Neues Bundesdatenschutzgesetz: Weniger Kontrolle, weniger Auskunftsansprüche, mehr Videoüberwachung

Mit der Datenschutz-Grundverordnung sollte der Datenschutz EU-weit auf das deutsche Niveau angehoben werden. Doch das Innenministerium nimmt die Anpassung des Bundesdatenschutzgesetzes zum Anlass, den deutschen Datenschutz in vielen Bereichen abzuschwächen. Das geht aus einem neuen Leak des Gesetzesentwurfs hervor.

Foto: CC-BY-SA 2.0 perspec_photo88

Nach jahrelanger Debatte trat im Mai die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft, mit der laut Wikipedia „die Regeln für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten […] EU-weit vereinheitlicht werden“. Als Verordnung gilt sie unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten, dennoch enthält sie „verschiedene Öffnungsklauseln, die es den einzelnen Mitgliedstaaten ermöglichen, bestimmte Aspekte des Datenschutzes auch im nationalen Alleingang zu regeln“. Diese Anpassung des deutschen Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) an die EU-Verordnung wird derzeit vom Innenministerium erarbeitet, im September haben wir einen ersten Entwurf veröffentlicht. Jetzt hat das Innenministerium seinen Referentenentwurf fertig gestellt und an Verbände geschickt.

Auch dieser Entwurf ist ein „Datenschutzverhinderungsgesetz“. Zwar gibt es minimale Verbesserungen gegenüber dem breit kritisierten ersten Entwurf. Dem stehen aber weiterhin Einschränkungen der Kontrollbefugnisse der Datenschutzbeauftragten, fehlende Sanktionsmöglichkeiten und eine Beschränkung der Auskunftsansprüche von Bürgern entgegen. Hinzu kommt, dass die Ausweitung der Videoüberwachung, die noch in das alte Bundesdatenschutzgesetz einfließen soll, auch Teil dieser Gesetzesnovelle werden wird.

Auskunftsansprüche von Betroffenen eingeschränkt

Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD) kritisiert, dass der Entwurf „alte und teilweise auch neue europarechts- und verfassungswidrige inakzeptable Regelungen“ enthalte. Beispiel ist eine Beschränkung der Kontrollbefugnis der Datenschutzaufsichtsbehörden auf technische Aspekte bei Berufsgeheimnisträgern wie z. B. Ärzten, Psychologen und Anwälten. Dringend nötige Regelungen zum Schutz der Berufsgeheimnisse unterblieben dagegen. Die Einschränkungen des Auskunftsanspruchs der Betroffenen mit Argumenten der Sicherheit sowie des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen verletze das verfassungsmäßige Grundrecht auf Datenschutz.

Frank Spaeing, Vorsitzender der DVD, kritisiert:

Der Entwurf ist eher ein Datenschutzverhinderungsgesetz. Das Bundesjustiz- und Verbraucherministerium, das Bundeswirtschafts- sowie das Bundesforschungsministerium müssen unbedingt umgehend intervenieren, da die Zeit für eine rationale Gesetzgebung in dieser Legislaturperiode ausläuft und grundlegende verfassungsrechtliche Notwendigkeiten sowie die Belange von Wirtschaftsunternehmen, Verbrauchern und Forschung ignoriert werden.

Kritisiert werden auch die weiterhin enthaltenen Beschränkungen der Prüf- und Berichtsbefugnis der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) im Geheimdienstbereich und die Beschränkung der Sanktionsmöglichkeiten der BfDI in den Bereichen Polizei und Justiz.

Ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter: Gesetz schwächt den Datenschutz

Auf der diesjährigen „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz kritisierte der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar schon den ersten Referentenentwurf heftig. Insgesamt sei von dem viel zitierten hohen deutschen Datenschutzstandards in dem Entwurf nichts zu spüren. In der aktuellen Form würde das Gesetz den Datenschutz schwächen, wo es nur gehe, so Schaar. Die Öffnungsklauseln der Datenschutzgrundverordnung würden genutzt, um die Befugnisse von datenverarbeitenden Stellen auszuweiten und die Rechte von Betroffenen einzuschränken. „Mit der Verpflichtung zu einem möglichst hohen Datenschutzniveau hat das nichts zu tun.“ Schaars Befürchtung: Wenn gerade Deutschland, dessen datenschutzrechtliches Niveau bislang als vergleichsweise hoch galt, jetzt ein solches Gesetz beschließt, das nicht nur unter das Schutzniveau der DSGVO, sondern auch unter das bisherige deutsche Niveau falle, wird dies Signalwirkungen für andere Länder haben.

Ausweitung der Videoüberwachung

Im Entwurf enthalten ist nun auch die Ausweitung der Videoüberwachung. Innenminister Thomas de Maizière will Stadien, Einkaufszentren, Diskotheken und andere Orte des öffentlichen Lebens stärker mit Kameras überwachen. Mit dem so genannten Videoüberwachungsverbesserungsgesetz soll das Aufstellen und Betreiben von optisch-elektrischen Überwachungsanlagen deutlich erleichtert werden, weil die allgemeine Sicherheitslage in die Abwägung mit einfließen soll, ob eine Kamera aufgestellt wird. Das Gesetz wird noch in die alte Fassung des BDSG einfließen und dann in der Novelle übernommen werden.

Thilo Weichert vom DVD kritisiert:

Bei den materiellen Regelungen versucht das BMI eine vom Bundesgesetzgeber noch gar nicht verabschiedete Vorschrift zur Videoüberwachung nach Wirksamwerden der DSGVO fortzuschreiben, mit welcher Sicherheitsbelangen der Vorrang vor dem Datenschutz eingeräumt wird und für die der nationale Gesetzgeber überhaupt keine Regelungsbefugnis hat.

