Gastkommentar des Obmanns vom AKVorrat Österreich, Andreas Krisch:
Am Donnerstag, den 31. Mai 2012, wird der parlamentarische Petitionsausschuss erneut die Bürgerinitiative „Stoppt die Vorratsdatenspeicherung“ diskutieren. Als 39. von 39 Tagesordnungspunkten. Im Schnitt stehen dem Ausschuss dafür durchschnittlich 4,6 Minuten zur Verfügung. Dabei würde sich eine eingehende Behandlung der Stellungnahmen der Ministerien durchaus lohnen. Diese sind weitgehend glatte Themenverfehlungen.
Im Dezember 2011 hat der AKVorrat dem Parlament seine Bürgerinitiative überreicht. Diese fordert, dass sich Österreich auf EU-Ebene aktiv gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einsetzen soll. Darüber hinaus soll der Nationalrat sämtliche österreichischen Überwachungsgesetze auf ihre Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit hin evaluieren und gegebenenfalls abschaffen.
105.954 Menschen haben sich diesen Forderungen bisher angeschlossen und die Bürgerinitiative unterstützt. Am 12. März 2012 hat sich der Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen des Parlaments erstmals für wenige Minuten mit dem Anliegen von fast 2% der Wahlberechtigten Österreichs beschäftigt und beschlossen, von mehreren Ministerien (BM für Inneres (BMI), BM für Justiz (BMJ), BM für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT)) sowie dem Bundeskanzleramt (BKA) Stellungnahmen einzuholen.
Stellungnahmen
Diese Stellungnahmen sind inzwischen von der Webseite des Parlaments abrufbar und unverschämt aussagelos!
Das Innenministerium erläutert auf drei Seiten die bestehende österreichische Rechtslage zur Vorratsdatenspeicherung. Diese ist jedoch – wie oben erläutert – nicht Gegenstand der Bürgerinitiative. Den eigentlichen Inhalt – die EU Richtlinie und Evaluierung der Überwachungsgesetze – ignoriert das Innenministerium komplett. Eine Themenverfehlung also.
Auch das Justizministerium führt in seiner Stellungnahme auf zwei von drei Seiten die österreichische Rechtslage aus, auf eine Evaluierung der Überwachungsgesetze wird nicht eingegangen. Auf der letzten Seite findet sich dann noch ein einziger Absatz, der auf den methodisch wie inhaltlich äußerst mangelhaften Evaluierungsbericht der EU Kommission vom April 2011 verweist. Mit dem aktuellen Diskussionsstand auf europäischer Ebene hat dieser Bericht allerdings nur mehr sehr wenig bis gar nichts zu tun. Also ebenfalls eine Themenverfehlung.
Selbst die für dieses Dossier zuständige Kommissarin Malmström hat in Beantwortung unseres offenen Briefes längst eingeräumt, dass sowohl die Speicherdauern als auch der Umfang der gespeicherten Daten reduziert werden muss. Darüber hinaus schreibt sie auch nur mehr von einem nützlichen, nicht aber einem notwendigen Mittel der Verbrechensbekämpfung. Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit werden jedoch von der Europäischen Menschenrechtskonvention als zwingende Voraussetzungen für derartige Grundrechtseingriffe verlangt.
Die wahre Bedeutung dieser Themenverfehlungen von BMI und BMJ wird aber erst bei Lektüre der Stellungnahme des BMVIT in seiner vollen Tragweite offenbar. Auch hier behandelt das Ministerium überwiegend die bestehende österreichische Rechtslage und geht mit keinem Wort auf die geforderte Evaluierung bestehender Überwachungsgesetze ein.
Der letzte Absatz dieser Stellungnahme ist jedoch aufschlussreich:
„Weiters wird das bmvit selbstverständlich die Diskussionen auf der europäischen Ebene genau beobachten und weiterhin für die Wahrung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eintreten, wobei die Verhandlungen über die Richtlinie auf europäischer Ebene von BMI respektive BMJ wahrgenommen werden.“
Ausgerechnet die Ministerien also, die auf EU Ebene für Österreich die Verhandlungen führen und dem Parlament genaue Auskunft über die dort vertretenen Positionen geben müssten, liefern statt fundierter Stellungnahmen glatte Leermeldungen ohne inhaltlichen Nutzwert ab.
Dies lässt im Wesentlichen zwei Interpretationen zu: Entweder hat man in diesen Ministerien den Text unserer Bürgerinitiative nicht gelesen (es handelt sich immerhin um eine ganze Seite). Oder man hat es bewusst vorgezogen das Parlament und die knapp 106.000 UnterstützerInnen unserer Bürgerinitiative über die Positionen, die diese Ministerien auf EU Ebene im Namen für Österreichs vertreten, im Unklaren zu lassen. In beiden Fällen ist dies eine äußerst empörende Vorgangsweise.
Positiv zu erwähnen ist hingegen die Stellungnahme des Bundeskanzleramts (BKA), das seine stets „kritisch-ablehnende Haltung“ zur Vorratsdatenspeicherung betont. Sollte der EuGH eine Unvereinbarkeit mit der EU-Grundrechte-Charta feststellen „wäre auch innerstaatlich der Weg frei für eine Anpassung der Rechtslage“.
