Anhörung beim Menschenrechtsgerichtshof: Die Rechtswidrigkeit der Massenüberwachung

Seit den Snowden-Veröffentlichungen ist nicht mehr abzustreiten, dass die britischen Geheimdienste in Europa an den Netzkabeln horchen. Dieser und weitere Eingriffe in die Privatsphäre von Millionen Menschen war am Dienstag Thema bei einer mündlichen Anhörung vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Ein Bericht aus der Verhandlung.

CC-BY-NC 2.0 Leif Hinrichsen

Gestern hatte das lange Warten ein Ende: Fast vier Jahre nach Einreichung einer Beschwerde beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg fand am Dienstag die mündliche Anhörung statt. Da ich gemeinsam mit den drei britischen Organisationen Big Brother Watch, Open Rights Group und der Schriftstellervereinigung PEN eine der Beschwerdeführerinnen war, kann mein Bericht aus der Verhandlung nur sehr subjektiv ausfallen. Ich bin ganz glasklar Partei in diesem Fall, möchte aber dennoch einige meiner Einblicke und meine Sicht auf die Anhörung schildern.

Zunächst kurz zum Entstehen der Beschwerde (58170/13), die im Januar 2014 an das Gericht gegangen war: Sie stützt sich auf die ersten Veröffentlichungen von Journalisten in Zusammenarbeit mit Edward Snowden. Daher stammt auch der Name unserer Kampagne: Privacy not Prism.

Menschenrechte und das britische Recht

Wir mussten als Beschwerdeführer davon ausgehen, in den digitalen Schleppnetzen der britischen und US-Geheimdienste gelandet zu sein. Denn allein das unter dem Namen TEMPORA bekanntgewordene Programm des GCHQ speichert und filtert mehrere Tage lang einen erklecklichen Teil des transatlantischen Internet-Verkehrs. Da aber sowohl den Briten als auch mir als Deutsche nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ein Recht auf Privatsphäre zusteht, entschlossen wir uns zum Gang nach Straßburg, um uns gegen diese und weitere massenhafte Datensammlungen zu wehren. Die EMRK aus dem Jahr 1950, die 1953 in Kraft trat, schützt in ihren ersten vierzehn Artikeln grundlegende Rechte der Europäer – etwa durch das Folterverbot –, darunter auch persönliche Freiheitsrechte wie die Achtung der Privatheit.

Der Kern der Beschwerde richtet sich gegen die Normalisierung anlassloser und mit jedem Jahr anwachsender Kommunikationsdatenerfassung. Inhaltlich ging es also um das Datenaufhäufen ohne jeden Verdacht sowie dauerhafte oder dreiste Privatsphäre-Eingriffe. Daneben wird auch die beklagenswert dürftige Kontrolle dieser geheimdienstlichen Überwachung moniert sowie der Datenaustausch mit Dritten, was EU-weit übrigens auch nach dem Brexit fortgeführt werden soll. Denn rechtliche oder gar faktische Sicherungen, die den Menschenrechten gerecht werden, sieht das britische Recht kaum vor.

Was in der Anhörung deutlich wurde: Vielfach hängt es mangels konkreter Regeln schlicht am Ermessen der Geheimen selbst, was sie beim Abhören als verhältnismäßig und notwendig erachten. Viel Phantasie braucht man nicht aufzubringen, um sich vorzustellen, dass Mitarbeiter von Geheimdiensten dabei ein Wertegerüst haben, das die Menschenrechte der vielen betroffenen Kommunizierenden nicht unbedingt zuerst berücksichtigt. Und wo es keine effektive Kontrolle gibt, hinterfragt auch kaum jemand solche Ermessensentscheidungen.

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Die Beschwerdeführer gegen die britische Regierung.

Was wir als Beschwerdeführer konkret fordern, ist die gerichtliche Feststellung, dass die britischen Überwachungspraktiken unverhältnismäßig und die Regelungen zum Schutz der Privatheit nicht ausreichend sind. Zudem monieren wir die Praxis der Erteilung von Berechtigungen („warrants“) zur Überwachung sowie die Aufsicht der Geheimdienste. Wenn das Urteil in einigen Monaten fällt, entscheidet das Gericht über die Rechtmäßigkeit der anlasslosen Überwachung der britischen Geheimdienste und konkret über das Gesetz Regulation of Investigatory Powers Act (RIPA). Obwohl das erst im letzten Jahr neu erlassene Gesetz Investigatory Powers Act zum Zeitpunkt der Beschwerde noch gar nicht bestand, könnte sich das Urteil auch auf die aktuelle Gesetzgebung auswirken.

