Tausende Menschen auf den Straßen für „Freiheit statt Angst“

Aktionen in Bremen

Der bundesweite Aktionstag gestern war bei überwiegend sonnigem Wetter ein voller Erfolg. Ob Demonstrationen (Rekord in München: 2500 Teilnehmer), Infostände (in Bremen wurden hunderte Schäuble-Fingerabdrücke verteilt), Kunstaktionen (ein ganzes Wohnzimmer auf der Straße in Nürnberg) oder Grundrechtsfeste (beeindruckend in Berlin mit vielen Workshops und Aktionen) – es wurde wieder einmal deutlich, dass der Protest gegen den Überwachungswahn nicht ruht.

Demo in Frankfurt a.M.

Es wurden auch überall noch viele Unterschriften für die Petition gegen das BKA-Gesetz gesammelt. Berichte und Fotos aus den mehr als 30 Städten gibt es im Pressecenter des AK Vorrat.

Aktionen in Bremen

Beeindruckend auch mal wieder die Breite des Bündnisses: Von Antifa-Gruppen über Ärzteverbände, Ver.di oder Attac bis zur FDP waren die Überwachungsgegner dabei.

Aktionen in Bonn

Ich habe in Bremen die Rede für den AK Vorrat gehalten. Hier könnt ihr sie nachlesen:

Ralf Bendrath: Rede zum Aktionstag „Freiheit statt Angst“, 31.5.2008 in Bremen

Liebe Freundinnen und Freunde,

netterweise ist uns ja die Deutsche Telekom zur Hilfe gekommen, um für heute noch mal richtig zu mobilisieren. Es hieß ja immer von unseren Gegnern, wer nichts zu verbergen hat, der habe auch nichts zu befürchten. Der Schnüffelskandal bei der Telekom zeigt in aller Deutlichkeit, dass das nicht stimmt.

Wenn Daten einmal anfallen und gespeichert werden, dann werden sie auch missbraucht.

Was jetzt von Seiten der Sicherheitspolitiker und Polizeifunktionäre als Lösung für das Telekom-Problem vorgeschlagen wird, ist allerdings eher etwas fürs politische Kabarett:

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter hat zum Beispiel gefordert, die Vorratsdatenspeicherung einfach zu zentralisieren. Statt wie bisher bei den Telekommunikationsunternehmen sollten die Verbindungsdaten künftig in einer zentralen staatlichen Datenbank gesammelt werden. Der BDK-Vorsitzende Klaus Jansen begründet das folgendermaßen: „Es ist doch offensichtlich, dass sensible Kundendaten bei privaten Unternehmen mehr als schlecht aufgehoben sind“.

Aber beim Staat wären sie besser aufgehoben? Herr Jansen, das ist nach dem BND-Abhörskandal und den vielen anderen verfassungswidrigen Überwachungsgesetzen der letzten Jahre mehr als absurd!

Aber auch Innenminister Wolfgang Schäuble versucht sich als Datenschützer zu profilieren: Er hat für Montag die Branchenvertreter zu einem Treffen nach Berlin eingeladen, um über eine Selbstverpflichtung zur Einhaltung des Datenschutzes zu reden.

Eine Selbstverpflichtung? Das ist ungefähr so originell, als würde man von einem Kleptomanen das Versprechen verlangen, dass er nie wieder etwas klaut.

Ein Großteil der eingeladenen Firmen hat ohnehin die Teilnahme abgesagt. Sie wollen offenbar im Moment weder mit Schäuble noch mit der Telekom auch nur gesehen werden. Das ist noch nachvollziehbarer, wenn man sich diesen Abhör-Sumpf mal etwas genauer ansieht. An Telekom-Gate war nämlich eine Reihe von Leuten beteiligt, die ihr Schnüffelhandwerk beim Staat gelernt haben:

Der damalige Sicherheitschef der Telekom war vorher Beamter des Bundeskriminalamts. Der Chef der Telekom-Forensik hat früher beim Bundesamt für Verfassungsschutz sein Geld verdient.

Und auch die Stasi 1.0 durfte zeigen, was man in der DDR lernen konnte: Die Telekom hat sich auch von mehreren ehemaligen Mitarbeitern der Hauptabteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit helfen lassen.

Bei so einer Verquickung von unternehmerischer Gier, krimineller Energie und der staatlichen Überwachungs- und Spitzelszene ist die Forderung nach einer Selbstverpflichtung nur lachhaft.

Aber auch aus einem anderen Grund ist diese Einladung von Herrn Schäuble nur als ein Witz zu bezeichnen, wenn man sich ansieht, was die Bundesregierung nächste Woche noch so vorhat:

Am Montag sollen die Telefonkonzerne bei Schäuble auflaufen, um über die Verbesserrungen des Datenschutzes zu reden. Zwei Tage später, am Mittwoch, will das Bundeskabinett dann das BKA-Gesetz verabschieden. Das ist das Gesetz, wo der Bundestrojaner, der große Spähangriff und der große Lauschangriff auf unverdächtige Kontaktpersonen drin stehen!

