Hate SpeechDer blinde Fleck

Der Deutsche Juristinnenbund macht Druck auf die Regierung, entschiedener gegen Hass im Netz vorzugehen. Die Forderungen machen klar, wie wenig Behörden Frauenhass bisher auf dem Zettel haben.

djb-Präsidentin Maria Wersig.
Maria Wersig ist die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds. CC-BY-SA 2.0 Heinrich-Böll-Stiftung / Stephan Röhl

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) schaltet sich in die Debatte um Hass im Internet ein. Der Verein stellte eine Reihe von Vorschlägen vor, wie die Regierung Täter:innen sanktionieren und Betroffene besser schützen solle. Er fordert zudem, die Kategorie Geschlecht müsse mehr in den Blick. „Frauen sind mehr und anders von Hate Speech betroffen als Männer!“, sagte die Präsidentin des djb, Maria Wersig.

Die Vorschläge beziehen sich auf drei Gesetze. Zum einen müsse das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) deutlich besser strukturiert und vereinheitlicht werden. Es stelle zwar einen „sinnvollen rechtlichen Ansatz dar“, habe aber Schwachstellen, „deren Beseitigung keinen Aufschub duldet“. Zudem schließt sich der Verein dem Vorschlag des Juristen Ulf Buermeyer nach einem Digitalen Gewaltschutzgesetz an und fordert Verbesserungen im Strafrecht, unter anderem einen stärkeren Fokus auf die geschlechtsspezifische Komponente von digitaler Gewalt.

Klare Vorgaben im NetzDG gefordert

Das NetzDG brauche ein deutlich vereinheitlichtes Meldeverfahren, um weniger abschreckend auf die Nutzer:innen zu wirken. Auch bei den Transparenzberichten und den dank NetzDG eingerichteten Bevollmächtigten der Unternehmen sei eine einheitliche gesetzliche Regelung notwendig, um Vergleichbarkeit zwischen Plattformen herzustellen. Transparenzberichte sollten zudem nach Geschlecht aufgeschlüsselt werden.

Außerdem solle eine neue Version des Gesetzes Möglichkeiten bieten, die Identität von potentiellen Täter:innen festzustellen. Dies war zuletzt im Fall der Grünen-Politikerin Renate Künast relevant. Ihr Auskunftsersuchen ist zwar mit wenig nachvollziehbaren Begründungen seitens des Gerichts abgelehnt worden. Doch selbst bei einem Erfolg hätte Facebook die Daten der Beleidiger lediglich herausgeben dürfen, eine Rechtsbindung besteht nicht.

Rechte instrumentalisieren Gesetze

Auch auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Fall der österreichischen Politikerin Eva Glawischnig-Piesczek nimmt der djb Bezug. Das Gericht hatte geurteilt, Beiträge, die einem bereits für rechtswidrig befundenem Inhalt dem Sinn nach gleichen, müssten gelöscht werden. Der Verein begrüßt das Urteil, hält das angemahnte Löschen jedoch für nicht umsetzbar. Dafür würden Algorithmen benötigt, die aber kein Kontextwissen hätten. Der Verein fordert stattdessen eine Regelung, die Plattformbetreiber:innen dazu verpflichtet, zumindest direkte Kopien eines für rechtswidrig befundenen Inhalts zu löschen.

Zudem sei ein „Put-Back-Verfahren“ erforderlich. Frauen würden nicht nur durch Hassrede an öffentlicher Meinungsäußerung gehindert, sondern auch durch das NetzDG selbst. Es ermöglicht, ihre Beiträge gezielt so oft zu melden, bis diese gelöscht werden. Tatsächlich sind Fälle bekannt, in denen das NetzDG gezielt von Rechten gegen Frauen, Linke und Migrant:innen eingesetzt wurde. Zuletzt ist das Twitter-Account der Autorin Lena Weber, auf Twitter bekannt als „Lena blauer haken“, auf diese Weise gesperrt worden.

