In memoriam Li WenliangDesinformation zu bestrafen, ist die falsche Therapie

Zur Pandemie kommt die sogenannte Infodemie. Weltweit reagieren Staaten auf die Verbreitung vermeintlicher Falschnachrichten. Doch wer legt fest, was richtig und falsch ist? Der Fall des chinesischen Arztes Li Wenliang ist dabei ein mahnendes Beispiel. Ein Kommentar.

Bleistiftzeichnung des chinesischen Arztes Li Wenliang
Der chinesische Arzt Li Wenliang musste bei der Sicherheitsbehörde vorsprechen, weil er zu Beginn der Coronapandemie vermeintliche Gerüchte über das Virus verbreitet hatte. – CC0 Mvolz

Wolf Schünemann ist Juniorprofessor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politik und Internet an der Universität Hildesheim. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen digitalpolitischer Regulierung, politischer Online-Kommunikation und Politik im europäischen Mehrebenensystem. Methodisch arbeitet er vor allem an und mit Verfahren der Diskursanalyse, einschließlich qualitativer, quantitativer und automatisierter Analysetechniken. Bei den Recherchen zu diesem Beitrag wurde er von Wanchen Wang, Promotionsstudentin an der Universität Hildesheim, unterstützt.

Die sorgenvollen Debatten über das neue Coronavirus COVID-19 werden aktuell von der Angst vor Falschinformationen, „Fake News“, begleitet. So wie sich mehr und mehr Menschen auf der ganzen Welt mit dem Virus infizieren und daran erkranken, drohen sich auch Gerüchte und falsche Behauptungen zum Ursprung, zu geeigneten Behandlungsmaßnahmen oder gebotenen Bewältigungsstrategien, ebenso wie allerlei haarsträubende Verschwörungstheorien, auszubreiten.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht von einer „Infodemie“, die mit der globalen Pandemie einhergehen und ihre Folgen womöglich erschweren würde. Weltweit reagieren Staaten auf diese wahrgenommene Bedrohung, indem sie teils drakonische Strafen für die Verbreitung von „Gerüchten“ und Falschnachrichten verhängen und die Pressefreiheit einschränken.

Verschärfte Maßnahmen gegen Corona-Fake-News

Vor wenigen Tagen eröffnete die Organisation Reporter ohne Grenzen eine Themenseite zur Pandemie, auf der sie die staatlichen Eingriffe dokumentiert. Auch hierzulande haben führende Innenpolitiker auf Landes- und Bundesebene angekündigt, mit verschärften Maßnahmen gegen Fake News in Corona-Zeiten vorgehen zu wollen.

Wie der Sprecher des Bundesinnenministeriums Kerber dem Handelsblatt mitteilte, setzt die Bundesregierung dabei auf die führenden Internetunternehmen und Plattformbetreiber, die ihre Anstrengungen im Kampf gegen Falschinformationen in Koordination mit der Politik steigern müssten. Er stellt in diesem Zusammenhang aber auch zusätzliche staatliche Eingriffe in Aussicht.

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius war in der vergangenen Woche noch weiter gegangen. Medienberichten zufolge forderte er effektive Sanktionen, etwa gegen die Verbreitung von Falschnachrichten zur Pandemie oder zur öffentlichen Versorgungslage und brachte damit eine Strafrechtsreform ins Spiel.

Vieles spricht dafür, dass die Coronakrise und die begleitende sogenannte „Infodemie“ Deutschland und andere westliche Demokratien einen Pfad weiter beschreiten lassen werden, der in vielen Ländern und auch auf europäischer Ebene bereits vor der Krise erkennbar angelegt war: denjenigen der institutionalisierten und womöglich gar strafbewehrten Bekämpfung von Desinformation im Netz.

