Es hätte ein großer Wurf werden können. Mit dem rechtlichen Anspruch auf einen schnellen Internetzugang hatten sich Union und SPD vorgenommen, allen Menschen in Deutschland die gleichberechtigte Teilhabe an der digitalen Welt gesetzlich zu garantieren. Doch daraus scheint nichts zu werden.
In das neue Telekommunikationsgesetz (TKG) dürfte es nur eine verwässerte Regelung des Universaldienstes schaffen. Heftig umstritten sind in der Koalition derzeit unter anderem Vertragslaufzeiten oder Sicherheitsauflagen für Netzwerkausrüster wie Huawei. Das Recht auf schnelles Internet hingegen scheint im Kabinett nicht mehr sonderlich kontrovers diskutiert zu werden.
Die derzeitige Formulierung sieht vor, dass die Bundesnetzagentur die von mindestens 80 Prozent der Verbraucher:innen im Bundesgebiet genutzte Mindestbandbreite heranziehen soll, um die Anforderungen an den Internetzugangsdienst festzustellen. Zudem soll die Behörde „nationale Gegebenheiten“ berücksichtigen, insbesondere geplante staatliche Fördermaßnahmen in einem bestimmten Gebiet oder Absichtserklärungen von Netzbetreibern, die privatwirtschaftlich ausbauen. Finanzieren soll das ein Umlageverfahren, gelten soll der Anspruch ab 2025.
Insgesamt lässt das genug Spielraum, um die Mindestanforderungen sehr niedrig anzusetzen. „Schaut man sich den Entwurf genauer an, muss man feststellen, dass der ‚Rechtsanspruch auf schnelles Internet‘ bereits erfüllt sein könnte, wenn Verbraucher Zugang zu Diensten wie Email, Anrufe, Videoanrufe und der Nutzung von sozialen Medien bekommen“, kritisiert eine Stellungnahme des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) die Novelle.
„Minimalumsetzung der europäischen Vorgaben“
Die Verbraucherschützer fordern deshalb eine Regelung mit Zähnen. 30 Mbit/s als anfängliche Mindestbandbreite stellen aus ihrer Sicht eine gute Kompromisslösung dar. Diese Bandbreite ergebe sich aus der Verfügbarkeit von Anschlüssen sowie den tatsächlich erreichten Internetgeschwindigkeiten und sollte regelmäßig dynamisch angepasst werden. Sonst könne der im Koalitionsvertrag 2018 ambitioniert geplante Rechtsanspruch auf schnelles Internet nicht erfüllt werden, mahnt der vzbv.
Ähnlich sehen das die Oppositionsparteien. „Es soll nur eine Minimalumsetzung der europäischen Vorgaben geben, die bei weitem nicht ausreicht“, zeigt sich die grüne Expertin für digitale Infrastruktur Margit Stumpp enttäuscht. Eine Reihe an Schlupflöchern, etwa der Verweis auf „die nationalen Gegebenheiten“, würden der Umsetzung eines funktionierenden Universaldienstes im Weg stehen. „In weißen Flecken besteht die Gefahr, dass sich stets auf dieses Argument bezogen wird“, warnt Stumpp.
Für Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion, wird die Absenkung der Orientierungsbandbreite in der überarbeiteten TKG-Novelle absehbar dazu führen, „dass es keinen Universaldienst geben wird, der mindestens 50 Mbit/s Bandbreite vorschreibt.“ Diesen Schwellenwert hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits 2013 in den Raum gestellt, bis Ende 2018 sollte jeder Haushalt in Deutschland über einen mindestens so schnellen Anschluss verfügen. Dass dies immer noch nicht umgesetzt ist, „müsste doch Merkel, Scheuer und Braun unfassbar peinlich sein“, sagt Domscheit-Berg.
Perspektivisch sollte ein symmetrischer Gigabit-Universaldienst geplant werden, der in Stufen erreicht werden könne, fordert die Bundestagsabgeordnete: „Dabei sollte die unterste Stufe 100 Mbit/s nicht unterschritten und der zeitliche Horizont für den preiswerten, symmetrischen Gigabitzugang nicht in ferner Zukunft liegen, sondern allerspätestens 2030 für alle Haushalte erreichbar sein“.
Die Liberalen sehen dies anders. Vom Universaldienst sollte man sich „keine Wunderdinge“ erwarten, sagt Frank Sitta, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. Schon allein, da einige Zeit zwischen Anmeldung des Anspruchs und Anschluss ins Land gehen dürfte. Zudem könnte die Umlagefinanzierung langwierige Rechtsstreitigkeiten sogar noch wahrscheinlicher machen, sagt der für digitale Infrastruktur zuständige FDP-Politiker.
Zu bevorzugen sei laut Sitta „eine nachfrageorientierte Lösung durch die Ausgabe von Gigabit-Gutscheinen“, die für eine gleichberechtigte Teilhabe notwenige Bandbreite „gewissermaßen gewährleisten“ würden. Das entspricht in etwa den Forderungen der Industrie, die Voucher-Lösungen schon seit Jahren ins Spiel bringt. Dementsprechend meldet der Wirtschaftsverband eco in einer Stellungnahme „verfassungsrechtliche Bedenken“ an, da ein Universaldienst einen „unverhältnismäßigen Eingriff“ in die Privatwirtschaft darstellen würde.
