Der Bundesgerichtshof legt den Fall der „Afghanistan-Papiere“ dem Europäischen Gerichtshof vor. Das Gericht verkündete die Beschlussvorlage am 1. Juni und veröffentlichte sie vergangenen Freitag. Sie zeigt, dass der Rechtsstreit um die Militärberichte erst im kommenden Jahr geklärt werden wird. Der Gerichtshof in Luxemburg soll entscheiden, ob mit dem Urheberrecht die Pressefreiheit auszuhebeln ist. Geht es nach der Bundesregierung, könnte sie missliebige Berichterstattung künftig in einigen Fällen mithilfe des Urheberrechts unterbinden.
Die damalige Recherche-Redaktion der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) hatte 2012 etwa 5.000 Seiten aus militärischen Lageberichten über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ins Internet gestellt. Diese „Unterrichtungen des Parlaments“ zeigen, dass die Lage der Bundeswehr in Afghanistan von 2005 bis 2012 prekärer war als von der Bundesregierung zuvor berichtet.
Mit Twitterbot und Kunst gegen das „Zensurheberrecht“
Aktivisten und Künstler wehren sich jedoch bereits jetzt gegen ein mögliches „Zensurheberrecht“. So sendet der Twitterbot „Zensurheber“ offensichtlich montags bis freitags von 7 bis 16 Uhr stündlich eine neue Seite der „Afghanistan-Papiere“ über die sozialen Medien. Über die Zeit entsteht so auf Twitter ein neues Archiv der Dokumente. Bisher hat der Bot mehr als 260 der Seiten getweetet.
Die Seite afghanistan-papers.army hingegen wählt einen künstlerischen Ansatz im Umgang mit dem Urheberrecht. Sie bedient sich collagenartig des Materials der Afghanistan-Berichte und setzt diese in Kontext zu den Gerichtsurteilen, die der Zweckentfremdung des Urheberrechts bereits stattgegeben haben. Die Forderung nach Transparenz auf der einen und die Informationsblockaden auf der anderen Seite werden durch eine verwirrende Seitennavigation symbolisiert. Wer hartnäckig bleibt, kann die Afghanistan-Papiere in veränderter Form auf der Seite finden – durch den künstlerischen Ansatz womöglich sogar urheberrechtskonform.
Sowohl der Twitterbot als auch afghanistan-papers.army geben nicht preis, wer Urheber der Projekte ist.
Missbrauch des veralteten Urheberrechts
Ursprünglich hatte das Verteidigungsministerium 2012 noch argumentiert, die Afghanistan-Papiere seien als Verschlusssache geheimhaltungsbedürftig. Einige Monate nach ihrer Veröffentlichung zog es stattdessen mit dem eigentlich für den Schutz geistigen Eigentums gedachten Urheberrecht vor Gericht.
Die sprachlich recht eintönigen Berichte sind nach deutschem Recht urheberrechtlich geschützt, obwohl sie von Beamten im regulären Dienst verfasst wurden. Denn nur für bestimmte amtliche Texte wie Gesetze und Gerichtsurteile sowie „im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme“ veröffentlichte amtliche Werke entfällt nach dem in die Jahre gekommenen Urheberrechtsgesetz (UrhG) der Urheberrechtsschutz. Werden künftig also Dokumente gegen den Willen von Behörden veröffentlicht, können diese womöglich unter Berufung auf das Bundesgerichtshof-Urteil ebenfalls vor Gericht ziehen.
Androhung von Zwangsvollstreckung
Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln und der Androhung einer Zwangsvollstreckung hatte die Funke-Mediengruppe, zu der die WAZ gehört, bereits 2015 die Afghanistan-Papiere aus dem Netz genommen. Jetzt tauchen sie allerdings – zumindest teilweise in anderer Form – wieder auf.
„nur für bestimmte amtliche Texte wie Gesetze und Gerichtsurteile sowie „im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme“ veröffentlichte amtliche Werke entfällt nach dem in die Jahre gekommenen Urheberrechtsgesetz (UrhG) der Urheberrechtsschutz.“
… Hmm, wie verträgt sich das mit dem Informationsfreiheitsgesetz? Da steht nichts von einem amtlichen Interesse. Entweder die Papiere sind geheim (personenbezogen etc. pp.) oder sie sind herauszugeben. Wenn jeder sie einsehen darf und sie mit Steuermitteln erstellt wurden, warum sind sie dann nicht gemeinfrei? Da Wackelt der Schwanz mit dem Hund.