Frankreich hat dazu mit Blick auf den Wahlkampf bereits 2018 ein Gesetz erlassen. Deutschland selbst hat mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein international viel beachtetes Äquivalent im Kampf gegen Hassrede und Hetze geschaffen, in dessen Rechtfertigung Hass und Desinformation oft als gemeinsame Bedrohung vorgetragen wurden. Die Bekämpfung von Desinformation ist als Ziel staatlicher Online-Kontrollmaßnahmen also ins Visier der Politik genommen.

Was Desinformation ist, kann nur mit Abstand geklärt werden

Forderungen in diese Richtung erhalten in Zeiten der Krise, die ohnehin eine Stunde der Exekutive ist, erheblichen Auftrieb. Anders als Hassrede und Hetze aber, die sich anhand sprachlicher und situativer Merkmale noch einigermaßen sicher, vielleicht gar objektiv, feststellen lassen (aktuelle Beispiele wie der Fall von Renate Künast zeigen auch hier bereits die Grenzfälle), sind vergleichbare klare Maßstäbe bei der Desinformation nicht gegeben.

Ob etwas Desinformation ist, ob etwas ein bloßes Gerücht oder eine Falschbehauptung darstellt oder möglicherweise doch die Wahrheit und ein Beitrag zur Aufklärung ist, ist in vielen Fällen eine ausgesprochen komplexe Entscheidung. In Zeiten, in denen sich die Faktenlage dynamisch verändert, kann sie nur mit Abstand überhaupt geklärt werden. Im Augenblick der Verbreitung fehlt oft der Maßstab.

Selbst wenn die Verschwörungstheorie abstrus, die Lüge offensichtlich ist, die abschreckende Wirkung von Strafmaßnahmen gegen ihre Verbreitung, droht echte Aufklärerinnen und Investigativjournalisten zur Zurückhaltung, womöglich zur Selbstzensur, und Betreiber digitaler Plattformen zu Überreaktionen bei der Inhalteregulierung (Overblocking) zu zwingen. Damit wird die Bekämpfung von Desinformation zu einer zweifelhaften, ja bedrohlichen Therapie in einem demokratischen Gemeinwesen.

Der Fall Li Wenliang ist eine Mahnung

Daran gemahnt, abgesehen von den vielfach dokumentierten Eingriffen etwa auf der Seite von Reporter ohne Grenzen, ein besonders prominenter Fall von Einschränkung der Informationsfreiheit in der chinesischen Volksrepublik, ohnehin einem Vorreiterland und abschreckenden Beispiel, wenn es um Eingriffe in die Presse- und Internetfreiheit geht: der Fall Li Wenliang.

Dass dieser hinsichtlich des unterstellten Delikts und der Strafe für das Land keineswegs außergewöhnliche Fall überhaupt eine internationale Aufmerksamkeit erfahren hat, hängt mit der globalen Corona-Epidemie zusammen. Denn es war der junge Mediziner Li, der als einer der ersten vor der neuartigen Krankheit warnte und einige Wochen später infolge der eigenen Infektion mit dem Virus verstarb.

Li hatte den umstrittenen Post von seiner Entdeckung selbst nur innerhalb eines geschützten Bereichs auf der Plattform WeChat versendet, und dies zunächst in einer verkürzten Form, wonach sieben Personen in Wuhan positiv auf das SARS-Virus getestet worden seien. Unbekannte Teilnehmer des Gruppenchats verbreiteten Screenshots dieser alarmierenden Mitteilung über öffentliche Kanäle, ohne von Li wenig später gepostete Erklärungen hinzuzufügen, wonach es sich um ein verwandtes Corona-Virus unbekannten Typs handle.

Daraufhin wurde Li von der regionalen Sicherheitsbehörde in Wuhan vorgeladen. Mit seiner Mitteilung hatte er gegen das Gesetz verstoßen. Ihm wurde offiziell zur Last gelegt, er habe „online Gerüchte verbreitet“ und dadurch die „soziale Ordnung schwer gestört“. Li wurde mittels Strafandrohung dazu gezwungen, seine Mitteilung schriftlich zu widerrufen.

