Europäischer Datenverrat: Mehr Details zur Polizeizusammenarbeit beim „Ersten Europäischen Mauerfall“

Um den 9. November hatte das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) vergangenes Jahr die Performance „Erster Europäischer Mauerfall“ organisiert. In einer nächtlichen Aktion hatten AktivistInnen eine Handvoll „Mauerkreuze“ an der Spree demontiert und Kopien davon an der EU-Außengrenze in der spanischen Exklave Melilla angebracht. Schließlich rief das ZPS als eine „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ dazu auf, in einer gemeinsamen Performance einen Zaun an der EU-Außengrenze zu demontieren.

Ziel war Bulgarien und Griechenland, wo auf europäischem Festland die ersten Grenzzäune errichtet worden waren. Beide Grenzanlagen sind auf Initiative und alleiniger Verantwortung der jeweiligen Regierungen gebaut worden, die EU-Kommission hat keinerlei finanzielle Zuwendungen beigesteuert. Trotzdem wurden die Zäune zur Blaupause für weitere europäische Sperranlagen, etwa in Ungarn oder am Ärmelkanal in Frankreich.

Bundespolizei auf „Balkan-Route“ präsent

Die Performance des ZPS fand in jenen Regionen statt, die derzeit als Fluchtrouten vor allem syrischer Familien Schlagzeilen machen. Viele der Flüchtlinge scheuen den Weg über das Mittelmeer, wo bereits in diesem Jahr Tausende ertranken.

Die Bundespolizei hat auf dieser „Balkan-Route“ in jedem Land sogenannte „grenzpolizeiliche Verbindungsbeamte“ stationiert. Sie gehören zum Personal der jeweiligen deutschen Botschaft und haben die Aufgabe, die Kommunikation zwischen den Polizeien der betreffenden Staaten und dem Bundesinnenministerium zu gewährleisten. Die vermittelnde Stelle ist das Bundespolizeipräsidium.

Derzeit sind die „Verbindungsbeamten“ damit befasst, die südosteuropäischen Staaten bei der Migrationskontrolle zu unterstützen. Ziel ist, Flüchtlinge möglichst davon abzuhalten, über Österreich nach Deutschland einzureisen. Hierzu hat die Bundespolizei Personal für gemeinsame Patrouillen nach Ungarn beordert. BeamtInnen der Bundespolizei sind aber auch in Serbien und im Kosovo aktiv. Dort beteiligen sie sich an einer Operation gegen FluchthelferInnen, die den Namen „Jagdrevier“ trägt.

Bearbeitung durch LKA-Abteilung für „politisch-motivierte Kriminalität – links“

Zum „Ersten Europäischen Mauerfall“ im November 2014 war unter anderem die Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes eingebunden. Zahlreiche Mitteilungen, die von deutschen Behörden im Zusammenhang mit der Aktion kursierten, liefen über diese Abteilung 11. Das ZPS wurde auf diese Weise als Gruppe aus linken Zusammenhängen behandelt, obschon das Landeskriminalamt (LKA) Berlin dies in einer Mitteilung verneint hat:

Es dürfte sich nicht um eine der linken Szene zurechenbare Gruppierung, sondern um eine Vereinigung für politische Aktionskunst zu handeln, die zurückliegend bereits ähnliche (Kunst-)Aktionen durchgeführt hat.

Auch beim LKA Berlin war die Abteilung für „politisch-motivierte Kriminalität – links“ zuständig.

Eine parlamentarische Anfrage ergab, dass die Bundespolizei alle ihre VerbindungsbeamtInnen in Bulgarien, Rumänien, Serbien, Ungarn, Griechenland und im Kosovo über die Aktion des ZPS informierte. Diese erhielten weitere Informationen „durch die dortigen Grenz-/Polizeibehörden“. Das BKA hat seinerseits „wegen des begründeten Verdachts auf mögliche Straftaten“ eigene VerbindungsbeamtInnen informiert, weitere Meldungen erfolgten auf direktem Wege über bulgarische bzw. griechische Sicherheitsbehörden.