Strafrecht geschlechtsspezifisch anpassen

Der Juristinnenbund fordert auch einen besseren Schutz von Frauen durch das Strafrecht. Hate Speech soll auch ohne Strafantrag verfolgt werden, „wenn dies den Interessen der verletzten Person nicht widerspricht“, so der Verein. Die Beeinträchtigung durch Hate Speech sei zu groß, um der verletzten Person die Verantwortung zur rechtlichen Verfolgung zuzumuten. Der Staat müsse hier „seine Schutzpflichten erfüllen“.

Die Definition von Hasskriminalität soll zudem um das Merkmal Geschlecht ergänzt werden. Bisher erfasst das BKA Taten gesondert, die beispielsweise im Zusammenhang mit der Nationalität, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder sexuellen Orientierung der verletzten Person stehen. Die Kategorie Geschlechts taucht in der Liste nicht auf. Auch die polizeiliche Kriminalstatistik führe bisher nur auf, wie viele Opfer Frauen waren, enthält aber keine Informationen zu frauenfeindlichen Tatmotiven.

Des Weiteren soll eine Speicherpflicht für potentiell strafbare Inhalte eingeführt werden. Dies betrifft Informationen, die zur Strafverfolgung notwendig sind, zum Beispiel die IP-Adresse eines Hetzers. Der Verein fordert zudem „Schwerpunktstaatsanwaltschaften“ für digitale Gewalt und „verpflichtende Fortbildungen für Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei“ zur geschlechtsspezifischen Dimension von digitaler Gewalt. Eine Sensibilisierung sei unerlässlich, damit Hate Speech überhaupt erkannt und verfolgt wird. Die Opferentschädigung müsse zudem angepasst werden. Neben tätlichen Angriffen müsste auch psychische Gewalt eine Entschädigung zur Folge haben. Das ergebe sich aus der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen, die Deutschland 2017 ratifiziert hat.

Gegenvorschlag zur Klarnamenpflicht

Zuletzt schließt sich der djb einer Forderung des Juristen Ulf Buermeyer nach einem Digitalen Gewaltschutzgesetz an. Dieser hatte vorgeschlagen, Gerichten zu erlauben, „zeitweilige oder – insbesondere im Wiederholungsfalle – auch dauerhafte Sperren gegen bestimmte Accounts zu verhängen“. Dies hält er für einen besseren Weg als die Einführung einer Klarnamenpflicht. In diesem Kontext hält der djb die Möglichkeit einer Verbandsklage für unverzichtbar. Damit könnten auch Vereine wie der djb eine Klage einreichen, obwohl ihre eigenen Rechte nicht verletzt worden sind. Bislang kann das nur die betroffenen Person selbst tun.

Die Vorschläge des Juristinnenbunds zeigen ein weiteres Mal: Das Thema Hate Speech bekommt Aufmerksamkeit. Im Oktober forderte bereits der UN-Sonderberichterstatter zur Meinungsfreiheit Staaten dazu auf, Hasskriminalität im Netz stärker zu bekämpfen und die Verantwortung nicht an Unternehmen und Plattformen auszulagern. Dabei kritisierte er explizit das deutsche NetzDG. Zuvor hatten verschiedene prominente Frauen, unter anderem Sawsan Chebli (SPD) und Anke Domscheit-Berg (Linke) , einen Aufruf gegen digitale Gewalt veröffentlicht. Auch sie fordern unter anderem Schwerpunktanwaltschaften und eine bessere Ausbildung der Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Gerichte.

6 Ergänzungen

  1. Kann mir mal bitte jemand erklären, was Hate Speech ist? Welche (Tat)Merkmale beinhaltet dieser Begriff, welche nicht durch unsere Strafgesetze abgedeckt werden?

    Wenn die Merkmale 100% deckungsgleich sind, sehe ich keinen Grund, solch einen Kunstbegriff einzuführen. Sollte Hate Speech Merkmale ausserhalb unserer Strafgesetze beinhalten, kollidiert Hate Speech dann nicht mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäßerung?