In der Bewertung der Folgen des Falls muss man nicht so weit gehen, wie die NGO Reporter ohne Grenzen, wenn sie spekuliert, dass das Coronavirus mit Medienfreiheit in China womöglich nicht zur globalen Pandemie geworden wäre. Der Fall Li Wenliang illustriert ohnedies aber: Die Bekämpfung sogenannter Falschnachrichten und Gerüchte durch staatliche Behörden kann katastrophale Folgen haben, etwa wenn die rasche Aufklärung von Gesundheitsrisiken oder auch die Arbeit von Investigativjournalisten verhindert wird. Gravierender noch als die Sanktionierung im Einzelfall kann sich die durch die Sanktionspraxis bewirkte Abschreckung und Selbstzensur als eine Gefährdung der demokratischen Öffentlichkeit auswirken.

Somit stellt schon die Existenz einer gesetzlichen Regelung ein Problem dar. Im konkreten Fall haben die chinesischen Behörden nicht das Recht gebeugt, sie haben es nicht missbraucht, sondern das geltende Recht schlicht angewendet. Dr. Li hatte unter den damaligen Bedingungen in seinem ersten Post ein Gerücht verbreitet. Noch dazu hat er sich zu diesem frühen Zeitpunkt, zu dem der Typ des Virus noch nicht feststand, bei seiner tentativen Bestimmung geirrt.

Wer legt fest, was richtig oder falsch ist?

Der Fall verdeutlicht zudem, dass die Bestimmung von Desinformation zu unsicher ist, um darauf ein Gesetz aufzubauen. Wer sollte in jeder Situation autoritativ festlegen können, was richtig und was falsch ist? Was sollte bei einer dynamischen Informationslage der richtige Maßstab sein, die Faktenlage, also der aktuelle Kenntnisstand, politische Opportunitäten? Wie steht es um die Verbindlichkeit und die Haltbarkeit von derlei Setzungen?

Auf diese Fragen gibt es – zumindest in einer liberalen Demokratie – keine überzeugende Antwort. Damit sollen keine abstrusen Verschwörungstheorien und abwegigen Erklärungen veredelt oder pauschal entschuldigt werden. Wie bei so viel Fragen, bei denen wir derzeit den Gesetzgeber anrufen, scheint die Ethik, die gesellschaftliche Konstruktion von und die Erinnerung an gesellschaftliche Normen auch hier der geeignetere Weg.

Gerade in diesen außergewöhnlichen Zeiten, in denen Grundrechte im Zeichen des öffentlichen Gesundheitsschutzes empfindlich eingeschränkt werden, weit über das Maß hinaus, das wir uns noch vor Wochen als für liberale Demokratien geboten vorgestellt haben, müssen wir auf die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel achten. Die Bekämpfung von Desinformation allerdings kennt kein vernünftiges Maß.

Die heute zur Rechtfertigung skizzierten potentiellen Folgen von Falschbehauptungen – die angebliche Anfachung sozialer Konflikte, die Steigerung einer diffusen Panik, im konkreten Fall: noch mehr Hamsterkäufe – sie allesamt sind auch unabhängig von Falschnachrichten keineswegs ausgeschlossen und ergeben keine hinreichende Begründung für so grundlegende Eingriffe in die Meinungs- und Informationsfreiheit mit potentiell weit gravierenderen Folgen für die Demokratie.

Herdenimmunität im Kampf gegen die Infodemie

Die liberale Demokratie zeichnet sich nicht dadurch aus, dass das System oder der sogenannte soziale Frieden vor der freien Rede geschützt werden, sondern umgekehrt: die freie Rede vor den Eingriffen des Systems. Das Ziel, diese freie Rede auf der anderen Seite auch vor sich selbst und insbesondere vor möglicherweise gezielten manipulativen Eingriffen neuer Art zu bewahren, muss dabei nicht verkehrt sein.

