Zwei Monate vor Inkrafttreten des neuen Rahmenvertrages zwischen VG Wort und der Kultusministerkonferenz sind sich Universitäten deutschlandweit unsicher, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Eine Reihe von Landesrektorenkonferenzen hat wie berichtet angekündigt, den Vertrag nicht unterschreiben zu wollen. Darunter Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Thüringen.
Darum gehts: Der „Rahmenvertrag zur Vergütung von Ansprüchen nach Paragraf 52a Urhebergesetz“ regelt die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Texten auf Online-Lernplattformen neu. Er sieht vor, dass Dozierende ab 1. Januar 2017 jeden digitalisierten Text der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) einzeln melden müssen. Was der Unirahmenvertrag für Studierende und Dozierenden bedeutet, haben wir hier zusammengefasst.
Proteste von Studierenden in Berlin: „Ladet euch alles runter!“
Der Unmut hat mittlerweile auch die Straße erreicht. Am Freitagnachmittag protestieren etwa fünfzig Studierende vor dem Berliner Büro der VG Wort unter dem Motto „Wissen ist für alle da“ gegen den Rahmenvertrag. Redner*innen von Grüner Jugend, Bündnis 90/Die Grünen, der Linkspartei und den Jusos warnten vor einem deutlich verkomplizierten Unialltag, wenn Dozierende jedes hochgeladene Digitalisat selber melden müssen. Das führe zu einer weiteren Verschlechterung der Lehre. Mandy Gratz vom „Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften“, der rund eine Million Studierende in Deutschland vertritt, forderte diese auf: „Ladet euch alles herunter, was ihr kriegen könnt!“
Der Zusammenschluss der Studierendenvertretungen in Berlin, die Landesastenkonferenz, warnt vor einem Verlust von Qualität und Freiheit in der Lehre. Werde der Rahmenvertrag doch noch von den Universitäten unterschrieben, solle der Berliner Senat finanziell einspringen:
Sollten keine praktikablen Alternativen zur im Raum stehenden Einigung von KMK [Kultusministerkonferenz], Bund und VG Wort gefunden werden können, fordern wir den zukünftigen Senat von Berlin dazu auf, dass sämtliche anfallenden Kosten sowie der zusätzliche Personalaufwand durch die Einzelerfassung ab sofort durch den Senat beglichen und in den kommenden Hochschulverträgen abgebildet werden. Die Gelder dafür sind vollumfänglich bereitzustellen. Es darf unter keinen Umständen der Fall eintreten, dass die Berliner Hochschulen und insbesondere die Studierenden zusätzlich zur Kasse gebeten werden!
„Studieren wie in den 90ern“
Doch nicht nur in Berlin begehren Studierende gegen den Rahmenvertrag auf. Langsam regt sich landesweit studentischer Protest gegen die Änderungen. Unter dem Titel „Studieren wie in den 90ern? Wir sehen uns am Kopierer!“ fordert etwa die Landesastenkonferenz Niedersachsen alle noch unentschlossenen Hochschulen dazu auf, dem Rahmenvertrag nicht beizutreten.
Die Regelungen mögen zwar im Einklang mit der Rechtsprechung sein, sind aber vollkommen realitätsfern. Die Bedingungen an den Hochschulen werden durch diese Änderung um viele Jahre bis in die 90er zurückgeworfen! Die Vorteile, die wir durch die online verfügbaren Materialien hatten, werden uns genommen. In den Bibliotheken ist es ohnehin schon schwer, geeignete Literatur zu finden, nun teilen sich die Teilnehmer*innen einer Veranstaltung ein Buch, wo soll das hinführen?
Studierendenvertretungen aus Braunschweig, Landau und Frankfurt (am Main) haben sich ebenfalls gegen die Rahmenverträge ausgesprochen. Ebenso die Vertretung deutschsprachiger Geographiestudierender (GeoDACH), die den Deutschen Bundestag in einer Stellungnahme (pdf) auffordert, sich dem Thema anzunehmen:
Im Interesse einer guten Lehre fordern wir, dass der Deutsche Bundestag sich für eine nachhaltige und umfassende Lehre an den Hochschulen einsetzt sowie Maßnahmen ergreift, um die Qualität, das Erstellen und Publizieren von Lehr- und Lernmaterialen sicherzustellen. Eine ausreichende Vergütung von Autoren ist grundsätzlich wichtig, jedoch rechtfertigt die vorgelegte Regelung zur Vergütung nicht, dass die Forschung und Lehre in diesem Ausmaß darunter leidet.