    Nur mal zu Einordnung: Ich bin gegen jede Art von Beleidigung und anderer Straftaten, sowie gegen Diskriminierung innnerhalb und außerhalb des Internet´s, sondern für einen respektvollen Umgang miteinander.

    1. Ja, das scheint ebenfalls übel schief zu gelaufen. Emotionalisierung von Straftaten helfen überhaupt nicht weiter. Wer jemanden massiv und klar nachvollziehbar beleidigt, riskiert eine Strafanzeige, es handelt sich um Straftatbestände, fertig. Beweisbare Beleidigung? 500 € oder 2 Wochen Schulhof kehren. Können die bestehenden Gesetze nicht einfach mal konsequent zur Anwendung kommen (schönen Gruß auch von Frau Künast)? Warum passiert das nicht?

      Der Begriff Hatespeech geht davon aus, dass nicht Taten, sondern Gefühle bestraft werden sollten/müssen, was für eine rechtsstaatliche Katastrophe. Da war die Welt schon mal weiter.

    2. Im wesentlichen ist es ein Propagandabegriff aus dem US-Raum. Und weil der Begriff so schön undefiniert ist, lässt sich damit prima Politik machen. Das Problem ist jedoch, dass das NetzDG außer Zensur und einer Vorlage für die Zensurgesetze[1] autoritärer Regime nichts gebracht hat. Beschimpfungen und Morddrohung, gab es schon immer unter Klarnamen[2] per Brief, Fax oder Mail und das wird sich auch nicht ändern. Im Zweifel wird auf VPN oder Dienste in anderen Jurisdiktionen ausgewichen. Die Inkompetenz mit der in DE am Internet herumgewerkelt wird, ist schon extrem erstaunlich.

      1: https://neunetz.com/2019/11/12/netzdg-inspiriert-diktaturen-weltweit/
      2: https://www.spiegel.de/kultur/literatur/post-von-karlheinz-von-hasnain-kazim-was-ist-ein-echter-deutscher-a-1204378.html

    3. „Hate Speech“ ist jede Form von Beleidigung, die darauf abzielt, eine Person oder eine Personengruppe auf der Basis von z.B. Nationalität, Ethnie, Religion, sexueller Orientierung oder Gender anzugreifen oder auf ebenjener Basis zu gegen diese zu hetzen.

      Es geht dem djb, so wie ich das dem Artikel entnehmen kann, auch nicht darum, dass dieser Begriff jetzt neu eingeführt wird, sondern dass bestehende Gesetze – in diesem Fall wohl §130 StGB („Volksverhetzung“) und das NetzDG – effektiver umgesetzt werden und dass ggf. §130 StGB um das Element „Gender“ erweitert wird (was derzeit nicht der Fall ist (ebenso wenig sexuelle Orientierung)).

  2. bislang war ja primär von „Abwertung“ die Rede, was ja durchaus unerwünscht, unfreundlich und unsachlich ist, aber nicht justiziabel.
    Hier ist es „Beleidigung, die darauf abzielt, anzugreifen“. Das ist m.E. ebenfalls zu diffus und liegt letztendlich wieder im Auge des Betrachters. Entweder Beleidigung oder Angriff, zwei verschiedene Dinge. Überzeugt mich nicht. Was genau ist denn an den §130 Volksverhetzung, §185 Beleidigung, §186 Üble Nachrede, §187 Verleumdung, §240 Nötigung, §241 Bedrohung nicht hinreichend?
    Strafnzeige und gut ist. Warum funktioniert das nicht?

    Die Erweiterung von §130 um Gender/sexuelle Orientierung scheint längst überfällig, bin aber immer noch der Auffassung, dass (gewollte oder ungewollte) Emotionalisierung das Problem nicht lösen wird, und nach hinten losgeht. Das sollte übrigens auch Grund sein, Beiträge zurückzuhalten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.