Viele „Geisteskranke“ beim Bundeskriminalamt, auch 245.000 „Gewalttätige“ [Update]

"Rechenzentrum beim BKA" (Bild: BKA).
„Rechenzentrum beim BKA“ (Bild: BKA).

Letzte Woche hatte ich hier zur Verwendung sogenannter „personengebundenen Hinweise“ (PHW) durch Bundes- und Länderpolizeien geschrieben. Zwei Anfragen der Berliner Piraten hatten źutage gefördert, dass derzeit rund 152.000 Menschen in polizeilichen Datenbanken als „BTM-Konsument“ (BTM=Betäubungsmittel) gekennzeichnet sind.

Eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko beim Bundesinnenministerium ergab nun, dass die Zahlen bei Bundesbehörden sogar weit darüber liegen: Insgesamt sind beim Bundeskriminalamt (BKA) rund 1,5 Millionen Personen mit verschiedenen PHW versehen.

„Land/ Stadtstreicher“ und „Fixer“

Mehr als 8.000 Personen gelten als „geisteskrank“, fast 18.000 als „ansteckend“. Gesammelt werden rund 93.000 vermeintliche „Rocker“ sowie rund 245.000 als „gewalttätig“ markierte Personen. Sogar „Land/ Stadtstreicher“ werden geführt. Lediglich zwei gespeicherte „Fixer“ lassen allerdings darauf schließen, dass nicht mehr alle Zuordnungen genutzt werden und inkriminierte Personen fortan in anderen Kategorien landen.

Was passieren muss, um mit solchen „Hinweisen“ getaggt zu werden, ist unbekannt: Entsprechende Handlungsanweisungen für die PolizeibeamtInnen bleiben unter Verschluss. Das ist besonders problematisch, wenn die Zuordnung „Ansteckungsgefahr“ wegen Krankheiten vergeben wird, die kaum infektiös sind. Womöglich werden auch Menschen mit HIV mit dem Hinweis „Ansteckungsgefahr“ versehen. Zu Recht wird die PHW-Datensammlung deshalb von der Deutschen AIDS-Hilfe heftig kritisiert.

Die Betroffenen werden niemals benachrichtigt, ansonsten entfiele der Informationsvorsprung für die Polizei. Denn die Vergabe von PHW hat „taktische Gründe“, um PolizistInnen bei einer Kontrolle vorzuwarnen und dadurch angeblich zu schützen. Eigentlich dürfen die PHW nicht als Grundlage für weitere Polizeimaßnahmen genutzt werden. Es kann aber angenommen werden, dass sie einen willkommenen Hinweis für eine Blutentnahme oder Leibesvisitationen liefern.

Nur 10 „Straftäter rechts“

Die Berliner Fraktion der Piraten erfuhr übrigens auch, dass keine Verurteilung vorliegen muss um in in den entsprechenden Kategorien zu landen. So werden etwa „Straftäter“ auch dann als solche bezeichnet, wenn die Polizei lediglich annimmt dass welche begangen werden könnten.

Wer immer noch nicht überzeugt ist, in welch politisch einseitigem Klima ein „Nationalsozialistischer Untergrund“ entstehen konnte, sei auf die Zahlen zu linken und rechten „Straftätern“ verwiesen. Das BKA findet 3.490 Personen als „Straftäter links“ gefährlich. In der Kategorie „rechts“ finden sich lediglich 10.