Aufmerksamkeitskampagnen, Faktenchecks und redaktionelle Qualitätskontrolle auch durch Plattformbetreiber könnten hier sinnvolle Maßnahmen sein. Wie zum Schutz der Gesundheit ist auch auf eine individuelle Hygiene zu achten, etwa was das Online-Suchverhalten, die abonnierten Newsfeeds und die sozialen Netzwerke angeht. Staatliche Eingriffe in die Informationsfreiheit im Netz aber, begründet durch eine autoritativ geltende Wahrheit oder etwas niederschwelliger: Faktenlage, wie in Autokratien praktiziert, ist hingegen eine schädliche Therapie.

Wir alle sollten stattdessen an unserer digital-informationellen Mündigkeit arbeiten und den gesunden Menschenverstand zur Abwehr von Falschbehauptungen, abstrusen Gerüchten und Verschwörungstheorien mobilisieren. Zumindest im Kampf gegen die Infodemie scheint die Herdenimmunität damit die bessere Strategie zu sein als die Suppression.

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9 Ergänzungen

  1. Corona-Tests in Deutschland nach Kalender-Wochen:
    =================================================
    KW11 = 127.000 Tests, davon 7.500 positiv, Quote 5,9%
    KW12 = 348.000 Tests, davon 23.800 positiv, Quote 6,8%

    Quelle, auf Seite 6:
    https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-26-de.pdf?__blob=publicationFile

    Wer legt fest, was richtig und was falsch ist? Wer erlaubt es den Medien seit Wochen, von „Infektionszahlen“ zu sprechen, die „sich alle 3-5 Tage verdoppeln“, wenn die offiziellen Zahlen des RKI doch nur eins zeigen: Wer fast 3x mehr Menschen testet, der findet auch 3x so viele positive Tests? Das sind keine Verschwörungstheorien, sondern die offiziellen Zahlen des RKI, die jeder nachlesen kann. Auch der Spiegel, Focus, Zeit, Tagesschau und die Verantwortlichen in der Politik.

    Selbst wenn man außer Acht lässt, dass die Testkriterien verschärft wurden (aus Mangel an Test-Kits werden nur noch schwere Verdachtsfälle getestet), dann lag der Anstieg der Infizierten pro 100.000 Tests bei +15,2 % in einer Woche (5,9 % auf 6,8 %). Das ist schlimm genug – aber weit weg von einer Verdoppelung alle 3-5 Tage.

    Vielleicht ist ein totaler Shutdown auch bei +15 % eine notwendige Maßnahme, um die Bevölkerung zu schützen. Ich weiß es nicht, ich bin kein Experte. Aber ich kann eine Statistik lesen und nenne es Fake-News, wenn massive Einschnitte in die Grundrechte aller Bürger mit Fallzahlen begründet werden, die nur deswegen so rasant steigen, weil gleichzeitig die Zahl der Tests rasant steigt. Was wir da in Wahrheit „sehen“ ist doch nicht die tatsächliche Zahl der Infizierten, sondern die Kapazitätsgrenzen der Testlabors!

    1. Die Anzahl der positiven Tests in Relation zur Anzahl aller Tests ist wohl eher als Metrik für von dir erwähnte Strenge der Testkriterien geeignet als für eine Aussage für die Anzahl (bzw. im zeitlichen Vergleich für die Entwicklung) der Fallzahlen.
      Sie implizieren, dass Anzahl an Tests nur deswegen gestiegen ist, weil die Kapazität dafür auch gestiegen ist, und z.B. ein Anstieg an Verdachtsfällen (und damit zusammenhängend ein Anstieg an Fallzahlen) keine Rolle gespielt hat.
      Es werden ja nicht random Leute aus der Bevölkerung herausgezogen und getestet; dann würde es Sinn machen, auf die Entwicklung dieses Quotienten zu gucken.
      Ansonsten geb ich Ihnen Recht, dass man bei diesen Statistiken immer möglichst präzise sein sollte und auch die Unsicherheiten darlegen sollte. Aber Ihren Ansatz finde ich jetzt nicht sauberer.

