Wieder muss sich ein europäischer Fall von massenhafter Überwachung an der Europäischen Menschenrechtskonvention messen lassen. Angestrengt wird der Fall vom schwedischen Centrum för Rättvisa, einem Stockholmer Verein von Juristen, der strategische Beschwerden im öffentlichen Interesse führt. Deren erster Versuch, die schwedische Gesetzgebung beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg zu kippen, war Mitte des Jahres gescheitert. Sie wollen den Fall nun der Großen Kammer vorlegen, wie das Zentrum heute meldet.
Nach einer mündlichen Anhörung im November 2017 war vor wenigen Monaten eine Beschwerde von Journalisten und Bürgerrechtsorganisation beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) gegen die massenhafte Internetüberwachung durch den britischen Geheimdienst GCHQ erfolgreich gewesen. Die Große Kammer des Gerichtshofs hatte im Urteil „Big Brother Watch and Others vs. the United Kingdom“ klargestellt, dass ein Analysieren von Metadaten der Kommunikation so eingriffsintensiv ist wie das Überwachen von Inhaltsdaten und daher besonders gegen Missbrauch geschützt werden muss.
Im Sommer hatte der EGMR allerdings einen vergleichbaren Fall aus Schweden noch anders entschieden: Die schwedische Gesetzgebung zur Massenüberwachung hatte er für vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt. Grund dafür war laut Urteilsbegründung vor allem, dass im schwedischen Gesetz ausreichende Garantien gegen Willkür und Missbrauch vorgesehen seien.
Strengere Garantien gegen Missbrauch
Fredrik Bergman vom Centrum för Rättvisa erklärt nun den wesentlichen Grund, warum der Gerichtshof erneut angerufen wird:
Das Recht auf Privatheit ist eine der elementaren Herausforderungen bei Menschenrechtsfragen im digitalen Zeitalter. Wir haben die Große Kammer des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes gebeten zu klären, welche Absicherungen gegen Missbrauch bei Maßnahmen der Massenüberwachung gelten sollen, um das Recht auf Privatheit zu schützen.
Die Juristen haben offenbar das im September ergangene Urteil zur britischen Massenüberwachung des GCHQ genau studiert und erhoffen sich nun, auch für das schwedische Gesetz strengere Garantien gegen Missbrauch zu erkämpfen. Speziell richtet sich die Beschwerde darauf, vier Problemstellungen zu klären, die allesamt auf mehr Sicherungen des Menschenrechts auf Privatheit abzielen.
Die Beschwerdeführer möchten vor allem geklärt wissen, was die „notwendigen minimalen Sicherheitsvorkehrungen für ein Massenüberwachungssystem“ sind, das ausschließlich aus Gründen der nationalen Sicherheit betrieben wird. Dazu soll das Gericht nochmals prüfen, ob nicht doch ein begründeter Verdacht vorliegen muss, damit eine Überwachungsmaßnahme durchgeführt werden darf.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei der unabhängigen juristischen Aufsicht über Massenüberwachungsmaßnahmen. Laut Zentrum ist eine solche Aufsicht eine der minimalen Sicherheitsvorkehrungen gegen Missbrauch. Als weiteren Punkt mahnen die Beschwerdeführer an, auch den zwischenstaatlichen Geheimdienstdatenaustausch strenger gegen Missbrauch abzusichern.
Das Centrum för Rättvisa sieht aufgrund der massenhaften Menschenrechtseingriffe durch das schwedische Gesetz, die bei solcher Art anlassloser Internetüberwachung unvermeidlich sind, also eine ganze Reihe an Problemen, die der Gerichtshof nun behandeln könnte. Wenn man sich allerdings an den mehr als vier Jahren orientiert, die bis zum GCHQ-Urteil ins Land gingen, ist erst in einigen Jahren mit einem Urteil zu rechnen.
Offenlegung: Ich war eine der Beschwerdeführerinnen vor dem EGMR gegen das britische GCHQ im Fall „Big Brother Watch and Others vs. the United Kingdom“.
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