Debatte um Bundestags-SicherheitGrundrechenarten statt Vorratsdatenspeicherung

Um eine rechtsradikale Aktion vor dem Bundestag zu verhindern, braucht es keine Vorratsdatenspeicherung, sondern einen Sicherheitsapparat der eins und eins zusammenzählen kann. Fehler bei Geheimdiensten und Polizei gehen in der aktuellen Debatte vollkommen unter. Ein Kommentar.

Wir bebildern diesen Kommentar mit Kunst statt Nazifahnen. Denn die Wiederholung der Bilder war das Ziel der Rechtsradikalen. CC-BY-NC-SA 2.0 Petershagen

Eine der ewigen Gesetzmäßigkeiten der Überwachungsdebatte lautet: Wenn irgendwas passiert, wofür es eine politische Verantwortung geben könnte, weil man Sachen versäumt hat, dann fordert die CDU/CSU einfach die Vorratsdatenspeicherung. Mittlerweile auch in Kombination mit dem Staatstrojaner. Das ist immer ein gutes Ablenkungsmanöver.

Jetzt gibt es das wieder als Antwort auf das rechtsradikale Fotoshooting mit Reichsfahnen auf den Treppen des Reichstagsgebäudes am vergangenen Samstag. Weil unsere Sicherheitsbehörden davon und der starken rechtsextremen Mobilisierung angeblich überrascht wurden.

Die Vorratsdatenspeicherung macht hier natürlich überhaupt keinen Sinn. Das hindert aber zahlreiche Medien nicht daran, die vollkommen evidenzfreie Forderung unkommentiert und ohne jegliche Einordnung zu wiederholen.

Es war öffentlich, dass das passieren kann

Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen und Journalist:innen haben sehr genau und schon lange vor der Demonstration – und das vollkommen ohne Überwachungsmaßnahmen wie der Vorratsdatenspeicherung –  beobachten können, dass die komplette rechtsextreme Szene nach Berlin mobilisiert. Es ist seit Jahren ein Traum der Rechtsradikalen das Reichstagsgebäude zu stürmen. Die Demo wurde sogar als #SturmAufBerlin beworben, der Hashtag trendete und im Netz kursierten zahlreiche öffentliche Aufrufe, das Parlament zu stürmen.


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Und auch während der Demo waren die Dynamiken, Taktiken und die Aufrufe offen zugänglich, wenn man sich nur die Mühe machte, den richtigen Accounts auf Twitter, Facebook, Telegram und den Livestreams auf Youtube zu folgen.

Um so eine rechtsradikale Aktion vor dem Bundestag zu verhindern, braucht es keine Vorratsdatenspeicherung, sondern einen Sicherheitsapparat der eins und eins zusammenzählen kann und daraus die richtigen Schlüsse zieht. Diese müssen sich dann auch in Polizeitaktiken widerspiegeln. Dies geht in der Debatte um die Nazi-Fahnen vor dem Parlament vollkommen unter.

Eins und eins zusammenzählen

Es ist doch absurd, wenn unterfinanzierte oder ehrenamtliche zivilgesellschaftliche Organisationen aus offenen Quellen mehr über das Agieren und die Strategien der rechtsextremen Akteure mitbekommen – und dies sogar öffentlich dokumentieren – als es die vielen Sicherheitsapparate mit ihren weit gefassten Befugnissen und zahlreichen Beamt:innen angeblich können.

Klar ist: Es gibt evidenzbasierte, deutlich sinnvollere und vor allem grundrechtsfreundlichere Maßnahmen statt einer Vorratsdatenspeicherung.

Dazu gehört eine bessere Ausbildung und Schulung der Polizei in solchen Fragen. Ich kann mir nach all den Nazi-Skandalen leider vorstellen, dass es bei Polizei und Verfassungsschutz ausreichend Personal gibt, welches sich privat in Sachen Nazi-Codes, Symbolen und in den Chatgruppen von Rechtsextremen gut auskennt. Aber genau das sind dann die Beamt:innen, die man nicht dafür heranziehen sollte.

Da müssten andere ran. Aktuell soll das BKA im Rahmen des Halle-Prozesses keine gute Figur machen, weil einige vorgeladene Beamte im Zeugenstand eher ihre fehlende Kompetenz in Netzfragen preisgeben. Hier muss also etwas passieren.

