Alle Speicherungen von Personendaten des Berliner Verfassungsschutz sind nach Ansicht des Innensenators Frank Henkel (CDU) in Ordnung und müssten nicht weiter überprüft werden. Dies geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Piratenfraktion SPD hervor. Demnach seien die Einträge durch den behördlichen Datenschutzbeauftragten geprüft worden, nachdem der Abschlussbericht einer von Niedersachsen eingesetzten „Task Force“ zur Überprüfung von Datenspeicherungen des Landesamtes für Verfassungsschutz vorlag. Dort waren im Mai eklatante Missstände festgestellt und umfangreiche Löschungen angemahnt worden. Die Situation in Niedersachsen könne aber laut Henkel „nicht unbesehen auf andere Länder übertragen werden“. Allerdings sind die Datensätze in Berlin lediglich „stichprobenhaft“ überprüft worden.
Ebenfalls bei der Überprüfung von Stichproben waren in Niedersachsen im Herbst vergangenen Jahres fehlerhafte Speicherungen entdeckt worden. Dabei ging es unter anderem um Daten der Journalistin Andrea Röpke, der Fall hatte bundesweit Aufsehen erregt.
Im Abschlussbericht der niedersächsischen „Task Force“ heißt es, „rund 21 Prozent der personenbezogenen Speicherungen“ beim Verfassungsschutz seien fehlerhaft und müssten umgehend gelöscht werden. Weitere knapp 18 Prozent seien „zeitnah aus der Amtsdatei zu entfernen“. Der niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, hatte ein solches Ergebnis nach eigenem Bekunden „nicht erwartet“. Das System habe „offenbar versagt“, Pistorius spricht von einem „Organisationsverschulden“.
Erhebung von Daten missbräuchlich, danach viel zu lange gespeichert
Laut der „Task Force“ sind die fehlerhaften Speicherungen in mehrere Kategorien einzuteilen. So fänden sich in den Datenhalden des Inlandsgeheimdienstes viele minderjährige Personen, die keinen „konkreten, individuell zurechenbaren Gewaltbezug aufweisen“. In vielen weiteren Fällen sei auch eine Erstspeicherung missbräuchlich erfolgt. Auch seien Daten „häufig länger als notwendig gespeichert“ worden. Die Maximalfrist sei in einem Großteil der Fälle „nicht die gesetzlich vorgesehene Ausnahme“ gewesen, sondern „automatisch zur Regel gemacht worden“. Die gesetzliche Höchstfrist von fünf Jahren bezieht sich auf die Wiedervorlage zur Prüfung der Erforderlichkeit. Danach kann aber munter weiter gespeichert werden.
Im Abschlussbericht findet sich auch eine Reihe von Beispielen. So habe der Verfassungsschutz Erstspeicherungen lediglich durch die verdeckte Beobachtung von vermeintlich „linksextremistischen“ Mailinglisten vorgenommen, auch wenn kein Anfangsverdacht für die Beteiligung an einer „extremistischen Bestrebung“ erkennbar war. In der „weit überwiegenden Zahl derartiger Erstspeicherungen“ hätten sich aber in der Folge keine weiteren Erkenntnisse hierzu ergeben. Auch Mitglieder des Deutschen Bundestags und des Europäischen Parlaments waren gespeichert, ebenso Mitglieder des Niedersächsischen Landtags. Alle betroffenen Abgeordneten gehörten der Partei DIE LINKE bzw. den entsprechenden Fraktionen an. Auch der Widerstand gegen Atomtransporte ins Wendland oder Aktionen gegen Nazis wurden auf diese Weise kriminalisiert:
Die Task Force hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass beispielsweise anlässlich der Castor-Transporte wiederholt bürgerlicher Protest durch die örtlich ansässige Bevölkerung (u.a. Landwirte) oder durch Personen, die sich monothematisch gegen Atomkraft wenden, zu einer Speicherung geführt hat, ohne dass sich in der Folgezeit der Speicherung der Verdacht der extremistischen Betätigung bestätigt hat.
So wurden im Zusammenhang mit Protestaktionen gegen den in Bad Nenndorf von Rechtsextremisten initiierten sogenannten „Trauermarsch 2012“ Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Sitzblockade gespeichert. Aus Sicht der Task Force konnte hier ein Extremismusbezug nicht hinreichend hergestellt werden, weshalb diese Speicherungen als rechtswidrig eingestuft wurden.