Im Videoüberwachungsverbesserungsgesetz wird auch mit der Prävention von Straftaten und Terrorismus argumentiert. Für eine präventive Wirkung von Überwachungskameras gibt es jedoch keine empirischen Belege.

Update 25.11.2016:

Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat die Gesetzesnovelle unter die Lupe genommen und fragt: „Wird Deutschland zum Schlusslicht beim europäischen Datenschutz?“. Der Beitrag nimmt nicht nur die einzelnen Paragrafen des Gesetzes auseinander, sondern zeigt auch anhand von Beispielen, welche Nachteile den Bügerinnen und Bürgern entstehen könnten.

12 Ergänzungen

  1. Ich bekomme immer mehr Werbesendungen, die von Dialogpost versendet werden. Jetzt schickt mir sogar meine Bank Werbebriefe, die von Dialogpost erstellt und versendet wurden.

    Wie kann ich verhindern, dass ein immer umfassenderes Profil von mir bei Dialogpost entsteht?

    Kann ich dem Unternehmen Dialogpost untersagen, dass meine Daten dort verarbeitet werden, obwohl sie von anderen Firmen hierzu beauftragt wurden? Ich bin echt verzeweifelt und weis nicht, wo ich anfangen soll, mich zu wehren.

      1. Dialogpost ist ein Unternehmen der Deutschen Post AG. Dazu übermittelt eine Firma ihre eigenen Adressen an Dialogpost oder kauft Adressen dort. Dialogpost übernimmt Serienanschreiben kuvertieren und Versand komplett als Service. Der Absender ist stets der Auftraggeber.

        Die Frage ist, ob man Dialogpost die Verarbeitung der eigenen Adresse untersagen kann, weil dort Screening, Verifikation und Profilbildung möglich ist.

        1. Ah, erst nach meinem Post gelesen.
          Die Post ist ja selbst Adresshändler. Insofern dürfte in ihren AGB’s ggü. den Dialogpost-Auftraggebern schon die eigene Verarbeitung der angelieferten Adressen enthalten sein. Umfang der Adress-Verarbeitung unterliegt m.E. der gesetzlichen Regelung (d.h. alles was möglich ist). Letztenendes wäre die Frage ein Thema für einen Anwalt, der sicherlich als Leser bei netzpolitik.org zu finden sein dürfte. Vielleicht könnte er ja mal rechtlich unverbindlich seine Auffassung kundtun.
          Ansonsten verweise ich auf die Möglichkeiten in meinem nachfolgenden post.

  2. Grundsätzlich gehe ich seit Jahren immer nach dem selben Schema vor:
    a) Unverlangte Werbung geht zurück mit dem Vermerk „Annahme verweigert“ oder „Verstorben“
    b) Aufkleber auf Briefkasten „Keine kostenlosen Zeitungen“ (darin enthalten Werbemüll) bzw. „Keine Werbung“
    (habe 2x Zusteller abgepasst und freundlich darauf hingewiesen); wenn ersichtlich per Post, ab in den nächsten
    Postbriefkasten.
    c) Sonstiger Werbemüll, denn man kaum vermeiden kann – sporadischer Einwurf, z.B. Pizzaservice etc. – kommt in den Papiermüll . Zur Not hilft ein Anruf, dass man sich dies verbietet -.
    In Reserve (noch nicht ausprobiert): Wenn irgendein Unternehmen auf unverlangte Werbesendungen trotz Vermerke zu a) nicht reagiert, einfach die Werbung persönlich adressiert an den Vorstand oder Geschäftsführer senden, mit dem Hinweis, dass er diese künftig bis zum Sankt Nimmerleinstag persönlich in Schnipselform zurückerhält. O.K., würde zwar mein Porto kosten, ich hätte aber jedesmal Spass.

  3. „Mit der Datenschutz-Grundverordnung sollte der Datenschutz EU-weit auf das deutsche Niveau angehoben werden.“ – Das war Wunschgedanke des Autors, oder?
    Auf EU-Ebene wurde jahrelang verhandelt um einen gemeinsamen Kompromiss zu finden. Das die gesamte EU auf den deutschen Datenschutz umsteigt, wäre zwar nett gewesen, ist aber nun nicht wirklich der Fall. Und wie es in der Natur eines solchen Kompromisses liegt, bedeutet das auch zwangsläufig, dass nun diejenigen (also u.a. Deutschland) welche beim Datenschutz eine starke Tendenz in die eine Richtung (Verhinderung) hatten, nun zurückstecken müssen um auch der anderen Richtung (freiere Nutzung) entgegen zu kommen.

  4. Zitat: Im Videoüberwachungsverbesserungsgesetz wird auch mit der Prävention von Straftaten und Terrorismus argumentiert. /Zitat Ende

    Wenn ich also vor einer Überwachungskamera um Hilfe rufe, kommt dies auch sicher sofort und schützt mich davor Opfer z. B. eines Überfalls zu werden. Oder habe ich da doch etwas falsch verstanden?

  5. Laßt euch noch einmal diese Wortschöpfung durch den Kopf gehen! VIDEOÜBERWACHUNGSVERBESSERUNGSGESETZ!

  6. Kameras in den S-Bahnen usw. abkleben. Das ist ziviler Ungehorsam und gegen den Überwachungsstaat. Dies ist ein Auftrag der Gründerväter der BRD und steht im GG.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.