Bundesinnenministerium beantwortet IFG-Anfrage zu Dokumenten der Bundespolizei

Eine IFG-Anfrage über fragdenstaat.de hatte weitere Details zu dieser grenzpolizeilichen Zusammenarbeit zutage gefördert, allerdings mit Fokus auf dem BKA. Die Antwort hatten wir hier bereits ausführlich kommentiert. Inzwischen hat das Bundesinnenministerium – nach einigen Querelen mit dem Fragesteller – eine weitere IFG-Anfrage zu Dokumenten der Bundespolizei beantwortet. Demnach waren dort zahlreiche Abteilungen in die Korrespondenz und die Maßnahmen eingebunden, darunter der Führungs- und Lagedienst, die Analyseeinheit, die Abteilung für grenzpolizeiliche Aufgaben, die Referate für die EU-Zusammenarbeit und die bilaterale Zusammenarbeit sowie die „Steuerung der Auslandsverwendung“.

Das Bundesinnenministerium war auf diese Weise über sämtliche Aktionen der Gruppe bestens informiert. Selbst die Reisewege und Übernachtungsorte wurden an das Bundespolizeipräsidium in Potsdam übermittelt. Die Bundespolizei hatte laut den E-Mails eigene „vor Ort eingesetzte deutsche Kollegen“ entsandt. Ihnen wurde von der bulgarischen Polizei mitgeteilt, dass die AktivistInnen des ZPS im gleichen Hotel wie die Bundespolizei untergebracht waren. Auch die im Rahmen der Versammlungsanmeldung getroffenen Absprachen mit der bulgarischen Polizei wurden nach Deutschland gemeldet. In E-Mails zu dem Vorgang werden diese als „eine Art ‚Übereinkommen/ Abkommen‘“ bezeichnet.

Die Federführung scheint zumindest zeitweise von der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin übernommen worden zu sein. Dort sind die Auslandshundertschaften der Bundespolizei untergebracht, in gemeinsamen Polizeitrainings mit Einheiten aus anderen Ländern werden auch Taktiken zur Bekämpfung von Demonstrationen geübt. Laut den Headern einiger Mails ging die elektronische Korrespondenz zum „Ersten Europäischen Mauerfall“ aber auch an die Staatsschutzabteilungen anderer Landeskriminalämter.

„Durchgehend intensiver Informationsaustausch“

Die Bundespolizei erhielt vom LKA Berlin am Tag der Abfahrt Kennzeichen und Beschreibungen der Busse sowie das vom Busfahrer mitgeteilte Reiseziel. Sämtliche Daten wurden an die Polizeien der „Balkan-Route“ gemeldet, sodass diese die Fahrzeuge bequem herauswinken konnte. 94 Personen wurden daraufhin in Serbien festgestellt. Die dortige Polizei sprach daraufhin ein Aufenthaltsverbot aus und wies an, dass die Busse lediglich für den Transit einreisen dürfen. Die Zusammenarbeit mit der serbischen Grenzpolizei sei laut den E-Mails „problemlos und sehr professionell“ verlaufen.

Alle Informationen wurden von den deutschen Verbindungsbeamten stets nach Potsdam zurückgemeldet. Ein Auszug:

Ab dem Bekanntwerden der Aktion bis zur Ausreise der Aktivisten nach Griechenland bestand durchgehend intensiver Informationsaustausch mit der bulgarischen Grenzpolizei (Standleitung zum stellv. Leiter der bulgarischen Grenzpolizei, Direktor [geschwärzt], dem deutschen Botschafter in Sofia, dem Bundespolizeipräsidium sowie zeitweise zu den bulgarischen Einsatzkräften vor Ort (bulgarisch-türkische Grenze) und dem grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten Serbien.

Bulgarien setzte demnach 380 Polizeikräfte ein, darunter nicht nur Grenzpolizei, sondern auch Gendarmerie, Spezialkräfte und Diensthunde. Die Versammlung an der Grenze wird in dem deutschen Papier als „Veranstaltung“ bezeichnet, die Anführungszeichen finden sich im Original.

