Worst of Internet: 30 Experten gegen Kinderpornographie

Der ein oder andere wird heute Nachmittag sicher mit Freuden gelesen haben, dass sich die Bundesregierung auf EU-Ebene gegen Netzsperren engagiert:

Unsere Bundesregierung wird wohl im Rahmen der Censilia-Richtlinie nicht für Netzsperren stimmen, sondern hat einen Änderungsvorschlag eingereicht, wonach das Prinzip “Löschen statt Sperren” praktiziert werden soll.

Ganz persönlich habe ich mich gefragt, warum sich plötzlich auch unser Innenminister Thomas de Maizière (CDU) gegen Sperren ausspricht scheint. Das war bekanntlich nicht immer so, zumindest nicht in dieser Deutlichkeit. Koalitionsvertrag hin oder her.

Interessant erscheint mir die Meldung aber nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass Interpol gerade am Montag mit einer Initiative durchgestartet ist, die Netzsperren auf freiwilliger Basis propagiert. Ja, es sollen wieder Stopschilder aufgestellt werden im Web:

LYON, France – INTERPOL has launched an international initiative which will see the world police body provide a list of Internet domains containing severe child sexual abuse content to Internet Access Service Providers (ASPs) voluntarily participating in the scheme to reduce the availability of such material on the Web. Under the scheme, Internet users attempting to access severe child abuse material on the web will be re-directed away, either to an INTERPOL stop page or to an error page.

(Details zur Initiative „Blocking access to child abuse material“ und der geplanten „Worst of“-Internet-Liste gibt es hier).

Fährt da jemand zweigleisig? Gut, die Initiative könnte unserem obersten Polizisten natürlich auch entgangen sein. Als Innenministerin hat man schließlich einen harten Job. Apropos harter Job. Den haben nicht zuletzt die Beamten an der Front, wie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in einem von Golem zitierten Interview deutlich macht:

Wenn sich in Hamburg 1.450 Kripobeamte 50 Rechner mit Internetzugang teilen müssen, wird es schon schwierig mit der Aufklärung. Wenn das BKA nur 30 Experten hat, um gegen Kinderpornografie vorzugehen, ebenfalls.

Nochmal, in Worten: Dreissig. Dreissig Experten. Siehe dazu auch noch einmal die Presseerklärung des AK Zensur von vor zwei Wochen:

Zwei Jahre gesperrt, in 30 Minuten gelöscht – desaströse Bilanz der Sperrpolitik

[…] Statt Missbrauch zu bekämpfen, dienen die Internetsperren in der Praxis dazu, Versäumnisse der Politik und der Polizeibehörden zu übertünchen. Webseiten bleiben zum Teil jahrelang auf den Sperrlisten, obwohl sie bereits gelöscht sind oder einfach zu löschen wären.

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18 Ergänzungen

  1. Die „Tatort-Internet“-Sendung zeigt aber, dass man nicht gewillt ist dem „Internet“ freie Bahn zu lassen.
    Wenn bei den Providern Sperr-Strukturen zum Einsatz kommen sollen wegen „Gewaltdarstellungen“, dann wünsch ich mir lieber wieder ein rein textbasierendes Netz zurück. Ich pfeiffe auf den Kommerz, für die Möglichkeit, Meinungen und Informationen von jedem Menschen frei und unzensiert lesen zu dürfen. Ich bin es leid, Leserbriefe zu schreiben, die nie gedruckt werden.
    Die gleichen Informationen werden von zig Medien aufgewühlt, aber nicht recherchiert. Ich habe es satt, gefilterten Content vorgesetzt zu bekommen. Dann lieber keine Bilder, rein textbasierende Downloads und keine Videos oder Musik.
    Mal sehen was angesichts der Wirtschaftslobby entschieden würde, wenn man textbasierendes unzensiertes Netz versus zensiertes „bunt schillerndes Netz“ den Vorzug geben würde.
    Ich bin jedenfalls zuversichtlich, wenn Zensur kommt, dann spaltet sich das Netz (einige offizielle Ansätze sind ja schon im Einsatz). Früher gings auch, als zwecks Telefonkosten noch per uucp die EMAILS nachts durch den Äther gingen. Das waren schöne Zeiten ohne Zensur …

