LieferkettengesetzÜberwachungstechnologie und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten

In Deutschland fehlt ein rechtlicher Rahmen, um Unternehmen bei Menschenrechtsverstößen in ihren Lieferketten haftbar zu machen. Dies gilt für alle Produkte, von importierter Kleidung bis hin zu exportierter Spähsoftware. Die Initiative Lieferkettengesetz möchte das ändern.

Kräne im Hafen
Künftig könnten für deutsche Im- und Exporte strengere Regelungen für Menschenrechtsverstöße gelten. CC-BY-NC-ND 2.0 Holger Wirth

Dr. Miriam Saage-Maaß ist Rechtsanwältin, stellvertretende Legal Director des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und leitet dort den Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Sie hat das Rechtsgutachten der Initiative Lieferkettengesetz für eine gesetzliche Regelung menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Deutschland mit erarbeitet.

Seit Jahren, insbesondere aber seit dem arabischen Frühling, wird in regelmäßigen Abständen über den Export von Überwachungstechnologie aus Europa an repressive Regime wie die Türkei, den Iran, Syrien oder Bahrain berichtet: Die Späh-Software kann etwa zur gezielten Infiltrierung von Mobiltelefonen und Computern von Dissidenten genutzt werden oder den Behörden eine breitflächige Überwachung von Kommunikation im Internet ermöglichen – und so, „die Nadel im Heuhaufen“ zu finden.

In der Realität vieler Oppositioneller, Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen bedeutet dies, dass sie über das breite Scannen des Netzes in das Blickfeld der Geheimdienste geraten können – und wenn sie einmal erfasst sind, wahrscheinlich gezielt und umfassend überwacht werden. Oft bleibt es dann nicht nur bei einer dauerhaften Überwachung, sprich: einer Verletzung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und natürlich der Privatsphäre dieser Menschen.

Nicht selten nutzen die Behörden die Erkenntnisse aus der Überwachung als Grundlage für Festnahmen. Oppositionelle aus verschiedenen Ländern berichten, wie sie nach ihrer Festnahme in Verhören mit Informationen aus ihrer Online-Kommunikation konfrontiert werden. Verhaftung und Verhöre gehen häufig mit Folter und menschenverachtender Behandlung einher.

Verantwortung für Spähsoftware Made in Germany

Dass Technologien, deren Einsatz derart schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen können, bis 2015 ohne eine spezielle Exportgenehmigung an Diktaturen und repressive Regime überall auf der Welt verkauft werden konnten, ist erstaunlich. Immerhin: Dank der intensiven Lobbyarbeit von Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und Human Rights Watch setzte die Bundesregierung schließlich 2015 die beschriebenen Überwachungstechnologien auf die Liste der sogenannten Dual-Use-Güter im Sinne des Außenwirtschaftsgesetzes. Seitdem bedürfen sie einer gesonderten Exportgenehmigung für den Export ins außereuropäische Ausland. Und trotzdem wurden Hinweise darauf gefunden, dass Späh-Software „Made in Germany“ etwa gegen Oppositionelle in der Türkei eingesetzt worden sein könnte.

Menschenrechtsaktivist*innen, wie wir vom ECCHR, sagen darum: Wenn Unternehmen Überwachungstechnologien wissentlich an repressive Staaten ausliefern, ist das kein neutrales Geschäft. Denn damit erleichtern oder ermöglichen deutsche oder europäische Firmen eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen. Völkerstrafrechtlich kann das sogar als Beihilfe zu Verbrechen wie Folter oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet werden.

Daran ändert auch eine offizielle behördliche Genehmigung nichts: Eine Exportgenehmigung ist kein „Persilschein“, der Unternehmen davon entbindet, die menschenrechtlichen Auswirkungen ihrer Produkte zu untersuchen. Eine Exportgenehmigung ist auch keine Exportpflicht. Vielmehr ist es die Pflicht von Unternehmen (festgeschrieben zum Beispiel in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte/UN Guiding Principles (UNGP), Leitprinzip 11), die möglichen (negativen) Auswirkungen ihrer Geschäfte auf Menschenrechte zu untersuchen.

Das fordert die Initiative Lieferkettengesetz

Aktuell tut sich neben der Regulierung über das Exportrecht ein weiteres Feld auf, das es möglich machen soll, Firmen stärker in die Verantwortung zu nehmen: Die Kampagne für ein Lieferkettengesetz in Deutschland. Ausgehend von den UNGP fordert ein Bündnis von mehr als 90 zivilgesellschaftlichen Organisationen – die Initiative Lieferkettengesetz – ein Gesetz, das menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen vorschreibt. Die Unternehmen sollen verpflichtet werden, sämtliche Bereiche ihres Kerngeschäfts auf menschenrechtliche Risiken zu untersuchen und angemessene Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Unternehmen – egal ob Textilfirmen oder Softwarehersteller – müssen die ganze Wertschöpfungskette im Blick haben. Das heißt, es geht nicht nur um die Fragen, woher die Rohstoffe für das Produkt kommen (etwa beim Bauxit- oder Eisenerzabbau für die Automobilbranche) oder unter welchen Bedingungen ein Produkt produziert wird (lebensgefährliche Arbeitsbedingungen in Textilfabriken in Südostasien). Solche Fragen sind für Überwachungstechnologien programmierende Unternehmen eher nachrangig.

