„Projekt Sicherheitsbahnhof“: Intelligente Videoüberwachung am Berliner Südkreuz startet im Herbst

„Intelligente“ Videoüberwachung soll ab Herbst im Berliner Bahnhof Südkreuz getestet werden, Gesichts- und Verhaltenserkennung inklusive. Das folgt einem Trend zu immer weitreichenderer Überwachung des öffentlichen Raumes, sowohl gesetzlich als auch praktisch. Datenschützer haben massive Bedenken.

Eine unbewachte Lampe am Bahnhof Südkreuz könnte schon bald automatisch Sicherheitskräfte alarmieren. CC-BY-NC 2.0 Ondra

Gesichter, Verhalten und unbegleitete Objekte erkennen: Das soll in einem Pilotprojekt zu „intelligenter Videoanalyse“ am Bahnhof Südkreuz in Berlin erprobt werden. Das Bundesinnenministerium (BMI) gab bekannt, dass Tests schon im Herbst beginnen sollen. Das BMI arbeitet beim sogenannten „Projekt Sicherheitsbahnhof“ mit Deutscher Bahn, BKA und Bundespolizei zusammen.

Die Sicherheitsbehörden versprechen sich davon die Erkennung auffälliger Szenarien – beispielsweise unbegleitete Gepäckstücke oder auffällige Personen. Damit werden Kameras zu Verhaltensscannern. Hinzu kommt automatische Gesichtserkennung, die Bahnhofsbesucher identifizieren soll. Während der Testphase soll das zunächst an freiwilligen Personen erprobt werden, die ihre Passbilder oder Fotos zur Verfügung stellen. Auf welche Datenbanken die Systeme bei einem späteren Regelbetrieb zurückgreifen sollen, ist derzeit nicht entschieden.

Wer die Technik für das Projekt liefern soll, ist noch nicht entschieden. Bei einem ähnlichen Projekt des BKA zur Gesichtserkennung kommt Software der Firma Cognitech aus Dresden zum Einsatz, ein vorheriges Projekt des BMI zur „videobasierten Personenwiedererkennung“ an Flughäfen wurde von der Firma L-1 Identity Solutions aus Bochum geleitet. Die Hersteller für die Implementierung am Bahnhof Südkreuz sollen laut BMI „zeitnah ausgewählt werden“. Während des Tests sollen aus Datenschutzgründen „Hinweise auf den Test, leichte Ausweichmöglichkeiten für Bahnreisende und umfassende Löschpflichten“ gelten.

Sicherheitsbefinden statt Sicherheit

Innenminister Thomas de Maizière erklärt in der Pressemitteilung des BMI, Videoüberwachung steigere „das Sicherheitsbefinden“ der Menschen und trage dazu bei, Straftaten besser aufklären zu können. Darin offenbart sich bereits eines der Probleme von Videoüberwachung: Straftaten wirksam verhindern kann sie nicht, mehr menschliches Personal würde hier bessere Dienste leisten.

Datenschützer kritisieren die Pläne des BMI. Die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk warnte Anfang März vor den Risiken. Gerade die Gesichtserkennung sei „mit erheblichen Risiken verbunden und nur in engen Ausnahmefällen zulässig“.

Neben den datenschutzrechtlichen Bedenken steht Skepsis bezüglich der rechtlichen Grundlagen einer mit maschineller Intelligenz ausgestatteten Videoüberwachung. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zweifeln an, ob die bisherigen Rechtsgrundlagen zu Videoüberwachung durch die Bundespolizei das erlaubt.

Das bekräftigen Berichte der Berliner Morgenpost, denen zufolge die Verhaltenserkennung am Südkreuz auch zur Graffiti-Bekämpfung eingesetzt werden soll. Dass Graffiti-Sprüher eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, die einen so tiefen Eingriff in die Privatsphäre aller rechtfertigt, ist abwegig.

In einem Interview mit netzpolitik.org erläuterte der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, dass die EU-Datenschutzgrundverordnung biometrische Daten zu den „besonders sensiblen Daten zählt, deren Verarbeitung nur unter sehr restriktiven Bedingungen zulässig ist“. Die Verordnung tritt ab Mai 2018 in Kraft. Das BMI nehme derzeit eine Interessenabwägung zu Lasten von Grundrechten vor.

Ausweitung von Videoüberwachung wird zum Trend

Das Projekt am Bahnhof Südkreuz folgt einem aktuellen Trend zum erheblichen Ausbau von Videoüberwachung, sowohl auf gesetzlicher als auch praktischer Ebene:

Im März hat der Bundestag das sogenannte Videoüberwachungsverbesserungsgesetz beschlossen. Es erleichtert unter anderem die Einrichtung von Videoüberwachung in privaten Einrichtungen und wertet die Interessen von Personen ab, sich unbeobachtet in der Öffentlichkeit bewegen zu können. Die Konferenz der Datenschutzbehörden von Bund und Ländern forderte, das Gesetz zurückzuziehen.

