Berliner Datenschützerin gegen „intelligente“ Videoüberwachung

Als eine „Technik ohne Zukunft“ sieht die oberste Berliner Datenschützerin Maja Smoltczyk den Einsatz von Videokameras mit Gesichtserkennung. Schnelles Handeln ist angesagt, denn schon bald will die Deutsche Bahn „intelligente Videoüberwachung“ in Berlin einsetzen.

Videoüberwachung auf Schritt und Tritt.
CC0 1.0, via Unsplash/David Schap

Nach der Ankündigung der Deutschen Bahn (DB), auf dem Berliner Bahnhof Südkreuz „intelligente Videoüberwachung“ auszurollen, legt sich nun die oberste Berliner Datenschützerin Maja Smoltczyk gegen diesen Feldversuch quer. In einer Stellungnahme warnt sie, allerdings ohne Nennung des Südkreuzes, vor dem Einsatz von Videokameras mit Gesichtserkennung. Dies könne die Freiheit, sich in der Öffentlichkeit anonym zu bewegen, gänzlich zerstören:

Anders als bei konventioneller Videoüberwachung können Passanten nicht nur beobachtet, sondern während der Überwachung identifiziert werden, z. B. indem die gewonnenen Daten mit digitalen Fotografien abgeglichen werden, die mittlerweile von fast jedem im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken, zu finden sind. Außerdem kann eine Speicherung von identifizierenden Daten über den eigentlichen Überwachungszeitraum hinaus erfolgen. Dies erleichtert die Möglichkeiten der Erstellung von Bewegungsprofilen über die Erfassungsbereiche von mehreren Videokameras hinweg und die Verknüpfung mit anderen über die Person verfügbaren Daten.

Öffentliche Diskussion notwendig

„Wir wollen eine öffentliche Diskussion anstoßen, um uns als Gesellschaft damit auseinanderzusetzen, was für Risiken entstehen“, erklärte eine Sprecherin der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit gegenüber netzpolitik.org.

Dass in der aktuellen Stellungnahme jeglicher Hinweis auf das Pilotprojekt am Südkreuz fehle, liege daran, dass noch zu wenige Informationen vorliegen würden – und diese hole man gerade ein. So habe man bei der DB nachgefragt, wer den Feldversuch eigentlich betreiben soll, so die Sprecherin. Denn davon werde abhängen, wer die „verantwortliche Stelle im Sinne des deutschen Datenschutzgesetzes“ ist und konkret dagegen vorgehen kann.

„Falls das Projekt von der DB betrieben wird, dann läge die Kompetenz bei uns“, sagte die Sprecherin. Sollte hingegen die Bundespolizei federführend sein, dann läge der Ball bei Andrea Voßhoff, der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Laut Tagesspiegel führt die DB noch Gespräche mit dem Bundesinnenministerium, bevor das Projekt an den Start gehen kann.

EU-Datenschutz schiebt Riegel vor

Dabei muss noch die grundsätzliche Frage geklärt werden, ob der Südkreuzer Vorstoß überhaupt mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung kompatibel ist. Zwar enthält diese keine eigene Regelung zu Videoüberwachung, zählt biometrische Daten aber zu besonders sensiblen Daten. Und deren Verarbeitung ist „nur unter sehr restriktiven Bedingungen zulässig“, erklärte uns der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar im Dezember. So heißt es denn auch in der Stellungnahme von Smoltczyk:

Der europäische Gesetzgeber hat die enormen Risiken dieser Technik für die Privatsphäre erkannt und die Erhebung biometrischer Daten zur Identifizierung in der ab Mai 2018 geltenden Datenschutzgrundverordnung grundsätzlich verboten. Ausnahmen sind nur in engen Grenzen zulässig, z. B. wenn der Betroffene ausdrücklich eingewilligt hat oder wenn die Identifizierung aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist. Auf letzteres können sich in erster Linie Sicherheitsbehörden z. B. bei der Verfolgung schwerer Straftaten stützen.