Die Geheimen hatten den richtigen Riecher

Wenn es um den Datenaustausch geht, kooperiert das britische GCHQ eng mit der amerikanischen NSA. So kam etwa durch Snowden heraus, dass im Rahmen des NSA-Programms DISHFIRE nicht nur pro Tag zweihundert Millionen SMS-Textnachrichten nach Informationen durchkämmt wurden, sondern dass der Geheimdienst dem Partner GCHQ Zugriff auf die DISHFIRE-Metadaten gewährte. Eine Berechtigung („warrant“) lag dafür nicht vor, und gemerkt hat es angeblich auch keiner der Kontrolleure – bis es in der Zeitung stand.

Das GCHQ war sich der Rechtswidrigkeit seines Handelns durchaus bewusst. Ironischerweise kam das durch veröffentlichte Memos des Geheimdienstes heraus, in denen befürchtet wird, nicht nur Kratzer am Image abzubekommen, sondern auch rechtlich belangt zu werden. Der Guardian zitiert aus den Memos:

„Our main concern is that references to agency practices (ie the scale of interception and deletion) could lead to damaging public debate which might lead to legal challenges against the current regime.“ […] It also noted that the „scale of interception and retention required would be fairly likely to be challenged on Article 8 (Right to Privacy) grounds“.

(„Unsere Hauptsorge ist, dass Hinweise auf die Praktiken der Dienste (das heißt die Größenordnung des Abhörens und Löschens) zu einer schädlichen öffentlichen Diskussion führen, die wiederum zu rechtlichen Anfechtungen des derzeit bestehenden Regelsystems führen könnten.“ […] Es ist auch erwähnt, dass die „Größenordnung des Abhörens und des Datenvorhaltens ziemlich wahrscheinlich nach Artikel 8 (Recht auf Privatheit) angefochten werden wird.“)

Da hatten sie den richtigen Riecher, denn exakt dieser Artikel ist jetzt Teil der Beschwerde vor dem Menschenrechtsgerichtshof. Ein Informationsblatt (pdf) des Gerichts zur Massenüberwachung gibt weitere Verweise auf frühere Fälle ab 1978 und noch laufende Rechtsfragen in diesem Bereich. Dass die Juristen unter den Geheimen um die Rechtswidrigkeit ihrer Praktiken gewusst haben, ist also durchaus anzunehmen.

Stapelweise Papier

Das Prozedere in Straßburg unterscheidet sich von Anhörungen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe oder beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg insbesondere dadurch, dass es zeitlich strikt begrenzt ist und keine dialogische Form im engeren Sinne annimmt. Der Vertreter der britischen Regierung, James Eadie, bringt nach einer kurzen Begrüßung durch das Gericht seine Argumente in zuweilen konfrontativem Ton vor und betont dabei erwartungsgemäß die globale terroristische Bedrohung und unbedingte Notwendigkeit von „bulk intercepted data“ (Massenabhördaten). Er referenziert mehrfach die Entscheidungen des Investigatory Powers Tribunal (IPT), einem innerbritischen Geheimgericht, das einige Beschwerdeführer vor dem Gang nach Straßburg angerufen hatten. Die Forderungen der Beschwerdeführer wies er zurück, sie würden Großbritannien zum Schaden gereichen, wenn das Gericht ihnen folgen würde.

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Das Gebäude des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Foto: Mathieu Nivelles, CC BY 2.0.

Ihm folgen zwei Vertreterinnen der Beschwerdeführer, die ihrerseits die wesentlichen Punkte der Beschwerde darlegen. Neben unserem Fall sind zwei weitere, teilweise unmittelbar von GCHQ-Überwachung betroffene Beschwerdegruppen hinzugenommen worden. Schlagkräftige NGOs wie Amnesty International, Privacy International, die American Civil Liberties Union und das Irish Council for Civil Liberties waren nun ebenfalls Beschwerdeführer.

