Im Wege einer Informationsfreiheitsanfrage an das Bundesverfassungsgericht wurde um Informationen zum Twitteraccount @BVerfG ersucht. Der Antrag verlangte die Herausgabe aller Dokumente, die sich auf diesen Account beziehen. Die gewünschten Unterlagen wurden in einer Antwort des Karlsruher Gerichts (pdf) herausgegeben. Daraus ergeben sich einige Einblicke darin, welche Erwägungen im Gericht der Entscheidung zugrundelagen, sich einen Twitter-Account zuzulegen, andere Plattformen jedoch nicht zu nutzen. Auch wie das Gericht Facebook oder andere Kommunikationsplattformen einschätzt, legen die Dokumente offen. Und gegen welche Fake-Accounts das Gericht erfolgreich vorging, kann ebenfalls nachvollzogen werden.
Die schriftlichen Erwägungen, die aufgrund der IFG-Anfrage herausgegeben wurden, sind für ein Plenum des Bundesverfassungsgericht im Mai 2015 erstellt worden. Das Plenum des im September 1951 gegründeten Gerichts setzt sich aus allen Richtern unter Vorsitz des jeweiligen Präsidenten zusammen. Mit Blick auf die heutige Praxis beim Betreiben des Twitter-Accounts dürften die Richter den Einschätzungen und Vorschlägen in den Unterlagen weitgehend zugestimmt haben.
Aus den Unterlagen geht hervor, wie es zur Twitter-Nutzung kam und welche Gründe gewogen wurden. Das Gericht antwortete auf die Frage von netzpolitik.org nach dem Aufwand zum Betreiben des Twitter-Accounts, dass er von der „Internetredaktion des Bundesverfassungsgerichts“ betreut werde. Der erforderliche Aufwand sei „überschaubar“, natürlich abhängig von der Anzahl der dort veröffentlichten Pressemitteilungen.
Wegen seiner zunehmenden Datenauswertung wird Twitter zwar vermehrt kritisiert, aber für die Zwecke des Gerichts erschien die Nutzung offenbar sinnvoll. Seit dem Wahlkampf von Donald Trump zur US-Präsidentschaft hat sich die Wahrnehmung Twitters auch hierzulande politisiert, denn anders als sein Vorgänger nutzt der 45. US-Präsident den Kurznachrichtendienst umfänglich und oft für politische Botschaften.
Twitter-Nutzung anderer Höchstgerichte
Die Karlsruher Richter haben laut den Unterlagen auch staatliche Stellen und andere Höchstgerichte weltweit im Blick. Welche Gerichte welche Accounts betreiben, wurde als Orientierung für die eigene Nutzung beispielhaft in den Unterlagen verglichen. Auf die Frage von netzpolitik.org, ob man die Social-Media-Aktivitäten anderer Höchstgerichte regelmäßig beobachte und vergleiche, antwortete die Pressestelle:
Das Bundesverfassungsgericht steht im stetigen Austausch mit anderen Höchstgerichten und bezieht deren Social-Media-Aktivitäten in die eigenen Erwägungen und Entscheidungen über die Nutzung von Social Media mit ein.
Andere Höchstgerichte weltweit sind vor allem beim Bebildern ihrer Social-Media-Nutzung bei Twitter aktiver als die Karlsruher. Jedoch ist es keine Überraschung, dass die internationalen Gerichte ihre Seriosität durch ernsthafte Tweets und wichtige Nachrichten sowie Pressemitteilungen unterstreichen und diese Art der Nutzung den unterhaltenden oder bespaßenden Inhalten vorziehen.
Welche Plattformen wurden erwogen?
Was andere kommerzielle Plattformen als Twitter betrifft, werden sie kurz beschrieben und erwogen, ob und wie eine Verwendung sinnvoll wäre. Das betrifft nicht nur Kommunikationswege, sondern auch beispielsweise Flickr, wo Millionen Nutzer Bilder hochladen. Das erscheint dem Gericht für seine Zwecke nicht geeignet:
Für das Bundesverfassungsgericht kommt [Flickr] mangels geeigneter aktueller Inhalte ohnehin nicht in Betracht.
Bei Facebook zeigt die Kurzanalyse, dass im Vergleich zu Twitter „auf noch wesentlich stärkere Weise“ der Dialog mit den Nutzern im Vordergrund stehe. Man würde also einen Kanal eröffnen, der „zu Kommentierungen und zur Diskussion einlädt“ und entsprechend aufwendig in der Pflege wäre. Auf Nachfrage von netzpolitik.org, ob sich an in den IFG-Unterlagen dargelegten Erwägungen im Laufe der Zeit etwas gewandelt habe und nun auch die Nutzung von Facebook angestrebt werde, antwortete das Gericht, dass „die Errichtung eines Facebook-Profils derzeit nicht beabsichtigt“ werde.
Ausgangspunkt der Beschäftigung mit Social-Media-Aktivitäten war laut den Unterlagen im Jahr 2015 der Twitter-Account @BVerfG, der im Dezember 2014 erstellt worden war und wirkte, als sei er durch das Verfassungsgericht betrieben. Darauf war die Pressestelle des Gerichts „wiederholt angesprochen worden“. Der Account hatte damals um die 50.000 Follower, die allerdings mit der Übernahme verlorengingen. Zum Vergleich: Bis heute hat der seit dem Juni 2015 vom Karlsruher Gericht betriebene und seit Juli 2015 verifizierte Account @BVerfG nur 14.738 Follower (Stand Ende August 2017).