Ob herrenlose Koffer oder Taschendiebe zu „schweren Straftaten“ zählen, die einen derart schweren Grundrechtseingriff rechtfertigen, bleibt jedenfalls fraglich. Wohin dieser Zug fährt, sollte niemand einschreiten, machte kürzlich Sascha Lobo in seiner Kolumne auf Spiegel Online deutlich. Darin stellt er die forsche Vorhersage auf, dass in wenigen Jahren unser Gesicht unser Personalausweis sein könnte – mit all den Folgen für unser Verhalten im Alltag, die eine überbordende Kontrollgesellschaft mit sich bringt.

Aktivisten von Digitalcourage und FifF tauschen aus Protest Überwachungsschilder an einem Berliner U-Bahnhof aus. Foto: Digitalcourage.

9 Ergänzungen

  1. Ich wiederhole und verbessere den Kommentar, den ich schon in einer tiefen Unter-Antwortebene in einem der anderen Artikel zu alledem gemacht habe.

    Wenn die Arroganz der „Lösungsanbieter“, die fleißig Geschäfte mit der Totalüberwachung machen, auf die derzeitige politische Stimmung trifft, sollte einem Angst und Bange werden. Aus dieser Angst sollte eine unbändige Wut erwachsen. Diese Wut sollte umschlagen in eine intelligente Strategie gegen die totalerfasste Zukunft.

    Pläne zur generellen Totalerfassung mit Mustererkennung sind ein Verbrechen gegen die Menschheit. Eine Hochglanzdiktatur, die Querulanten automatisch aussortiert. Im Namen vermeintlicher „Sicherheit“ durchgewunken und herbeigesehnt.

    Die Normalos da draußen, die mehr Angst haben vor Klabautermännern als vor ihren finsteren Möchtegern-„Beschützern“/Beherrschern, werden sehen, was sie davon haben.

    Früher war nicht alles besser. Aber es gab die Hoffnung, dass Technikdystopien sich nicht realisieren würden. Schon gar nicht unter dem Applaus einer sinnlos duckmäuserischen Mehrheit, die wie hirnamputiert den Polizeistaat herbeiwählt und sich sagt:

    Lieber ein willen- und sinnloses fremdbestimmtes Dahinvegetieren unter Totalerfassung und Verhaltenskontrolle als ein Bisschen gefährliche Freiheit.

    Was sie nicht kapieren ist, dass sie dann statt einem Problem zwei haben. Kriminalität lässt sich durch Repression nicht ausrotten. Und Terrorismus? Im Vergleich zu diesen Aussichten geradezu attraktiv.

    Eine bessere Welt scheint gegen die geballte Dummheit, die sich gerade überall aufbaut und als „Lösung“ präsentiert, nicht durchzukriegen. Alles wird fortgerissen von einem Mahlstrom des Wahnsinns. Geistige Tiefflieger werden schmutzige Bomben und der Versuch, mit Verstand und Argumenten dagegenzuhalten ist in der direkten Konfrontation von wenig Erfolg gekrönt. Gewalt bringt nichts, das kann die andere Seite ohnehin besser.

    Damit es nicht zu Missverständnissen kommt: sprengt euch nicht in die Luft. Das ist auch keine Lösung. Aber seid nicht passiv. Jetzt ist der Moment, nicht länger passiv zu sein. Steht auf. Rebelliert. Leistet zivilen Ungehorsam. Wann, wenn nicht jetzt? Es ist nämlich bereits zu spät. Das bedeutet nicht: aufgeben. Aufgeben ist scheiße. Aufgeben ist genau, was die von euch wollen. Das bedeutet vielmehr: wenn ihr denkt, ihr hättet etwas zu verlieren, verkennt ihr die Lage.

