Studie: Ausbeutung auf dem globalen Clickwork-Markt

Clickworker bieten auf Plattformen ihre Arbeitsleistung an, meist zu geringem Lohn und schlechten Arbeitsbedingungen. Forscher untersuchten diesen neuen Markt und fordern ein Zertifizierung für faire Arbeit.

Allein am Computer: Clickworkern fehlt es nicht an Konkurrenz, aber an Solidarität und gewerkschaftlicher Organisation. CC-BY 2.0 Farhan Perdana (Blek)

Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen werden in den kommenden drei Jahren weltweit mehr als eine Milliarde Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten. Für Arbeitssuchende, primär aus Asien und Subsahara-Afrika, bedeutet dies insbesondere, Aufträge aus dem digitalen Niedriglohnsektor anzunehmen: So genanntes Clickworking besteht aus gering entlohnten Aufgaben, beispielsweise aus den Bereichen Grafik-Design, Übersetzung und Suchmaschinenoptimierung, vermittelt durch eine Online-Plattform.

Forscher der Universitäten von Oxford, Großbritannien, und Pretoria, Südafrika, befragten für ihre Studie (pdf) 456 solcher Clickworker per Fragebogen und weitere 125 im direkten Gespräch. Dabei stellen sie verschiedene Beweggründe, Erfolge, aber auch Schicksale dar, welche mit Clickwork verbunden sind. Letztendlich rufen die Wissenschaftler auf, eine Art Fairtrade-Modell für diesen neuen Markt zu schaffen.

Clickwork-Plattformen unterscheiden sich in ihren Geschäftsmodellen. Die prominenteste Plattform-Art bietet dem Kunden sowie dem Arbeiter an, ihre Aufgabe oder Dienstleistung auf dem Markt anzubieten. Andere geben nur einer Partei die Möglichkeit oder geben verfügbare Aufgaben vor. Grundsätzlich ermöglichen die meisten Plattformen, dass die Arbeitsleistung im Nachhinein bewertet und diese Bewertung vom Kunden im Vorhinein eingesehen werden kann.

Insbesondere auf den Philippinen, in Indien und den USA verdienen Clickworker derzeit Geld durch so angebotene Aufträge. Von allen Befragten geben 68 Prozent an, dass das daraus erwirtschaftete Geld ihre Haupteinnahmequelle sei oder zumindest maßgeblich zu einer Verbesserung ihrer Lebensqualität beiträgt. Oft arbeiten sie dafür in der Nacht und am Wochenende, kommen zusammengerechnet mit anderen Jobs auf bis zu 80 Arbeitsstunden in der Woche.

Keine gewerkschaftliche Organisation

Mit dieser Arbeit gehen der Studie zufolge verschiedene Formen von Unsicherheiten und Diskriminierung einher. Durch ein Überangebot an Arbeitskraft konkurrieren Clickworker um verhältnismäßig wenig Aufträge. Sie sind dementsprechend hohem Leistungsdruck ausgesetzt. Ein Arbeitsvertrag mit Festanstellung wird von den Plattformen in der Regel nicht vergeben.

Soziale Isolation, kurze Abgabefristen sowie mangelhafte oder gar nicht erbrachte Steuer- und Versicherungsabgaben tragen zur Ausbeutung bei. Manche Arbeiter berichten von Rassismus und fühlen sich gezwungen, ihre Nationalitätsangabe im Profil je nach potentiellem Kunden ändern zu müssen.

Durch Vereinzelung und mangelnden Austausch mit anderen Clickworkern fehlt den Arbeitern nicht nur der soziale Aspekt ihrer Arbeit. 94 Prozent der Befragten gaben an, dass sie nicht gewerkschaftlich organisiert sind. So fehlt ihnen eine Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Mehr als die Hälfte, 55 Prozent, der Clickworker gaben an, unter hoher Geschwindigkeit arbeiten zu müssen, um erfolgreich zu bleiben oder zu werden.


