Mit einer Digitalcharta, die am Wochenende beschlossen werden soll, will sich die CDU netzpolitisch langfristig positionieren. Zugleich soll am Parteitag in Leipzig auch das Programm der Konservativen einen frischeren Anstrich erhalten – der Entwurf, über den die Unionsmitglieder abstimmen werden, wimmelt vor Begriffen wie Blockchain, Künstliche Intelligenz, Quantencomputing und vielen anderen mehr. Offenkundig fürchtet die Union, ähnlich wie bei der Klimakrise, inhaltlich kaum auf die Digitalisierung vorbereitet zu sein, sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer jüngst in einem Interview: „Das darf uns niemals wieder passieren.“
Viele der Vorschläge sind bereits von der der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bekannt, nun sollen sie aber Eingang finden in die offizielle programmatische Aufstellung der CDU – wenn die Delegierten den Wünschen der Antragskommission folgen. So will der Landesverband Nordrhein-Westfalen mit einem geänderten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Online-Dienste zur Herausgabe von Stammdaten an Behörden verpflichten, um gegen „Hass, Hetze und Verleumdung im Internet und in sozialen Medien“ vorzugehen. Dies würde einer neu aufgelegten Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür entsprechen.
Gezielt gegen Verleumdung von Politikern im Internet will die Junge Union mit einer Gesetzesänderung des § 188 StGB ansetzen. Demnach soll der Paragraf ausdrücklich auch kommunale Mandatsträger erfassen. Betreiber sozialer Medien sollen künftig verpflichtet werden, „Staatsanwaltschaften auf deren Anfrage im Falle eines begründeten Tatverdachts der Beleidigung die Klardaten der User innerhalb von 72 Stunden zur Verfügung stellen zu müssen“, heißt es im Entwurf.
Uneinigkeit besteht hingegen bei der Klarnamenpflicht im Internet, die sich Unionspolitiker immer wieder wünschen. Der Bezirksverband Nordwürttemberg sieht diese nicht als geeignetes Mittel gegen Hetze im Netz und möchte sogar „schützenwerte Anonymität“ berücksichtigt wissen. Allerdings soll der Antrag nicht abschließend beschlossen, sondern an die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zur weiteren Behandlung überwiesen werden.
Keine allzu große Debatte dürften wohl die Vorstöße rund um erweiterte Überwachungsbefugnisse für Ermittlungsbehörden auslösen. Bereits im September haben die beiden Bundesfachausschüsse „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ und „Innere Sicherheit“ ein Papier beschlossen, dessen Eckpunkte nun vom Parteitag abgesegnet werden sollen. Nicht nur Kriminalität, sondern auch Radikalisierung im Internet soll mit verlängerten Speicherfristen und weitergehenden Befugnissen im Bereich Online-Durchsuchung und Telekommunikationsüberwachung bekämpft werden.
Den Wunsch nach einem ausgeweiteten Einsatz von Staatstrojanern, mitgelauschten Gesprächen oder durchforsteten Festplatten hatte zuvor das Bundeskriminalamt geäußert. Diese Instrumente wollen zudem die Landesinnenminister sowie Bundesinnenminister Horst Seehofer von der Schwesterpartei CSU dem Verfassungsschutz in die Hand geben, was derzeit aber noch am Widerstand der SPD scheitert.
Erwähnung finden auch Absichtserklärungen, die digitale Aus- und Fortbildung von Lehrkräften voranzutreiben. Allerdings ist Bildungspolitik weitgehend Ländersache. So bleibt es lediglich bei Empfehlungen, etwa, pädagogische Konzepte für die Arbeit mit digitalen Medien an den Hochschulen entwickeln und die Umsetzung von der Kultusministerkonferenz begleiten zu lassen.
Ebenfalls auf der Wunschliste steht, die Online-Ausweisfunktion des Personalausweises besser nutzbar machen. Hierbei sollen aktuell noch bestehende Hürden bei der Nutzung abgebaut und gleichzeitig das Vertrauen in die Funktion gestärkt werden. Letztlich soll der Personalausweis zu einer für alle verfügbaren und einfach nutzbaren Signaturkarte für digitale Unterschriften werden, fordert die CDU.
Obwohl eigentlich schon im Koalitionsvertrag festgehalten, soll nun endlich E-Sport in das Vereins- und Verbandsrecht aufgenommen werden. Zudem will die Union verlässliche Rahmenbedingungen für den E-Sport in Deutschland schaffen sowie eine nationale E-Sport-Strategie auf den Weg bringen, wie es sie etwa in Dänemark oder Polen gibt.
Zum Breitbandausbau und Mobilfunk gibt es eine Reihe an Anträgen, wobei viele davon aus Sicht der Antragskommission „als erledigt zu betrachten“ sind. Immerhin will die Union erfreulicherweise klarstellen, dass es sich beim Kupfer-basierten Vectoring um eine „Übergangstechnologie“ handelt, die bei der staatlichen Förderung nicht den gleichen Stellenwert wie der „gebotene Glasfaserausbau“ bekommen dürfe.
Zudem sollten Kommunen, die selbst eine zukunftsfeste Infrastruktur aufbauen wollen, „mindestens so hoch bewertet werden wie das Deckungslückenmodell der gewinnorientierten Anbieter.“ In der Tat bevorzugen die Rahmenbedingungen der Bundesförderung den subventionierten Ausbau durch private Betreiber, während der nachhaltige Ausbau durch Kommunen oder kommunale Unternehmen ins Hintertreffen gerät.
