Großbritannien: Wenigstens Überwachungseuropameister bleiben

Vor gut vier Monaten hat das Londoner Parlament ein äußerst restriktives Überwachungsgesetz verabschiedet. Jetzt arbeitet die Regierung an der Umsetzung und fordert bereits Verschärfungen. Unser Überblick zu den jüngsten Entwicklungen.

Die allgegenwärtigen Kameras sind nur ein kleiner Teil im Überwachungsnetz von Großbritannien. CC-BY-SA 2.0 Dan Sakamoto

Der Investigatory Powers Act beschäftigt weiterhin die britische Regierung und Öffentlichkeit. Bereits im letzten Jahr hatten wir das Gesetz analysiert, das von Bürgerrechtlern scharf kritisiert wurde und als „extremstes Überwachungsgesetz in einer Demokratie“ gilt.

Seit dem Jahreswechsel arbeitet die Regierung nun an der Umsetzung. So wurde beispielsweise Lord Justice Fulford ernannt, um die neu eingerichtete Kontrollbehörde zu führen. Dennoch gibt es weiterhin Klärungsbedarf, was die genaue Auslegung vieler Teile des Gesetzes angeht. Wie in diesen Fällen üblich, hat die Regierung einen Konsultationsprozess bezüglich der sogenannten „Codes of Practice“ gestartet. Darin werden zum Beispiel die genauen Pflichten von Anbietern von Verschlüsselungssoftware oder von Internetanbietern festgelegt.

Wie Ars Technica aufgefallen ist, fehlt allerdings ein elementarer Teil: die „Internet Connection Records“. Die im Gesetz eingeführte Vorratsdatenspeicherung hätte dazu geführt, dass eine Fülle von Metadaten von Internetmessengern aber auch vom Surfverhalten der Bürger gespeichert worden wäre.

Das EuGH-Urteil bremst Regierung aus

Den Bedenken, dass diese Maßnahme rein finanziell und technisch eigentlich nicht umzusetzen wäre, kam ein Urteil des EuGH zuvor. In einem wegweisenden Urteil im Dezember wurden große Teile von DRIPA für unrechtmäßig erklärt. DRIPA ist der Vorgänger des Investigatory Powers Act und regelte ebenfalls die Vorratsdatenspeicherung. Der Gerichtsfall wurde wieder an ein britisches Gericht verwiesen und wird dort weiterhin verhandelt.

Angesichts des EuGH-Urteils wurde die Implementierung dieses Teils des neuen Überwachungsgesetzes vorerst auf Eis gelegt. Ein neues, unabhängiges Gremium, das über den Zugang zu den gespeicherten Daten entscheiden soll, scheint in Planung.

Eine Fülle von Infromationsfreiheitsanfragen hatte zudem eine erstaunliche Zahl zutage gefördert. Nach jetziger Regelung würden über 16.000 Mitarbeiter der britischen Behörden einen Zugriff auf die gespeicherten Metadaten erlangen. Darunter auch Organisationen wie die Zollbehörde oder die Behörde für Ernährungssicherheit. Die genannte Zahl bildet allerdings nur eine untere Grenze ab. Unter anderem haben die Geheimdienste GCHQ, MI5 und MI6 keine Zahlen geliefert. Man sollte also von einer weitaus größeren Anzahl von Zugriffsberechtigten ausgehen.

Mehrerer Gerichtsverfahren anhängig

Es gibt zudem noch weitere Gerichtsverfahren, denen sich die Regierung momentan stellen muss. Es wird weiterhin auf Urteile bezüglich der Massenüberwachung gewartet, die sich ursprünglich auf die frühere Gesetzgebung bezogen. Ein Urteil könnte allerdings auch hier die momentane Regelung stark beeinflussen. Hinzu kommt, dass die Organisation Liberty nach ihrer Crowdfunding-Kampagne mehrere zehntausend Pfund gesammelt hat und nun gegen den Investigatory Powers Act gerichtlich vorgeht. Erklärtes Ziel der Organisation ist, die Massenüberwachungsbefugnisse des Gesetzes beispielsweise in Bezug zu Hacking oder dem Abfangen von Kommunikation zu beschneiden.

