Die Urheberrechtsdebatte erscheint auch deshalb so verfahren, weil es dabei zwei grundsätzliche Sichtweisen gibt, die sich nicht so recht miteinander versöhnen lassen: Während die eine Seite glaubt, auf verlustfreies Kopieren im Internet müsse mit technischen Mitteln (z.B. Digital Rights Management) und regulatorischen Eingriffen (z.B. Sperrverfügungen) reagiert werden, hält die andere Seite die Kontrolle von Kopien im Grunde für eine überflüssige Sisyphusarbeit, die zudem davon ablenke, Anpassungen im geltenden Recht an die digitale Alltagsrealität voranzutreiben.
Der gestrige Tag im politischen Berlin bot gleich mehrere Möglichkeiten, um die Unvereinbarkeit dieser Perspektiven zu besichtigen. Im Deutschen Bundestag hatte der Unterausschuss Neue Medien zu einer öffentlichen Anhörung über “Vermarktung und Schutz kreativer Inhalte im Internet” geladen. Darin wiederholten die Sachverständigen größtenteils altbekannte Positionen. Während die Vertreter der Musik- und Filmindustrie über Umsatzverluste durch privates P2P-Filesharing und kommerzielle File-Hoster klagten und den Gesetzgeber zum energischen Handeln aufforderten, erteilten Medienrechtler und Netzaktivisten jeglichen Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung und das Fernmeldegeheimnis eine klare Absage. Das von Prof. Rolf Schwartmann im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums entwickelte Warnhinweismodell für Urheberrechtsverletzungen war zuvor nicht nur von Datenschützern, sondern vor allem auch von der Internetwirtschaft abgelehnt worden. Die Internet-Service-Provider möchten sich schließlich ungern als “Hilfsheriffs” bei der Strafverfolgung einspannen lassen.
Einige Stunden zuvor hatte die SPD bereits ihre Haltung nicht nur zum Warnhinweismodell, sondern auch zu einer stärkeren Überwachung des Datenverkehrs und Sanktionen gegenüber Privatpersonen verdeutlicht. Anlässlich der Vorstellung des Papiers “12 Thesen für ein faires und zeitgemäßes Urheberrecht” (Notabene: Irgendwie heißen dieses Papiere alle gleich) betonte Lars Klingbeil, der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dass “wir unverhältnismäßige Durchsetzungsmaßnahmen wie Three Strikes ausschließen”. Das Papier selbst, das man durchaus als wichtigen Orientierungspunkt in der parteiinternen Debatte werten darf, mahnt eine “effektive, aber verhältnismäßige” Rechtsdurchsetzung an. So soll die gängige Abmahnpraxis durch eine Begrenzung des Streitwerts bei einmaligen, geringfügigen Urheberrechtsverstößen eingedämmt werden. Ganz klar an den Kragen will man kommerziellen Plattformen, die Urheberrechtsverstöße billigend in Kauf nehmen bzw. ihr Geschäftsmodell darauf gründen (wie z.B. kino.to). Im Hinblick auf die Haftungssituation von Host-Providern spricht die SPD lediglich davon, dass die bestehende Regelungen “überprüft” und “neu justiert” werden müssen.
Sehr erfreulich ist, dass die SPD sich klar gegen das im Koalitionsvertrag verabredete Leistungsschutzrecht für Presseverleger – de facto eine Abgabepflicht für News-Aggregatoren – ausspricht. Allerdings hält sie sich mit der Formulierung “Ob es hierzu gesetzlicher Änderungen bedarf, ist zu prüfen” ein kleines Hintertürchen offen. Aus der Sicht von Wikimedia Deutschland ist der Passus zur Behandlung verwaister Werke – einem der drängendsten Probleme für den Aufbau einer Wissensallmende – leider sehr unglücklich geraten: Weder wird für die “sorgfältige Suche” (diligent search) nach den Rechteinhabern ein konkreter Prozessvorschlag gemacht, noch das übereinstimmende Votum vieler Experten aufgegriffen, wonach die Digitalisierung und kostenfreie Veröffentlichung von kulturellem Erbe vergütungsfrei gehalten werden muss, um überhaupt entsprechende Anreize für die staatlichen Gedächnisinstiutionen (Archive, Bibliotheken, Museen, Mediatheken) zu schaffen.