Die Anwälte mussten sich also ob der knappen Zeit einigen, wer für alle diese Gruppen vorträgt. Dinah Rose war eine der vortragenden Anwältinnen und arbeitete in ihren Ausführungen die mangelnde unabhängige Kontrolle der britischen Geheimdienste strukturell und an konkreten Beispielen heraus und kritisierte Geheimregeln, die niemand öffentlich hinterfragen könne. Sie betonte, wie weit die Eingriffe in die Privatsphäre von Millionen Menschen gingen und wie diese mit der Technisierung der Gesellschaft noch zunehmen würden. Metadaten seien quasi vogelfrei. Massenüberwachung unterminiere die Demokratie und die Freiheiten der Menschen. Die zweite Anwältin, Helen Mountfield, ging vor allem auf die Datentauschringe der Geheimdienste ein.

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Meine Papiernotizen aus der Anhörung. Erst beim späteren Lesen fiel mir auf, dass ich sie auf einem bstu-Block verfasst hatte.

Telefone oder Computer und eigene digitale Aufzeichnungen oder Fotos sind im Gerichtssaal nicht erlaubt, daher schreiben viele der Anwesenden auf Papier mit. Die Juristen auf beiden Seiten haben auch stapelweise Papier in das Gericht geschleppt. Während der inhaltlich dichten Ausführungen und insbesondere in der Fragerunde danach und bei den später folgenden Antworten wird das Mitschreiben zur echten Herausforderung. Nützlich war mir dabei allerdings der Kopfhörer, der wegen der Zweisprachigkeit zur Verfügung gestellt wird, aber gleichzeitig bei der Konzentration hilfreich sein kann.

Dauer-Berechtigung zur Überwachung

Wer das Zustandekommen von Überwachungsoperationen verstehen will, muss einen Blick auf das Regelwerk „Interception of Communications – Code of Practice“ werfen. Um eine Berechtigung („warrant“) zur geheimdienstlichen Überwachung zu begründen, gibt es in Großbritannien eine abschließende Liste von drei Bereichen, die dazu herangezogen werden können.

Der erste Bereich sind „interests of national security“, also nur vage definierte Interessen der nationalen Sicherheit. Im Rahmen der Anhörung kam mehrfach zur Sprache, dass es keine feste Definition gibt, was hier genau umfasst ist und was nicht. Wer jedoch in den letzten Jahren die Diskussionen um Befugnisse der Geheimdienste verfolgt hat, dem wird nicht entgangen sein, dass „national security“ zu einer Art Mantra geworden ist. Auch der Vertreter der britischen Regierung führte es immer wieder als zentrale Begründung in seinen Ausführungen im Munde. Dass Massenüberwachung mehr Sicherheit bringt, konnte jedoch auch er nicht belegen. Er hat es nicht einmal ernsthaft versucht, sondern nur einige Beispiele als anekdotische Beweise erwähnt.

Der zweite Bereich betrifft „preventing or detecting serious crime“, also die Verhinderung oder das Aufdecken von schweren Verbrechen. Hier gibt es klare rechtliche Definitionen, jedoch verwischt die Abgrenzung zu polizeilichen Aufgaben. Denn Verbrechensbekämpfung und -prävention ist nicht von jeher eine Geheimdienstdomäne, gerade weil diese Behörden im Geheimen operieren.

Der letzte Bereich betrifft „safeguarding the economic well-being of the UK“, also die Sicherstellung der britischen ökonomischen Interessen. Hier soll allerdings ein Bezug zur nationalen Sicherheit hergestellt werden. Auf gut Deutsch geht es um Wirtschaftsspionage in all ihren Formen – auch das eine Aufgabe der britischen Geheimdienste.

Wurde wegen einer dieser drei Bereiche eine zeitlich limitierte Berechtigung durch einen Secretary of State (Minister im britischen Kabinett) erteilt, kann sie jederzeit vor dem Ende des Ablaufs verlängert werden. Wie in der Anhörung moniert wurde, entsteht dadurch in der Praxis eine Art Dauer-Berechtigung mit der Folge, dass auch Millionen Menschen dauerhaft davon betroffen sind. Ein Richter ist übrigens nicht involviert, um die Berechtigungen zu erteilen.