Gegenüber netzpolitik.org prangerte die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an, das Gesetz werde keine Gefahren verringern:

Dieses Gesetz wird insbesondere keinen zur Tat entschlossenen Terroristen abhalten. Ganz im Gegenteil: Terroristen suchen vielmehr die Aufmerksamkeit, um ihre Botschaften möglichst weit zu verbreiten.

Anonymes Bewegen in der Öffentlichkeit wird immer schwerer

Videoüberwachung findet bei der S-Bahn Berlin in den letzten Jahren zunehmende Verbreitung. Während die bisherigen S-Bahnen, die zu der Deutschen Bahn gehören, noch nicht mit Videokameras ausgestattet wurden, enthalten die Ausschreibungen für neue Züge entsprechende Vorgaben. Auf knapp der Hälfte aller S-Bahnhöfe in Berlin werden seit Juli 2016 die Bilder von bereits existierenden Kameras, die bisher lediglich zur Zugabfertigung genutzt wurden, gespeichert. Bei Bedarf soll damit die Bundespolizei „unterstützt“ werden. Weitere Bahnhöfe sollen erstmalig mit Kameras ausgestattet werden.

Die Berliner Verkehrsbetriebe, zu denen auch die U-Bahnen gehören, haben bereits alle Bahnhöfe und Bahnen mit Kameras ausgestattet. Durchschnittlich sind es 30 Kameras pro Bahnhof. Sie werden dennoch weiter ausgebaut – mit schwenk- und zoombaren Kameras mit höherer Auflösung.

Der Bahnhof Südkreuz, der sowohl von S-Bahnen, Regional- als auch Fernverkehr angefahren wird, stellt im Rahmen dieser Entwicklung einen weiteren, bedenklichen Höhepunkt dar. Wenn das Pilotprojekt im Sinne von BMI und Sicherheitsbehörden erfolgreich verläuft, wird es auf weitere Bahnhöfe und Bereiche des öffentlichen Lebens ausgedehnt werden. Dann könnte in Zukunft schon das hektische Hin- und Herlaufen im Bahnhof dazu führen, von einem Computersystem als potentiell gefährlich markiert zu werden. Durch den Abgleich mit Bilddatenbanken würde es unmöglich, sich anonym in der Öffentlichkeit zu bewegen. Dadurch werden das eigene Verhalten und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Für alle, auch wenn sie nichts Böses im Schilde führen.

33 Ergänzungen

  1. Wir können uns also nicht mehr frei und unbeobachtet bewegen, weil ein paar machtgierige autoritäre Politiker alles überwachen lassen. George Orwell hat es prophezeit, und es ist wahr geworden, wenn auch 30 Jahre später als sein Roman es beschreibt.

    Aber vielleicht haben wir ja Glück, und das Bundesverfassungsgericht schützt unsere Grundrechte (wieder einmal).

    Trotzdem braucht es den Widerstand der Zivilgesellschaft.
    Ich schlage vor, eine Aktion dagegen zu organisieren:
    Wenn die Behörden mit dem Testlauf starten sollten sich möglichst viele Menschen mit Guy Fawkes Maske und einheitlicher schwarzer Kleidung dort befinden und sich möglichst verdächtig aufführen! Und das möglchst lange.

    1. Ich glaube kaum, dass man BahnhofsbesucherInnen über einen „Testlauf“ zu informieren gedenkt.

      Vielleicht gibt es ein kleines Schild irgendwo in einer Ecke hinterm Blumenkübel, um rechtlich aus dem Schneider zu sein.

      1. Aktionsvorschlag:
        An den ersten Tagen an allen Zugängen Masken & Infomaterial verteilen.
        Der „Test“ muss richtig übel in der Öffentlichkeit ankommen.

        1. Wir müssten abmachen, dass alle Teilnehmer_innen sich möglichst gleich kleiden und natürlich die Guy Fawkes Maske. Wichtig: es darf nicht als offizielle Demo angemeldet werden, da sonst das Tragen von Masken strafbar wäre. Dafür könnte uns die Polizei tatsächlich ans Bein pissen, selbst wenn wir Viele werden.
          Also, keine Staftaten begehen sondern nur legale Aktionen! Das bloße Maskieren in der Öffentlichkeit ist nicht verboten!