      1. Ich gebe Dir/Ihnen (Du ist mir lieber :)) vollkommen Recht, dass eine randomisierte Testgruppe zum Vergleich die sauberste Methode ist. Leider haben wir aber solche Zahlen nicht. Wir müssen mit dem Material arbeiten, das offizielle Quellen wie das RKI zur Verfügung stellen.

        Anders als Politik und Medien will ich mit dieser dünnen Datenbasis keine Prognose zu Corona wagen! Ich sage nur: Das, was uns Medien und Politik als „infizierte Fallzahlen“ verkaufen, lässt sich anhand der tatsächlichen Zahlen des RKI nicht begründen.

        Wenn es, wie von Politik und Medien behauptet, eine „Verdoppelung der Infizierten alle 3-5 Tage“ gibt, also eine Verdrei- bis vierfachung in nur einer Woche, dann muss sich das bei gleichzeitig verschärften Auswahlkriterien der Testpersonen in der Trefferquote sehr deutlich bemerkbar machen. Es ist kaum anzunehmen, dass sich das Virus in der Gesamtbevölkerung rasend schnell ausbreitet, aber ausgerechnet in der 350.000-Mann-starken Testgruppe mit erkennbaren Verdachtsmomenten zeigt sich davon fast nichts – dann hätte es ja praktisch keiner aus der vervierfachten Zahl der Neuinfizierten in die Auswahl der Testgruppe geschafft. Ja, man kann so einen unwahrscheinlichen Fall irgendwie konstruieren, aber ihn ohne jede Evidenz als wahrscheinlich anzunehmen, halte ich für nicht ratsam.

        1. “Ich gebe Dir/Ihnen (Du ist mir lieber :)) vollkommen Recht, dass eine randomisierte Testgruppe zum Vergleich die sauberste Methode ist.“

          Ok, dann gerne Du. Ich sollte meine Texte vor dem Abschicken nochmal durchgucken…
          Stimmt genau, ich wollte damit aber nicht sagen, dass wir so eine Testgruppe brauchen. Es ist natürlich viel wichtiger, den Virus zu bekämpfen als Tests für präzisere Statistiken zu verschwenden.

          Was ich sagen wollte ist: Da wir eben nicht für die Statistik testen, sondern bei Verdachtsfällen, ist ihre Metrik, nicht die Anzahl der positiv Getesteten, sondern den Quotienten aus diesen und der Anzahl an gemachten Tests, zu nehmen, nicht angebracht.
          Sie gehen nämlich implizit davon aus, entweder dass wir eben diese random Tests haben, oder dass die Menge an Verdachtsfällen gleichbleibend ist und einfach nur mehr getestet wird, weil mehr Kapazität zum Testen vorhanden ist.
          Ich vermute aber stark, dass die Anzahl der Tests auch deswegen wesentlich gestiegen ist, weil die Anzahl der Verdachtsfälle gestiegen ist, und würde bei einer leicht erhöhten Quote an als infiziert Getesteten und einem vermuteten Zusammenhang zwischen der Anzahl an Verdachtsfällen und der wirklichen Anzahl (nicht nur getesteter) Erkrankter eine Vermutung legitim finden, dass diese Anzahl wirklich Erkrankter in direkter Proportionalität zur Anzahl positiv Getesteter steht (und nicht zum Quotienten (positiv Getestete/Anzahl Gesamttests)).

          Ich gebe Dir aber insofern Recht, dass dieser Zusammenhang sicher nicht als statistisch gesichert mit Verhältnis 1:1 dargestellt werden sollte, sondern klar gemacht werden muss, wie die Rechnung erfolgt ist und welche Annahmen man dabei trifft und warum.