Fragen der Richter zu Abhörmaßnahmen

Die „warrants“ ließen bei den Richtern die Frage aufkommen, ob es faktisch eine „unendliche Autorisierung“ gäbe, ob in der Praxis von einem andauernden „Recycling“ der Berechtigungen auszugehen sei. Diese Fragen waren aber nur der Anfang: Eine erstaunlich konkrete und lange Liste an Nachfragen von mehreren der zehn Richter der Großen Kammer des seit 1959 bestehenden Gerichtshofs wurden nach Ende der ersten Ausführungen der beiden Parteien aufgezählt. Darin ging es vor allem um die „safeguards“, also um die gesetzlichen und operationellen Absicherungen, um übermäßige Privatsphäre-Eingriffe zu reduzieren, Missbrauch zu beschränken oder Pflichten zur Löschung von Daten prüfen zu können.

So gut wie alle Fragen richteten sich dabei an den Vertreter der britischen Regierung, James Eadie. Wie beispielsweise der Schutz von Journalisten bewerkstelligt werde, wollten die Richter genauer wissen. Ob man beim Abgreifen von Cloud-Daten auch die Bilder und Dokumente mitschneide, kam ebenfalls als Frage auf. Auch die Auswahl der Selektoren und die Kriterien der Auswahl von Abhörmaßnahmen wurden hinterfragt. Und wer prüft eigentlich was in den Abhöreinrichtungen? Machen das die Spione selber? Guckt dort jemand Drittes drauf?

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Nicht jeder hielt sich an das Computer- und Telefonverbot im Gerichtssaal.

Nach einer knappen Pause von nur dreißig Minuten sollten etwa fünfzehn teilweise komplexe Fragen der Richter aus ganz verschiedenen Bereichen adressiert werden. Entsprechend wenig Erkenntnisgewinn konnten die Antworten bringen, so dass für den Beobachter die deutliche Skepsis, die sich in den Fragen manifestierte, wohl wichtiger war. Eadie verteidigte die „safeguards“ als mehrschichtig und ausreichend, räumte nur an einer Stelle ein, dass man „fragmentarische“ Lücken bei diesen Absicherungen mit dem neuen Gesetz 2016 korrigiert hätte.

Dinah Rose nutzte ihren Teil der Antwortzeit, um noch einmal zu betonen, wie schwer verständlich, undurchsichtig und komplex die Versuche seien, „safeguards“ gegen allzu starke Privatsphären-Eingriffe zu etablieren. Sie seien auch nicht effektiv.

Geheimdienstliche Mustererkennung auch in Zukunft?

Nach der Anhörung war die Stimmung unter den Beschwerdeführern verhalten optimistisch. Wie nach jeder Anhörung wurde viel spekuliert und über mögliche Interpretationen des Gesagten orakelt. Das Ergebnis der Richter werden wir allerdings erst in einigen Monaten lesen können.

Was mich am meisten überrascht hat, war vielleicht die Selbstverständlichkeit, mit der seitens der britischen Regierung mehrfach vorgetragen wurde, dass man gar nicht daran denke, das massenhafte Datensammeln einzuschränken. Schließlich ginge es nicht nur darum, Informationen über konkrete Personen zu finden: Nach der sogenannten Heuhaufen-Ideologie soll sich ja die Nadel irgendwo darin finden, wenn man nur genug im Heu sucht. Aber bedeutsam für die Geheimdienste sei vor allem das Entdecken von bisher unbekannten Mustern in dem riesigen elektronischen Heuhaufen, und das ginge schließlich nur, wenn man weiterhin alles einsammele, was man kriegen könne.

Nach dieser Logik müssen die Sammlungen künftig immer weiter anwachsen und auch inhaltlich verbreitert werden. Die Chuzpe, vor einem Menschenrechtsgerichtshof eine solche Ansage zu machen, muss man erstmal aufbringen. Sie zeigt, dass zumindest Metadaten keinerlei Wert im Sinne der Privatheit zugemessen wird. Sie sind nur noch Datenmasse für geheimdienstliche Mustererkennung, quasi losgelöst vom menschlichen Datengeber.