Hochschulrektoren fordern Wissenschaftsschranke
Die Hochschulrektorenkonferenz, der Zusammenschluss der staatlichen und staatlich anerkannten Universitäten und Hochschulen in Deutschland, kritisiert das aufwändige Verfahren der Einzelmeldung als „starke Beeinträchtigung“ der Lehre. Sie fordert stattdessen eine Modernisierung des Urheberrechts mit einer Wissenschaftsschranke:
Wir brauchen generell ein Urheberrecht, das der modernen Lehre an den Hochschulen vernünftige Bedingungen erlaubt. Die Behinderung durch den § 52a UrhG [Urheberschutzgesetz] ist nur ein Problem unter vielen, das die Unzulänglichkeit der derzeitigen rechtlichen Regelungen insgesamt offenbart. Wir hoffen daher sehr, dass der Bund bald Abhilfe in Form einer allgemeinen und vor allem nicht abdingbaren Bildungs- und Wissenschaftsschranke schafft. Ansonsten sind die Bemühungen der deutschen Hochschulen um eine moderne, digitale Lehre ernsthaft gefährdet.
Universitäten deutschlandweit bereiten ihre Studierenden und Dozierenden darauf vor, dass ab ersten Januar keine Texte mehr auf Online-Lernplattformen hochgeladen werden dürfen. Das zeigen zahlreiche E-Mails und Kommentare, die wir erhalten haben. An den Berliner Universitäten raten Dozierende ihren Kursen, jetzt alle Texte für das Wintersemester herunterzuladen. Ähnliche Nachrichten erreichen uns von den Universitäten in Darmstadt, München und Hannover.
Noch weiter geht die Martin-Luther-Universität in Halle. Sie plant, laut einem Newsletter des Studierendenrats, die Upload-Funktion auf ihrer Online-Lernplattform komplett abzustellen. Dann wäre es auch nicht mehr möglich, Vorlesungsfolien und Skripte hochzuladen – obwohl diese nicht unter die Regelungen des § 52a fallen.
Politiker und Bündnisse unterstützen Studierende
Das „Bündnis Freie Bildung“, das sich als „Forum für Organisationen, Institutionen und Einzelpersonen, die sich für offene Lizenzen in der Bildung einsetzen“ versteht, sieht in den aktuellen Diskussionen eine unfreiwillige Chance für Open-Access-Publikationen und Open Educational Resources.
Eine Alternative, da von dieser Regelung ausgenommen, sind Open-Access-Publikationen. Durch ihre Nutzung reduzieren sich Aufwände im administrativen Bereich – zusätzlich zum gesellschaftlichen Mehrwert, den frei zugängliche Informationen in sich bergen. Die eingesparten Ressourcen wären in der Verbesserung der bestehenden (digitalen) Lehre wesentlich besser aufgehoben als in der unpraktikablen Nachverfolgung der Werksnutzung.
Der Piratenpolitiker René Pickhardt geht noch einen Schritt weiter und fordert durch eine Reform des Urheberrechts jegliche „Vergütung von Werken, die öffentlich finanziert sind“, auszuschließen. Der Sprecher des CDU-nahen Vereins CNetz, Jörg Müller-Lietzkow, sieht indes die Innovationsfähigkeit der deutschen Universitäten gefährdet. Er kommentierte gegenüber uns:
Wer eine zukunftsfähige, innovative und international konkurrenzfähige Lehre anbieten will, darf die digitale Verbreitung lehr- und forschungsrelevanter Literatur nicht durch Mikromonetarisierung mit hohen bürokratischen Verwaltungshürden wie im Rahmenvertrag vorgeschlagen verknüpfen. Dies schreckt ab, führt zu rechtlicher Unsicherheit bei Betroffenen und zwingt zu Vermeidungsverhalten, da sowohl Aufwand als auch Konsequenzen aus Fehlhandlungen durch die Lehrenden befürchtet wird.
[Update 10.11.2016]: Das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ empfiehlt den Hochschulen ebenfalls, den „grotesken“ Vertrag nicht zu unterschreiben und kritisiert den drohenden „immensen“ Aufwand für Dozierenden und Studierende.