Ingesamt kommt das Papier zu wenig über Allgemeinplätze (Lob von Creative Commons, Lob der Verwertungsgesellschaften, Lob des Urhebervertragsrechts) hinaus. Die bestehenden Widersprüche innerhalb des Systems der Rechtewahrnehmung, z.B. zwischen CC und der Gema, werden erst gar nicht benannt. Ein anderer Punkt lässt indes aufhorchen: Die SPD distanziert sich klar von der Kulturflatrate, also dem Ansatz, nicht-kommerzielle Tauschhandlungen zu legalisieren und daran eine pauschale Vergütung (als Aufschlag an den Internetanschluss) zu knüpfen. Dies wird zum einen mit der finanziellen Belastung auch für Offliner, zum anderen mit dem Eingriff in das Urheberpersönlichkeitsrecht begründet.
Die Kulturflatrate, vor Jahresfrist noch der einzig ernst zu nehmende Vorschlag für eine Pauschalvergütung, gerät damit weiter unter Nachbesserungdruck. Zuletzt waren auf einer Tagung der Linken verschiedene Modelle – eine Tauschlizenz nach Volker Grassmuck, die Kulturwertmark des Chaos Computer Clubs sowie die durch die AG DOK vorgeschlagene Teilumwidmung der Haushaltsabgabe – in Abgrenzung zu einer solchen “Internet-GEZ” diskutiert worden.
Die Piratenpartei, die gestern nahezu zeitgleich zur SPD ein kurzes Thesenpapier zum Urheberrecht veröffentlichte, will hingegen keinerlei kompensatorische Maßnahmen für die von ihr geforderte Legalisierung von File-Sharing. Sie regt demgegenüber u.a. eine Reduktion der Schutzfrist auf zehn Jahre post mortem auctoris, eine Regelung zur transformatorischen Werknutzung innerhalb der Privatkopieschranke (“Recht auf Remix”), eine “Use-it-or-lose-it”-Klausel (Rückfall der Verwertungsrechte bei Nichtausübung) sowie eine zeitliche Begrenzung der Einräumung von ausschließlichen Nutzungsrechten auf maximal 25 Jahre an. Inwieweit diese doch sehr weitreichenden Positionen mit denen der anderen Parteien zu versöhnen sind, bleibt abzuwarten.
(Nachtrag: Die urheberrechtliche Position von Bündnis90/Die Grünen war bereits Thema eines älteren Blogbeitrags, die neueren Entwicklungen bei den Regierungsparteien sollen gesondert behandelt werden.)
Kurze Frage zum Standpunkt der Piratenpartei bzgl. nichtkommerziellem, privatem Filesharing:
Wenn ich mich recht erinnere, wird die „Entkriminalisierung“ gefordert. Bezieht man sich dabei nur auf das Strafrecht (also Ermittlungen durch Polizei/Staatsanwaltschaft, potentielle Hausdurchsuchungen, mögliche Geld- oder sogar Haftstrafen), oder wird auch die Abschaffung der zivilrechtlichen Verfolgung (Stichwort „Zivilrechtlicher Auskunftsanspruch“ und „Abmahnung) gefordert?
@Bob
Unter Punkt 37 der gesammelten Änderungsanträge zum UrhG beim Offenbacher Parteitag (3./4.12.2011) finde ich die „Legalisierung der nicht gewerblichen oder kommerziellen Verbreitung von rechtmäßig hergestellten Kopien über das Internet (Tauschbörsen)“. Im entsprechenden Passus wird aber nicht nach zivil- und strafrechtlichen Aspekten differenziert: http://wiki.piratenpartei.de/wiki/images/0/07/UrhG_Arguments_FassungBPT2011-2.pdf
Der zeitgenössische Konformismus ist anders denn als „kritisch“ nicht mehr zu haben. Insbesondere die Intrigantengemeinschaft des World Wide Web ist bevölkert von „Netzwerkern“ und „Aktivisten“, die den Unterschied zwischen Polemik und Verleumdung längst ebenso praktisch aufgehoben haben wie den zwischen Leben und Beruf. Selbstbewusste Penetranz, refraktäres Aufmucken gegen obsolete Autoritäten und plumpe Kreativschleimerei sind die Schlüsselkompetenzen einer Medienbagage, die ihren Autismus als Kommunikativität und ihre Schamlosigkeit als kritische Intervention praktiziert.
