Wenn man hört, dass die CDU/FPD-Koalition in Sachsen Änderungen am Polizeigesetz (SächsPolG), Verfassungsschutzgesetz (SächsVSG), Versammlungsgesetz und anderen, weniger prominenten Gesetzen geplant sind, bekommt man recht schnell ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Immerhin kannte man „Handygate“ in Dresden schon lange bevor das Telefon der Kanzlerin angezapft wurde und auch Kundendaten bei OBI und Diebe von Leergutfässern sind vor den fleißigen Datensammlern und -auswertern in Sachsen bekanntermaßen nicht sicher.
Und das Gefühl trügt nicht. Die geplanten Änderungsgesetze wollen dem sächsischen Verfassungsschutz und der Polizei den Zugriff auf Bestandsdaten noch leichter machen als er mittlerweile sowieso schon ist. Hintergrund ist der Ablauf einer Übergangsfrist, die das Bundesverfassungsgericht bis zum endgültigen Inkrafttreten der Änderungen am Telekommunikationsgesetz (zur manuellen Bestandsdatenauskunft siehe § 113 TKG) und der Neuregelung der Bestandsdatenauskunft erlassen hatte. Demnach konnten bis zum 30. Juni diesen Jahres noch „traditionelle“, manuelle Bestandsdatenabfragen nach alten Rechtsgrundlagen durchgeführt werden. Im Telekommunikationsgesetz sind die Umstände spezifiziert, unter denen Telkos Daten wie Rufnummern, Namen und Anschrift, Geburtsdatum, Gerätenummern und Zeitpunkt des Vertragsbeginns herausgeben dürfen bzw. müssen. Befugnisse, um diese überhaupt von den Telkos abzurufen, liegen im Regelungsbereich von Bund und Ländern. Das gleiche gilt für die Herausgabe von Passwörtern und anderen Zugangscodes.
Und obwohl die Bestandsdatenneuregelung die automatisierte Abfrage der Informationen ermöglicht und beispielsweise die Identifizierung einer Person durch ihre IP-Adresse oder Telefonnummer noch einfacher macht, sieht die Koalition aus CDU und FDP im sächsischen Landtag nun ihre Kontroll- und Überwachungsinstrumente bei der manuellen Abfrage davonschwimmen:
Sowohl im SächsPolG als auch im SächsVSG ist eine spezifische Rechtgrundlage aufzunehmen, die für Polizei bzw. Verfassungsschutz die Möglichkeit zur Beauskunftung von Bestandsdaten (auch anhand von IP-Adressen) und von Zugangssicherungscodes nach dem neugefassten § 113 TKG normiert. Nur so kann sichergestellt werden, dass [..] der Polizei und dem Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen die Möglichkeit der Bestandsdatenabfrage erneut zur Verfügung steht.
Wie man das sicherstellen will, wird klar, wenn man einen Blick in die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen nimmt. Voraussetzung für eine Bestandsdatenauskunft im neugefassten § 42 des SächsPolG soll sein:
[…] Abwehr einer im Einzelfall vorliegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung […]
Weiter gefasst geht es kaum, denn dieser Absatz sieht in seiner Essenz überhaupt keine wirksame Einschränkung vor. Sie sichert höchstens, dass der imaginäre LKA-Leiter Horst Müller nicht willkürlich die Bestandsdaten der Telefonpartner seiner Gattin Lieschen abfragen kann, um zu erfahren, mit wem sie am Nachmittag telefoniert hat. Es sei denn, er verdächtigt sie konspirativer Aktivitäten.
Zum Vergleich: Andere Länder wie Nordrhein-Westfalen erlauben in ihren Gesetzen Auskünfte nur, „wenn die hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadens für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person besteht“ oder „zur Abwehr einer gemeinen Gefahr und nur, soweit die Erreichung des Zwecks der Maßnahme auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre“ (§ 20a NRWPolG).