Der ganze scheiß heißt eigentlich nur, selbstbildung ist verboten wenn du höhere Bildung als Grundschule haben willst,sollst du dafür zahlen,
Also wie es schon seit jeher ist, Wohlhabende können es sich leisten Arme sollen 1 euro Jobs machen.
Ach ja, die guten alten Zeiten, als man beim Schlangestehen vorm Kopierer noch seine 120 Seiten Hausaufgaben lesen konnte, bevor man vorm Gerät stand und sich entscheiden musste, was man davon kopiert.
Keine Individualabrechnung – was nicht zumutbar ist, muss weg
Wie konnten nur Kultusministerkonferenz (KMK) und VG-Wort so stur unsensibel sein und einen solchen Vertrag abschließen, der total an den Bedürfnissen und der Praxis in Bildung und Wissenschaft vorbeigeht?
Nach dem Rahmenvertrag sind die Lehrenden verpflichtet, jedes einzelne urheberrechtlich geschützte Text-Material, das sie für ihre Vorlesungen und Seminare digital anbieten sowie die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, an die VG Wort zu melden. Zusätzlich zu dieser aufwendigen Melde-und Dokumentationspflicht wird jede Hochschule die Vergütungszahlungen individuell mit der VG-Wort abrechnen. Vorgeschaltet ist noch eine aufwendige Prüfung, ob der Text nicht doch schon von einem Verlag zu angemessenen Bedingungen digital angeboten wird.
Zu dem Ärgernis, dass ohnehin keine vollständigen (urheberrechtsgeschützten) Texte in die elektronischen Semesterapparaten eingestellt werden dürfen, sondern nur kleine Teile von diesen (z.B. 12% des Gesamtumfangs), sollte nun der Aufwand hinzukommen, jedes Material individuell zu erfassen und von der Hochschule gegenüber der VG-Wort abrechnen zu lassen.
Eine entsprechende empirische Studie an der Osnabrück von letztem Jahr hatte drigend vor dieser Zumutung gewarnt und schon vorausgesehen (was sich jetzt abzeichnet), dass Lehrende dann vermutlich ganz auf die elektronischen Semesterapparate verzichten würden. Sie würden dann auf Google oder Wikipedia verweisen oder wieder zu der Praxis der Papierkopien zurückkehren.
Insofern war der jetzige Protest quasi vorprogrammiert. Trotzdem ist er eine Überraschung. Zum ersten Mal hat eine größere Öffentlichkeit ihren Unmut an den Konsequenzen der umfänglichen Unzulängigkeiten des bestehenden Urheberrechts für Bildung und Wissenschaft kundgetan. Die Individualabrechnung ist ja nur ein „Detail“ für die vielen, man kann nicht anders sagen, Absurditäten des obsoleten Urheberrechts.
Das weiss auch die Politik, sowohl im Parlament als auch in der Regierung (primär das Bundesjustizministerium – BMJV), aber auch der Bundesrat. So hatte man sich zu Beginn der jetzigen Regierung in der Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, eine Allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke (ABWS) – also eine umfassende privilegierte Nutzungserlaubnis einzurichten. Der Entwurf dafür ist seit langem im BMJV fertig, wird aber bislang nicht öffentlich gemacht.
Die ABWS sollte nun auch eine Klarstellung auch für die Vergütung enthalten. Es ist weiter schwer einzusehen, weshalb für eine konkret anstehende elektronische Nutzung von Materialien, die die Bibliothek der jeweiligen Einrichtung durch Kauf oder Lizenz schon in ihren Bestand hat, nun noch einmal entsprechend der Vorgaben des hier einschlägigen § 52a des UrhGes gezahlt werden soll – zumal dann nicht, wenn diese Materialien von öffentlich finanzierten Personen erstellt worden sind.
Wie auch immer – Einzelerhebung und –abrechnung sind nicht zumutbar und wird auch nicht angenommen. Wenn denn Vergütung überhaupt erfolgen soll (an wen? den Verlagen steht sie ja nach den letzten Gerichtsurteilen des EuGH und des BGH ohnehin nicht mehr zu), dann kann das nur über eine gut funktionierende Pauschalrechnung erfolgen. Hoffentlich steht zumindest das im Entwurf des BMJV.