Verfassungschutz besorgt sich Meldedaten einzelner Wohnhäuser
Viele personenbezogene Speicherungen wurden allein deshalb vorgenommen, weil die Betroffenen in sogenannten „Szeneobjekten“ wohnen. Gemeint sind Häuser, die nach polizeilichen Erkenntnissen von einer „politisch linksorientierten Szene“ bewohnt sind. Allerdings geraten dadurch pauschal alle BewohnerInnen ins Visier der Behörden: Denn durch eine „Meldedatenabklärung“ wurden alle dort gemeldeten Personen als Verdachtsfälle erfasst und gespeichert. Die „Task Force“ hält auch das für rechtswidrig:
Aus der Tatsache, dass die betroffenen Personen in einem der genannten Gebäude gemeldet sind, kann nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf die Beteiligung an einer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebung geschlossen werden.
Was man noch anfügen könnte:
Nachdem der nds. Innenminister die rechtswidrig angelegten Akten sang- und klanglos löschen lassen wollte (und eine Strafverfolgung bzw. Aufklärung allein dazu zunichte gemacht hätte), besann man sich dort auf Intervention hin zunächst eines besseren und verfügte zunächst eine Sperrung.
Aber:
Aufklärung oder Strafverfolgung wird es trotzdem nicht geben!
Begründung:
Das sei „kein Individualverschulden, sondern ein Organisationsverschulden“ … sagt der Innenminister, nicht etwas die Staatsanwaltschaft, die für so eine Bewertung/Beurteilung ja eigentlich zuständig wäre …
o_O
http://www.devianzen.de/2014/07/20/keine-strafverfolgung-beim-nds-geheimdienst/
Wo kommen denn die 1/3 in der Überschrift her? Wenn das die 21+18 sind finde ich das aber schon ein wenig undifferenziert in der Überschrift. Dann hätte man auch schreiben können 100% müssen gelöscht werden. Weil irgendwann sind die Leute ja alle tot, die da gerade drinnen sind.
Sehr geehrter Herr Monroy,
abgesehen von der zu erwartenden Rechtfertigung des Berliner Innensenators musste ich beim Lesen der folgenden Zeile doch etwas schmunzeln:
Auslöser der hier behandelten Kleinen Anfrage von Tom Schreiber (SPD) war nämlich eine Briefaktion der Humanistischen Union, in deren Rahmen ich an alle Mitglieder des Ausschusses für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses entsprechende Briefe mit folgendem Inhalt verschickte:
Daher war ich sehr überrascht, dass ich bisher nur eine kurze Antwort von Herr Schreiber – zudem als Mitglied einer Partei beteiligt an der Regierungskoalition – erhalten habe. Von den übrigen Ausschussmitgliedern hat mich nämlich keine Antwort erreicht, also insbesondere NICHT von der Piratenfraktion, die Sie in Ihrem Artikel zunächst besonders erwähnten. Auch von den anderen Oppositionsparteien im Abgeordnetenhaus, also u.a. auch von der Partei DIE LINKE, die in Ihrem Artikel weiter unten als niedersächsisches Überwachungssubjekt erwähnt wird, fehlt eine solche Antwort. Das finde ich sehr schade, aber leider sind mir aus Zeitgründen da die Hände gebunden.
Aber vielleicht möchten Sie als Wissenarbeiter bei diesen Parteien mal nachfragen, warum die Antwort auf einen Brief so schwer fällt, zumal es bei den Piraten dahingehend ein eindeutiges Meinungsbild gibt. Über einen Folgeartikel mit den entsprechenden Ergebnissen würde ich mich daher sehr freuen.
Ja, peinlich das mit der Verwechselung der einreichenden Fraktion. Ich bin wohl zu sehr auf die Piraten gepolt, die m.E. einfach die spannenderen Fragen stellen (hier zum selber gucken). Warum die Parteien nicht antworten? Vielleicht weil man wirklich meint, in Berlin ginge alles mit rechten Dingen zu.
Danke für die Triggerwarnung! :-)
Wobei ich ohnehin ein Plugin verwende, das Binnen-I & Co ausblendet. Mit den Fallfehlern, die dadurch gelegentlich entstehen, kann ich besser leben als mit Binnen-I. Das ist m.M.n. das weitaus kleinere Übel, weil es die Lesbarkeit nicht so stark beeinträchtigt.