Netzpolitischer Wochenrückblick KW 41: Der Einstieg in den Ausstieg der Netzneutralität

Die Deutsche Telekom darf leider die Netzneutralität verletzen, Baden-Württemberg plant umfassendes Anti-Terror-Paket, NRW will den BKA-Staatstrojaner. Und gut gemeint, aber schlecht umgesetzt, ist das Wifi4EU-Paket der EU-Kommission. Die Themen der Woche im Überblick.

CC-BY 4.0 Camille Gévaudan

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Die Deutsche Telekom hält vom Prinzip der Netzneutralität leider nicht allzu viel. Das neue StreamOn-Produkt verstößt unserer Meinung nach klar gegen die Netzneutralität, da in bestimmten Tarifen die Nutzung einiger Partnerdienste nicht auf das monatliche Datenvolumen der Nutzer angerechnet wird. Auch wenn es einige Kritikpunkte von Seiten der Bundesnetzagentur gab, hat sie ihre Regulierungsmöglichkeiten nicht genutzt und hält StreamOn größtenteils mit der EU-Verordnung zur Netzneutralität vereinbar. In Zusammenhang mit dem neuen Telekom-Produkt gerät jetzt auch die Sängerin Lena Meyer-Landrut in Kritik: Als Influencer hatte sie in einem Instagram-Post für das neue Produkt geworben und dafür viel Kritik geerntet.

Mit dem Programm Wifi4EU möchte die Europäische Kommission bis 2020 8.000 Orte mit freiem WLAN ausstatten. Eigentlich eine gute Idee, aber leider nicht gut umgesetzt. Denn um Sicherheit und Kontrolle zu gewährleisten, müssen sich Nutzer mit ihrer Handynummer registrieren, was Rückschlüsse auf einzelne Nutzer ermöglicht. Offenes WLAN sieht anders aus. Des weiteren werden bei dem Vorhaben lokale Initiativen wie Freifunk nicht berücksichtigt.

Überwachungspakete an der „Grenze des verfassungsmäßig Machbaren“

Während in Berlin demnächst die Verhandlungen über eine mögliche Jamaika-Koalition beginnen, berät man in Baden-Württemberg über eines der schärfsten Polizeigesetze in Deutschland. Mit einer Ausweitung der Video- und Telekommunikationsüberwachung, der Einführung des Staatstrojaners sowie der elektronischen Fußfessel und einem Kontaktverbot für „Gefährder“ enthält der Entwurf für das neue Anti-Terror-Paket (PDF) die volle Bandbreite staatlicher Überwachungsmaßnahmen. Während der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann davon spricht, dass man an die „Grenze des verfassungsmäßig Machbaren“ geht, sieht der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink diese schon überschritten.

Doch nicht nur Baden-Württemberg setzt auf restriktive Maßnahmen. Wie aus einer kleinen Anfrage des Grünen-Abgeordneten Matthi Bolte-Richter hervorgeht, plant auch Nordrhein-Westfalen die Einführung des Staatstrojaners.

Im Zusammenhang mit den entzogenen Akkreditierungen beim G20-Gipfel in Hamburg hat das Landeskriminalamt Berlin nun die Einträge von zwei Fotografen gelöscht. Datenschützer sehen hierin eine Vernichtung von Beweismitteln für die laufenden Verfahren.

Ein Gastbeitrag beschäftigt sich mit möglichen ethischen Problemen von autonomen Waffensystemen, wie etwa Drohnen. Die Frage ist, inwieweit die Verwendung derartiger Systeme mit dem Völkerrecht vereinbar ist und wer am Ende dafür verantwortlich ist.

In den USA ist die Debatte um Verschlüsselung entbrannt. In einer Rede forderte der stellvertretende Justizminister Rod Rosenstein, dass IT-Unternehmen Ermittlungsbehörden Zugang zu verschlüsselten Inhalten geben müssen. Der Minister verwies auf verschiedene vergangene Fälle, wo sich Unternehmen geweigert hätten, Daten zur Verfügung zu stellen und sagte: „Es gab nie ein Recht auf absolute Privatsphäre“. Stattdessen plädiert er für eine „verantwortungsvolle Verschlüsselung. Die Kritik von Bürgerrechtsorganisationen ließ nicht lange auf sich warten.

Kritische Forschung unerwünscht

Nicht nur Regierungen überwachen uns, sondern auch Unternehmen. Mit jedem Klick erzeugen wir Daten, die von kommerziellen Unternehmen gesammelt, aggregiert, weiterverkauft und oft genug gegen uns eingesetzt werden. Der Wiener Datenforscher Wolfie Christl von Cracked Labs beleuchtet nun in einem neuen Arbeitspapier (PDF) das Ausmaß und die Auswirkungen dieser kommerziellen Datenauswertung.

Die Videoplattform pornhub will alle hochgeladenen Videos mit künstlicher Intelligenz durchscannen und verschlagworten. Was Videos nach Aspekten wie Namen, Haarfarben, Sexpraktiken und Fetischen kategorisierbar machen soll, stößt auf Kritik. So könnten etwa Amateurmodels und Opfer von heimlich gedrehten Videos identifiziert und damit unter Druck gesetzt werden.

Ein schwedisches Forscherteam möchte ein Buch über den Musikstreamingdienst Spotify schreiben und hat dazu dessen Algorithmen mit Bot-Accounts untersucht. Dem Unternehmen gefällt das gar nicht. Unter Androhung rechtlicher Schritte und mit Verweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat Spotify die Forscher aufgefordert, ihre Untersuchungen einzustellen.

„Cool URLs don’t change.“

Nachdem lange Jahre vor allem Videoformate im Internet genutzt wurden, steigt jetzt auch wieder die Nachfrage nach Audioformaten, wie die diesjährige ARD/ZDF-Onlinestudie zeigt. Gerade bei jungen Hörern sind Podcasts sehr beliebt.