Diese positive Grundhaltung des BKA reicht zur Beantwortung unserer Bürgerinitiative noch nicht ganz aus. Vielmehr geht es darum, das politische Mitgestaltungsrecht Österreichs auf EU Ebene aktiv zu nutzen und – etwa in Zusammenarbeit mit der deutschen Justizministerin – auf eine Abschaffung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zu dringen.
Zurück ins Parlament
Am kommenden Donnerstag wird der parlamentarische Petitionsausschuss über die eingelangten Stellungnahmen und unsere Bürgerinitiative beraten. Rechnerisch stehen dafür 4,6 Minuten zur Verfügung. 4,6 Minuten um über ein Anliegen von 106.000 Menschen zu befinden.
Wir erwarten von den Mitgliedern des Ausschusses, dass sie die ausweichenden Stellungnahmen von BMI und BMJ mit klaren Worten zurückweisen und erwarten Aufklärung über den aktuellen Stand der Verhandlungen EU Ebene und die österreichische Position. Von den Ministerien fordern wir Stellungnahmen zum eigentlichen Gegenstand der Bürgerinitiative, und insbesondere auch zur Evaluierung der Überwachungsgesetze.
Mehr als fünf Monate ist es nun bereits her, dass wir die Bürgerinitiative dem Parlament übergeben haben. Mit Nutzung der erst kürzlich vom Parlament geschaffenen Mittel zur direkten Bürgerbeteiligung haben mehr als hunderttausend Menschen klar gemacht, wie wichtig unser Anliegen ist. Jetzt muss das Parlament zeigen, dass diese massive Beteiligung Ernst genommen wird.
Entsprechend erwarten wir eine ernstzunehmende Möglichkeit, unser Anliegen dem Parlament im Sinne einer direkten Beteiligung am politischen Prozess in Form eines Hearings persönlich näherbringen zu dürfen. Etwas mehr als 4,6 Minuten werden dafür aber schon nötig sein.
Es ist an der Zeit, dass die österreichische Politik, entsprechend dem Willen der Bevölkerung, klar gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgerichtet wird und bestehende Grundrechtseingriffe auf Basis harter Fakten überprüft werden. Österreich entscheidet in der EU aktiv mit. Die EU Richtlinie wird derzeit überarbeitet. Es ist an der österreichischen Politik entsprechende Allianzen zu bilden, um aus dieser Überarbeitung eine Abschaffung zu machen.
Unter zeichnemit.at kann man die Bürgerinitiative „Stoppt die Vorratsdatenspeicherung“ nach wie vor unterstützen.
Darf man da auch als Nicht-Österreicher mitmachen?
Leider nein. Anders als auf Bundestag.de gibt es keine extra Kategorie für EU-Staatsbürger bzw. Drittstaatsangehörige.
Die Voraussetzung für die Abgabe der Zustimmungserklärung ist die österreichische Staatsbürgerschaft sowie die Vollendung des 16. Lebensjahres.
siehe parlament.gv.at
Das ist schade. Ich bin mir sicher, dass es ziemlich Eindruck schinden würde, wenn auch nur ein Teil der Unterzeichner der deutschen Petition auch dort nochmal zeichnen könnte und würde.
Wobei man sich fast schämen muss, wenn man sieht, dass Österreich bei weniger Bevölkerung fast doppelt so viele Unterschriften zusammen bekommen hat …
Das ist richtig. Mit dieser großen Zustimmung hat aber niemand von uns (AKVorrat Österreich & Netzpolitik Szene Österreichs) gerechnet. Vergleiche mit Zensursula oder Córdoba 2.0 wurden ja schon gezogen.
Ich bin ja gespannt wie groß das Mobilisierungspotential in Deutschland inzwischen ist bzw. es bei einer europäischen Bürgerinitiative wäre.
Das deutsche Volk soll derzeit scheinbar irgendwie eingelullt werden… Siehe z.B. hier (Quelle: heise-online): http://tinyurl.com/heise-Omas-auf-Vorrat
(Zitat heise.de) „„Enkeltrickbetrüger“ als Argument für Vorratsdatenspeicherung“ (Zitat Ende).
Da weiß man ja nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll. Der 1. April ist allerdings schon etwas her…
(Zitat heise.de) „Im vergangenen Jahr fielen 276 meist ältere Menschen in Baden-Württemberg Trickbetrügern zum Opfer. […] Dadurch entstand ein Schaden von mehr als 400 000 Euro.“ (Zitat Ende)
276 betroffene Rentner, € 1450 Euro Lehrgeld pro Rentner…
Vom vermeintlichen „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ zum „Enkeltrickbetrug“ – auch ’ne Kunst, oder!?
Im Grunde ist das ganze Thema zur reinsten Farce geworden, weshalb eigentlich auch dem -auf das Thema bezogen- ahnungslosesten Bürger einleuchten müsste daß rein wirtschaftliche Interessen die treibende Kraft beim Thema VDS sind.
