Die Abgeordneten des Europaparlaments haben soeben mit großer Mehrheit einen Entschließungsantrag zur kommenden Weltkonferenz zur internationalen Telekommunikation (WCIT) in Dubai verabschiedet. Dort sollen vom 3. bis 14. Dezember die Kompetenzen der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) auf den Bereich der Internetregulierung ausgeweitet werden.
Die Pläne für eine Ausweitung der Zuständigkeiten der ITU wurden von Netzaktivisten und Bürgerrechtlern scharf kritisiert – denn sie bedeuten das Ende des neutralen, offenen und freien Internets. Einzelne Staaten fordern, das Internet innerhalb ihrer Grenzen kontrollieren zu können. Russland möchte beispielsweise, dass alle ITU-Mitgliedstaaten die „gleichen Rechte auf die Vergabe von Namen und Adressen“ im Internet haben sollten.
Das Parlament macht nun die EU zum globalen Vorreiter und betont, dass sie der ITU die Verwaltung des Internets oder des Internetdatenverkehrs nicht anvertraut, sondern das derzeitige Mandat beibehalten werden sollte. Zudem verteidigt es mit diesem Antrag den offenen Charakter des Internets, die Netzneutralität, das Ende-zu-Ende-Prinzip sowie die Rechte und Freiheiten der Nutzer im Internet. Das Parlament kritisiert weiterhin, dass die ITU-Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die Webseite .nxt, ein „Informationsservice über Internet Policy und Internet Governance“, hat aus diesen Gründen inzwischen laut eigener Aussage alle WCIT Dokumente veröffentlicht.
Die deutsche EU-Abgeordnete Sabine Verheyen war für die konservative EVP-Fraktion für diesen außerordentlich starken Text zuständig, der von den Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten mitgetragen wurde.
Hier der Text des Entschliessungsantrags:
Das Europäische Parlament
- fordert den Rat und die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass sämtliche Änderungen der Internationalen Telekommunikationsvorschriften mit dem Besitzstand der EU vereinbar sind sowie dem Ziel und den Interessen der Union förderlich sind, das Internet als wirklich öffentlichen Raum zu fördern, in dem die Menschenrechte und Grundfreiheiten, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit, beachtet werden und sichergestellt wird, dass die Grundsätze des freien Marktes, die Netzneutralität und das Unternehmertum geachtet werden;
- bedauert, dass es bei den Verhandlungen im Vorfeld der WCIT‑2012 an Transparenz und einer angemessenen Einbeziehung der Öffentlichkeit mangelt, zumal sich die Ergebnisse der Tagung in erheblichem Maße auf die Interessen der Öffentlichkeit auswirken könnten;
- vertritt die Auffassung, dass weder die ITU noch irgendein anderes einzelnes zentrales internationales Gremium als Aufsichtsstelle für die Verwaltung des Internets oder für den Internetdatenverkehr geeignet ist;
- betont, dass einige Vorschläge zur Reform der Internationalen Telekommunikationsvorschriften negative Auswirkungen auf das Internet und seine Architektur, die Vorgänge, den Inhalt, die Sicherheit und die Geschäftsbeziehungen im Internet, die Verwaltung des Internets und den freien Informationsfluss im Internet haben würden;
- ist der Ansicht, dass einige der Vorschläge zur Folge haben, dass die ITU selbst die Zuständigkeit für die Regulierung bestimmter Elemente des Internets erlangen könnte, wodurch die jetzige Struktur, die durch Basisbeteiligung und Mitwirkung mehrerer Interessenträger geprägt ist, hinfällig wäre; äußert sich besorgt darüber, dass die Entwicklung von Online-Diensten, der Zugang der Endbenutzer zu diesen Diensten wie auch die gesamte Digitalwirtschaft durch diese Vorschläge, wenn sie denn angenommen würden, erheblich beeinträchtigt werden könnten; ist der Ansicht, dass die Verwaltung des Internets und die diesbezüglichen Regulierungsangelegenheiten auch künftig umfassend unter Mitwirkung mehrerer Interessenträger festgelegt werden sollten;
