Interview mit Edward Snowden „Wenn wir alle Daten sammeln, verstehen wir gar nichts.“

Edward Snowden CC BY 2.0 via flickr/home_of_chaos

Anlässlich der morgen genau zwei Jahre zurückliegenden Snowden-Enthüllungen sowie dem Auslaufen dreier Beschlüsse des USA Patriot Act, hat Amnesty International ein Q&A mit Edward Snowden organisiert, das man auch live bei youtube mitverfolgen konnte.

Das Interview führen Tanya O’Carroll, Technology & Human Rights Advisor bei Amnesty, und Eric King, Deputy Director von Privacy International.

Die erste Frage an „Ed“, ob angesichts der herben Verluste z. B. seiner Heimat, der Familie usw., es das Whistleblowing wert war, beantwortet er, kurz gesagt, mit ja. Denn erst dadurch wurden die Massenüberwachungsmaßnahmen der „Five Eyes“ bekannt. Als Folge seiner Enthüllungen hat zum Beispiel das Investigatory Powers Tribunal (Wikipedia), welches die einzige Rechtsinstanz darstellt, bei der man sich in Großbritannien über staatliche Überwachungsmaßnahmen beschweren kann, erstmalig in den letzten fünfzehn Jahren einer Beschwerde zugestimmt. Dass in Großbritannien die Machenschaften des GCHQ, der von der NSA Zugang zu von der amerikanischen Überwachungsbehörde abgeschnorchelten Informationen bekommen hat, deutlich als unrechtmäßig deklariert wurden, ist ein echter Meilenstein in der Bekämpfung von Massenüberwachungssystemen. Daran tragen neben Ed auch NGOs, wie z. B. Amnesty International einen großen Beitrag.

Selbst wenn aber wirklich gute Gründe vorlägen, alles und jeden zu massenüberwachen, so müsste darüber die Allgemeinheit entscheiden, die Bürgerinnen und Bürger. Auf keinen Fall sollte dies hinter verschlossenen Türen, über die Köpfe derer hinweg, die betroffen sind, entschieden werden.

Anlässlich der kürzlich ausgelaufenen Section 215 des Patriot Acts (Rechtsgrundlage für das Abschnorcheln von US-Telefonverbindungen) wird die Frage gestellt, wie optimistisch Snowden ist, in Bezug auf die zukünftige Entwicklung der amerikanischen Massenüberwachung.

Prinzipiell ist er positiv gestimmt, denn das Ende dieser Section 215 markiert für Ed einen wichtigen ersten Schritt auf dem Weg hin zum Stop der Massenüberwachung durch die NSA. Obwohl amerikanische Gerichte die Section 215 klar als unrechtmäßig „from the very first day“ deklariert haben und obwohl nachgewiesen wurde, dass die so gedeckten Maßnahmen nie auch nur eine einzige Attacke von Terroristen verhindert haben, ist die Forderung von Überwachungsbefürwörtern nach dem Weiterbestand der Massenüberwachung ungebrochen. Immer noch wollen die Befürworter die Massenüberwachung mit dem Totschlagargument „Terrorismus“ begründen. Die so zur Schau gestellte Unbelehrbarkeit ist zweifelsohne bedenklich. Nichtsdestotrotz bleibt Snowdens Aussicht auf die Zukunft optimistisch, da das erste Mal in der Geschichte der Überwachungsdebatte Fakten den Sieg gegen die Angst davon getragen hätten (Auslauf der Section 215 des Patriot Acts).

Danach geht es um die besondere Stellung des GCHQ und um die Frage, warum die Gesetze, die die Grundlage für die Massenüberwachung des britischen Geheimdienstes schaffen, ausschließlich hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Öffentlich wird das damit begründet, dass das Zulassen einer öffentlichen Debatte über Gesetze zur Überwachung zu erhöhter Gefahr durch Terroristen führen würde. Man würde dann die Sicherheit Großbritanniens aufs Spiel gesetzt.

Tatsächlich aber, so steht es in einem internen Dokument, fürchten die britischen Geheimdienste nicht den Anstieg von Terrorgefahr, sondern eine

damaging public debate on the scale of its activities, because it could lead to legal challenges against its mass-surveillance programmes.

Die Angst vor Gerichtsverfahren ist demnach größer als die Gefahr durch Terroristen. Das ist schon irgendwie vielsagend, bedenklich, gruselig.

