Menschenrechtsgerichtshof erklärt ungarisches Überwachungsgesetz in Teilen für rechtswidrig

Der Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (Foto: CherryX / < a href="http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode" > CC-by-sa 3.0)

In einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das ungarische Überwachungsgesetz für teilweise ungültig erklärt.

Da praktisch jeder ungarische Bürger von den Maßnahmen betroffen sein könnte, die gänzlich im Wirkungsbereich der Regierung liegen und von ihr nicht näher begründet werden müssen, verstoße das Gesetz gegen den Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens). Zudem lasse das im Jahr 2011 in Kraft getretene Gesetz eine wirksame gerichtliche Kontrolle vermissen.

Ungarischen Ermittlungsbehörden war in den vergangenen fünf Jahren unter anderem erlaubt, geheime Hausdurchsuchungen durchzuführen, Briefe und Pakete zu öffnen sowie elektronische Kommunikation zu überwachen, ohne die Betroffenen informieren zu müssen.

Überwachung mit Blankoschein

Die Richter bemängelten in ihrer Urteilsbegründung, dass praktisch alle in Ungarn Lebenden geheim überwacht werden können. Ermittlungsbehörden müssten dem zuständigen Minister bloß den Namen jener mitteilen, die überwacht werden sollen. Dabei muss es sich nicht um Einzelpersonen handeln, sondern kann auch ganze Personengruppen umfassen, ohne dass ein Zusammenhang mit einer terroristischen Bedrohung nachgewiesen werden muss.

Zudem muss dem Justizminister lediglich mitgeteilt werden, dass eine geheime Überwachung einer bestimmten Person „notwendig“ ist, ohne das beweisen zu müssen. Laut Gerichtsurteil lädt dies geradezu zu Missbrauch ein. Auch gehe aus dem Gesetzestext nicht hervor, ob Überwachungsmaßnahmen beliebig oft verlängert werden können oder auf maximal zwei Mal 90 Tage beschränkt sind.

Mangelnde Aufsicht lädt zu Missbrauch ein

Ebenfalls auf Kritik stieß die fehlende richterliche Kontrolle bei der Autorisierung und Anwendung von geheimer Überwachung. Einfach nur eine Aufsicht durch die Exekutive, in dem Fall durch den Justizminster, schütze nicht ausreichend gegen Missbrauch. Da die Regierung niemandem gegenüber, also etwa dem Parlament oder den jeweils Betroffenen, offenlegen muss, dass eine geheime Überwachungsaktion läuft, sei ein juristisches Vorgehen dagegen faktisch nicht möglich.

Die ungarische Regierung hat nun drei Monate Zeit, gegen das Urteil vorzugehen und die Große Kammer des EGMR anzurufen. Dieser Weg steht auch den beiden ungarischen Klägern offen, die im Juni 2012 Klage gegen das Überwachungsgesetz eingereicht hatten. Sollte die Frist ungenutzt verstreichen, muss die ungarische Regierung zwar bei den genannten Punkten nachbessern, die weitreichenden Überwachungsmöglichkeiten an sich jedoch nicht zurückfahren.

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Eine Ergänzung

  1. Selbstverständlich ist geheime Überwachung nicht mit einer freiheitlichen Demokratie zu vereinbaren. Die Politiker werden letztlich Big Brother mehr gehorchen als ihrem Gewissen oder Wähler.

    Auch der Bürger ist dann am Ende:

    „…. die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.“

    http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html

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