Wer als Minister die Bürgerrechte so mit Füßen tritt, kann als Datenschützer für den privatwirtschaftlichen Bereich nicht ernst genommen werden. Da hilft nur ein Rücktritt.

Das Selbe gilt auch für Brigitte Zypries: Sie macht jetzt auf Datenschützerin und denkt über Gesetzesverschärfungen nach, hat aber vor einem halben Jahr die Vorratsdatenspeicherung durch den Bundestag gebracht. Damit ist jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Auch Frau Zypries sollte sich daher einen neuen Job suchen.

Wir brauchen endlich wieder Innen- und Justizminister, die
– die Grundrechte aus ehrlicher Überzeugung als das zentrale Fundament unserer Verfassung und unseres Gemeinwesens ansehen,
– die sie schützen, anstatt sie mit Füßen zu treten,
– und die Überwachungsmaßnahmen zurückstutzen, anstatt immer neue zu fordern.

Wir brauchen Verfassungsschützer, nicht Verfassungsgegner in den Ministersesseln!

Dass die Verfassungsgegner in der Bundesregierung sitzen, hat das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren leider viel zu oft klarstellen müssen. Die Richter in Karlsruhe haben diverse Überwachungs- und Polizeigesetze gekippt oder eingeschränkt. Ich zähle die mal auf, damit ihr seht, was für eine lange Liste das ist:

  1. Volkszählung (1983): Verfassungswidrig, weil Verstoß gegen das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung, nicht hinreichende Anonymisierung der Daten
  2. Maastricht-Urteil / Solange-II (1993): EU-Beschlüsse müssen sich an deutschen Grundrechtsstandards messen lassen, Bedingung für Souveränitäts-Übertragung.
  3. Akustische Wohnraumüberwachung / Großer Lauschangriff (2004): Verfassungswidrig, denn im Kernbereich privater Lebensgestaltung darf nicht abgehört werden.
  4. Außenwirtschaftsgesetz (2004): Verfassungswidrig, weil unklar ist, in welchen Fällen der Zoll Telefone überwachen und Post öffnen darf.
  5. Präventive Telekommunikationsüberwachung in Niedersachsen (2005): Verfassungswidrig, weil das Gesetz unklar war und unverhältnismäßig weit ging.
  6. Europäischer Haftbefehl (2005): Das Umsetzungsgesetz verfassungswidrig, weil es zu weit gehend war.
  7. Rasterfahndung in Nordrhein-Westfalen (2006): Verfassungswidrig, weil keine konkreten Anhaltspunkte für einen bevorstehenden Anschlag vorlagen.
  8. Beschlagnahme von auf der Festplatte gespeicherter privater Kommunikation bei einer Hausdurchsuchung (2006): Verfassungswidrig, weil zu weit gehend. Persönliche Daten müssen vor Ort durchgesehen werden, nur relevantes darf kopiert werden
  9. Luftsicherheitsgesetz (2006): Verfassungswidrig, weil die Tötung unschuldiger Passagiere gekaperter Flugzeuge mit der Würde des Menschen unvereinbar ist.
  10. Online-Durchsuchung durch den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (2008): Verfassungswidrig, weil es nicht auf eine besondere Gefahr in ganz seltenen Ausnahmesituationen beschränkt war.
  11. Massenerfassung und -Auswertung von KFZ-Kennzeichen in Hessen und Schleswig-Holstein (2008): Verfassungswidrig, weil es ohne besonderen Anlass zugelassen war.
  12. Vorratsspeicherung der Telekommunikationsdaten (2008): Zur Abwendung schwerer Nachteile wurde die Übermittlung der verdachtslos gesammelten Daten vorläufig auf die Verfolgung schwerer Straftaten beschränkt.
  13. Durchsuchung bei einem Rechtsanwalt (2008): Verfassungswidrig, weil Verstoß gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung.

Weitere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts stehen noch aus:

  1. Hauptsache-Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung und zur Identifizierungspflicht für Telekommunikationsnutzer
  2. gemeinsame „Anti-Terror-Datei“ aller Sicherheitsbehörden
  3. Verdachtsloser Abgleich von Kreditkartendaten (Operation Mikado)
  4. Fingerabdrücke im Reisepass
  5. Passregister
  6. Massenerfassung von KFZ-Kennzeichen in Niedersachsen

Die Richter in Karlsruhe haben uns im Zuge ihrer Urteile drei neue Grundrechte beschert, die aus dem Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und der Menschenwürde hergeleitet sind:

  • 1983: Das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung
  • 2004: Das Recht auf absoluten Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung
  • 2008: Das Recht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, oder umgangssprachlich: Das Recht auf eine digitale Privatsphäre.

Diese Urteile waren wegweisend nicht nur für Deutschland. Das Verfassungsgericht wird besonders seit dem letzten Urteil mit Anfragen aus dem Ausland überhäuft. Es ist davon auszugehen, dass dieses neue Grundrecht bald auch von anderen Verfassungsgerichten übernommen wird.

Es reicht aber nicht, immer nur das Verfassungsgericht als letzte und einzige Verteidigungslinie zu haben. Wir brauchen endlich wieder eine Politik, die von vornherein unsere Grundrechte achtet.