    1. @2
      […]Wenn bei den Providern Sperr-Strukturen zum Einsatz kommen sollen wegen “Gewaltdarstellungen”, dann wünsch ich mir lieber wieder ein rein textbasierendes Netz zurück.
      […]

      Nur werden sich diese Zensurgelüste dann auch auf Texte beziehen, nicht umsonst ist in den ganzen „netten“ Paragraphen des StgBs (die nicht nur aus den §184b und §184c bestehen) und Co. (z.B. lesen sich im §29 Abs. 1 die Nr. 10 und Nr. 12 BtmG http://www.gesetze-im-internet.de/btmg_1981/__29.html recht interessant) nur von „Schriften“ die Rede.

      […]
      Ich bin jedenfalls zuversichtlich, wenn Zensur kommt, dann spaltet sich das Netz (einige offizielle Ansätze sind ja schon im Einsatz).
      […]

      Welche gibt es da noch außer Freenet/Frost, I2P und das Zwiebelland?

      Stellt sich dann auch die Frage, wenn die Leute auf das ausweichen, was der nächste Schachzug von den „Autoritäten“ ist…..

      bombjack

  2. Habe mich schon gefragt, wann denn das Gespenst wieder durch die Hintertür reinkommt.

    Soso, mit ner Error-Page des Providers… gruselig…

  3. Wenn man das mit der Meldung korreliert, daß sämtliche 188 Mitgliedsstaaten von EUROPOL an einer Sperrliste arbeiten und dann rechnet, daß in jedem dieser Länder 30 „Experten“ daran sitzen, wird einem der Wahnsinn solcher Listen klar.
    188*30 = 5640 „Experten“ bekommen ein paar Tausend Bilder nicht aus dem Netz, haben aber Zeit, URLs auf Sperrlisten zu setzen?
    Großartig.

  4. Mal ne Verständnisfrage: 30 Experten für die Verfolgung von Kinderpornographie im Netz, oder insgesamt?

  5. Und ergänzend muss man zu den Beamten die Computerzugang haben:
    DIE HABEN NOCH NICHT EINMAL EINEN UNEINGESCHRÄNKTEN ZUGANG INS NETZ!

    Im Ernst: Firewalls verhindern auch für die Leute, die für die Aufklärung von Internetkriminalität zuständig, daß diese auf alles zugreifen können.

  6. Vielen Dank für den Artikel! So eine Liste wird dann auch ganz bestimmt in die falschen Hände gelangen. Aber evtl. kann die Polizei ja so ihre Finanzen aufbessern!?

  7. Freiwilliges Sperren?
    Ganz übel – denn damit ist die Rechtssicherheit perdu. Das Theater hatten wir bereits bei den Geheimverträgen mit den Providern. Da weiß dann niemand wer, auf Grund welcher Verträge oder freiwilligen Vereinbarungen was gesperrt wird, wer zuständig ist usw. usf. Sieht aus als will man nun Scylla und Charybdis anbieten: freiwilliges Sperren oder aber Zwangssperren. Und heureka! für beides hat Deutschland schon den kleinen Springteufel bereit, die Geheimverträge gibt es schon und sonst nimmt man das vorübergehend per Dienstanweisung (!) ausgesetzte Gesetz. Puh!

  8. @Jörg Stratmann: Ich habe die Justizministerin so verstanden, dass das die Kräfte sind, die sich beim BKA mit Missbrauchsdarstellungen (on- und offline!) beschäftigen.

    Ausgehend ~5000 Beschäftigen gesamt und des immer wieder proklamierten Milliardenmarkts wären das erstaunlich wenige. Allerdings auch muss man wissen, dass die eigentliche Ermittlungsarbeit in diesem Feld vor allem von den LKAs geleistet wird.