Apropos LKA-Leiter Müller: Anordnen dürfen ein Auskunftsverlangen nach § 42 Absatz 3 nur der „Leiter des LKA, einer Polizeidirektion oder des Präsidiums der Bereitschaftspolizei“. Klingt vernünftig? Zu früh gefreut, denn „dieser kann die Anordnungsbefugnis an einen Bediensteten der zuständigen Polizeidienststelle übertragen“.
Noch dubioser wird die Rechtsgrundlage bei den besonders geschützen Zugangsdaten, also Passwörtern, PIN und PUK – die bekommt man nur
wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der geschützten Daten vorliegen.
Wer jetzt hoffnungsfroh anfängt, nach einer Definition der „gesetzlichen Voraussetzungen“ zu suchen, wird erfolglos bleiben. Genau wie der Richter, der nach Absatz 4 die Auskunft auf Basis der rechtlichen Grundlagen ablehnen könnte, wenn geltendes Recht dagegen spräche. Ein geschickter Schachzug. Denn: wo es kein geltendes Recht gibt, kann auch keines missachtet werden.
Die Angelegenheit im SächsVSG sieht ähnlich aus, Bestandsdaten dürfen nach geplantem § 11b SächsVSG übermittelt werden
Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz im Einzelfall erforderlich ist […]
Die Frage, wozu die sächsischen Polizeibehörden solchen umfassenden Zugriff auf Bestandsdaten brauchen, versucht uns die, den Änderungen angehängte, Begründung (S. 18) zu liefern. Man brauche die Daten, „um die Aufgaben als Gefahrenabwehrbehörde ordnungsgemäß erfüllen zu können“. Als Beispiel liefert man drastisch Selbstmord- oder Amoklaufandrohungen im Internet. Und um wirklich alle Gegenargumente totzuschlagen dient folgender Satz:
Die zunehmende Bedeutung der Telekommunikationsmedien im gesellschaftlichen Leben stellt die Bestandsdatenauskunft jedoch in das Zentrum einer Vielzahl von Sachverhaltserhebungen.
Weniger konkret geht es kaum, deshalb wurde von Johannes Lichdi, Abgeordneter für die grüne Landtagsfraktion, nachgefragt. Ergebnis der Antwort vom 14. November ist praktisch, dass man keine Auskunft geben kann. Das sächsische Innenministerium kann zwar beantworten, dass es zwischen dem 1. Juli und dem 25. Oktober 2013 insgesamt 367 Bestandsdatenabfragen von bestimmten Polizeidienststellen gab. Aber darüber hinaus scheint es keinerlei Statistiken zu geben – keine Auskunft zur Art der verfolgten Straftaten, zur Anzahl der referenzierten mutmaßlichen Selbstmord- und Amoklaufankündigungen oder zu den konkret erfolgten Behinderungen für die Gefahrenabwehr durch die Bestandsdatenneuregelung.
Wer mehr erfahren will: Am nächsten Montag, dem 2. Dezember um 18:00, findet im Sächsischen Landtag in Dresden eine Diskussionsveranstaltung der grünen Fraktion zum Thema mit dem Titel „NSA auf sächsisch?! – Bestandsdatenauskunft für Sachsens Polizei und Verfassungsschutz verfassungsgemäß?“ statt.
Das geht noch längst nicht weit genug! Denkt denn niemand an die Kinder?
In M-V ist das bereits seit Juli so, vgl. http://kombinat-fortschritt.com/2013/06/21/ueberwachungsstaat-m-v-ab-1-juli-realitaet/
und
http://bestandsdatenauskunft-mv.de/
Hat euch Schreiberlinge damls nur leider kaum interessiert …
nu, von der NSA lernen, heisst siechen lernen. newoahr??
Die Wirtschaft, Unis und Behörden der Ostländer sind noch immer beherrscht von Kölnern, Hamburgern, Schwaben und Bayern. Haben diese Leute wirklich Interesse an Sachsen oder MV?