Update: Gestern Abend meldete sich das Bundesinnenministerium (BMI) bei den berichtenden Medien, dass „durch ein Büroversehen“ einige falsche Zahlen übermittelt wurden. So seien weit weniger „Rocker“ und „Prostituierte“ gespeichert, dafür mit über 20.000 deutlich mehr als die zuvor mit 10 angegebenen „Straftäter rechts“ (siehe neue Tabelle unten). Dadurch ergebe sich eine andere Einordnung. An der grundsätzlichen Kritik ändern die neuen Zahlen aber gar nix, denn die vielen „Straftäter rechts“ dürften vielmehr eine hektische Reaktion auf das Ende des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) darstellen. Dies legt die Antwort des Landes Berlin nahe: Von 2011 auf 2012 hat sich deren Zahl in polizeilichen Datenbanken mehr als verzehnfacht. Wo kommen die plötzlich her? Das BMI behauptet, keine Zahlen für die vorangegangenen Jahre zu haben. So lässt sich der Anlass für das Verhältnis zwischen „Straftäter rechts“ und „Straftäter links“ auf Bundesebene nicht mehr nachvollziehen. Ohnehin sind polizeiliche Datenbanken kaum eine adäquate Antwort auf rechten Terror, stattdessen sollten die staatlichen Verstrickungen in den NSU schonungslos offengelegt werden.

Die erneuerte Liste der “personengebundenen Hinweise” (PHW) beim Bundeskriminalamt.
Die erneuerte Liste der “personengebundenen Hinweise” (PHW) beim Bundeskriminalamt.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

20 Ergänzungen

  1. „Wer immer noch nicht überzeugt ist, in welch politisch einseitigem Klima ein “Nationalsozialistischer Untergrund” entstehen konnte, sei auf die Zahlen zu linken und rechten “Straftätern” verwiesen.“ Aber aber. Das sind doch nur Dummejungenstreiche. Die sind wenigstens ordentlich gekleidet und treten für Ordnung und Recht ein. Das wird man ja wohl noch dürfen. Nur linke Chaoten sind gewalttätig. Da müssen wir durchgreifen. Mit aller Härte. Und überwachen. Und klassifizieren.

  2. Na dann bin ich aber beruhigt. Ich dachte schon die paar Hundert Glatzköpfe die sich Demos von NPD/DIE RECHTE/PROIRGENDWAS rumtreiben hätten einen rechten Hintergrund.

    Aber mal ganz am Rande: Soweit ich als Laie weiss ist die Tatsache das man „Geisteskrank“ oder „Ansteckend“ allein noch kein Anlass dafür polizeiliche Ermittlungen aufzunehmen. Inwieweit gibt es eine Rechtfertigung dafür so etwas zu speichern?

    1. Mit allem gebotenen Zynismus: Weil sie es können. (Das Ausmaß der) Datensammelwut lässt sich nie, in keinem denkbaren Kontext, rational rechtfertigen, solange allein die technische Machbarkeit eine wie auch immer geartete Rechtfertigung „überflüssig“ oder mindestens lästig macht. Im 21. Jahrhundert gilt bei Diensten und Behörden offenbar die Devise: lieber mehr als weniger. Man weiß ja nie, wofür es mal nützlich sein könnte.

      1. Soweit schon klar. Allerdings sich in dem Zusammenhang für mich noch eine andere Frage: Woher hat das BKA die entsprechenden Daten zu den Zuteilungen „Geisteskrank“ und „Ansteckend“? Gerade der letzte Punkt irritiert mich. In welchen Zusammenhängen erfährt die Polizei von Erkrankungen?

      2. Wenn die Polizei jemanden nur aufgrund einer Annahme/Spekulation als „Straftäter“ deklarieren kann, dann gehe ich davon aus, dass es bei anderen Attributen nicht besser sein kann. Indiskretion auf mehreren Ebenen inklusive. Es gibt zwar sowas wie ein Arztgeheimnis, aber wie sicher das wirklich ist, entzieht sich der Kontrolle des Patienten. Und viell. gilt jemand schon als ‚geisteskrank‘, wenn sein Nachbar den Polizisten erzählt, dass er nicht alle Latten am Zaun hat.

      3. Bzw. geht es bei solchen Daten wohl weniger um Ärzte, als mehr die Datenbanken der Krankenkassen – ich kann mir anno 2014 nicht vorstellen, dass es die Polizei sonderlich schwer hat, an diese Daten legal heranzukommen. Da wird dann schnell ein richterlicher Beschluß o.ä. herbei fabuliert, und schon fließen die Infos, natürlich ohne Wissen des Betroffenen.