          1. Noch nicht.
            Wenn der „Test erfolgreich“ verläuft und der Dreck landesweit ausgerollt wird, werden sie ganz schnell gesetzlich nachlegen.
            Bis dahin sollte maskiertes Unterwegssein etabliert sein. Oder eine andere Regierung.

          2. Und wenn sich das ausbreitet, Infektionsschutzmasken.

            Die wird keiner verbieten können. aber man kann relativ einfach dagegenhalten und hat einen hieb- und stichfesten Grund, sich zu weigern, die Maske abzusetzen.

            Oder soll es etwa heißen „Diese Grippewelle dient ihrer Eigenen Sicherheit“?

          3. Ich meinte: „die wird keiner verbieten können und wenn irgendwelche Beamte etwas dagegen haben, dann …“

    2. Lustig ist auch die Vorstellung, daß dort künftig viel häufiger Koffer und anderer Müll „vergessen“ werden.

    3. Ich seh das noch düsterer. Wir können uns nicht mehr frei bewegen, weil eine Mehrheit brav mitspielt und nichts Böses daran erkennen kann, selbst wenn man es ihnen erklärt. Ich wette, es gibt auch schon eine Mehrheit, die das „Cyberheer“ für eine sinnvolle Idee hält … „für ihre eigene Sicherheit“ lassen sie *alles* mit sich machen, denn sie sind normal und der ganze Wahnsinn trifft zuerst die, die nicht normal sind …

  2. Rettung durch das Bundesverfassungsgericht? Mit solchen Richtern wie Müller, Baer, Kirchhof, Voßkuhle? Da habe ich zumindest schon meine Hoffnung aufgegeben…

  3. 30 Kameras?
    Meine Tanke eine Straße weiter hat allein 12!

    Die Hälfte davon ist allerdings auf die Angestellten gerichtet so scheint es. Ein wirklich sicherer Arbeitsplatz. Hier werden Mitarbeiter noch wertgeschätzt. Bravo!

    P.S. Wenn die KI mit etwas (noch) nicht klarkommt, dann sind das: bunte Brillengestelle und Sarkasmus.

  4. Immer dieser Neusprech und die ganzen Anti-Terror-Euphemismen!
    Wie wäre es stattdessen mit „Terrorbahnhof“? Oder „Panoptikum“?
    Hängen die ehrlichen CCTV-Hinweisschilder eigentlich noch,
    die Digitalcourage kürzlich dort aufgehängt hat?

    1. Ich finde „Projekt Spann-DAU“ als ehrlichen Namen gar nicht übel!

      as in:

      Der „DB Sicherheitsbahnhof“, kurz „Doof“, im Volksmund „Spann-DAU“, leitete im Jahr 2017 die Wende ein. Auch eingefleischte Überwachungsmasochisten merkten auf einmal, auf welchen Abgrund sich die Gesellschaft zubewegte. Bald würde es kein Entrinnen mehr geben und jedes Umdrehen oder Innehalten würde nicht nur für immer gespeichert sondern auch maschinell ausgewertet, an tausend misstrauische Homeland-Security-Offiziere und Arvato weitergeleitet werden. Artikel 1 GG würde im Museum landen, genau wie alle darauffolgenden Artikel bereits in den Jahren zuvor. Es kam zu spontanen Anonymous-Flashmobs und allerhand Aktionen, die die hochgepriesene „intelligente“ Technik schnell in die Schranken wiesen. Die Verantwortlichen kamen vor ein Gericht und der gesamte Stab des BfDI machte sich Zeitlebens schwere Vorwürfe, im Rausch der Daten und Supergrundrechte alle Prinzipien über Bord geworfen zu haben.

    2. Nein, die Schilder müssen erneuert werden. Sie könnten ja Teile der Bevölkerung verunsichern!

  5. Hier gab es mal einen Bericht das man sich via bunten Brillen vor dem Tracking schützen kann. Da müssten doch bunte Partybrillen zum Trackingschutz funktionieren oder?

    1. Und mit Gesichtern von Innenministern bedruckte Luftballons …
      die umherzukicken, verspricht gar eine gewisse Genugtuung.

      Das ist sogar gefahrlos möglich, weil der Eingangsbereich nicht auf der gleichen Ebene wie die Gleise (S-Bahn oder Fernzug) ist.

      1. Die Idee ist, dass der Bahnhof wegen des geringen Fahrgastaufkommens ausgewählt wurde. Das heißt, das Tracking kommt mit zuvielen Blobs nicht zurecht. Luftballons sind ganz hervorragende (und obendrein unschädliche) Blobs. Happy kicking!

        Ich hab täglich mehr Ideen für Requisiten. Datenschutzbewussten Reisenden sei auch herzlich empfohlen, Regenschirme bereits in der Bahnhofhalle aufzuspannen … Sicherheitsschirme gegen Überwachungswahnsinn.