24 Ergänzungen

  1. Soweit ich bisher gesehen habe, bietet die Kampagnenseite https://www.privacynotprism.org.uk/ nur die Möglichkeit zur Spende via PayPal. Gibt es datenschutzmäßig bessere Alternativen, der Kampagne ein wenig $Geld zukommen zu lassen? (Überweisung?)
    Falls rechtzeitig genug: Wie wäre denn eine Spendenbox neben dem Einlass zum 34c3 aufzustellen. Wenn jeder der 10k Besucher 1 EUR hinein gäbe, dann sollten die Geldsorgen für die bisher absehbaren Schritte vermutlich gedeckt sein.

    1. Es gab vor vier Jahren schon die Paypal-Diskussion, als unsere Beschwerde mit Spenden finanziert wurde. Es war nicht meine Entscheidung, ich hab sie auch nicht verteidigt. Ich hab mich diesmal drum gedrückt, das Fass auch nur aufzumachen, da nach der Anhörung wohl keine größeren Kosten mehr zu erwarten sind.
      Die kurze Antwort ist: Nein, es gibt keine Alternative. Ehrlich gesagt kann ich verstehen, wer das nicht mit Paypal machen will. Ich habe mich schon vor Jahren von dieser Firma verabschiedet.

    2. Überweisung könnte aber auch vom Geheimdienst überwacht werden. Sofern ich da nicht mit Moneros bezahlen kann, kriegen die kein Geld von mir.

      1. Für mich ginge es hierbei gar nicht um Sicherheit/Überwachung des Geldtransfers, sondern schlicht um die involvierte Firma PayPal und ihre (mMn abzulehnenden) Geschäftspraktiken.

  2. Auch von meiner Seite einen herzlichen Dank für Klage und Bericht. Wenn’s ok ist, hätte ich noch eine Rückfrage zu ersterem und zwei letzterem.

    Zur Klage selbst ist mir nicht ganz klar warum die überhaupt möglich ist/war. Vielleicht stand das schon im Bericht zur Klage und ich habe das übersehen. Dann tut’s mir leid. Aber warum kann man direkt vorm EGMR klagen? Meine Annahme war bisher, dass dazu erst der normale nationale Rechtsweg erschöpft sein muss, so sinnfrei das auch sein mag, analog zum BVerfG.

    > Zweisprachigkeit
    Demnach gibt es keine Simultanübersetzung in alle Amtssprachen der EU? Ich nehme mal an Gerichtssprache ist Englisch. Was ist denn die zweite?

    > safeguarding the economic well-being of the UK
    Wirtschaftsspionage wurde tatsächlich offen als legitimer Grund für die Massenbespitzelung angeführt? Wow, das überrascht mich jetzt, wo doch Wirtschaftsspionage sonst immer vehement abgestritten wurde :-)

    1. Es stimmt schon, dass es nicht ganz einfach ist, den nationalen (hier: innerbritischen) Rechtsweg quasi auszulassen. Die Geheimdienste selbst und die rechtlichen Regularien halfen aber, denn inhaltlicher Teil der Beschwerde ist auch, dass das zuständige britische Geheimgericht IPT gerade keine ausreichende Möglichkeiten bietet, sich zu wehren, und an sich schon kritisiert wird. Unterscheiden muss man dabei eigentlich noch zwischen mir als Ausländer und Briten, wenn es darum geht, sich an das IPT zu wenden. Aber auch mir als Ausländer bietet sich der innerbritische Rechtsweg, zwar eher theoretisch, aber es wäre möglich. Wenn man aber argumentiert, dass das IPT den Betroffenen gar nicht adäquat zum ihren Recht verhelfen kann, ist ein Gang nach Straßburg begründbar.

      Wie beispielsweise beim BVerfG auch, muss man zusätzlich die Betroffenheit zeigen. Das war bei dem Dragnet nicht sehr schwer, dennoch hat Mister Eadie versucht, die Betroffenheit der Beschwerdeführer in Frage zu stellen. Das war aber auch deswegen fragwürdig, weil unter den beiden hinzugezogenen Beschwerdengruppen mehrere NGOs waren, die wussten, direkt überwacht worden zu sein. (Die hatten übrigens zunächst den Weg über das IPT gesucht und sind nach dessen Urteil nach Straßburg gezogen, danach zu unserem Fall hinzugenommen worden.)