          1. >>> … eine Vermutung legitim finden, dass diese Anzahl wirklich Erkrankter in direkter Proportionalität zur Anzahl positiv Getesteter steht

            Nein, sicher nicht. Schau mal, das Virus weiß nicht, wieviele Tests wir machen. Es verbreitet sich – ganz egal, ob wir viele oder wenige Tests durchführen. Zudem gibt es eine große (aber völlig unbekannte) Zahl symptomfrei Infizierter, die nicht als Verdachtsfall gelten und daher auch nie getestet werden. Drittens werden bei Weitem nicht alle Verdachtsfälle getestet, sondern es wird genau so viel getestet, wie die Labors eben schaffen! Das wär ja ein riesen Zufall, wenn sich das Virus bei seiner Ausbreitung nach unseren Testkapazitäten richten würde… ;). Also nein, es besteht kein proportionaler Zusammenhang zwischen der Zahl der Verdachtsfälle und der Tests – und damit kann dann auch kein proportionaler Zusammenhang der positiven Tests mit der tatsächlichen Zahl der Infizierten existieren.

            Wenn du aber mit stabilen Testkriterien immer wieder eine gleichgroße Menge Menschen testest, dann kannst du anhand der Veränderung der Positiv/Negativ-Quote natürlich sehen, ob sich das Virus weiter (beschleunigt oder verlangsamt) ausbreitet oder sogar wieder verschwindet. Und dabei ist es nicht entscheidend, ob du eine qualifizierte Vorauswahl triffst, solange du diese Ergebnisse danach nicht auf die Gesamtbevölkerung hochrechnest. Innerhalb der Gruppe, die die Testkriterien erfüllt, kannst du damit aber Aussagen treffen.

            Heute kamen vom RKI die Zahlen für KW13:
            KW11 = 127.457 Tests, davon _7.582 positiv (5,9%)
            KW12 = 348.619 Tests, davon 23.820 positiv (6,8%)
            KW13 = 354.521 Tests, davon 30.741 positiv (8,7%)

            Quelle:
            https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-04-1-de.pdf?__blob=publicationFile

            Merkel sprach heute von einer „Verdoppelung aktuell nur noch alle 7 Tage“, weil sich in KW13 die Zahl der gemeldeten Positiven insgesamt verdoppelt hat. In den Medien wird berichtet, die Kurve wäre von 3,5 Tage auf alle 7 Tage abgeflacht. Das suggeriert eine Verlangsamung der Ausbreitung. Die Damen und Herren haben leider immer noch nicht kapiert, dass die Kurve jetzt nur deshalb von 3,5 auf 7 Tage abgeflacht ist, weil die Zahl der Tests nicht weiter erhöht wurde.

            Die Zahlen von KW13 sind für mich dagegen leider nicht so erfreulich. Gleiche Anzahl Tests, unter gleichen Testbedingungen wie in KW12, aber jetzt mit 20% mehr Positiven als in der Vorwoche. Das ist nicht gut, denn in der Vorwoche lag der Anstieg bei nur +15%.

          2. „Schau mal, das Virus weiß nicht, wieviele Tests wir machen. Es verbreitet sich – ganz egal, ob wir viele oder wenige Tests durchführen.“

            ach nein wirklich. jetzt wird es lächerlich…

            „Zudem gibt es eine große (aber völlig unbekannte) Zahl symptomfrei Infizierter, die nicht als Verdachtsfall gelten und daher auch nie getestet werden.“

            spricht meiner Argumentation nicht entgegen.

            „Drittens werden bei Weitem nicht alle Verdachtsfälle getestet, sondern es wird genau so viel getestet, wie die Labors eben schaffen! “

            Nope. Eben nicht.
            https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/15_20.pdf?__blob=publicationFile

  2. „Die liberale Demokratie zeichnet sich nicht dadurch aus, dass das System oder der sogenannte soziale Frieden vor der freien Rede geschützt werden, sondern umgekehrt: die freie Rede vor den Eingriffen des Systems.“

    Ein sehr wichtiger Satz, auf den jeder Politiker einen Eid schwören sollte.

    Wenn die Politiker den Bürgern nicht mehr zutrauen, Informationen bewerten zu können, muss man auch Wahlen in Frage stellen. Wer glaubt, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein und diese auch gesellschaftlich durchsetzen will, greift in Wahrheit unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung an.