Da gestern der Brexit-Antrag überreicht wurde, eröffnet sich auch hier ein neu zu klärendes Feld. In einer Anhörung im Home Affairs Committee machte der britische EU-Kommissar für die Sicherheitsunion Julian King klar, dass eine Loslösung von der EU auch Konsequenzen für internationale Datenschutzregelungen hätte. Man werde ein Abkommen finden müssen, dass die kommerzielle Behandlung der Daten von EU-Bürgern in Großbritannien regelt. Ob die EU und das Vereinigte Königreich in Zukunft also eine Regelung ähnlich des amerikanischen „Privacy Shield“ mit dem Vereinigten Königreich etabliert, wird auch Teil der Brexit-Verhandlungen sein.

Weitere Verschärfung der Gesetze bereits geplant

Nach der Terrorattacke auf Westminster Bridge in der letzten Woche, ging ein Gerücht durch die Medien, dass der Angreifer kurz vorher WhatsApp benutzt haben sollte. Die Innenministerin Amber Rudd sagte daraufhin in einem Interview:

„It is completely unacceptable, there should be no place for terrorists to hide. We need to make sure organisations like WhatsApp, and there are plenty of others like that, don’t provide a secret place for terrorists to communicate with each other. […] We need to make sure that our intelligence services have the ability to get into situations like encrypted WhatsApp.“

„Es ist vollkommen inakzeptabel, es sollte keinen Platz geben, an dem sich Terroristen verstecken können. Wir müssen sicher gehen, dass Organisationen wie WhatsApp, und es gibt viele ähnliche, keinen geheimen Ort für die Kommunikation von Terroristen bereitstellen. […] Wir müssen sicherstellen, dass unsere Geheimdienste mit Situationen wie verschlüsselten WhatsApp [-Nachrichten] klarkommen.“
[eigene Übersetzung]

Ob diese Forderungen nicht bereits durch den Investigatory Powers Act abgedeckt sind, bleibt ungeklärt. Bisher schreibt das Gesetz zwar nicht vor, dass verschlüsselte Messenger wie WhatsApp bereits im Voraus ein großflächiges Mitlesen von Nachrichten ermöglichen müssen. Eine Aufforderung zur Entschlüsselung kann allerdings bereits jetzt in Einzelfällen erteilt werden. Der ehemalige „Cyber Security Chief“ in Verteidigungsministerium Jonathan Shaw attackierte dementsprechend die Regierung für diesen Vorstoß. Er beschuldigte die Regierung, die Situation für die eigene Agenda zu nutzen, und warnte, dass Terroristen im Zweifelsfall einfach auf andere Kommunikationskanäle umsteigen würden.

Massive Einschränkung der Pressefreiheit in Aussicht

Auch gegen Whistleblower möchte die Regierung gerne stärker vorgehen, wie The Register herausgefunden hat. Ein neues Gesetz würde das Leaken von Informationen oder Whistleblowing auf die gleiche rechtliche Stufe wie ausländische Spionage stellen. Selbst wenn die betroffenen Personen keine Briten wären oder im Sinne des öffentlichen Interesses gehandelt haben, würden lange Gefängnisstrafen zu erwarten sein. Außerdem würde diese Regelung alle involvierten Personen betreffen, die Informationen sammeln oder weiterleiten, also auch Journalisten oder Politiker. Die Open Rights Group nannte das Vorhaben einen „Frontalangriff auf den Journalismus“.

Gegenüber The Register äußerte Alan Rusbridger starke Bedenken. Das gesamte Vorhaben schiene überhastet und wäre ohne angemessene Involvierung von Bürgerrechtsgruppen vonstattengegangen. Alan Rusbridger ist ehemaliger Chefredakteur vom Guardian. Wäre das geplante Gesetz bereits 2013 in Kraft gewesen, hätte er für die Snowden-Veröffentlichungen ins Gefängnis kommen können.

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2 Ergänzungen

  1. Eigentlich doch ganz schön für alle nicht Briten, was die Briten da tun, denn:
    Großbritanien wird das Paradebeispiel werden, wie ein Überwachungsstaat 0% mehr Sicherheit schafft, dafür aber demokratische Werte radikal vernichtet!
    Nur tun mir die Briten Leid, die das nicht wollen… =.-(
    „Britains welcome!“ ;-D

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