      Ich hätte das vielleicht im Bericht noch darlegen sollen, wollte aber auch nicht zu detailliert werden. So verschieden von den Möglichkeiten, nach Karlsruhe zu ziehen, ist das übrigens nicht. Zwar gelingt das wenigen, daher die hohe Zahl an nicht angenommenen Verfassungsbeschwerden, aber unmöglich ist es ja nicht. Das Maß ist am Ende die Direktheit und die Stärke des Eingriffs in Grundrechte bzw. Menschenrechte, dazu auch – flapsig gesagt – die Dreistigkeit der Übertretung und die tatsächliche Möglichkeit der Gegenwehr in unteren Instanzen. Bestimmt kann man das juristisch noch viel besser erklären, aber im Kern ist das auch der Weg, den wir versucht haben (erfolgreich).

      Es gab eine englische und eine französische Übersetzung. Mir wurde gesagt, dass das typischerweise so ist bei diesem Gericht, aber ich weiß es nicht genau. War mein erstes Mal. :}
      Ich kann mir aber gut vorstellen, dass ich als Deutsche eine Übersetzung vielleicht hätte verlangen können. Ich hab es aber nicht versucht. Beim Europäischen Gerichtshof war das hingegen anders: Dort wurde ohne Nachfrage in alle Sprachen der Menschen live übersetzt, die persönlich als Anwälte, Beschwerdeführer, Sachverständige und Betroffene vor Ort waren. Wenn ich die Menge an Übersetzungskabinen und die professionelle Verteilung der Kopfhörer in Straßburg so gesehen habe, würde ich vermuten, dass hier auch öfters mehr Sprachen angeboten werden.

      Was die Wirtschaftsspionage angeht, ist das leider keine neue Erkenntnis aus der Beschwerde oder so, sondern lange bekannt. (Bei der NSA übrigens genauso, die Formulierung ist aber anders.) Ganz sicher würden das Geheimdienstler und auch einige Politiker aber zurückweisen und das irgendwie anders interpretieren! :}

  3. „Aber bedeutsam für die Geheimdienste sei vor allem das Entdecken von bisher unbekannten Mustern in dem riesigen elektronischen Heuhaufen, und das ginge schließlich nur, wenn man weiterhin alles einsammele, was man kriegen könne.“

    Hört sich sehr nach Hexenjagd an.
    Hexenjagd 4.0 jetzt noch effizienter!

  4. Constanze, ich danke dir unendlich für dein Einsatz auf dieses Gebiet.
    Hätte dazu ein paar Fragen:
    1. Vor dem EGMR gibt es keine Anwaltspflicht. Hast du es geschafft selbst alle Vorgaben zu erfüllen oder hast du einen Anwalt eingeschaltet? Falls du einen Anwalt eingeschaltet hast, könntest du diesen benennen?
    2. Du hast als Aktivistin sicher eine Rechtsschutzversicherung. Da du unter anderem auch für deine Rechte klagst weil du auch abgehört wirst, hat die Rechtsschutzversicherung alle Kosten dafür übernommen? Falls nicht, welche und warum nicht?
    3. Gibt es für das Verfahren nur diesen einen Termin oder wird es mehrere Sitzubgstermine geben?

    1. Ich habe nicht versucht, als Beschwerdeführerin bei Gericht ein Rederecht zu erhalten. Da bei der Anhörung durch die Zusammenziehung der Beschwerdeverfahren ohnehin schon sehr viele Gruppen und ihre Anwälte untereinander klären mussten, wer für alle Gruppen spricht, hätte das aus meiner Sicht nur Zeit gestohlen. Und die war knapp. Unsere Gruppe hat von Anfang an über die Spenden Anwälte bezahlt, die sehr viel Erfahrung in Menschenrechtsfällen haben, was sie auch in den Schriftsätzen bewiesen. Ich hätte mir nie und nimmer angemaßt, in den teilweise komplexen Rechtsfragen allein vorzugehen. Die Anwälte, die wir beauftragt haben, gehören zu http://www.dpglaw.co.uk/ und haben (ausweislich auch der Website) erfahrene Menschenrechtsanwälte. Wegen der hinzugenommenen weiteren Beschwerdeverfahren waren aber noch mehr Anwälte nun beteiligt, mit denen ich allerdings nur schriftlich kommuniziert habe, in Straßburg habe ich sie dann erstmals getroffen. (Das sind allesamt britische Juristen, bezahlt von ihren jeweiligen Beschwerdeführern.)

