Geheime DokumenteEuropäische Inlandsgeheimdienste sind weltweit vernetzt

Das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitet im „Berner Club“ mit den Auslandsgeheimdiensten Mossad und CIA zusammen. Mit weiteren Behörden tauscht der deutsche Inlandsgeheimdienst Informationen zu „nicht-islamistischem Terrorismus“ sowie „Rechts- und Linksextremismus“. Wegen des „Staatswohls“ hielt die Bundesregierung diese Details bislang geheim.

Fritsche und Kickl beim Handschlag
Wegen möglicher extremistischer Unterwanderung gilt das BVT in Österreich als Sicherheitslücke im „Berner Club“. Der ehemalige deutsche Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche soll das reparieren. – Alle Rechte vorbehalten BMI Österreich/Alexander Tuma

Der „Berner Club“, in dem sich Direktoren von Inlandsgeheimdiensten der EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegens und der Schweiz organisieren, ist zu einem weltweiten Netzwerk gewachsen. Das melden Jan Jirát und Lorenz Naegeli in der Onlineausgabe der Schweizer „Wochenzeitung“ und berufen sich dabei auf ein geheimes Dokument, das auf 2011 datiert ist. Demnach ist der „Berner Club“ in einen internationalen Informationsaustausch mit Geheimdiensten der „Five Eyes“ und aus Israel eingebunden.

Der informelle „Berner Club“ wurde 1969 von zunächst neun Geheimdienstchefs gegründet, schon damals kooperierten die europäischen Dienste nach Recherchen der Schweizer Historikerin Aviva Guttmann mit den israelischen Partnern Shin Bet und Mossad sowie dem US-amerikanischen FBI. Die Vernetzung erfolgte über ein Telegramm-System mit dem Namen „Kilowatt“.

Europol in der Grauzone

Die Bundesregierung stellt den „Berner Club“ als Vereinigung dar, in der die strategische Ausrichtung der europäischen Geheimdienstkooperation beraten wird. Spätestens seit dem Abtritt von Hans-Georg Maaßen ist bekannt, dass dort auch politische Reden gehalten werden. Derzeit nehmen 30 Dienste an der Kooperation teil, aus Deutschland etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), aus der Schweiz der Nachrichtendienst des Bundes (NDB), aus Österreich das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Im Gegensatz zu den deutschen und schweizerischen Schlapphüten verfügen einige Dienste, darunter die BeamtInnen des BVT, über polizeiliche Vollmachten.

Für die operative Zusammenarbeit hat der Club 2001 eine „Counter Terrorism Group“ (CTG) eingerichtet, die seit Sommer 2016 eine gemeinsame Datei und ein Echtzeit-Informationssystem beim niederländischen Geheimdienst AIVD in Den Haag betreibt. Alle inhaltlichen und technischen Details zu diesem Datentausch sind geheim.

Bekannt ist nur, dass sich der Austausch der CTG vor allem auf das Themenfeld „islamistischer Terrorismus“ bezieht, eine Ausweitung auf weitere Bereiche wird aber diskutiert. Die Gruppe arbeitet auch mit Europol zusammen. Die EU-Polizeiagentur organisiert gemeinsame Stabsübungen und kooperiert in Ermittlungen auf bilateraler Ebene mit einzelnen Mitgliedern der CTG. Die Schützenhilfe für die Geheimdienstkooperation bewegt sich in einer Grauzone, denn die Europäische Union hat laut ihren Verträgen kein Mandat zur Koordinierung der Geheimdienste.

Whistleblower legt Netzwerk offen

Ein Leak hat kürzlich weitere Details zum „Berner Club“ offengelegt. Laut einem von der österreichischen Zeitung OE24 für wenige Minuten veröffentlichten Dokument kommunizieren die nationalen Kontaktstellen der Geheimdienstgruppe über ein Computernetzwerk mit dem Namen „Poseidon“. Es ermöglicht neben dem Versand von Nachrichten auch Telefongespräche und Videokonferenzen. Weitere Internetdienste macht der „Berner Club“ in einem Netzwerk mit dem Namen „Neptun“ verfügbar. Bekannt wurde auch eine Datenbank „Phoenix“, die womöglich zur CTG gehört.

