Irland: Mit Dark-Ads gegen Abtreibung

Irlands Abtreibungsreferendum wird überschattet von Dark-Ads und Manipulation aus dem Ausland. Anonyme Anzeigen ploppen auf und verschwinden kurze Zeit später wieder. Die Spuren führen in die USA. Facebook und Google versprechen neue Werkzeuge. Aktivist*innen sehen die Regierung in der Pflicht.

Werbung für oder gegen Abtreibung: Im Internet nicht so leicht zu erkennen wie bei dieser Pro-Choice-Demonstration 2012. CC-BY-SA 2.0 William Murphy

Irland zählt zu den wenigen Ländern in Europa, wo noch ein strenges Abtreibungsverbot herrscht. Eine Volksabstimmung könnte heute diese archaische Regelung zu Fall bringen. Doch haben irische Abtreibungsgegner*innen unverhoffte Unterstützung aus dem Ausland erhalten: Religiöse Fundamentalist*innen aus den USA nutzten den weitgehend unregulierten Raum des Internets, um auf das Referendum in Irland Einfluss zu nehmen.

Wenig ist im katholischen Irland so heftig umstritten wie das Thema Abtreibung. Für zusätzliche Aufregung sorgte vor einigen Wochen eine aufsehenerregende Enthüllung: Hinter einer nebulösen Facebook-Kampagne, die sich an unentschiedene Wähler richtet, steckt eine Gruppe radikaler Abtreibungsgegner*innen, die dafür vermutlich mit Geld aus den USA unterstützt wird. Das wirft die Frage auf: Wie einfach lassen sich Referenden über das Internet beeinflussen?

Facebook reagierte umgehend. Der Konzern werde keine Anzeigen und gesponserte Posts zum Referendum von Geldgebern außerhalb Irlands mehr akzeptieren, teilte der Ableger in Dublin Anfang Mai mit. Für den US-Konzern ist Irland ein besonders heikler Ort, denn dort sitzt die Europa-Zentrale Facebooks. Auch der andere Riese der Online-Werbung kündigte Schritte an: Google wollte gar keine Werbung für das Referendum mehr schalten. Ein Musterbeispiel für die Problematik von online geführten Wahlkämpfen.

Das Rüstzeug für mehr Transparenz

Facebook wird nicht das erste Mal vorgeworfen, ausländischen Kräften beim Beeinflussen von Wahlen geholfen zu haben. Seit dem Brexit-Referendum und der US-Präsidentenwahl 2016 muss der Konzern Fragen zu möglicher russischer Einflussnahme beantworten. Dabei geht es auch um bezahlte Anzeigen. Das Referendum in Irland ist nun die erste große Wahlentscheidung in Europa seit Ausbruch des Datenskandals rund um Cambridge Analytica. Dieser hat offengelegt, wie undurchsichtig und anfällig für Manipulationen das Ökosystem von Facebook ist.

In Irland kämpfen Aktivist*innen seit Monaten um Transparenz. Im Februar gründeten sie die „Transparent Referendum Initiative“ (TRI), die ein Schlaglicht auf zielgruppenspezifische Werbung und sogenannte Dark-Posts werfen soll. Letztere sind besonders problematisch, da nur das anvisierte Publikum solche Anzeigen zu Gesicht bekommt und sie dadurch dem öffentlichen Diskurs entzogen werden. TRI sammelt alle referendumsbezogenen Facebook-Werbeanzeigen, die freiwillige Helfer mit Hilfe eines Plug-ins zusammentragen.

Facebook kündigte schließlich Mitte April ein Werkzeug an, welches verspricht, Wahlkampfwerbung auf der eigenen Seite transparenter zu machen. Mit Hilfe von „View Ads“ lässt sich alle zur Zeit geschaltete Werbung einer Facebook-Seite anzeigen, darunter auch Dark-Posts.

Dank eines weiteren Tools konnte zwischenzeitlich auch der Standort und die Anzahl der Administrator*innen einer Seite eingesehen werden. CNN vermeldete daraufhin, dass seit Facebooks Ankündigung, ausländische Werbung verbieten zu wollen, 31 Prozent der Anzeigen teilweise aus dem Ausland administriert wurden. Wie genau die Standortdaten ermittelt wurden, wollte Facebook jedoch nicht kommentieren. Die Aussagekraft bleibt somit unklar.