      Ich habe keine Rechtsschutzversicherung. Es ist mein persönliches finanzielles Risiko, das ich aber versucht habe, vorab abzuschätzen. Die vielen Spenden vor vier Jahren haben das Risiko enorm gesenkt.

      Es gibt nur diese eine mündliche Anhörung, der Rest des Verfahrens war schriftlich. Es war für uns eine große Freude, dass es die Anhörung gab, denn das ist sehr selten. Ich hörte, dass es auch keinen weiteren Termin zum Urteil in Straßburg geben wird, sondern das Urteil schriftlich ergehen wird. Anders als in Karlsruhe wird das Urteil nicht verlesen, sondern versendet. (Das war eine Auskunft, die mir einer der Juristen hab, ich gehe davon aus, dass das so zutrifft.)

  5. Okay, du bist Partei und stellst das auch sofort klar. Aber muss in der Überschrift stehen, dass die Massenüberwachung rechtswidrig ist? Die Feststellung, ob das so ist, wird das Gericht erst im Urteil treffen. Bis dahin ist das Problem nicht, dass die Überwachung illegal ist, sondern dass sie stattfindet. Spätestens seit der Legalisierung der BND-Überwachung mit dem BND-Gesetz ist Legalität ist keine ausreichende Kategorie mehr.

    1. Die Überschrift lautet: „Anhörung beim Menschenrechtsgerichtshof: Die Rechtswidrigkeit der Massenüberwachung“, denn genau darum ging es. Da steht ja nicht etwa „Die Massenüberwachung ist rechtswidrig“, sondern nach dem Doppelpunkt ist lediglich in kurzer Form wiedergegeben, was Thema in der Anhörung war, nämlich genau das.

  6. Vielen Dank für deine/eure Arbeit.

    Leider kann ich nichts in harter Währung spenden. Daher spende ich etwas Zeit – für den der es evtl. verwenden kann.
    Seit werden „die roten Punkte“ auf den Snowden Folien und anderer zugänglicher Quellen digitalisiert.
    Unter https://qgiscloud.com/routeyrb22/RedDotPapers/ sind die Daten verfügbar.
    Startansicht ist derzeit die georeferenzierte Karte „Worldwide SIGINT/Defense Cryptologic Plattform“ aus den Snowden-Files. Die Location-Dots der Karte sind ebenfalls digitalisiert.
    Ab einem gewissen Zoom-Level werden die eigentlich wichtigen Punkte – die Surveillance-Stations – eingeblendet. Dies sind die Orte der Überwachung und können durch weiteres Zoomen in die Karte näher betrachtet werden sowie mit einem Mausklick auf die digitalisierten Punkte weitere Attribut-Daten (Name, Link zu weiteren Dokumenten und Photos, …) angezeigt werden.
    Rechts oben auf der Seite kann ein Legenden – Menü geöffnet werden. Hier sind weitere Layer/Themen sichtbar zu schalten. Es können die Rasterkarten auch Transparent dargestellt werden sowie Legendeninformationen angezeigt werden.
    Derzeitige Themen: Worldwide Stations, Xkeyscore-Map, Russina DPI-GRID Map, NSA Global Spy Stations, diverse Funkstrecken…. und ein paar Easter-Eggs (irgendwo auf der Welt) ;-)

    Und wenn ein paar Geheimdienstfuzzis behaupten, sie benötigten das alles um ein paar Terroristen zu finden ….. dann ist das einfach Schwachsinn.

    Die Punkte werden immer erweitert. So langsam wird das finden neuer Stationen aber immer schwerer. Wer was weiß: Koordinaten + kurze Info + evtl. Link mit dem Hashtag #Room2N044 twittern.

    Danke und viel Spaß
    Theo

    1. Das muss ja ne Heidenarbeit gewesen sein! Ich hab grade ne halbe Stunde damit verbracht, die Varianten der Karte mal durchzuklicken und die Attribute hier und da anzusehen. Wie fies, Easter-Eggs anzukündigen.. Für kleinere Bildschirme war das, ähm, ne Herausforderung.
      Also wenn sich da Leute beteiligen sollen, könnten wir überlegen, was dazu zu schreiben. Der Hashtag trendet ja offenbar nicht von selber. :}
      Wolltest Du das anregen?