Clickworkerin Maya aus Malaysia - Oxford Internet Institute (Screenshot aus Studie [pdf] )

Erfolgreiche Clickworker mit guten Bewertungen geben ihre Aufträge auch gerne an andere Clickworker ab, nachdem ein Großteil des Profits eingestrichen wurde. Die Forscher beschreiben den Fall von Maya aus Malaysia: Ein anderer Clickworker verlangte für seine Arbeit 75 Dollar pro Stunde, gab den Auftrag dann aber an Maya ab – für 7,50 Dollar die Stunde. Maya fühlte sich wegen ihrer prekären Lage gezwungen, den Auftrag anzunehmen.

Die Wissenschaftler schlagen Arbeitervertretern deshalb vor, sich für eine Zertifizierung fairer Plattformen einzusetzen:

Im Augenblick haben Kunden und Plattformen, die lokale Arbeitsgesetze ignorieren und schlimmste Löhne und Arbeitsbedingungen anbieten, einen Vorteil auf dem Markt. […] Eine Zertifizierung könnte […] Menschen helfen, Plattformen, Apps oder Webseiten auszuwählen, die ernst gemeint faire Arbeitsbedingungen anbieten. [Eigene Übersetzung]

Moderne Ausbeutung

Nicht nur Kleidung wird in asiatischen Sweatshops hergestellt. Westliche Internet-Firmen outsourcen ihre Moderationssysteme zunehmend nach Asien, zu Fabriken gefüllt mit Clickworken. Die Angestellten erleiden der Studie zufolge häufig psychische Krankheiten, nachdem sie täglich Gewaltdarstellungen anschauen, bewerten und aussortieren mussten. Sarah Roberts berichtet für The Atlantic ausführliche über diese moderne Form der Ausbeutung.

So seien im Diskurs vielfach erwähnte Algorithmen beim Entfernen solcher Inhalte noch nicht erfahren genug, sodass Menschen die Aufgabe übernehmen müssen. „Kommerzielle Content-Moderations“-Dienste bedienen sich eben solcher Clickworker. Laut Roberts sind sich Soziale Netzwerke wie Youtube oder Facebook ihrer Verantwortung gegenüber ihren indirekt Angestellten nicht bewusst genug. Sie ruft zu mehr Transparenz im Umgang mit Content-Moderation und einem klareren, gesellschaftlichen Standpunkt der Netzwerkbetreiber auf.

Im westlichen Raum versuchen bereits verschiedene Gruppen, die Problematik hinter diesem Markt zu beleuchten. In einer „Frankfurter Erklärung zu plattformbasierter Arbeit“ benennen Gewerkschaften, wie wichtig die Möglichkeit der solidarischen Organisation und ein fairer Lohn für Clickworker ist. Moritz Riesewieck reiste auf die Philippinen und besuchte Clickwork-Sweatshops. Mit der Forschungsarbeit von Sarah Roberts als wissenschaftliche Grundlage erarbeitete er das Theaterstück „Die Müllabfuhr im Internet“.

4 Ergänzungen

  1. Die leisten echt gute Arbeit, dank denen traue ich keiner Bewertung mehr im Netz mit dem Endergebnis das ich seit Anfang des Jahres vollständig auf Konsum im Internet verzichte. Herzlichen Glückwunsch! ;-)

  2. Und das ist erst der Anfang. Wieviel Prozent Arbeitskraft wird in den nãchsten 10-20 Jahren durch Automatisierung noch gleich eingespart? Da gibts doch gute Texte u.a. von Frank Rieger zu.

    Wenn Martin Schulz seine bisherigen Plattitueden von sozialer Gerechtigkeit mit Inhalt fuellen will; hier besteht extremer Handlungsbedarf. Die Linke ust bisher die einzige Partei, die da ansatzweise Lösungen denkt, bzw. das Problem ueberhaupt erst mal artikuliert.

  3. Bei HN liegt gerade obenauf der New Yorker mit „The Gig Economy Celebrates Working Yourself to Death“.

    Scheint ein Trend zu sein, das erkannt wird, das Ausbeutung oft am Ende Selbstausbeutung ist.

  4. Bei Hacker News ist heute morgen der New Yorker oben mit „The Gig Economy Celebrates Working Yourself to Death“.

    Scheint einer neuer Trend zu sein, das erkannt wird, das Ausbeutung zur Selbstausbeutung führt.

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