  3. Langfristig kann *nur* eine bessere Bildung im Umgang mit Medien u.A. Internet helfen, d.h. ein umfangreiches Schulfach dafür, dass mehr Bewusstsein dafür vermittelt, dass es Fake News gibt, wie sie funktionieren, was für Ursprünge und Ziele sie haben, Erfahrungen wie sich verschiedene Arten sozialer Medien und Foren entwickeln, wie man eine seriöse Quelle zu einem Fachthema findet etc. Und zwar an jeder Schule, und nicht nur aufm Gymnasium und als Teilbereich in Informatik oder Sozialkunde in der 8ten Klasse kurz mal.
    Das ist langfristig, müsste aber jetzt in Angriff genommen werden. Sehe ich leider kaum.

    Kurzfristig finde ich es zu einfach, nur zu sagen, dass gesetzliche Eingriffe gegen Fake News nicht so toll sind, und es dabei zu belassen, dass man quasi sagt, wir alle sollten schlauer sein. Ist klar, hilft aber jetzt nix. Meiner Meinung nach funktionieren Fake News viel zu gut, um es das sein zu lassen. Ich meine, wieviele Spinner brauchen wir noch, die damit unglaublich erfolgreich politische Karriere zu machen? Bin mir aber auch nicht sicher, welche Maßnahmen derzeit angebracht wären (ist allerdings auch nicht mein job…).

    Ich finde, dass Li Wenliang ein verdammt schlechtes Beispiel für diese Argumentation ist.
    China hat nicht ein Problem damit, dass sie Fake News verhindern wollen und das diesmal in die Hose gegangen ist. Ich sehe natürlich, dass Sie nicht sagen wollen, dass die Probleme hier genauso groß sind wie da, aber ich bin nicht einverstanden mit der Prioritätensetzung.
    Wir stehen meiner Ansicht nach mitten in dem Prozess, dass wir einige unserer Grundwerte mindestens in unserer Außenpolitik langsam immer weiter aufweichen, weil wir jetzt gerade (also immer) nicht auch noch Ärger mit China brauchen. Das mit den Vereinigten Staaten von Europa will ja anscheinend keiner mehr, also sind wir am Arsch und haben in ein paar Jahrzehnten ganz andere Probleme als was wir dann als feine Ausarbeitungen der Grenzen von Meinungsfreiheit vermissen werden, wenns dann heißt: „Entweder ihr bekommt eure Zeitungen ein bisschen in den Griff, oder ihr bekommt einen Wirtschaftskrieg. Achja, und Osteuropa und halb Südeuropa ist nicht auf eurer Seite, weil die haben auch keinen Bock auf Stress. Von Asien und Afrika ganz zu schweigen. Außerdem sind die Zeitungen 30+% von eurer Bevölkerung eh egal, die mögen uns und benutzen unsere Apps und wenn ihr jetzt Streit anfangt, werdet ihr nicht wiedergewählt.“
    Ich finde, dass was China angeht, ein Problembewusstsein viel weniger da ist als angebracht wäre. Es gibt ja z.B. in deutschen! Foren mittlerweile gefühlt mehr chinesische als russische Bots und Wumaos und genug linke Spinner, die aus irgendwelchen höheren Logiken Putin und Xi mögen und Merkel für eine autokratische Tyrannin halten.

  4. Nachdem die „Holy Inquisition“ schon vor hunderten von Jahren durch handfeste Argumente (Verbrennung am Pfahl) von der einzig wahren Wahrheit zu überzeugen wusste ( Arguably the most famous case tried by the Roman Inquisition was that of Galileo Galilei in 1633. ) möchte man jetzt wohl auch die weltliche Inquisituion ins digitale Zeitalter katapultieren.

    Dabei haben wir bereits die europäischen Sittenwächter vom Europäischen Auswärtigen Dienst und ihre nicht weniger wahrheitsliebenden amerikanischen Kollegen vom US-Außenministerium.

    Da lohnt sich doch erst richtig das Hoaxen, schließlich wollen Institutionen gefüttert werden: The moon is made of cheese, for real.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.