  6. Ganz toll. Erst die Menschen mit Sätzen wie „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“ beunruhigen und dann mit Videoüberwachung das „Sicherheitsbefinden“ wieder „steigern“.

  7. „Auf welche Datenbanken die Systeme bei einem späteren Regelbetrieb zurückgreifen sollen, ist derzeit nicht entschieden.“

    Also wenn ich jetzt raten müsste…

    biometrische Passbildsammlungen der Meldebehörden

    Also damit konnte doch wirklich niemand rechnen!!!

  8. Boah, ich könnte *kotzen*. Allein wegen des Namens. Mehr Infantilisierung geht nicht.
    Wo geht’s hier zum nächsten Bundesausreisezentrum?
    Ach herrje, das ist ein Euphemismus für Deportationslager.
    Ich will hier raus, aber nicht in den Knast!

    Ein passenderer Ort für diesen menschenverachtenden Dreck wäre natürlich Spandau, nicht Südkreuz.

    Warum?

    Spann-DAU:
    – Videoüberwachung ist Spannertechnik
    – Wer an „intelligente Technik“ glaubt, ist und bleibt ein DAU …

    Oh, und die Voßhoff-Behörde, willfähriges Rädchen im präfaschistischen Getriebe des Voyeurstaats, sieht nichts dabei:

    https://www.golem.de/news/andrea-vosshoff-keine-einwaende-gegen-gesichtserkennungstest-in-berlin-1704-127326.html

    Wow. Ich glaub ich bin im falschen Film – wortwörtlich.

  9. Vielleicht sollte jemand rechtzeitig und nachhaltig die potenziellen „freiwilligen Personen“ vor Ort informieren. Wenn sie keine Idioten finden, die bei dem Quatsch mitmachen wollen, hat sich der „Test“ erledigt.
    Dann müssten sie noch mehr von unserem Steuergeld verbrennen, um sich genügend Trottel zu mieten.

      1. Sorry aber „die“, lassen mich keinen Kommentar schreiben.

        Traurig aber wahr, sie führen uns änder Nase herum…der ganze Süd-Bahnhof wurde doch schon komplett aufgerüstet einschließlich assenbereich, von wegen Sicherheitszone… musste ich vor ein paar Tagen an der . bornholer umsteigen, was sehe ich dort?! Das gleiche Schauspiel wie am südi…Kameras mit Gesichtserkennung!
        Das gaben übrigens die Farbe weiß.
        Jetzt frage ich mich, ist das ganze denn überhaupt legal?

  10. Traurig aber wahr, sie führen uns änder Nase herum…der ganze Bahnhof wurde doch schon komplett aufgerüstet einschließlich assenbereich…musste ich vor ein paar Tagen am Bahnhof bornholer Str umsteigen, was sehe ich dort?! Das gleiche Schauspiel wir am südkreuz…Kameras mit Gesichtserkennung!
    Das sind übrigens die, in der Farbe weiß.
    Jetzt frage ich mich, ist das ganze denn überhaupt legal?

  11. Traurig aber wahr, sie führen uns änder Nase herum…der ganze Süd-Bahnhof wurde doch schon komplett aufgerüstet einschließlich assenbereich, von wegen Sicherheitszone. musste ich vor ein paar Tagen an der bornholer Str umsteigen, was sehe ich dort?! Das gleiche Schauspiel wie am südi…Kameras mit Gesichtserkennung!
    Das gaben übrigens die Farbe weiß.
    Jetzt frage ich mich, ist das ganze denn überhaupt legal?

  12. Traurig aber wahr, sie führen uns änder Nase herum…der ganze Süd-Bahnhof wurde doch schon komplett aufgerüstet einschließlich assenbereich, von wegen Sicherheitszone. musste ich vor ein paar Tagen an der . bornholer Str umsteigen, was sehe ich dort?! Das gleiche Schauspiel wie am südi…Kameras mit Gesichtserkennung!
    Das gaben übrigens die Farbe weiß.
    Jetzt frage ich mich, ist das ganze denn überhaupt legal?

  13. Traurig aber wahr, sie führen uns änder Nase herum…der ganze Süd-Bahnhof wurde doch schon komplett aufgerüstet einschließlich assenbereich, von wegen Sicherheitszone… musste ich vor ein paar Tagen an der . bornholer umsteigen, was sehe ich dort?! Das gleiche Schauspiel wie am südi…Kameras mit Gesichtserkennung!
    Das gaben übrigens die Farbe weiß.
    Jetzt frage ich mich, ist das ganze denn überhaupt legal?

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