Auf der Suche nach den Anzeigenschalter*innen

Aufschlussreicher war da schon der Fall rund um undecided8.org. Die Ende April registrierte, mittlerweile vom Netz genommene Webseite stellte sich als unvoreingenommene, neutrale Quelle zum Referendum dar. Sowohl die Webseite selbst als auch die dazugehörige Facebook-Seite gaben keine Auskunft über die Betreiber*innen. Die „unabhängigen Fakten“ auf der Seite ließen die Urheberschaft jedoch erahnen. Zu der Frage, ob durch das Aufheben des Verfassungszusatzes eine Abtreibung nach zwölf Wochen erlaubt sei, stand auf der Seite:

Will this allow abortions after 12 weeks?
Repealing the Eighth Amendment will allow abortion up to “viability” on certain health grounds, including mental health. This would allow abortion up to 24 weeks or 6 months.

Die Aufhebung des achten Verfassungszusatzes wird Abtreibung aus Gesundheitsgründen, inklusive psychischer Gesundheit, bis zur „Lebensfähigkeit“ erlauben. Das würde Abtreibungen nach bis zu 24 Wochen oder sechs Monaten erlauben. (eigene Übersetzung)

Das stimmt so nicht. Das Referendum wird nur über den Verfassungszusatz entscheiden. Dieser schreibt „die Rechte Ungeborener“ in der Verfassung fest. Wie Abtreibung nach einer etwaigen Aufhebung geregelt wird, würde erst danach das Parlament bestimmen.

Der Transparency-Campaigner Gavin Sheridan ging der mysteriösen Seite in einem Twitter-Thread nach. Mithilfe des „View Ads“-Features fand er heraus, dass insgesamt acht verschiedene Anzeigen über die zugehörige Facebook-Seite geschaltet waren. Alle verlinkten auf die zugehörige Webseite, besaßen unterschiedliche Bildmotive und teilweise leicht abweichende Variationen dieses Textes:

Yes or No? Unsure? Here are some unbiased facts to consider before you vote.
The referendum on the 8th Amendment is May 25th. If you are still unsure how you will vote, here are some facts to consider.

Ja oder Nein? Unsicher? Hier sind einige unparteiische Fakten zur Abwägung vor der Wahl. Das Referendum zum achten Verfassungszusatz ist am 25. Mai. Hier sind ein paar Fakten zum Abwägen, falls du immer noch unsicher bist, wie du wählen solltest. (eigene Übersetzung)

Ein Hinweis im Quellcode der Seite führte Sherdian schließlich zu der US-amerikanischen, katholischen Werbeagentur Fuzati. Diese hatte sich kurz vor Erscheinen der Seite mit „protectthe8th“ getroffen, einer Kampagne gegen die Aufhebung des Abtreibungsgesetzes in Irland. Auch in einem YouTube-Video der Gegner*innen wurde kurzzeitig auf undecided8.org verlinkt, danach führte die Verlinkung zur eigenen Seite. Nach Bekanntwerden der Verknüpfungen wurde die Webseite vom Netz genommen. Mittlerweile wurde allerdings auf den Namen der Organisation hinter protectthe8th, der „Family & Life Movement“, zwei neue Seiten registriert: undecided.ie & undecided8.ie. Die Seiten selbst blieben jedoch ohne Inhalt.

Das Verwirrspiel um die Seite zeigt: Nie war es leichter als heute, Wähler*innen bewusst hinters Licht zu führen. Mit wenigen Klicks lassen sich anonyme Seiten erstellen und unentschiedene Wähler*innen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen beeinflussen.

Warum das gefährlich ist

Inzwischen wächst in vielen EU-Ländern die Sorge über mögliche Manipulation über soziale Netzwerke. In Irland ist im Unterschied zu Deutschland TV-Wahlwerbung nicht erlaubt. Wahlwerbung im Internet hingegen ist in Irland kaum gesetzlich reguliert. Insbesondere Dark-Posts sind problematisch. Da nur die jeweilige Zielgruppe die auf sie zugeschnittenen Werbebotschaften zu Gesicht bekommt, ist eine öffentliche Debatte darüber nahezu unmöglich. In der Vergangenheit hat das mitunter dazu geführt, dass Parteien mit nahezu komplett gegenteiligen Aussagen in verschiedenen Wählermetiers nach Stimmen gefischt haben. Das war in Irland nicht unbedingt der Fall, dennoch kommen einige Schattentaktiken zum Einsatz.