Verschwörungsmythen bis hinein in die Union

Man hätte auch darauf verzichten können, einen Rechtspopulisten für einige Jahre zum Präsidenten des Verfassungsschutzes zu machen, der dann genau in dieser Richtung eher keine Bedrohung sieht. Das hat sich jetzt zwar etwas geändert, aber die Zeit von Hans-Georg Maaßen ist immer noch nicht aufgearbeitet.

Und nach der vergangenen Querdenker-Demo Anfang August gab es in rechtskonservativen und rechtsradikalen Kreisen das Narrativ, dass die Polizei die Teilnehmerzahlen massiv manipuliert habe, um nicht die „wahren Ausmaße“ zu kommunizieren. Das war eine klassische Verschwörungserzählung und bei der Amtsübernahme von Donald Trump abgeschaut.

Das hinderte den Vize-Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Arnold Vaatz, nicht, dieses Narrativ auf der neurechten Scharnierplattform Tichys Einblick zu wiederholen. Und dabei das Agieren der Berliner Polizei mit DDR-Medien und der Stasi zu vergleichen.

Das war dann selbst Focus-Online zuviel, die von „kruden Verschwörungstheorien“ im Zusammenhang mit Vaatz Text schrieb. Und wenn Focus-Online das schon schreibt, dann sollte das einem zu denken geben.

Ich bin ja immer wieder verwundert, wer in der CDU/CSU in verantwortliche Positionen kommt und da auch bleiben kann. Die gleichen Personen schreiben dann wohl auch die Forderungskataloge, wonach die Vorratsdatenspeicherung wegen jedem beliebigen Ereignis eingeführt gehört.

Kleiner Pro-Tipp an die CDU/CSU: Wenn Ihr tatsächlich etwas gegen rechtsextreme Tendenzen machen wollt, dann steigt nicht zu den Rechtsradikalen ins Bett und grenzt Euch klar ab. Es könnte so einfach sein, die Vorratsdatenspeicherung braucht es für diese demokratische Abgrenzung übrigens auch nicht.

3 Ergänzungen

  1. Es ist doch schon sehr lächerlich. Der Sturmangriff auf den Bundestag wurde ja von Nazis und Reichsbürgern schon wochen vorher auf Facebook und Twitter öffentlich angekündigt. Das das im Staate niemand ernst nimmt, das ist das Problem. Aber ja mal wieder typisch CDU nach dem Stasi Staat als Lösung für alle Probleme schreien.

  2. Gute Idee, die Bilder des Nazimobs mit seinen Fahnen nicht zu wiederholen. Es ist ja anderswo ausreichend dokumentiert. So gut, dass man sich fragt, warum diese Bilder nicht explizit zu einer Großfahndung wegen dringenden Verdachts diverser schwerer staatsgefährdender Straftaten verwendet werden. Bei G20 wurde Recht gebrochen, um die Gewalt eskalieren zu lassen und die Demos zu delegitimieren – hier wünsche ich mir, dass es einfach nur angewendet wird und die Covidioten massenhaft Verfahren an den Hals bekommen. Allein schon wegen Verstoßes gegen diverse Infektionsschutzgesetze.

  3. Dass sich ‚die Politik‘ (immerhin u.A. in Person von Klingbeil) hinterher zumindest implizit behauptet die Geheimdienste seien Schuld ist auch ziemliches FUD. Genau so bekommen wir a) mehr Geheimdienst und b) ein schlechteres Bild der Geheimdienste. Loose-loose.

    Natürlich hat das BfV vor der Demo bescheid gegeben dass mit Rechtsextremisten und auch Rechtsradikalen vor Ort gerechnet werden muss. Wenn von 20k Demonstranten 2k Rechte dabei sind, dann sind davon sicher einige hundert gewaltbereit. Das weiß die Polizei vorher. Das BfV brieft und sensibilisiert regelmäßig. Das wird durch mehr Geheimdienstbefugnisse oder mehr geheimdienstliche ‚Aufklärung‘ auch nicht anders werden, schon weil gar nicht mehr Erkenntnisse nötig sind

    Mir geht die ganze Diskussion auf den Keks. Und den Begriff „Sturm“ will ich in dem Zusammenhang nicht nochmal hören oder lesen. Danke, Markus, dass du nur das Hashtag erwähnt hast und dir den Blödsinn nicht zu eigen machst. Und auch dafür dass du die Fotos nicht verwendest.

    Kein Pixel breit den Faschisten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.