EckpunkteGroße Koalition will Staatstrojaner auch noch für Bundespolizei

Die Bundespolizei soll in Zukunft heimlich Geräte hacken und verschlüsselte Kommunikation ausleiten. Darauf haben sich die Regierungsfraktionen in Eckpunkten für das neue Bundespolizeigesetz geeinigt, die wir veröffentlichen. Ob auch gespeicherte Kommunikation abgehört werden darf, ist noch umstritten.

Polizistin mit Kabeln
„Schon mal eine Backdoor eingetreten?“ (Eigenwerbung) – Alle Rechte vorbehalten Bundespolizei

Die Bundespolizei ist die größte Polizei Deutschlands. Im Koalitionsvertrag bekam sie trotzdem nur einen Satz. Sie soll bundesweit eingesetzt werden, „im Rahmen der bestehenden Zuständigkeiten und Aufgaben“ wie der Bekämpfung von Alltagskriminalität an Bahnhöfen. Das Innenministerium sagt: „Die Novellierung des Bundespolizeigesetzes findet sich nicht im Koalitionsvertrag.“

Das Ministerium von Horst Seehofer verfasste trotzdem einen Gesetzentwurf mit vielen neuen Befugnissen, darunter intelligente Videoüberwachung und biometrische Gesichtserkennung oder auch einen digitalen Gegenangriff per Hack-Back. Die SPD-geführten Ministerien lehnten diese Vorschläge ab, seitdem liegt der Gesetzentwurf innerhalb der Bundesregierung auf Eis.

Jetzt unternimmt die Große Koalition im Bundestag einen neuen Anlauf. Union und SPD haben Eckpunkte für ein Bundespolizeigesetz erarbeitet und an die Ministerien verschickt, die sie „für eine beschleunigte Umsetzung“ als Fraktionsinitiative einbringen wollen. Zuerst berichtete die FAZ. Wir veröffentlichen die Eckpunkte in Volltext.

Willen zur Modernisierung dieses Gesetzes

Demnach wollen die Koalitionsfraktionen das Bundespolizeigesetz noch in dieser Legislaturperiode modernisieren. Sie haben 30 Punkte erarbeitet, die Aufgaben erweitern und Befugnisse ausweiten.

Netzpolitisches Kernthema ist der Staatstrojaner. Ursprünglich nur zur Verhinderung von internationalem Terrorismus eingeführt, dürfen mittlerweile BKA, Zoll und Landespolizeien sowie bald auch alle 19 Geheimdienste heimlich Geräte hacken und Kommunikation ausleiten. Demnächst soll auch die Bundespolizei eine sogenannte „Telekommunikationsüberwachung an der Quelle“ durchführen.

Laut Bundesverfassungsgericht muss sich eine Quellen-TKÜ auf „laufende Kommunikation“ beschränken. Das bestätigt der SPD-Abgeordnete Dirk Wiese: „Nur Inhalte von laufender Kommunikation sollen überwacht werden dürfen.“ Thorsten Frei von der Union widerspricht: „Die Quellen-TKÜ wird nicht auf die laufende Kommunikation beschränkt sein.“ Die Bundespolizei soll auch gespeicherte Kommunikation ausleiten dürfen. Hier streitet die Koalition noch.

Ressortabstimmung entschlossen fortführen

Die Große Koalition fordert auch eine „Befugnis zur Identifizierung/Lokalisierung von Mobilfunkkarten/Handys“.

Seit vier Jahren müssen Mobilfunk-Anschlüsse mit einem Ausweis registriert werden. Die Bundespolizei kann diese Bestandsdaten automatisiert abfragen, wie 100 weitere staatliche Stellen auch. Behörden fragen alle zwei Sekunden eine Telefonnummer ab. Auch Verkehrsdaten erhalten Strafverfolgungsbehörden selbstverständlich von Telekommunikationsanbietern. Das soll wohl auf Internet-Anbieter ausgeweitet werden.