Ein Blick in die Datenbank der Transparenzinitiative zeigt, dass in Irland mehr als 250 teils sehr kleine, neue und themenspezifische Seiten werben. Deren Urheber*innen sind schwer bis gar nicht auffindbar. Genau das Problem, welches die undecided-Seite repräsentiert, scheint ein wiederkehrendes Muster im irischen Wahlkampf zu sein, beklagt deshalb TRI. Der Verdacht steht im Raum, dass viele der dem Anschein nach unabhängigen Seiten von einer oder zwei Geldgebern zentral gesteuert werden.

Im Fall „undecided“ ist die Art der Werbung besonders perfide. Einerseits auf inhaltlicher Ebene: Die Seite versprach unparteiische Fakten, lieferte aber in Wahrheit irreführende Informationen der Abtreibungsgegner*innen. Auf der anderen Seite war sie auch technisch heimtückisch: Die Macher*innen der Seite wären dazu in der Lage, alle Nutzer*innen, die auf die Werbeanzeige geklickt haben, von diesem Moment an als bisher unentschieden zu identifizieren. In der Folge könnten die User*innen dann gezielt mit Werbebotschaften adressiert werden, unabhängig davon, wo sie sich im Internet aufhalten.

In einer Umfrage gaben zuletzt 17 Prozent an, noch unentschieden zu sein. Diese Wähler*innen auf die eigene Seite zu holen, könnte wahlentscheidend werden. Der Fall „undecided“ ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs.

Was tun?

Irland hat im Kampf gegen den unregulierten Wahlwerbewust nur schwache Werkzeuge zur Verfügung. Die TRI ist eine private Nichtregierungsorganisation, gegründet von gerade einmal drei Personen. Sie besetzt die Lücke, die bisher weder Facebook noch staatliche Institutionen zu füllen vermögen. Da ihre Übersicht von der Mithilfe vieler Freiwilliger abhängig ist, erfasst sie wohl nur einen Bruchteil der Wahlwerbung. Und wenn sich niemand meldet, fehlt jegliche Transparenz.

Auch hat Facebooks View-Ads-Funktion bedeutende Schwachstellen. Momentan zeigt sie nur aktuell geschaltete Werbung. Bei einer Dynamik von aufploppenden und kurz danach wieder gelöschten Anzeigen und Seiten, wie sie in Irland zu beobachten war, hilft das wenig. Gavin Sheridan monierte zudem , dass View-Ads weder die Zielgruppe noch Reichweitenindikatoren wie Like-Zahl oder Kommentare anzeigt.

Eine mögliche Lösung müsste an verschiedenen Punkten ansetzen. Liz Carolan, Mitgründerin der TRI, stellte jüngst in ihrem Vortrag auf der Media Convention mehrere politische Forderungen auf. Sie fordert Gesetze, die transparente Listen aller Wahlwerbung auf allen Plattformen garantieren. Auch sollten Gesetzeslücken geschlossen werden, die anonyme Werbung unter bestimmten Umständen bisher ermöglichten.

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Nicht nur in Irland ist politische Werbung im Internet kaum reguliert. Es ist an der Zeit, dass Regierungen in ganz Europa hier nachbessern und klare Regeln vorgeben. Das mindeste wären dabei Vorgaben zur Transparenz: Wie viel Geld wird für Kampagnen ausgegeben? Wer sieht warum welche Anzeige? Und vor allem: Wer schaltet diese Anzeigen? All diese Fragen sollten in einen gesetzlichen Rahmen gegossen werden, um ausländische Einflussnahme zu verhindern und Wahlkämpfe transparent zu gestalten.

Gleichzeitig sind auch Firmen wie Facebook an der Reihe, Lösungen zu liefern. Ein Sprecher von Facebook-Deutschland versprach auf dem Media-Convention-Panel, in Zukunft endlich ein Anzeigenarchiv zu liefern und auch ein Authentifizierungsverfahren für politische Werbung verpflichtend zu machen. Facebook sammelt ohnehin viele der Informationen, die helfen könnten, den undurchsichtigen Online-Wahlkampfdschungel zu lichten. Jetzt wäre es an der Zeit, dass der Datenkonzern seine Versprechungen und Beteuerungen auch einhält.

Weitere große Wahlen stehen an. Für die Europawahl 2019 äußerte EU-Kommissarin Věra Jourová schon jetzt die Sorge vor Manipulation und ausländischer Einflussnahme in Sozialen Netzwerken. Die Regierungen der EU-Staaten sind nun am Zug, die entsprechenden Regulierungen zu überprüfen und nachzubessern.

3 Ergänzungen

  1. Mich würde interessieren ob Deutsche katholische Kirchensteuergelder zur Finanzierung der Werbekampagne benutzt wurden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.