Das Innenministerium hat sich eine neue coole Website zugelegt. Leider hat es dabei einen zentralen Grundsatz des Internet-Begründers Tim Berners-Lee nicht beachtet: „Cool URLs don’t change.“ Dadurch, dass das Ministerium seine URL verändert hat, sind sämtliche Links, die auf die Ministeriumsseite führen, kaputt.

Unter dem Motto „Unser tägliches Verbot gib uns heute“ sammelt der Österreicher Werner Reiter Verbotsschilder und zeigt sie auf seiner Seite verbote.gallery. Von „Steine abrollen verboten“ über „Politische Gespräche verboten“ bis zum Kapuzenverbot in einem Lokal ist alles dabei.

Vorträge und Wochenendtipps

Parallel zum Digitalgipfel der europäischen Regierungschefs in Tallinn trafen sich Ende September Netzaktivisten zum CopyCamp in Warschau. Unser Autor Simon Rebiger war dabei. Desweiteren gibt es auch zwei neue Beiträge von unser „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz zur geplanten ePrivacy-Reform und zum Thema Datenjournalismus.

Zum Schluss noch zwei Tipps fürs Wochenende: Der über Kickstarter finanzierte Dokumentarfilm „Nothing to Hide“, der sich mit der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz staatlicher und kommerzieller Überwachung beschäftigt, ist über Vimeo und Bittorent frei abrufbar. Mit dem Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit beschäftigt sich auch ein WDR-Radiofeature der Journalistin Katja Artsiomenka.

Wir wünschen euch ein erholsames Wochenende.

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3 Ergänzungen

  1. An diesem Wochenende gab es eine Premiere: Die Frankfurter Buchmesse hat sich der „Meinungsfreiheit“ verschrieben. Gab es die dort vorher nicht?

    Wer sich nun auf der Buchmesse umschaute, dem stachen rechte Verlage, Identitäre und streng gezogene Scheitel ins Auge. Wenn schon Meinungsfreiheit, dann richtig, dachten sich einige Besucher, die sich in ihrer angestammten Wohlfühlzone nun nicht mehr ganz so wohl fühlten. Man konnte was erleben dort. So waren Szenen zu beobachten, wie Handys von Besuchern von kahl rasieren Nacken aus der Hand geschlagen wurden, oder bei Lesungen wurden Ohrfeigen verteilt, sollte sich jemand kritisch äußern. Ein realer Vorgeschmack auf die neue Meinungsfreiheit, wenn man sie den sogenannten „Rechten“ überlässt. Die Polizei war auch da. Das machte aber keinen Unterschied bis eben auf eine nun ins pittoreske veränderte Kulisse.

    Sicherlich war dies alles so vom Veranstalter der Frankfurter Buchmesse intendiert, es sollen ja kluge Leute sein, die etwas verstehen vom Geschäft. Entwarnung, alles nur Show? Eine Inszenierung, um die Phantasie ermüdeter Autoren zu beflügeln? Encounter-Workshop zur Überwindung rechter Schreibblockaden? Kommt etwa schon das Gefühl(!) auf, denen haben wir’s gegeben, den „Rechten“, noch nie wurden diese Dumpfbacken so instrumentalisiert für das Heer der wohltemperierten und halbintellektuellen Messebesucher? Oder haben die „rechten Ausleger“ die Kulturschlacht nun etwa doch schon für sich entschieden?

    Was tun fragt sich der intellektuelle Autor am Zeitgeist, anno 2018 zu Frankfurt ?

    Es ist schon eine Demütigung und Kränkung der besonderen Art, die sich die Veranstalter der Frankfurter Buchmesse ausgedacht haben, sich mit jenem Gesindel die Messehalle teilen zu müssen, gegen das man mit letzter Kraft anzuschreiben versucht. Vielleicht braucht es neben einem Alternativen Nobelpreis von nun an eine Alternative Frankfurter Buchmesse, garantiert frei von sich schlagenden Argumenten.

    Wie verrottet ist denn nun unsere Gesellschaft schon, die ihre eigenen Ideale nicht mehr verteidigt, und jenen auch noch eine Plattform zur Verfügung stellt, für einen noch besseren Kampf gegen eben diese unsere noch als frei geltende Gesellschaft. Halten wir geduldig auch die andere Wange hin, um möglichst viel von der „neuen Meinungsfreiheit“ abzubekommen? Ist es eine nur konsequente Fortsetzung eines anything goes, das in Kunst und Kultur bisher immer noch gut war für Provokation und Umsatz? Wenn Krimis mit Mord und Folter an einem Ort zur Literatur erhoben werden, ist es dann nicht nur recht und billig, auch Neo-Faschisten Literaturpreise in Aussicht zu stellen?

    Niemand ist dazu gezwungen, sich auf einer Messe zu präsentieren, die von extremen Rechten erobert wurde. Niemand ist gezwungen, als Besucher sein Geld auf eine Messe zu tragen, deren Veranstalter sich mit der braunen Szene ein Zubrot verdient und Meinungsvielfalt mit kommerzieller Verantwortungslosigkeit verwechselt.

    Wer nun immer noch das Gefühl hat, dass man Extremisten mit offenem Gehör begegnen sollte, der braucht zur Abrundung der Meinungsvielfalt für das nächste Jahr Despoten und Islamisten. Selbstverständlich ohne Personenkontrolle am Eingang, dem Event sei’s geschuldet.

  2. Nettes easter-egg!

    Ausgerechnet im Abschnitt „Cool URLs don’t change“ selbst nen kaputten Link gesetzt (verbote.gallery).

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.