Mit der Lokalisierung ist das Verschicken von „Stillen SMS“ und der Einsatz von IMSI-Catchern zur Ortung überwachter Mobilfunkabschlüsse gemeint. Auch diese Überwachungsmethoden setzt die Bundespolizei bereits ein. Letztes Jahr verschickte sie 48.000 „Stille SMS“ und nutzte IMSI-Catcher in 52 Fällen.

Der Bundesgerichtshof hatte vor zwei Jahren die „Stille SMS“ erlaubt, aber die Rechtsgrundlage präzisiert. Die Bundespolizei darf das Mittel demnach zur Strafverfolgung einsetzen, aber nicht zur Prävention. Die Koalition will nun „eine gesonderte Rechtsgrundlage schaffen“, damit sie das auch in diesen Fällen darf.

Zeitnah ins parlamentarische Verfahren

Die Eckpunkte umfassen eine ganze Reihe weiterer Punkte wie Drohnen-Abwehr oder finaler Rettungsschuss, auf die sich Union und SDP geeinigt haben. Einigkeit herrscht vor allem über die großen Linien, noch nicht über alle Details. Das zeigen die widersprüchlichen Aussagen zur Quellen-TKÜ. Darüber hinaus muss dieser Entwurf der Fraktionen noch mit dem Entwurf des Innenministeriums zusammengebracht werden.

Ministerien und Fraktionen diskutieren derzeit über das weitere Vorgehen. Die SPD „bevorzugt eine Einbringung als Koalitionsinitiative“, so Dirk Wiese. Thorsten Frei von der CDU/CSU hingegen betont: „Der Gesetzentwurf wird im etablierten Verfahren der Bundesregierung erarbeitet. Federführend ist das Bundesinnenministerium.“

Einig sind sich die Fraktionen, dass sie das Gesetz „noch in dieser Legislatur im Deutschen Bundestag verabschieden und durch den Bundesrat bringen“ wollen.


Hier das Dokument in Volltext:


Datum: 28. November 2020

Eckpunkte der Koalitionsfraktionen für eine Novellierung des Bundespolizeigesetzes

Die Koalitionsfraktionen bekräftigen ihren Willen zu einer Modernisierung des Bundespolizeigesetzes noch in dieser Legislaturperiode und haben sich mit Blick auf den in der Ressortabstimmung befindlichen Gesetzentwurf auf folgende wesentliche Eckpunkte verständigt:

1. Erweiterung der Aufgaben

  1. Ausweitung der Strafverfolgungszuständigkeiten
    1. aa) Zuständigkeit der Bundespolizei nicht mehr nur für Vergehen, sondern auch für Verbrechen (§ 12 BPolG);
    2. bb) Künftige Zuständigkeit der Bundespolizei – als Konsequenz aus dem Fall Anis Amri – auch für die Strafverfolgung ‚unerlaubten Aufenthalts‘ in Deutschland;
    3. cc) Zuständigkeit der Bundespolizei für Straftaten im Zusammenhang mit Drohnenangriffen / Laserpointern.
  2. Möglichkeit zu eigenem Zeugenschutz

2. Ausweitung der Befugnisse

  1. Neue Befugnis zur (präventiven) Telekommunikationsüberwachung inkl. einer auf die Bekämpfung von Menschenhandel und Schleuserkriminalität begrenzten Quellen-TKÜ
  2. Befugnis zur Identifizierung/ Lokalisierung von Mobilfunkkarten/Handys
  3. Befugnis zum Einsatz technischer Mittel zur Abwehr von Drohnen oder anderen „fernmanipulierten Geräten“
  4. Weitere neue Befugnisse
    • Anordnung von Meldeauflagen, z.B. zur Sicherstellung von Ausreiseuntersagungen gegen gewaltorientierte Fußball-Hooligans;
    • Einrichtung einer Datenbank zur Speicherung von DNA-Material der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwecks Ausschlusses von Trugspuren;
    • Befugnis zur Ausschreibung zur Ermittlungsanfrage;
    • Erteilung von Aufenthaltsverboten im Rahmen der Zuständigkeit der Bundespolizei;
    • Bild- und Tonüberwachung von Gewahrsamsräumen;
    • Entnahme von Blutproben;
    • Verpflichtung von Deutscher Bahn und Flughafen-Betreibern, der Bundespolizei unentgeltlich insbes. Dienst- und Lagerräume zur Verfügung zu stellen.