Wie nun die WOZ berichtet, sind auch zahlreiche nicht-europäische Geheimdienste an die Netzwerke des „Berner Club“ angeschlossen. Demnach existierte dort Anfang des Jahrzehnts ein Verteiler namens „Capriccio“ mit Behörden aus den USA (FBI und CIA), Kanada (CSIS), Neuseeland (NZSIS) und Australien (ASIO). Zusammen mit Großbritannien, das mit dem MI5 selbst am „Berner Club“ teilnimmt, bilden die vier Staaten den Geheimdienstbund „Five Eyes“, der über weitgehende Spionageeinrichtungen verfügt. Die WOZ nennt außerdem den Mossad sowie den Shin Bet (mit der internationalen Abkürzung ISA) aus Israel. Der Mossad und die CIA sind die einzigen Auslandsgeheimdienste in der Vernetzung der Inlandsdienste im „Berner Club“.

Der Informationsaustausch in „Capriccio“ erfolgt dem Bericht zufolge im Bereich des „islamistischen Terrorismus“. Der „nicht-islamistische Terrorismus“ wird unter dem dem Namen „Toccata“ behandelt, dort sind ebenfalls die „Five Eyes“, Israel und die USA beteiligt, aber ohne Mossad und die CIA. Die WOZ schreibt außerdem über eine dritte Vernetzung mit dem Kürzel „Rile“, in der sich die Dienste im „Berner Club“ zu „Rechts- und Linksextremismus“ austauschen.

Bundesregierung mauert

Die Enthüllungen der WOZ machen deutlich, wie die Inlandsgeheimdienste zunehmend auch mit außereuropäischen Partnern Informationen austauschen. Für diese Auslandszusammenarbeit in der „Counter Terrorism Group“ hatte die Bundesregierung vor vier Jahren eilig ein Gesetz gezimmert. Der Bedeutungszuwachs des BfV ging einher mit einer praktisch unmöglichen Kontrolle. So will etwa die Bundesregierung nicht mitteilen, mit welchen Diensten das Bundesamt im „Berner Club“ und der CTG kooperiert, welche Daten getauscht oder wozu diese überhaupt genutzt werden. Sämtliche parlamentarischen Anfragen hierzu laufen ins Leere.

Als Grund der Geheimhaltung nennt die Bundesregierung die vereinbarte „Third Party Rule“. Keine der gelieferten Informationen dürften wegen des „Staatswohls“ an eine dritte Partei weitergegeben werden. Auch das Informationsbedürfnis des Parlaments ist allerdings ein „Staatswohl“. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages verweisen deshalb darauf, dass die Bundesregierung ein Freigabeersuchen bei dem Staat stellen kann, der die von Abgeordneten erfragten Informationen in der CTG teilt.

Erst auf direkte Nachfrage kam heraus, dass sich das Bundesinnenministerium in keinem einzigen Fall der letzten Jahre die Mühe machte, zur Beantwortung einer parlamentarischen Initiative ein solches Freigabeersuchen an den „Berner Club“ zu versenden.

2 Ergänzungen

  1. In ausgeweitetem Zusammenhang könnte man auch ENFOPOL erwähnen.

    „…Bezeichnung einer Reihe von Arbeitspapieren zur Überwachung der Telekommunikation innerhalb der Europäischen Union. Die Enfopol-Papiere basieren auf der Arbeit einer Arbeitsgruppe des FBI und werden von der Arbeitsgruppe K4 „Polizeiliche Zusammenarbeit“ erstellt. Sie wurden am 3. Mai 1999 durch das Europäische Parlament verabschiedet.“
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Enfopol

    „Schon Mitte der 90er Jahren wurde in der Europäischen Union unter dem Titel Enfopol im Geheimen die flächendeckende Überwachung der Kommunikationsnetze entwickelt. Telepolis hat erstmals die Papiere veröffentlicht und die Pläne bekannt gemacht.“
    https://www.heise.de/tp/thema/Enfopol_Papiere

  2. Was sich weder parlamentarisch noch auf dem Gerichtsweg kontrollieren lässt, darf in einem Rechtsstaat nicht existieren.

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