Wirtschaft bremst
Schon als die ersten Pläne der Bundesregierung ruchbar wurden, den Rechtsanspruch zu schaffen, zeichnete sich eine zähe Debatte ab. Die Branche warnte vor „Planwirtschaft“ und einer „starken Verunsicherung“ bei Unternehmen, die laut Eigenaussage gerne Milliardensummen in schnelle Internetleitungen investieren würden, aber nun zurückstecken müssten.
Eingetreten ist bislang beides nicht. Weder droht der deutschen Wirtschaft, sich unter staatlicher Fuchtel wiederzufinden, noch haben die privaten Investitionen in den Breitbandausbau abgenommen. Im Gegenteil: Im Vorjahr stiegen laut Bundesnetzagentur die Ausgaben der Branche um 6,7 Prozent auf den neuen Höchststand von knapp 10 Milliarden Euro.
Parallel dazu läuft das staatliche Bundesförderprogramm inzwischen auf Hochtouren, verglichen mit den anfänglichen Anlaufschwierigkeiten. Zuletzt wurde es sogar deutlich erweitert: Nach jahrelangen Verhandlungen hat die EU-Kommission im Herbst dem Plan der Bundesregierung zugestimmt, den Ausbau künftig auch in sogenannten „grauen Flecken“ fördern zu können. Bisher war dies nur in Regionen möglich, in denen sich maximal 30 Mbit/s erreichen ließen. Künftig soll die Schwelle bei 100 MBit/s liegen, ab 2023 soll auch sie fallen.
Universaldienst als „letzte Haltelinie“
Deshalb spiele das Recht auf schnelles Internet nur eine untergeordnete Rolle, sagt Gustav Herzog. Der SPD-Bundestagsabgeordnete ist Berichterstatter im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur für die TKG-Novelle. „Der Universaldienst ist nicht das Instrument, um das schnelle Internet zu allen zu bringen“, sagt Herzog.
Stattdessen sei der Universaldienst nur „die letzte Haltelinie“. Das Instrument solle dann einspringen, wenn es weder mit staatlich gefördertem noch eigenwirtschaftlichem Ausbau in einer Region voran geht. Aktuell konstatiert Herzog einen sehr guten Fortschritt beim Ausbau. Wie gut, das werden freilich erst Fortschrittsberichte der Bundesnetzagentur oder aktualisierte Zahlen aus dem Verkehrsministerium zeigen.
Jedoch steht zu erwarten, dass in den kommenden Jahren der flächendeckende Ausbau mit zeitgemäßen Leitungen trotzdem kaum gelingen wird – und eine schwache Universaldienstregelung unterversorgte Gebiete zurücklassen könnte. Bereits im Sommer berichtete netzpolitik.org über erste Überlegungen, solche Lücken mit Satelliteninternet zu schließen. Diese Gerüchte werden nun immer konkreter.
Internet über Satellit
Der Lobbyverband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (Vatm) fordert den Einsatz von Satelliten-Kommunikation als „schnelle und vergleichsweise effiziente und kostengünstige Abhilfe“, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung mit dem Wirtschaftsforum der SPD. Genauso drängt der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) die Bundesregierung, die Einbeziehung der Satellitenkommunikation zu prüfen, „bevor das ‚Recht auf schnelles Internet‘ in Erwägung gezogen wird“.
Tatsächlich sinken die Preise für solche Produkte seit Jahren, genauso wie deren Bandbreite steigt. Doch sehr hohe Latenzzeiten von mehreren hundert Millisekunden oder mehr, die sich technikbedingt nur schwer verringern lassen, machen sie ungeeignet für Anwendungen wie Videoanrufe. Aus dem Bundesverkehrsministerium kommt bislang keine klare Absage zu den Versuchsballons. Abgeneigt zeigte sich etwa der Abteilungsleiter Tobias Miethaner auf einer Vatm-Veranstaltung nicht, allerdings gebe es derzeit „nichts zu verkünden“, berichtete Golem.
Innerhalb der SPD herrscht über diesen Ansatz augenscheinlich Uneinigkeit. Der Bundestagsabgeordnete Herzog jedenfalls zeigt sich skeptisch. Das Ziel solle auf jeden Fall „Glasfaser bis in jedes Haus“ bleiben, sagt er. Schwer erschließbare Regionen ließen sich etwa über Richt- oder Mobilfunk versorgen, was sinnvoller als Satelliteninternet sei. Und auch wenn er kein Freund davon sei, kämen alternative Verlegemethoden wie Microtrenching oder – für einen Überbrückungszeitraum – sogar Freileitungen in Frage.
Beschließen will das Kabinett den Gesetzentwurf am 16. Dezember. Das ist ambitioniert, denn bislang liegt weiterhin kein fertig abgestimmter Referentenentwurf, sondern nur ein Diskussionsentwurf des Wirtschaftsministeriums und des Verkehrsministeriums zu dem umfangreichen Gesetzespaket vor. An dem könnte sich noch einiges ändern, wie aus einem Anschreiben an die Länder von Anfang November hervorgeht. An der Universaldienstregelung jedoch nicht, glaubt Herzog. Bleibt noch der Bundestag, der der Novelle zustimmen muss. Spätestens dann müssen die Karten auf den Tisch.
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