3. Erweiterter Datenschutz

  1. Umsetzung der Vorgaben des BVerfG aus dem Urteil zum BKA-Gesetz vom 20.4.2016
  2. Umsetzung der EU-Datenschutzreform

4. Weitere Änderungs- und Ergänzungsvorschläge

  1. In § 13 Abs. 1 Nr. 5 BPolG (Verfolgung von Straftaten) sollen die Beschränkungen des § 12 Abs. 1 Nr. 5 BPolG durch die „und-Verknüpfung“ entfallen.
  2. Zusatz in § 1 Abs. 5 BPolG: „… Die der Bundespolizei obliegenden Aufgaben der Gefahrenabwehr umfassen auch die Verhütung und die Vorsorge für die künftige Verfolgung von Straftaten nach Maßgabe dieses Gesetzes.“
  3. Folgende Änderungen werden weiter vorgeschlagen:
    • Streichung der Einschränkung der Datenerhebung zur Verhütung von Straftaten auf Straftaten nach § 13 Abs. 1 BPolG in § 23 Abs. 2 Nr. 1 BPolG;
    • Änderung in § 28 Abs. 1 Nr. 2 BPolG (Erkennungsdienstliche Maßnahmen): „…dies zur Verhütung von Straftaten oder zur Vorsorge der künftigen Strafverfolgung erforderlich ist…“.
    • Die Frage einer Erhebung von Bestandsdaten auch von Telemedienunternehmen sowie von Verkehrsdaten von Telekommunikationsunternehmen und Nutzungsdaten von Telemedienunternehmen soll noch näher im Lichte der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts geprüft werden.

5. Änderung des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG)

  • Einführung einer Rechtsgrundlage für den sog. finalen Rettungsschuss

2 Ergänzungen

  1. Wäre es in Zukunft nicht einfacher wenn man der Polizei einfach auflisten würde was sie _nicht_ tun darf? Oder hätten wir da inzwischen schon ein größtenteils leeres Blatt Papier?

  2. „(…) Die Bundespolizei soll etwa selbst Platzverweise erteilen oder Blutproben entnehmen lassen können. Bisher mussten dazu immer die Landespolizeien herangezogen werden. (…)

    Die Bundespolizei soll künftig, außerhalb ihres eigenen örtlichen Zuständigkeitsbereich (z. B. Bahnhöfe, Bahnanlagen und Flughäfen), im Hoheitsbereich der Länder, Platzverweise erteilen dürfen, so sieht es das neue Bundespolizeigesetz vor.
    Damit dürften beispielsweise BettlerInnen, TrinkerInnen und Obdachlose von der Bundespolizei weit über Bahnhofsvorplätze hinaus vertrieben werde. Damit wird die Bundespolizei de facto ermächtigt, z. B. im Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main für Ordnung zu sorgen. Die Platzverweise der Bundespolizei sind auch nicht gerade billig: Mit dem Inkrafttreten der Gebührenverordnung der Bundespolizei im Oktober 2019 können Platzverweise den Betroffenen nun mit 88,95 Euro in Rechnung gestellt werden. Diese Strafgebühr wird ohne richterlichen Beschluss verhängt – sie liegt im Ermessen der einzelnen BeamtInnen!
    Und: Müssen die BürgerInnen hierzulande künftig damit rechnen – jederzeit und überall –, von der Bundespolizei „anlassunabhängig überprüft“ (Personalien-/Identitätsfeststellung) zu werden?

    https://www.heise.de/tp/features/Schrittweise-Aushoehlung-der-Freiheitsrechte-4663640.html

    https://taz.de/Gebuehren-fuer-Massnahmen-der-Polizei/!5658040/

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