandlungen für möglich.

Er betont, islamistische Terroristen seien auch in Zeiten von Corona aktiv. Ebenso argumentiert auch ein weiterer Verhandler, der spanische Konservative Javier Zarzalejos.

Der Berichterstatter Jaki zeigt sich optimistisch, in der endgültigen Version des Gesetzes die Uploadfilter verhindern zu können: „Das ist für das Europäische Parlament von entscheidender Bedeutung, da wir mit Nachdruck gegen jeden Schritt zur Filterung des Internet gestimmt haben.“

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