Die Berichterstattung in den britischen Medien über die Notwendigkeit von massenhafter Überwachung ist im Empire leider größtenteils von pro-Überwachung-Berichterstattung geprägt. Das liegt beispielsweise, so Ed, daran, dass alle Zeitungen bis auf den Guardian, anstatt selbst investigativ nachzuforschen, simple Anfragen an die Regierenden stellen. Diese bestätigen dann natürlich gerne, dass es überhaupt keine Probleme gäbe und alles schon mit rechten Dingen zugehe.

Besonders problematisch ist das auch, weil die britische Regierung aktuell daran arbeitet, nicht etwa Gesetze dahingehend zu reformieren, dass Bürgerinnen und Bürger in Zukunft nicht mehr massenhaft vom GCHQ ausspioniert werden können, sondern – ganz im Gegenteil – folgendes plant:

[The] government in the United Kingdom is actually trying to reform the laws in a very negative way. Rather than preserving civil liberties and expanding the domain of our rights, they are trying to limit it and they are trying to do it in secret without the notice of the public and without the engagement of the press

Tatsächlich ist es das Ziel der britischen Regierung, alles und jeden überwachen, hacken und ausspionieren zu können. Darüber haben wir hier schon berichtet.

Eric King von Privacy International gab anschließend eine bezeichnende Anekdote zum Besten, dessen Thema das Aufdecken von gesetzeswidrigen Machenschaften britischer Geheimdienste war. So stellte Privacy International fest, dass das Hacking jedweder Person durch den GCHQ durch kein Gesetz gerechtfertigt war. „Hacking“ heißt dort übrigens eleganterweise „equipment interference“, Massenüberwachung wird „bulk interception“ genannt, so eloquent wie dreist. In jedem Fall wurde der NGO schnell klar, dass es für das „equipment interfering“ keine gesetzliche Grundlage gab. Im Gegenteil war es nicht nur nicht erlaubt, sondern sogar eine schwere Straftat.

Einen Tag vor Beginn des Verfahrens, wo genau dieser Missstand verhandelt werden sollte, änderte die britische Regierung kurzerhand die gesetzliche Grundlage. Natürlich nicht in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, sondern in einem quasi Add-on. Das Gesetz, das ab jetzt das Hacking der Geheimdienste legalisierte, ließ sich fortan im „serious crime bill“ finden. Dass dieses Gesetz jetzt die Grundlage für rechtlich konformes Hacking liefern wird, wusste aber außer denjenigen, die das zu verantworten hatten, niemand. Es zeigt sich deutlich: Die Angst vor Gerichtsverfahren, die die Massenüberwachung aufhalten könnten, ist groß.

Danach wird das der Massenüberwachung zugrunde liegende System thematisiert. Ed erklärt, wie Algorithmen menschliche Augen und Ohren ersetzt haben, da es nur so möglich ist, automatisierte Überwachungsverfahren umzusetzen. Weil die Geheimdienste Kommunikationsverbindungen ja nur „intercepten“, also abfangen und weiterleiten, und nicht mithören (menschliche Augen und Ohren), wird behauptet, die massenhafte Überwachung sei gar nicht so schlimm. Also letztlich das klassische Pseudo-Argument: Metadaten sind ja nicht schlimm, Hauptsache kein Mensch liest/hört die Inhalte meiner Kommunikation.

Über die vermeintlich uninformativen Metadaten äußert sich ein Top-Anwalt der NSA folgendermaßen:

Metadata absolutely tells you everything about somebodys life, if you have enough metadata, you don’t really need content.

Auch Michael Haydens Meinung, ehemaliger Direktor der NSA, wird angesprochen. Gerne nehmen wir dieses Zitat in den Artikel auf:

We kill people based on metadata.

Dass Drohnenangriffe nicht wirklich personenbezogen sind, sondern oft einfach ein Mobiltelefon das eigentliche Ziel ist, von dem dies oder jenes ausgesendet wurde, das Grund genug für das Todesurteil per Drohnen-Angriff ist, ist ein weiteres besorgniserregendes Detail im Umgang mit Metadaten.

2015-06-04-134552_1679x1026_scrotIm Zusammenhang mit dem PRISM-Programm, mit Hilfe dessen neben Metadaten auch noch Inhalte von Kommunikation an Geheimdienste geliefert werden, fasst Snowden die Folgen dieser Entwicklung wie folgt zusammen:

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3 Ergänzungen

  1. „Auf keinen Fall sollte dies nicht hinter verschlossenen Türen“
    Ich vermute mal, da ist ein nicht zu viel.
    Oder das keinen sollte ein jeden sein.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.