  3. Die rechten fallen wohl unter geisteskrank, oh sorry ich wollte euch nicht beleidigen geisteskrank zu sein ist schlimm, tut mir leid

  4. Es würde mich doch sehr interessieren, wie man an die Daten von 18.000 als „ansteckend“ markierte Bundesbürger kommt. Ich dachte immer, in Deutschland ist das Arztgeheimnis heilig. Kann also nur sein, dass bei Blutabnahmen, z.B. bei Verdacht auf Trunkenheitsfahrt, wesentlich mehr als nur der Promillepegel untersucht wird.
    Oder man darf in Deutschland nicht mehr denken…

    1. In Deutschland darf ein HIV-Test nur unter ausdrücklicher Zustimmung des Patienten gemacht werden. Also nicht mal so schnell nebenbei. So will es zumindest das Gesetz, in der Praxis mag das anders aussehen.

      Ich denke die Liste „Ansteckungsgefahr“ setzt sich eher aus Fällen zusammen, wo die Polizei „nebenbei“ mitbekommen hat, dass der betreffende Bürger eine Infektionskrankheit hat. Vorstellbar wäre z.B. ein wissentlich HIV-Positiver Drogengebraucher, der von der Polizei aus irgendeinem Grund in Gewahrsam genommen wird und den Beamten dann von sich aus mitteilt, dass er positiv ist, damit sie ihm Zugang zu den nötigen Tabletten geben, auf deren tägliche Einnahme er angewiesen ist.
      Oder ein HIV-Positiver oder Hepatitis-Infizierter, der in einen Verkehrsunfall verwickelt ist, dabei eine Verletzung erlitt und sicherheitshalber die Sanitäter oder die anwesenden Beamten über seine Infektion aufklärt.

      Jetzt, wo die Existenz solcher Listen bekannt ist, überlegt man sich als Betroffener vielleicht dreimal, ob man in einer solchen Situation von sich aus auf seine Infektion hinweisen sollte.

  5. „Mehr als 8.000 Personen gelten als “geisteskrank”,“

    Gauck, Merkel und 7998 weitere. Sehr hohe Überschneidung mit der CDU/CSU dürfte gegeben sein.

  6. Sind denn jetzt auch nachweislich Geisteskranke und Gewalttätige beim Bundeskriminalamt, so wie es die Überschrift reißerisch andeutet?

    1. Wieso „jetzt“? Schau dir die braune Herkunft des BKA an, daran wird deutlich, dass es von Geisteskranken und Gewalttätigen aufgebaut wurde. Wieso soll das heute anders sein?

    1. Thx für den Hinweis. Wir haben die Mitteilung auch gestern Abend bekommen, siehe mein Update dazu. An der grundsätzlichen Problematik ändert das m.E. nix: Die PHW müssen abgeschafft werden, denn sie stellen eine nicht zulässige Stigmatisierung dar und bedient sich überdies der Terminologie längst vergangener Zeiten.

  7. Bei uns zuhause wurde die Software für das Precrime Programm eingesetzt, allerdings teilweise im legalen Rahmen, Verdachtsmonent vorausgesetzt. Ich wüßte bescheidenst von Diesen nichts .
    Die m.E: bayerische Kriminalpolizei hätte sich gegebenfalls geirrt, ein Einbruchsplan durch uns lag/ läge nicht vor. Die Hinweise kamen gegebenfalls von Fa. 1und1 Web.de (Ironie: es war ja garnichts passiert).

    Eher wäre es gegebenfalls eine Übung vor der MUC SiKo gewesen, um Alles mit dem hier auf dem Dorf gewonnenen Wissen in MÜNCHEN n o c h sicherer zu machen ;-). Das bescheidenst teurere Problem ware der Kollateralschaden am PC eines Dritten mit einigen 100.000 € Schaden, wie sich noch herausstellen wird (Zeitung lesen, beispielsweise die TAZ oder FAZ).
    Ich / wir möchten neben Schadenersatz auch etwas Respekt, und dass mir hier nicht immer meine Kulis geklaut werden in Gauting/ Obb.

    Printnal

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.