Demgegenüber ist der notwendige Zusammenhang von Kritik und Scham in Erinnerung zu rufen. Kritik, als reflektierter idiosynkratischer Impuls, ist wesentlich Ansprechbarkeit: Sie antwortet auf objektive Zumutungen, die sich ihr aufdrängen und sie bestimmen, statt die Wirklichkeit nach dem Bild des eigenen Ressentiments zuzurichten. Sie ist Antwort auf ein Objektives, auf die Kränkung, die das Leben und die Menschen selbst darstellen, nicht subjektive Meinung. Deshalb vermag sie nur in der Erschütterung des Subjekts zu sich zu kommen, das sie übt: Wer nicht vor sich selbst ebenso erschrecken kann wie vor der Welt, ist zu ihr nicht fähig. In der Verkümmerung der Kritik, die von der Verarmung sprachlichen Ausdrucks untrennbar ist, reflektiert sich die Unfähigkeit zur Erfahrung des falschen Lebens. Dieser Erfahrungsschwund ist die Kehrseite der Unfähigkeit zur Liebe, der freiwilligen Hingabe an ein Objektives, ohne die keine Kritik denkbar ist .
„Sie ist Antwort auf ein Objektives, auf die Kränkung, die das Leben und die Menschen selbst darstellen, nicht subjektive Meinung.“
Als Antwort auf etwas objektives ist die Kritik also keine subjektive Meinung sondern erneut etwas objektives. Kritik ist also in sich wahr. Dies ist Ausdruck eines modernen Denkens, welches seit dem Poststrukturalismus seine Überholung erfährt. Kritik äußert sich nicht weiterhin in einem reflektierten idiosynkratischen Impuls sondern in einer intuitiven Eingebung der sich der Mensch aufgrund seiner Natur nicht entziehen kann. Die Form der Sprache ist damit die Manifestation dieser Eingebung und kann nicht losgelöst von der vorgetragenen Kritik verstanden werden. Ein „Ich checks net“ wird somit an den Vertreter der ursprünglichen Position zurückgegeben, woraufhin dieser sich weiter in die subjektive Wirklichkeit des Empfängers hineinfinden muss. Die Trennung von Sprache und Subjektivität zeugt dahingehend von einem fragmentierenden Elitendenken.
„Wer nicht vor sich selbst ebenso erschrecken kann wie vor der Welt, ist zu ihr nicht fähig.“
Diese Logik ist reziprok, denn zu Kritik ist nur das unangepasste Individuum fähig, welches subjektiv einen unreflektierten Impuls zu ihr verspürt.
Und jetzt nochmal kurz: Alter fick dich weck mit deiner Kritiktheorie!!!111111
@Jan Engelmann: Also wie ich Punkt 8 der „Die zehn wichtigsten Punkte einer Urheberrechtsreform“ verstehe, hält die Piratenpartei – anders als hier behauptet – Pauschalabgaben durchaus für eine kompensatorische Option, die dem Urheber zugute kommen könnte. Und das wäre doch ein Ausgleich für die Legalisierung von File-Sharing, oder sehe ich das falsch?
@Philip
Nach allem, was ich gehört und gelesen habe, wird eine Pauschalvergütung nicht ernsthaft erwogen, schon eher sympathisiert man mit der Kulturwertmark der CCC und dem Flattr-Aspekt einer nachträglichen Prämierung von Leistungen. Der vom CCC vorgeschlagene Mechanismus, dass kulturelle Werke nach Erreichung eines vorab definierten finanziellen Schwellenwerts in die Allmende übergehen, dürfte aber in der politischen Diskussion nicht anschlussfähig sein. Der CCC hat bereits ein Update der Kulturwertmark (dann auch unter neuem Namen) angekündigt.