Verantwortlich für die Inhalte ist die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts, die aktuelle Pressemitteilungen auf Twitter zeitgleich mit der gerichtseigenen Seite http://www.bundesverfassungsgericht.de veröffentlicht. Gegenüber netzpolitik.org gibt die Pressestelle des Gerichts an, konkret die „Überschrift der Pressemitteilung“ mit einem Link zur Internetseite des Gerichts zu verbreiten.
Im Juni 2015 hatte das Gericht den Account @BVerfG als missbräuchlich gemeldet. Twitter reagiert mit den üblichen Schritten, wenn ein Identitätsbetrug gemeldet wird. Auch die Accounts @BVerfG_DE und @BVerfG_official wurden auf gleiche Weise über die Twitter-Beschwerdestelle suspendiert. Auf Nachfrage nach möglicherweise weiteren Accounts, die gelöscht wurden, weil sich Nutzer als das Bundesverfassungsgericht ausgaben, erklärte die Pressestelle, dass nur „die Löschung von drei Twitteraccounts beantragt“ wurde, die daraufhin auch tatsächlich gelöscht worden sind.
Bei den Erwägungen zur Twitter-Nutzung wurden auch Nutzen und Risiken mit dem Aufwand verglichen, der mit der Einrichtung von Social-Media-Accounts einhergeht. Denn neben der Möglichkeit, sich per E-Mail oder mit einem Kontaktformular auf der Website an das Bundesverfassungsgericht zu wenden, entsteht schließlich ein neuer Kontaktweg. Das ohnehin mit zahlreichen Anfragen überhäufte Gericht war daher zögerlich. Es wird in der Vorlage für das Plenum die Idee aufgeworfen, die Modalitäten der Twitter-Nutzung des Gerichts offenzulegen. Tatsächlich existiert heute eine solche Hinweisseite für Fragen des Twitter-Kanals. Dass dieser Kommunikationsweg einseitig ist, wird darin deutlich ausgesprochen:
Wir bitten um Verständnis dafür, dass Anfragen über Twitter nicht beantwortet werden.
Gegenüber netzpolitik.org bekräftigt die Pressestelle des Gerichts, dass ein Dialog mit anderen Twitternutzern nicht stattfinde, insbesondere gäbe es keine „Kommentierung von oder Reaktion auf Tweets“.
Schnelle und korrekte Nachrichtenverbreitung
Ein ganz anderes Risiko hat mit der Geschwindigkeit und dem weiteren Wachstum der Social-Media-Plattformen zu tun: Gerade Twitter ist ein Weg zur schnellen Nachrichtenverbreitung. Verzichtet man auf die Nutzung, können eben auch keine direkten Wortmeldungen des Gerichts auf der Plattform referenziert werden.
Denn bringt das Karlsruher Gericht beispielsweise neue Termine für mündliche Anhörungen oder den Tenor eines gerade ergangenen Urteils sofort über den eigenen Twitter-Kanal unter die Leute, ist das eine vertrauenswürdige Quelle, die direkt zur Website mit dem Urteil oder zur Pressemeldung führt. So können Fehlmeldungen anderer schneller als solche identifiziert werden.
Dafür finden sich durchaus Beispiele aus der Vergangenheit: So war Spiegel-Online im Januar 2017 mit einer Nachricht über Twitter schneller als das Bundesverfassungsgericht vorgeprescht. Es ging um das Verbot der NPD. Allerdings verbreitete Spiegel-Online eine Falschmeldung, tatsächlich hatte das Gericht kein Verbot der NPD verfügt. Wenn also das Gericht über seinen Twitter-Account verlässliche Informationen in Echtzeit herausgibt, kann ein solcher Fehler schneller erkannt werden.
Jetzt auch Youtube
Wir haben beim Bundesverfassungsgericht nachgefragt, welche Erfahrungen bisher mit der Nutzung von Twitter gemacht wurden und ob künftig Änderungen vorgesehen sind. Die Pressestelle verweist gegenüber netzpolitik.org auf die „nach wie vor steigende Zahl der Follower“, die zeige, „dass das zusätzliche Informationsangebot des Bundesverfassungsgerichts in dieser Form angenommen wird“. Daher seien Änderungen „derzeit nicht geplant“.
Allerdings ist ein weiterer Kanal hinzugekommen: Youtube. Sei etwa einem Monat können hier einige Informationsfilme über das Gericht angesehen werden, die jedoch auch auf der gerichtseigenen Website verfügbar sind. Eine Erweiterung dieses Kanals sei „nicht geplant“, auch weitere Social-Media-Kanäle zu nutzen sei „derzeit nicht beabsichtigt“.
Twitter ist das perfekte Verkündungs-Medium für Herrschende.
Würde Twitter für diesen „Service“ nicht dringend gebraucht, so wäre Twitter schon längst eingestampft.
Sorry, aber das ist totaler Quatsch. Twitter lebt von Katzenbildern und ähnlichem. Vom Katzenbild zur seriösen Meldung nimmt die Aufmerksamkeit umgekehrt exponentiell (oder wie auch immer man das korrekt nennt) ab. Das gilt aber vermutlich nicht nur für Twitter, sondern für das Internet, ach nein, für den Menschen. Twitter ist nur irgendein, im Vergleich zu anderen sozialen Medien immer unwichtiger werdender Dienst.
Interessant – das Gericht benutzt Twitter um Diskussionen mit den Bürgern zu vermeiden. Leider hält sich noch immer der Irrglaube, daß man auf einer Plattform mit vielen Nutzern auch viele Bürger erreichen kann. Alternativ könnte man auch in einen Wald hineinrufen – da stehen auch viele Bäume. Seriöse Firmen und Behörden sollten nur einen eigenen offenen Messaging Dienst verwenden und Nachrichten sowie den Dialog mit den „Kunden“ auch pflegen. Wer diesen Aufwand nicht leisten will sollte den „Twitter“ halten.