- erklärt sich besorgt darüber, dass in den Vorschlägen für eine Reform der ITU auch die Einführung neuartiger Profiterzielungsmechanismen enthalten ist, wodurch der offene und wettbewerbsgeprägte Charakter des Internets im Zuge von Preissteigerungen, Innovationshemmnissen und Zugangsbeschränkungen erheblich gefährdet werden könnte; bekräftigt seine Forderung, dass das Internet ein freier und offener Raum bleiben sollte;
- unterstützt sämtliche Vorschläge, den derzeitigen Anwendungsbereich der Internationalen Telekommunikationsvorschriften und das derzeitige Mandat der ITU beizubehalten; lehnt jegliche Vorschläge ab, mit denen der Anwendungsbereich dieser Vorschriften beispielsweise auf das Internet und damit auch auf Domänennamensräume, die Zuweisung von IP-Adressen, die Lenkung des Internetdatenverkehrs und inhaltsbezogene Fragen erweitert würde;
- fordert die Mitgliedstaaten auf, alle Änderungen der Internationalen Telekommunikationsvorschriften zu verhindern, die sich nachteilig auf den offenen Charakter des Internets, die Netzneutralität, das Ende-zu-Ende-Prinzip, die Universaldienstverpflichtungen und die partizipatorische Verwaltung auswirken würden, die durch mehrere Akteure wie Regierungen, überstaatliche Einrichtungen, nichtstaatliche Organisationen, große wie kleine Unternehmen, die Technologiegemeinde sowie die Internetnutzer und die Verbraucher allgemein übernommen wird;
- fordert die Europäische Kommission auf, die Verhandlungen über die Überarbeitung der Internationalen Telekommunikationsvorschriften im Namen der Europäischen Union auf der Grundlage von Beiträgen mehrerer Interessenträger zu koordinieren und dabei niemanden auszuschließen, und zwar mit Hilfe einer Strategie, mit der hauptsächlich darauf abgezielt wird, den offenen Charakter des Internets zu sichern und zu wahren sowie die Rechte und Freiheiten der Nutzer im Internet zu schützen;
- hält es nach wie vor für wichtig, einen zuverlässigen Internetzugang nach dem Best-Effort-Prinzip zuzusichern, durch den Innovationen und die Meinungsfreiheit begünstigt werden sowie für Wettbewerb gesorgt und das Entstehen einer neuen digitalen Kluft verhindert wird;
- betont, dass in den Internationalen Telekommunikationsvorschriften niedergelegt werden sollte, dass die Empfehlungen der ITU nicht verbindliche Dokumente sind, mit denen bewährte Verfahren gefördert werden sollen;
- beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
Die Rolle der Internationalen Fernmeldeunion und den Gefahren für das freie Netz beleuchten wir in einem Hintergrund-Artikel: War das offene Internet noch nie so bedroht wie heute?
Kleine Änderung:
Punkt 9 wurde leicht abgeändert: „fordert die Kommission auf…“ (anstatt Rat)
Danke! Hab’s gerade aktualisiert.
Na, das liest man doch mal gerne. Scheint, als ob immer mehr im EU-Parlament zu verstehen beginnen.
Ich möchte ja nicht die gute Stimmung hier verderben, aber euch ist schon klar das das besten Falls ein bisschen Meinungsmache ist, keinen bindenden Wert hat und letztendlich dazu dient hinterher sagen zu können: Wir waren ja dagegen.
Wenn die so weiter machen, könnte man ja echt wieder zum EU-Fan werden, zumindest was das Parlament betrifft, die Kommission steht auf einem anderen Blatt.
@c0rnn @marc klar, im EU-Parlament gibt es mittlerweile so einige Abgeordnete in allen Fraktionen, die netzpolitische Themen verstehen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass dies auch ein Erbgebnis jahrelanger Arbeit von NGOs ist (wie EDRi beispielsweise…).
…eine Arbeit, für die ich euch auch verdammt dankbar bin.
Und es sind ja auch solche Momente, die einem die Kraft geben, das ganze weiter zu machen.
weder die ITU noch irgendein anderes einzelnes zentrales internationales Gremium als Aufsichtsstelle für die Verwaltung des Internets oder für den Internetdatenverkehr geeignet
es mangelt an Trasparens und einer angemessenen Einbeziehung der Öffentlichkeit