Konfliktpotenzial birgt die Forderung, die Bestimmungen zum Universaldienst anzupassen, also das Recht auf einen schnellen Internetzugang gesetzlich zu garantieren. Diesen Anspruch hatte die Schwarz-Schwarz-Rot bereits im Koalitionsvertrag verankert, der Entwurf einer Novelle wird für Ende des Jahres erwartet. Darf man der Formulierung im CDU-Papier Glauben schenken, soll dem eine Glasfaser- beziehungsweise Gigabit-Basis zugrundeliegen – Geschwindigkeiten, von denen hierzulande die allermeisten höchstens träumen können.
Um die grauen und weißen Flecken auf der Ausbaukarte schneller zu schließen, soll das Antragsverfahren für Fördergelder deutlich vereinfacht werden. Ferner soll die Option einer neu zu schaffenden bundeseigenen Infrastrukturgesellschaft geprüft werden. Wie die CDU richtig feststellt, garantieren die vorhandenen Netzbetreiber keine Daseinsvorsorge, sondern sind „lediglich auf den wirtschaftlichen Erfolg fokussiert“. Und bauen eben nicht flächendeckend aus, weil es sich für sie nicht rechnet.
Im Mobilfunk schließt sich die Union praktisch deckungsgleich den Positionen der Koalition an, die Anfang dieser Woche ihre Mobilfunkstrategie vorgestellt hat. Ausdrücklich spricht sich die CDU dafür aus, Erlöse aus der 5G-Frequenzauktion „verstärkt für den Ausbau eines flächendeckenden Mobilfunknetzes zu verwenden“. Insbesondere sollen damit der Neubau beziehungsweise die Umrüstung von Mobilfunkmasten in bisher unterversorgten ländlichen Gebieten subventioniert werden.
Uneinigkeit besteht hingegen darin, wie es mit dem chinesischen Netzwerkausrüster Huawei weitergehen soll. In den vergangenen Monaten ist eine heftige Debatte darüber entbrannt, ob man das staatsnahe Unternehmen am Aufbau der strategisch wichtigen 5G-Technik beteiligen sollte oder nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel will allen Herstellern, welche die Anforderungen des Sicherheitskatalogs der Bundesnetzagentur erfüllen, nicht im Weg stehen. Knapp 500 CDU-Mitglieder fordern jedoch vehement, Huawei vom 5G-Netzausbau gänzlich auszuschließen.
Die Antragskommission wiederum empfiehlt, die Angelegenheit dem Bundestag zu überlassen. Ferner fordert sie die Regierung auf, „sich im Bereich der Sicherheit beim 5G-Netzausbau eng mit unseren europäischen Partnern und transatlantischen Partnern und deren Sicherheitsbehörden abzustimmen“.
Hier scheint die Richtung klar: Die USA lassen beim 5G-Ausbau keine chinesischen Produkte zu und üben heftigen Druck auf Europa aus, nachzuziehen. In ihrer aktuellen Risikobewertung nennt die EU-Kommission zwar das Land nicht direkt, hält aber staatliches Hacking, wie es auch von China praktiziert wird, für das größte Risiko. Eines steht jedenfalls heute schon fest: Mit einen Marketing-Stand wird Huawei, im Unterschied zum Vorjahr, diesmal nicht auf dem Parteitag vertreten sein.
Grundsätzlicher ausgerichtet ist der Entwurf einer Digitalcharta. Entsprechend quillt sie über vor Floskeln wie „Der Mensch steht im Mittelpunkt“. Oder der Feststellung, dass digitale Technologien dabei mithelfen können, alle möglichen Probleme zu lösen, ob Klimawandel, Hunger oder Krebs. Da dürfen auch Begriffe wie Künstliche Intelligenz oder Blockchain nicht fehlen. Geschenkt.
Substanziell dürfte hingegen der erneute Anlauf sein, den Ansatz der Datensouveränität in den „Mittelpunkt für die Weiterentwicklung des Datenschutzrechts“ zu rücken und ihn formal in der Charta zu verankern. Ursprünglich aus der Wirtschaft kommend, suggeriert der Begriff, Bürgern mehr Mitspracherecht bei der Verwertung ihrer personenbezogenen Daten zu garantieren.
Allein: Das Konzept reduziert Menschen sowie ihre in Daten abgebildeten Informationen zur reinen Ware, die sich auf einem Markt behaupten müssten, dem informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich fremd ist. Offen bleibt zudem die Frage, ob es eine Art Eigentumsrecht an Daten formal überhaupt geben kann – und wem die Daten letztlich gehören, sobald sie anfallen und weitergegeben werden.
So oder so, laut Union behindert zu viel Datenschutz die Wirtschaft und müsse deshalb zurückgefahren werden. Entsprechend viel Kritik bekommen denn auch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) oder die in Verhandlungen feststeckende ePrivacy-Verordnung ab. Beim Datenschutz sollen „kleinere Organisationen nicht unnötig mit bürokratischen Vorschriften belastet werden“, mahnt die CDU und fordert eine Überarbeitung der DSGVO.
Letztendlich bedeutet für die CDU das Motto „Der Mensch steht im Mittelpunkt“ weiterhin, dass netzpolitische Debatten vor allem als Industriepolitik und nicht als Gesellschaftspolitik begriffen werden. Also weiter wie bisher.
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