Das passiert aber nicht von alleine. Ich zitiere hier mal die als Revoluzzerin unverdächtige SPD-Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin, Gesine Schwan. Sie sagte kürzlich:

„Ohne einen deftigen Schuss an Rebellion bewegen sich die Etablierten nicht.“ Denn der Politik gelingt es immer weniger, „gemeinwohlorientierte Entscheidungen durchzusetzen“. Deshalb sei ziviler Widerstand nötig, „um der Werte der Demokratie willen“.

Liebe Freundinnen und Freunde,

genau diesen zivilen Widerstand haben wir gemeinsam erfolgreich aufbauen können in den letzten zwei Jahren.

Als wir das letzte Mal hier gegen die Überwachung und unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ demonstriert haben, am 6. November letzten Jahres, da wollten wir verhindern, dass der Bundestag die Vorratsdatenspeicherung beschließt. Das hat leider nicht funktioniert. Die Vorratsdatenspeicherung für Telefondaten ist seit dem 1. Januar in Kraft, die Internet-Speicherung soll am 1. Januar 2009 gestartet werden.

Haben wir deswegen verloren? Werden wir deswegen aufgegeben? Nein, niemals!

Denn es hat sich seitdem einiges getan, was mich sehr zuversichtlich stimmt. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat im Februar mehr als 34.000 Klagevollmachten in Karlsruhe eingereicht und damit ein deutliches Zeichen gesetzt. Eine Verfassungsbeschwerde mit so vielen Teilnehmern und Teilnehmerinnen gab es noch nie! Und die vorläufige Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hat die Verwendung der gespeicherten Daten bereits deutlich eingeschränkt. Wir sind zuversichtlich, dass es in der Hauptsache-Entscheidung diese Massenüberwachung der gesamten Bevölkerung vollständig kippen wird.

In Köln hat im März ebenfalls eine größere Demonstration gegen den Überwachungswahn mit mehreren tausend Teilnehmern stattgefunden. Im AK Vorrat laufen bereits die ersten Planungen für eine weitere bundesweite Demonstration in Berlin im September. Diesmal wollen wir noch mehr werden als die 15.000 letztes Jahr, und wir planen jetzt erstmals gemeinsam mit unseren Freunden im Ausland Demonstrationen in vielen europäischen Hauptstädten.

Und heute sind mit uns wieder in vielen Städten Deutschlands tausende Überwachungsgegner auf den Straßen, um ihren Protest gegen die Stasi-2.0-Wunschlisten der Innenminister und gegen die Überwaschung durch private Unternehmen laut und deutlich zu artikulieren.

Man merkt bereits, was wir mit all diesen Aktionen erreicht haben: Während noch vor zwei Jahren in den meisten Massenmedien die Angst vor dem Terror fast unhinterfragt übernommen und noch weiter geschürt haben, ist es mittlerweile für die Verfassungsgegner aus den Innenministerien zunehmend schwer, in der Öffentlichkeit Zustimmung zu finden.

Auch die Parteien schwenken immer mehr auf unsere Linie ein und entdecken die Grundrechte wieder.

Die Grünen, die noch unter Otto Schily die Einführung von Fingerabdrücken in den Reisepässen mit eingeführt haben, haben gerade eine Kampagne zur Rettung der Bürgerrechte gestartet.

Die FDP versucht sich von ihrem rein wirtschaftsliberalen Image zu befreien und entdeckt ihre Bürgerrechts-Wurzeln wieder.

Die Linke hat zwar manchmal noch Probleme mit ihrer eigenen Stasi-Vergangenheit, aber wehrt sich inzwischen wacker gegen die Neuauflage der Stasi in der Version 2.0.

Ich will hier nicht falsch verstanden werden. Ich freue mich darüber, und ich freue mich ausdrücklich, dass die genannten Parteien bzw. ihre Jugendorganisationen heute auch in Bremen zu unserer Kundgebung aufgerufen haben. Ich würde mir nur wünschen, dass diese Positionen nicht gleich wieder aufgegeben werden, sobald man an der Regierung ist.

Auch in der SPD rührt sich der Widerstand: Inzwischen sind ganze Landesverbände per offizieller Beschlusslage gegen die Vorratsdatenspeicherung.

Der eigentliche Punkt ist aber: Dies alles passiert nicht, weil die Leute plötzlich ein Einsehen haben und ihnen aufgefallen ist, dass sie es mit dem Ausbau der Überwachungsmaßnahmen zu weit getrieben haben. Nein, sie erinnern sich an die Bürgerrechte, weil wir sie mit all unseren Aktionen und unserer gemeinsamen Arbeit daran erinnert haben!

Momentan müssen wir noch gegen den Abbau der Freiheiten kämpfen. Aber das wird sich ändern: Wir wollen nicht weniger, sondern mehr Freiheit. Und auf dem Weg dahin werden uns weder Frau Zypries noch Herr Schäuble aufhalten. Wir werden täglich mehr, die immer lauter rufen:

„Freiheit statt Angst! Stoppt den Überwachungswahn!“

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