Wer mehr darüber wissen will, sollte auf die Website des Aktionsbündnisses „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ gehen (http://www.urheberrechtsbuendnis.de/). Das Aktionsbündnis hatte bereits vor vielen Jahren zuerst und seitdem immer wieder die Einführung der ABWS gefordert und auch jetzt Mitte Oktober vor dem Beitritt zu diesem unseligen Rahmenvertrag gewarnt. Am Donnerstag, 10.11.2016, gibt es in den Räumen der deutschen Wikimedia in Berlin einen Workshop, in dem auch ausführlich auf die Fragen der Vergütung und damit auch auf den Rahmenvertrag eingegangen wird.
Zitat:“Keine Individualabrechnung – was nicht zumutbar ist, muss weg
Wie konnten nur Kultusministerkonferenz (KMK) und VG-Wort so stur unsensibel sein und einen solchen Vertrag abschließen, der total an den Bedürfnissen und der Praxis in Bildung und Wissenschaft vorbeigeht?“
Das nennt sich Bildungspolitik! Je mehr Zeit der Lehrer mit Bürokratie verbringen muss, desto weniger kann bzw. darf er Wissen vermitteln!
Versucht er sein Lehrpensum aufrecht zu halten, so wird er evtl. überlastet, so das er vorzeitig seine Lehrtätigkeit abbrechen muss … der nachfolgende Lehrer wird ein geringeres Lehrpensum vermitteln, um nicht wie sein Vorgänger zu enden!
Bildungspolitik ist doch was schönes, nicht?
Hauptsache, die Studierten können bei der Wahl der „richtigen“ Partei ein Kreuz machen!
“ Redner*innen von Grüner Jugend “
Danach war Schluss mit lesen. Mit Artikeln dieser Art macht ihr euch lächerlich.
Diese Wesen der Grünen mögen seltsam aussehen und sich äußerlich
vielleicht nicht eindeutig einem der zwei Geschlechter zuordnen lassen.
Dennoch gibt es in der deutschen Sprache ein eindeutig definiertes Neutrum.
Nämlich: „der Redner“ im Singular bzw „die Redner“ in der Mehrzahl.
Eine Person speziellen Geschlechts heißt „der Redner“ wenn Männlich und „die Rednerin“ wenn Weiblich
Ein „Redner*innen“ wie vom Autor hier verwendet gibt es nicht!
Haben Sie eine Idee, wie sich eine Gruppe aus Männern und Frauen gemeinsam ansprechen lässt?
Da hilft man doch gern:
* Sehr geehrte Damen und Herren,
* Liebe Rednerinnen und Redner,
* Leserinnen und Leser.
Die Generationen SMS und Wisch-mich-weg sind faul beim Schreiben und verunstalten lieber das Schriftbild. Da hilft ein wenig mehr Fingerübung. Soviel Respekt vor Sprache und Leser kann man schon fordern und ein paar Zeichen mehr tippen.
Ich habe schon bei „Lehrende“ und „Studierende“ aufgehört zu lesen. Wer meint, seine Information mit dieser schwachsinnigen, unwissenschaftlichen Genderideologie vermischen zu müssen, muß halt damit leben, daß er Leute jenseits seines Dunstkreises (neudeutsch „filter bubble“/“echo chamber“) nicht erreicht.
I say, good riddance! Personen ohne Feingefühl, die sich lieber über den Versuch, eine möglichst diskriminierungsfreie Sprache einzuhalten, aufregen und sogar die Stirn haben, so etwas als „unwissenschaftlich“ zu bezeichnen, anstatt sich auf den Inhalt des Artikels zu konzentrieren, kann eine moderne, wissenschaftliche Gesellschaft sowieso nicht gebrauchen.
„Die Mitgliedshochschulen der Konferenz Hessischer Universitätspräsidien (KHU) erklären einstimmig, dem Rahmenvertrag zur Vergütung von Ansprüchen nach §52a UrhG nicht beizutreten. Die KHU schließt sich der Auffassung der HRK an, wonach das Interesse der Rechteinhaber(innen) an einer angemessenen Vergütung anzuerkennen ist, eine Einzelfallerhebung der Nutzungen gemäß § 52a UrhG allerdings weder sachdienlich noch in Anbetracht der entstandenen Kosten verhältnismäßig ist.“
– http://www.uni-giessen.de/org/khu
Hier nochmal ein Bericht aus der Lehre des Mittelbaus: https://mediaevistinnen.wordpress.com/2016/11/05/rahmenvertrag-realitaetsbezug/
Weder als Autorin noch als Lehrende kann ich das gutheißen.