Als wenn sich ernsthaft jemand für 276 betrogene Rentner interessieren würde – da ist doch noch nicht mal mehr ein Filmbeitrag bei Aktenzeichen XY ungelöst drin…
Frage aus Interesse @Thomas Lohninger:
Gibt es in Österreich auch das Phänomen, daß sich irgendwie keiner mehr mit den ursprünglichen (vorgeschobenen) Gründen der VDS auseinandersetzt bzw. auseinandersetzen will. Denn allein das wäre m.E. das direkte Aus einer VDS in ganz (!) Europa bzw. der EU – da ist die Gemeinsamkeit, die Zeit sparen könnte.
Der Freedom Tower ist mittlerweile wieder das höchste Gebäude in NYC, George W. Bush ist hoffentlich da wo der Pfeffer wächst, Osama bin Laden wurde uns für tot erklärt und von der ALQuaida hat man auch lang nix mehr gehört… Ist wahrscheinlich alles unserem heldenhaften Bundeswehreinsatz zu verdanken (bitterböser Sarkasmus), und nicht nur weil die „Fernsehstudios“ der afghanischen Berghöhlen in der tiefsten Pampa weg sind (also dort wo noch BinLaden angeblich seine Reden in die Kameras sprach – so ganz ohne Strom, ohne irgendwelche Generatoren und zudem unter ständiger AWACS-Beobachtung. Hut ab, das war ’ne beeindruckende Leistung…).
Ich merke es gerade selbst, ich schweife ab. Sorry! Was ich sagen wollte: Das (ursprüngliche) Thema „Internationaler Terrorismus“ ist ja wohl mittlerweile durch. Daraus sind sowieso schon viel zu viele grundrechteinschränkende Gesetze resultiert.
In diesem Sinne liebe Grüße aus Köln nach Österreich und viel Erfolg, Baxter
Wenn du weit ausholen willst, mit der Begründung der Vorratsdatenspeicherung, würde ich eher auf den offiziellen Grund von deren Einführung zurückgreifen: Marktharmonisierung!
Ursprünglich war geplant mit dieser Richtlinie die uneinheitlichen Speicherdauern von Vorratsdaten zwischen den ISPs in der EU zu Harmonisieren. Das wir heute natürlich ein noch viel uneinheitlicheres Bild mit Speicherdauern von 6 Monaten bis zu zwei Jahren haben, hört man selten.
Dieser Weg wurde auch gewählt, weil für eine Einführung als sicherheitspolizeilichen Mindeststandard bzw. zur Terrorismusbekämpfung Einstimmigkeit in der EU notwendig gewesen wäre, die gab es damals nicht. Erinnert ein bisschen an den Fischereiausschuss…
Um auf deine Frage zurück zu kommen, nein. Als Werkzeug zur Terror Bekämpfung wird VDS in Österreich selten argumentiert. Unsere ehemalige Innenministerin argumentierte wahlweise mit Lawinenopfern oder Bombendrohungen (Erinnerung: 6 Monate Speicherpflicht). Wenn man mit Vertretern der Polizei oder Staatsanwälten über das Thema spricht, hört man eher von zeitgemäßen Ermittlungsmethoden. Ein Klassiker ist auch: „Datenschutz darf nicht Täterschutz werden.“.
Eine detaillierte Erläuterung der Genese der Richtlinie und der österreichischen Gesetzwerdung habe ich mit Christof Tschohl in diesem Podcast auf Netzkinder.at abgehandelt. Seines Zeichens Jurist und Techniker und verantwortlich für eine der besten Umsetzungen der Richtlinie und auch unserer Verfassungsklage.
Lawinenopfer? Was bitte soll VDS denen denn bringen?
„Herr Müller wird der fahrlässigen Tötung in drei Fällen durch Auslösen einer Lawine angeklagt. Ursächlich war das Verschicken eines überlauten Musikstückes über ein Funknetzwerk im Bereich der Lawinenwarnung.“ Oder wie soll man sich das vorstellen?
Exakt. Argumentiert wird mit der Lokalisierung von Lawinenopfern. Wieso man dabei nicht auf die Echtzeitdaten der Provider aus den letzten 24 Stunden zurückgreifen kann, ist mir unklar.
Man könnte fast meinen, das die Lawinenopfer als Ersatz für das ausgelutschte „Denk doch mal einer an die Kinder“-Argument herhalten müssen.
Denn mal ernsthaft, was bringen den Rettern meine Aufenthaltsorte in den letzten sechs Monaten, wenn sie wissen wollen, in welcher Schneewehe ich in diesem Moment stecke?
Wäre eine Bernhardiner-Staffel nicht günstiger und effektiver? ;-)
Was kommt als nächstes?
VDS gegen Hochwasser-Opfer?
VDS gegen Sonnenbrand-Oper?
VDS gegen gegen Hagelschaden?
Ja, ich weiß daß ich ein m.M.n. extrem ernstes Thema ins Lächerliche ziehe. Allerdings habe ich erstens nicht damit angefangen und zweites sind die „Argumente“ für eine VDS in meinen Augen nur noch lächerlich…
Von daher zitiere ich abschließend noch schnell aus dem kölschen Grundgesetz (Artikel 6):
„Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet.“
In diesem Sinne, Baxter