Beobachtung Sozialer Medien

Der Beamte in Bulgarien gab sich besonders große Mühe und lieferte zusätzlich zum Ereignisprotokoll eine Bildmappe mit. Dabei wurden auch die mutmaßlichen Organisatoren der Aktion markiert. Die Bilder waren sämtlich Sozialen Medien entnommen worden. Auch nahm der Mann eine Bewertung der medialen Berichterstattung in Bulgarien vor. Demnach hätten die „Hauptnachrichten“ im Fernsehen „wenig Verständnis“ für die Aktion gezeigt. Während die Kanzlerin Merkel verlange, die EU-Außengrenzen intensiv zu sichern, „kämen nun Deutsche, um die Sicherungsanlagen ‚einzureißen‘“. Teile der Bevölkerung hätten die AktivistInnen in Sozialen Medien „ausnahmslos noch wesentlich härter“ angegriffen. Die Polizei habe sich laut dem Bericht insgesamt sehr besonnen verhalten. Das passt allerdings nicht zu den Berichten und Fotos des ZPS, wonach die dortige Polizei die Demonstration mit Schlagstöcken zurückdrängte.

Auch der grenzpolizeiliche Verbindungsbeamte in Griechenland wurde über den „Ersten Europäischen Mauerfall“ unterrichtet und angewiesen, die griechischen „Partnerbehörden“ zu informieren. Laut seiner Meldung reisten nur noch 82 Personen nach Griechenland ein. Sie seien in vier Hotels untergebracht gewesen. Der „Sachverhalt“ sei in Griechenland damals „nicht medienwirksam“ gewesen.

Von Interesse waren aber nicht nur die Aktionen im Zusammenhang mit dem „Ersten Europäischen Mauerfall“, sondern auch die Rückreise der Beteiligten. So waren die Verbindungsbeamten angewiesen, „unaufgefordert über den Rückreiseverlauf des Aktionsbündnisses nach Deutschland“ zu informieren. Mitgeteilt wurde etwa die „Einreise der Reisegruppe in Mazedonien“. Die deutschen BeamtInnen im Kosovo waren deshalb zynisch um deren „Übernahme“ gebeten worden.

Zwar geht dies aus der Korrespondenz nicht hervor, doch dürften die AktivistInnen auf diese Weise bis zur Rückkehr nach Deutschland überwacht worden sein.

4 Ergänzungen

  1. In den bei fragdenstaat.de veröffentlichten Dokumenten finden sich auch weitere spannende Details zur Aktion (in den Akten fast durchgängig als „Störaktion“ bezeichnet) des Zentrums für politische Schönheit: Leider bleibt durch die Schwärzungen beispielsweise ungeklärt, ob und mit welchen Methoden (z.B. TKÜ, verdeckte Ermittler) das LKA Berlin die Informationen bei der Abfahrt erhoben hat.

    Über den Verbindungsbeamten der BPOL im GETZ Meckenheim, wurde bekannt, das die Polizei des Landes Berlin, LKA 5, die Einleitung von Maßnahmen prüft. Der Bundespolizei werden im Falle der Durchführung der Maßnahmen die gewonnenen Informationen übermittelt.
    […]
    Die Bundespolizeidirektion Berlin unterrichtet bei Bekanntwerden der beabsichtigten Grenzübergangsstelle, die für diesen Abschnitt zuständige Dienststelle über die gewonnenen Erkenntnisse, damit

    Vielleicht sollten die Berliner Oppositionsparteien dazu mal eine Anfrage im AGH stellen.

    PS. Einige Informationen wurden auch an den Inlandsgeheimdienst („Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)“) übermittelt, der diese Seite wegen Landesverrats angezeigt hatte.

    1. Danke für den Nachtrag. Du hast Recht, in den meisten Verkehren wird in der Betreffzeile von einer geplanten „Störaktion an den Außengrenzen“ oder aber einer geplanten „Straftat“ gesprochen. Das besagte LKA Berlin hat (nebst Lüneburg/ Hannover) die ganze Sache uns Rollen gebracht. Von daher wäre tatsächlich gut, im AGH eine Anfrage zu stellen. Ich würde auch noch gern wissen, inwiefern Personal der Bundespolizei dem ZPS bis Bulgarien hinterher gereist ist. So jedenfalls ließe sich das aus der IFG-Antwort herauslesen.

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