Thorsten Wetzling und Kilian Vieth arbeiten bei der Stiftung Neue Verantwortung. Ihre Studie „Upping the Ante on Bulk Surveillance“ erschien bei der Heinrich-Böll-Stiftung in der Schriftenreihe Demokratie.
Die verdachtsunabhängige Kommunikationsüberwachung durch Geheimdienste wird so schnell nicht verschwinden. Das zeigen zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus diesem Sommer. Die Richter erklärten die schwedische Gesetzesgrundlage für Massenüberwachung für menschenrechtskonform und kritisierten ein britisches Überwachungs-Gesetz nur im Detail, aber nicht im Ganzen. Es wird weitere Klagen und Urteile geben, aber grundsätzlich können wir davon ausgehen, dass Staaten weiter einen großen rechtlichen Spielraum haben, um Massenüberwachung zu betreiben.
Demokratische Kontrolle
Wenn also auf dem Rechtsweg vermutlich keine grundsätzliche Kehrtwende zu erwarten ist, dann ist es umso wichtiger, die massenhafte Überwachung unserer Kommunikation wirksamer demokratisch zu kontrollieren. Nur so kann Geheimdienstarbeit legitim sein. Auch das Straßburger Gericht hat in seiner Entscheidung strengere Garantien gegen Missbrauch für die Verarbeitung und Analyse von Daten eingefordert.
Doch wie hat die effektive Kontrolle von Überwachungsmaßnahmen eigentlich in der Praxis auszusehen? Um das herauszufinden, lohnt der Blick über den eigenen Tellerrand. In den letzten Jahren haben viele Staaten Veränderungen am Recht der Geheimdienste und der Kontrolle umgesetzt. Für die Heinrich-Böll-Stiftung haben wir in einer Studie insgesamt 64 internationalen Beispiele aufgezeigt, wie die umstrittene Praxis der Massenüberwachung rechtsstaatlich begrenzt und kontrolliert werden kann. Viele dieser Maßnahmen würden auch in Deutschland den Schutz der Grundrechte und die Transparenz voranbringen.
Alle Menschen sind Ausländer
Beispielhaft lassen sich folgende Aspekte aus der Studie hervorheben: Die Bundesrepublik gesteht Menschen im Ausland nur einen abgeschwächten Schutz des Fernmeldegeheimnisses zu. Das bedroht Menschenrechte wie die Pressefreiheit, aber auch etwa das Demonstrationsrecht. Aktuell sind mehrere Beschwerden am Bundesverfassungsgericht anhängig, die klären sollen, ob das überhaupt erlaubt ist.
Die Niederlande haben währenddessen die nicht mehr zeitgemäße Unterscheidung zwischen „inländischen“ und „ausländischen“ Daten gänzlich abgeschafft. Ein wichtiger und richtiger Schritt, denn in einer globalisierten Welt sind wir alle Ausländer, fast überall. Warum sollte also das Abfangen von E-Mails schwächer kontrolliert werden, nur weil sie über Server im Ausland geleitet werden? Daten sieht man nicht an, welche „Nationalität“ sie haben und sie lassen sich dementsprechend auch nicht sauber filtern. Eine solche Diskriminierung nach Staatsangehörigkeit kann in der digitalen Welt nicht funktionieren. Die Niederlande machen hier vor, das es besser geht.
Zugriff auf gesammelte Daten
Einige europäische Länder, zum Beispiel Frankreich, Norwegen und die Schweiz, ermöglichen ihren Geheimdienstkontrollgremien direkten Zugriff auf alle gesammelten Daten. Damit sind sie nicht davon abhängig, nur die Unterlagen prüfen zu können, die ihnen die Dienste vorlegen. Über eine technische Schnittstelle können die Kontrolleur:innen die Einhaltung von Datenschutzregeln ungehindert und in größerem Umfang als bisher überprüfen.
In Schweden wird eine solcher Datenbankzugang beispielsweise dazu genutzt, um statistische Abweichungen bei der Löschung von Daten zu erkennen. Dort, wo es auffällige Abweichungen gibt, wird dann genauer kontrolliert. Solche Kontroll-Schnittstellen könnten auch die Arbeit der deutschen Aufsichtsbehörden effizienter machen.