  2. Hobby-Fotografen werden aufgrund „Persönlichkeitsverletzungen“ zu horrenden Schadensersatzsummen verdonnert, auf öffentlichen Plätzen willkürlich kontrolliert oder verhaftet, wenn sie Aufnahmen an öffentlichen Orten machen und irgendein Sicherheitsfuzzi der persönlichen Ansicht ist, dass das nicht „rechtens“ sei oder seinem persönlichen Empfinden nach nicht „rechtens“ sein soll.
    Andererseits werden wir von staatlichen Videokameras inzwischen überall und allenorts aufgenommen, gespeichert und verarbeitet. Auch in Unternehmensumfeldern (Kaufhäusern etc.) übernehmen immer mehr Kameras die Kontrolle. Angeblich zu unserer Sicherheit. Dabei scheinen die wenigsten Menschen ein Problem damit zu haben. Seltsamerweise. Denn die filmen alle kleinen Intimitäten des Lebens. Ohne Ausnahme.
    Aber wehe der Hobbyfotograf macht… dann geht es aber ab.
    Wir leben in einer massiv gestörten Welt und unsere Politiker inkl. diverser Medien setzen alles daran, dass diese Störungen immer weiter verstärkt werden.
    Je schärfer die Gesetze, desto mehr Delikte. Natürlich. Denn je mehr verboten oder verdächtig erscheint, desto eher wird „Alarm“ ausgelöst. Das System trägt sich damit praktisch selbst und rechtfertigt weitere Verschärfungen. Wer heute bei rot über die Ampel geht, tötet morgen bestimmt kleine Kätzchen!

    Wir werden irgendwann vollends digitalisiert sein, automatische Systeme werden unser Gefährdungspotential analysieren und uns in unzählige undurchsichtige Datenbanken stopfen. Egal ob für Werbezwecke, massive Konsumentensteuerung, zur Berechnung von Versicherungsbeiträgen oder zur Überwachung, Kontrolle und Gängelung. Akzeptiert wird nur, was nach herrschender Ansicht akzeptiert wird, abweichendes Verhalten wird nicht geduldet. Dabei entsteht eine Welt, in der kein Mensch mehr ernsthaft leben möchte.

    Ich nutze ÖPNV nur noch, wenn ich es wirklich muss. Ich will nicht „zum einer Sicherheit“ überwacht oder beim Nase popeln beobachtet werden.

    Manches mal wünsche ich mir einen gewaltigen EMP, der alle elektronischen Geräte zerstört und alle Daten löscht. Dann könnten wir endlich wieder daran arbeiten, wie normale Menschen zu leben. Ohne uns permanent gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen.

    Verantwortungsvoller Umgang mit Digitalisisierung ist auf diesem Planeten kaum noch vorhanden. Und die Zahl der Handy-ImmerOn-Zombies steigt.

  3. Wer mit einem Smartphone durch die Gegend rennt, dem kann das Wurst sein. Der wird sowieso getrackt und ist als Besitzer bekannt. Das sind so 60 – 70% der Bevölkerung. Die, die den ÖPNV benutzen, sind vielleicht 30%, davon schätzungsweise 90% Smartphonebenutzer. Das WLAN der Smartphones einerseits und die bargeldlose Bezahlung an den Fahrkartenautomaten andererseits schaffen eindeutige Bewegungsprofile. Insofern bringt Videoüberwachung als „normale“ Überwachung keinen Mehrnutzen. Wohl aber kann es möglich sein, so schneller auf Verbrechen zu reagieren oder Kriminelle zu schnappen. Der Rechtsrahmen wird schon irgendwie so zurecht jongliert, dass niemand gegen Gesetze verstößt.

    Wenn Frau Müller im Osten dann aus der U-Bahn ans Tageslicht kommt, kann der „intelligente Lautsprecher“ ihr dann sagen: Sehen Sie geradeaus Frau Müller, das Brandenburger Tor, dahinter die Siegessäule. Sehen Sie nach links Frau Müller, das Holodenkmal. Und Frau Müller, was würden Sie davon halten, dort rechts noch ein Denkmal aus 3 Schrottbussen für Mama Merkels Gäste hinzustellen? Dafür? Gut, Ihre Stimme wurde gezählt. Meier neben ihr sagt nein, da sagt der Lautsprecher: Was, ich habe Sie nicht verstanden. Dann werden die Stimmen im Senat vorgerechnet und Berlin hat noch eine „Sehenswürdigkeit“ mehr.

  4. Besonders beunruhigend finde ich zusätzlich, dass die Überwachungs- und Speichersysteme von den gleichen Akteuren administriert werden werden, die auch den Bundestagshack 2015 schon nicht in den Griff bekommen haben.
    Wie wollen die denn im Falle eines Gerichtsverfahrens beweisen, dass die Integrität der Daten gewährleistet ist?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.