  9. Ich denke in diesem Zusammenhang der Kinderpornographie, dass es allgemein eine Sperrung von pornografischen Seiten geben sollte. (siehe jüngstes Beispiel China). Hier wurden diese Maßnahmen getroffen und das sollte bei uns genauso passieren.
    Denn zum Anderen sollten auch die Jugendlichen davor geschützt werden sich pornografische Inhalte anschauen zu können und dies geht nur durch eine komplette Sperrung, denn jeder weiß, dass er sich auch einen Zugang zu solchen Seiten irgendwie holen kann. Teilweise sind hier die schlimmsten Kurzvideos einzusehen von Gewalt, über SDM und und und, alles Sachen die Jugendliche nicht einfach so ansehen sollten.

    1. @Cerstin
      Da gibt es nur eine Reihe von Problemen mit der Zensur, weshalb sich jeder vernünftige Mensch dagegen ausspricht.
      Erstens kann man niemandem (mündigen, über 18-jährigen Bürger) den Zugriff auf „normale Pornografie“ verbieten, da es seine Persönlichkeitsrechte einschränkt.
      Wem das als Argument nicht genügt der überlege sich folgendes:
      Die gesperrten Seiten müssten unbekannt sein um effektiv zu sein. Wenn die Liste aber unbekannt ist, können die Zuständigen alles darauf setzen. (Kritik an bestimmten Organisationen, dem Staat etc.) D.h. im Grunde ist es egal wofür man die Zensur einsetzt (und wie legitim das ist), sobald man eine nicht einsehbare Liste hat, hat man Zensur ganz allgemein und weiß nicht ob nicht wichtige Sachen gesperrt wurden.
      Ist die Liste der gesperrten Seiten hingegen öffentlich kann man das Sperren umgehen und sie wären nutzlos.
      Meine Ausführungen sind nur ein kurzer Abriss.
      Bitte in Zukunft erst informieren bevor man solche Aussagen macht.
      Für weitere Infos siehe:
      http://ak-zensur.de/gruende/
      http://www.internet-law.de/2010/11/netzsperren-warum-das-zugangserschwerungsgesetz-verfassungswidrig-ist.html
      (die Links durch 5min Suche gefunden)
      Und ernsthaft: Niemand, der irgendetwas über China weiß, wünscht sich irgendwelche chinesischen Regelungen in Deutschland.

      mfg Xaleander

  10. Egal ob man die Seiten nun loescht oder sperrt, wichtig ist, dass sich beides auf Kinderpornographie-Seiten beschraenkt.

    Und genau da liegt das Problem. Es koennte in beiden Faellen der Weg zu weiterer Zensur geebnet werden.

    Jedenfalls halte ich Sperren oder Loeschen fuer weitaus wirksamer, als wenn man Konsumenten von Kinderpornographie verfolgt. Leider sind die Gesetze so erlassen worden, dass jemand, der sich zu Hause schmutzige Dateien ansieht und sich entsprechend schmutzige Gedanken dazu macht, mit einer Hausdurchsuchung (Einbruch in die Privatsphaere), einer Gerichtsverhandlung und einer Geld-, Bewaehrungs- oder sogar Haftstrafe rechnen muss. Ich will Kinderpornographie nicht verharmlosen, aber hier wird in der allgemeinen Aufhetzung uebersehen, dass diese Menschen niemandem schaden, solange sie nicht in der Realitaet ein Kind missbrauchen. Sie werden aber fuer ein Gedankenverbrechen in der Realitaet bestraft. Liegt hier nicht ein gewaltiges Unrecht im Strafrecht vor, und sollte man sich nicht ausschliesslich auf reale Taeter konzentrieren? Neuerdings sind obendrein kinderpornographische Zeichnungen und Texte sowie Nacktbilder von 17jaehrigen strafbar, obwohl das Schutzalter in den europaeischen Laendern meist zwischen 13 und 16 Jahren liegt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.