Inhalt und Metadaten
Dass die Auswertung von Metadaten hochsensible Informationen über Menschen ermöglicht, ist kein Geheimnis. Trotzdem halten zu viele Staaten Metadaten für weniger schutzwürdig als Inhaltsdaten. Mit ihrem neuen Geheimdienstgesetz haben die Niederlande dortige Regierung diese Unterscheidung nun ad acta gelegt. Das ist gerade bei der massenhaften Kommunikationsüberwachung, bei der es oft nur um Metadaten geht, ein Fortschritt hin zu effektiverem Schutz der Privatsphäre.
Auch bei der Vernetzung der Kontrollgremien in Europa tut sich was: Diese Woche veröffentlichten Kontrolleur:innen aus Belgien, Dänemark, Norwegen, den Niederlanden und der Schweiz eine gemeinsame Erklärung über ihre Zusammenarbeit. Um den intensiven Datenaustausch der Dienste kontrollieren zu können, müssen auch die Aufsichtsbehörden miteinander kooperieren. Leider ist kein deutsches Kontrollgremium dabei.
Strengere Genehmigung
Ein elementarer Bestandteil jeder Kontrolle ist die Vorab-Genehmigung einzelner Überwachungsmaßnahmen durch Gerichte. Wenn der Bundesnachrichtendienst zum Beispiel eine Glasfaserleitung eines Internetproviders abhören will, muss er zuerst einen Antrag stellen, der entweder von der G10-Kommission oder dem unabhängigen Gremium geprüft wird. Doch wie gründlich läuft diese Prüfung ab und wie detailliert muss der Antrag formuliert sein?
Je präziser die gesetzlichen Vorgaben sind, desto besser kann dieses Genehmigungsverfahren vor missbräuchlicher Überwachung schützen. In Neuseeland müssen die Dienste zum Beispiel auch für Test- und Ausbildungszwecke Genehmigungen einholen. Das kanadische Gesetz sieht wiederum vor, dass der Auslandsgeheimdienst den geheimdienstlichen Mehrwert der Überwachungsmaßnahme konkret im Antrag darlegen muss.
Entscheidungen veröffentlichen
Um die Transparenz des Genehmigungsverfahrens zu erhöhen, können die Richter:innen des US-amerikanischen Foreign Intelligence Surveillance Courts die Veröffentlichung von Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen beschließen. Hierzulande sind diese Dokumente geheim. Außerdem haben sie die Möglichkeit, externe Rechts- oder Technikexpert:innen für die Beratung bei neuen und besonders wichtigen Entscheidungen hinzu zu ziehen.
Eine unabhängige Drittmeinung hilft den Richter:innen bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Überwachungsmaßnahmen, ist aber im deutschen System leider so nicht vorgesehen. Die britische Kontrollbehörde IPCO hat wiederum einen offenen Dialog mit der Zivilgesellschaft angestoßen, um möglichst vielfältige Perspektiven auf die Frage der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen. Schön wäre es, wenn die G10-Kommission einen ähnlichen Aufruf starten würde.
Sonderberichterstatter sieht Reformbedarf
Das sind nur einige von zahlreichen praktischen Vorschlägen aus 13 Ländern, mit denen die Aufsicht über massenhafte Kommunikationsüberwachung auch in Deutschland verbessert werden könnte. Die Beispiele zeigen, dass Überwachung neben der strategischen Prozessführung auch auf politischem Wege begrenzt und transparenter geregelt werden kann.
Dass weiter Reformbedarf besteht, gab erst letzte Woche der UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Privatsphäre im Anschluss an seinen Deutschlandbesuch zu Protokoll: „Deutschland scheinen Kontrollgremien zu fehlen, die ausreichend befähigt und ausgestattet sind, um bei den Diensten jederzeit ohne Vorwarnung anzuklopfen und insbesondere die technischen Systeme stichprobenhaft zu prüfen.“
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