      1. Hallo Constanze,

        Hab mal ein Easter-Egg auf die Netzpolitik.org Redaktion „gelegt“ …. ;-)
        Dann hab ich überlegt, eine neue Art der Easter Eggs einzuführen … hmm, sowas wie Geo-Memes … ich glaub, ich fange in Kairo damit an …

        Der Hashtag #Room2N044 kann nicht Trenden da er nur in dem Post vorher „publiziert“ ist. Mir fällt nix besseres ein wie ich anon. an Tipps kommen kann. Ich hoffe einfach auf verbreitung durch Mundpropaganda.

        Leute beteiligen … nein, eher nicht. Zumindest nicht direkt. Will den Ball flach halten. Die paar tausend Surveillance Punkte bekomme ich schon noch hin ;-) (lonley planet, lonley woolf)
        Was ich eher anregen möchte: Wenn ihr in Netzpolitik was über Surveillance schreibt und dort auf handfeste Orte verweist, so bitte ich um Erläuterung / Beschreibung der Lokalität (falls möglich). Zb. fand ich vor ein paar Tagen zufällig einen Artikel (nicht hier in Netzpolitik) von einem geheimen Dronenstandort in Dschibuti. Im Artikel gab es eine Ortsangabe: 10km von USBase dort entfernt. Die 10km stimmten sehr genau, die Suche dauerte 2 Minuten (statt … 30 Min – 30 Stunden vergliche mit einer Angabe wie „irgendwo in Dschibuti“).

        Also, falls jemand was weiß oder einen Artikel kennt der Orte der Überwachung beschreibt:
        #Room2N044
        Auch posten wenns eh schon in The Intercept steht … ich kann nicht alles lesen ….
        (one way communication – ich habe keinen Twitter Account)

        Danke, Gruß
        theo

    2. Existiert auch eine Tor-kompatible Version ohne WebGL? Ich muss meinen Sozialkredit-Punktestand im Auge behalten.

      1. Hallo Dankender,
        leider nein. Probiere z.b. Whonix (virtuelle Maschinen). Dort verwende den normalen Firefox mit allem modernem Kram wie webgl … … . Whonix routet dann alles über TOR. Wäre ein Kompromis.

        Für weitere Fragen der Sicherheit wende dich an den Arzt oder Aphoteker deiner Wahl ;-)

  7. „Unbekannte Muster“

    Erinnert mich an den Saugrüssel des Hotel-Betts, den der fiktive Schockwellenreiter ab und zu fiktional benutzte, um kein unbekanntes Muster zu erzeugen.

    Die Brits sind tatsächlich auf der Jagd … nach Schockwellenreitern, Rebellen, Ungenormten, Aufsässigen, Abweichlern, Aufrührern, Whistleblower.

    Wer keinen tödlichen Herzinfarkt hatte oder mit einem Auto in einen mörderischen Tunnelpfeiler gerast ist, ist keine Gefahr für das Königreich.
    Die Frage, ob ein Dr. James Shipman Bond im Auftrag ihrer Majestät unterwegs ist, darf man nur kabarettistisch stellen.

    Constanze lebt noch, also ist sie harmlos.
    q.e.d.

    (Ich habe vor mehreren Jahren mit dem Online-Konsum angefangen, weil mein Gefühl mir sagte, dass ich abnorm bin, wenn ich nur nonline einkaufe)

  8. Gehört dieses neue geheime Bankgesetzt auch dazu?

    Wenn ja will ich , dass sich jemand einsetzt eine Sammelklage gegen diese Asselborn Geheimregierung ( nahc erneueter Lüge in hart aber fair : ohne Briefkastenfirmen ha ha ) Regierung aufzusetzen.

    Das ist wirklich der Gipfel.Wenn das kommt,wandere ich aus.
    Firmen darf man nicht mal anfragen ,ob sie lebensmittel kontrolliert haben , man bekommt
    keine INfo ,was man hier essen muss.
    Bio Mate Tee = nicht verkerhsfähig!
    Und das in der so gut ? kontrollierten BRD!

    Nun das :

    http://www.epochtimes.de/politik/deutschland/bankgeheimnis-endgueltig-abgeschafft-dienstleister-erhalten-auch-einblick-auf-das-konto-a2263518.html?meistgelesen=1

    Fuck all

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