JMStV & Netzsperren: Meinungspluralismus bei Telepolis

Nur für den Fall, dass sich noch jemand über den Telepolis-Artikel „Jugendmedienschutz – Hilflose Versuche des Gesetzgebers?“ gewundert hat, in dem Stephan Ott erklärt, dass „der neue Jugendmedienschutzstaatsvertrag ein Schritt in die richtige Richtung“ sei:

Ist dies aber ein Grund dafür, aufzugeben oder den Jugendmedienschutzstaatsvertrag als Dokument der Hilflosigkeit zu bezeichnen, wie es Jens Seipenbusch, der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, getan hat? Wollen wir wirklich eine Regierung, die angesichts der Gefahren im Internet kapituliert? Ist es nicht trotz aller Vollzugsdefizite legitim, Schritte in Richtung eines effektiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen zu gehen und dann zu versuchen, auf internationaler Ebene Überzeugungsarbeit zu leisten, so schwer dies auch sein mag?

Als langjähriger Mitarbeiter im Referat Jugendpolitik und Jugendhilfe des Bayerischen Sozialministeriums ist Ott zweifelsfrei ein ausgewiesener Experte für das Thema. Auch an der Uni Bayreuth, deren „Forschungsstelle für Wirtschafts- und Medienrecht“ Veranstalter des „6. Bayreuther Forums für Wirtschafts- und Medienrecht“ (PDF) ist, das Ott als „hochkarätig besetzte Fachtagung“ bezeichnet, dürfte er sich als Absolvent der juristischen Fakultät halbwegs auskennen. Falls nicht, kann Ott ja immer noch bei seinem Doktorvater Prof. Dr. Peter W. Heermann nachfragen, der Mitglied der oben genannten Forschungsstelle ist.

Ja, ok, Telepolis hätte auf den Background des Autors hinweisen können (Nachtrag:  Inzwischen wurde ein kurzer Hinweis ergänzt).  Wg. Transparenz und so. Nicht, dass Ott am Ende noch jemand mangelnde Neutralität und fehlende Distanz zum Objekt der Berichterstattung vorwirft! Vielleicht wäre es auch nicht schlecht gewesen, wenn Ott sich vorher überlegt hätte, was er eigentlich schreiben will: Einen Veranstaltungsbericht oder einen Kommentar? Aber – wo bliebe dann der Spaß für uns Blogger?

Einen alternativen Bericht von der Veranstaltung gibt es bei Telemedicus. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich in ihrem Eröffnungsvortrag einmal mehr gegen „Stoppschilder“ und Websperren ausgesprochen, musste aber eingestehen, dass eine Sperrverpflichtung wohlmöglich über die europäische Hintertür kommt:

Dann allerdings, so lautete ein Einwand aus dem Auditorium, könnte eine Debatte um das momentan ausgesetzte Zugangserschwerungsgesetz schon überholt sein. Kürzlich stimmten die Justizminister nämlich einer neuen Europäischen Richtlinie gegen Kinderpornografie zu, deren Artikel 21 eine Sperrverpflichtung für die Mitgliedsstaaten vorsieht. „Wenn die Richtlinie kommt, müssen wir sie auch umsetzen“, antwortet die Justizministerin

Bemerkenswert auch Leutheusser-Schnarrenbergers Aussage zum Milliardenmarkt für Kinderpornografie:

In der Streitfrage, ob der vielbeschworene Milliardenmarkt für Kinderpornografie überhaupt existiert, ist sich die Ministerin ihrer Position sicher: „keine Zweifel“ habe sie an dessen Existenz. Auf die Anmerkung eines Mitglieds der Piratenpartei, diesen Markt hätte im Internet noch keiner gefunden, antwortete die Ministerin, man müsse sich auch ansehen, was nicht im Netz passiere. Sie versprach dem Piraten immerhin, ihm entsprechende Belege zuzusenden.

Bei Telemedicus in den Kommentare wird bereits spekuliert, ob sich bei den „Belegen“ wohl um die Zahlen aus dem UNICEF-Report 2009 handelt, der neben Kinderpornografie vor allem Kinderprostitution und Kinderhandel thematisiert. Wie auch immer, auf dem „White IT Symposium 2010“ in Hannover (24. & 25.11.)   dürfte es erstmals wissenschaftlich belastbare Zahlen zum Thema geben.

8 Ergänzungen

  1. „man müsse sich auch ansehen, was nicht im Netz passiere.“ Na, wenn der eh nicht im Netz passiert, warum konzentrieren sich denn gerade alle so auf das Netz?

  2. Nun man kann über den Telepolis Artikel sagen was man möchte, die Tagung war – und das sage ich als Teilnehmer – wirklich sehr gut und Informativ.

    Das der neue JMStV ein Schritt in die richtige Richtung ist, sehen wohl gerade große Anbieter so – auf sie ist der neue JMStV auch zugeschnitten.

    In der Tagung viel mir durchaus auf, dass die vielen kleinen Webseiten von allen Seiten ausgeblendet werden – erschreckend irgendwie.

  3. Natürlich haben die großen Anbieter kein Problem mit dem JMStV. Sie können sich leisten, alle Inhalte intern überprüfen zu lassen auf Konformität mit dem „Jugendschutz“.

    Verdrängen wird man unabhängige Non-Profit-Blogger und Nicht-Mainstream-Medien, und es wird zu einer erneuten Informationsmonopolisierung (oder -oligopolisierung) kommen.

    Das dürfte vor allem den Regierungsparteien nicht unrecht sein. Schließlich könnte man dann des Volkes Meinung wieder angemessen kontrollieren und beeinflussen, und wieder die Wonnen der Postdemokratie ungeniert genießen.

  4. In Bremen wurde der JMSTV gerade einstimmig angenommen. Kein Wort von weiter bestehenden Bedenken der Internetwirtschaft, der Juristen und Bürgerrechtler.

    Alles gut, alles schön.
    Puuuuuh.

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