Wichtig ist hier: Wie und unter welchen Umständen wird mein Produkt verwendet? Erleichtert oder unterstützt es Menschenrechtsverletzungen? Werden Menschen mithilfe meines Produktes überwacht, Folter oder einer sonstigen Verletzung ihrer Grundrechte ausgesetzt? Auch diese Aspekte müssen Unternehmen im Rahmen einer menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung untersuchen. Das gilt nicht nur für das Unternehmen selbst, sondern auch für Tochterunternehmen oder Zulieferer.

Wirtschaftsverbände stehen quer

Dass ein Gesetz zukünftig Unternehmen in Deutschland zum Schutz der Menschenrechte verpflichtet, ist durchaus wahrscheinlich: Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, sich des Themas anzunehmen. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) haben angekündigt, im Frühjahr 2020 erste Eckpunkte für ein Gesetz vorzulegen.

Dass ein solches Gesetz zum einen juristisch im deutschen Rechtsraum machbar, zum anderen aber auch für Unternehmen umsetzbar ist, zeigt bereits ein Rechtsgutachten der Initiative Lieferkettengesetz. Zwar stellen sich insbesondere die Wirtschaftsverbände quer und kritisieren hohe Kosten, Wettbewerbsungleichheit oder andere Einschränkungen ihres Geschäfts, aber gleichzeitig sprechen sich immer mehr Unternehmen für ein Gesetz aus, darunter z.B. Rittersport, Tchibo und Hapag-Lloyd. 1

Sollte ein Sorgfaltspflichtengesetz verabschiedet werden, müssten sich deutsche Software-Technologie-Firmen deutlich mehr Gedanken darüber machen, an wen sie welche Technologie verkaufen. Eine umfangreiche Risikoanalyse würde für viele Unternehmen2 zur Pflicht. Sie hätten keine Möglichkeit mehr, zu behaupten, man habe von der menschenrechtswidrigen Nutzung der Technologie nichts wissen können.

Im Falle eines Verstoßes gegen die Sorgfaltspflicht könnten den Unternehmen Bußgelder drohen oder Entschädigungsklagen von Menschen, deren Rechte durch den Einsatz der Technologie verletzt wurden – denn ein neues Gesetz soll auch den Zugang von Betroffenen zu deutschen Gerichten erleichtern.

Fußnoten

  1. Mehr als 50 Unternehmen haben bereits das „Statement für eine gesetzliche Regelung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten“ des Business & Human Rights Resource Centre unterschrieben.
  2. Nach den Forderungen der Initiative Lieferkettengesetz sollte ein solches Gesetz für alle größeren Unternehmen (bspw. bei über 250 Mitarbeitenden oder 20 Millionen Euro Bilanzsumme) gelten, die in Deutschland ansässig oder geschäftstätig sind. Kleine und mittelständische Unternehmen soll das Gesetz erfassen, wenn sie in Branchen mit besonders hohen Risiken für Mensch oder Umwelt tätig sind.

4 Ergänzungen

  1. Man muss aufpassen, dass man hier nicht dem Neokolonialimus Tür und Tor öffnet: Europa schreibt Entwicklungsländern vor, was gut und richtig ist.

    1. Wenn dort Menschenrechtsverletztungen, Kinder- oder Sklavenarbeit geduldet werden, muessen wir das akzeptieren, denn wir duerfen denen ja nicht vorschreiben?

  2. Ich sehe da zwei mögliche Konsequenzen:
    Erstens, ein Gericht stellt endlich mal fest, dass solche Software prinzipiell nicht in staatliche Hände gehört.
    Oder zweitens, wir bekommen eine offizielle Einteilung der Welt in Gut und Böse. An die Guten darf man Überwachungssoftware exportieren, weil die die ja nur für gute und noble Zwecke benutzen und an die Bösen darf man nicht exportieren, weil die damit fiese, unterdrückende Überwachung machen. Klar dürfte sein, dass diese Einteilung aufgrund von politischer Nähe und gefühlter Gemeinsamkeit passiert, nicht unbedingt deswegen, wofür die Software am Ende eingesetzt wird. Na toll, dann haben wir wieder kalten Krieg.

  3. Ja, es gibt eine (moralische) Verantwortlichkeit des Unternehmers für die Art, wie seine Produkte eingesetzt werden. Nimmt er sie nicht wahr, soll das soziale Konsequenzen haben, z.B. in dem die Medien darauf aufmerksam machen und der Unternehmer an Ansehen verliert.

    Ob darüber hinaus ein rechtlicher Zwang sachdienlich ist, erscheint fraglich. Da wird den Unternehmen etwas aufgebürdet, was Politik und internationales Recht eben gerade nicht hinkriegen.

    Das fängt schon bei der Beurteilung an, was menschenrechtswidrig ist. Der Begriff wird im öffentlichen Diskurs maßlos überzogen. Selten macht sich jemand die Mühe, eine behauptete Menschenrechtsverletzung sauber herzuleiten.

    In Deutschland zum Beispiel ist Kinderarbeit im Haus und Geschäft der Eltern Pflicht, § 1619 BGB! Verletzt das Menschenrechte? Dann dürfte der Unternehmer im Zweifel nicht mehr bei deutschen Selbständigen einkaufen, ohne vorab sicherzustellen, dass dessen Kinder nicht helfen müssen. Oder würde er dabei das Eltern- und Kinder-Grundrecht aus Art 6 II GG verletzen?

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