Europaparlament stimmt über Telekom-Paket ab

Ab 11:30h hat das Europaparlament heute über das Telekom-Paketin der ersten Lesung abgestimmt. Da mehr als 800 Änderungsanträgen zu den vier Richtlinien und einer Empfehlung auf der Tagesordnung standen, dauert es wohl noch etwas, bis wir konkretes wissen. Ich werde hier über die Fortschritte berichten und dann später die Ergebnisse kommentieren.

Update: Ich bin teilweise positiv überrascht. Einige unserer Positionen und Forderungen wurden heute von einer deutlichen Mehrheit im Europaparlament zugestimmt. Das ist besser gelaufen als erwartet. Aber viele Dinge sind weiter drin, wenngleich auch icht so radikal, wie es Rechteinhaber und Konservative geglaubt hätten. Wir müssen noch genauer analysieren, was genau abgestimmt wurde. Bei den vielen Änderungsanträgen dauert es etwas. Und wir konnten uns leider nicht in sämtlichen Punkten durchsetzen, so dass wir mal schauen müssen, was geschehen ist.

Eines ist klar: Das von den Rechteinhabern eingebrachte „3 Strikes and you’re out“-Modell hat eine deutliche Ablehnung durch das EU-Parlament bekommen! Allerdings hat man einige Punkte auf nationale Ebene abgeschoben. Diese sollen entscheiden, was „lawful content“ ist und was nicht. Das hätten wir auch noch gerne gekillt, aber da stand uns eine Koalition aus Liberalen, Konservativen und Sozialdemokraten im Weg. Auch wird weiterhin eine „freiwillige Kooperation“ zwischen Rechteinhabern und Internetprovidern gewünscht. Das steht weiter dem Ziel entgegen, dass das Telekom-Paket Verbraucherrechte stärken soll.

Aber alle radikalen Positionen zur Durchsetzung von Urheberrechten haben keine Mehrheit gefunden. Das „französische Modell“ der „graduate Response“ ist auf jeden Fall tot und auch einige Zensur-/Filter-Träume. Und das ist ein schöner Erfolg unserer Kampagne! Insgesamt bleiben aber gemischte Gefühle. Der Harbour-Report (Universaldiensterichtlinie) enthält weiter einige kritische Punkte. Grosse Teile der Linken und Grünen haben dagegen gestimmt, Konservative, Liberale und Sozialdemokraten überwiegend dafür. Aber ohne unsere Kampagne und die Aufmerksamkeit auf viele unbeachtete Punkte wäre es wohl schlechter gelaufen.

Der Spin von Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten läuft jetzt darauf hinaus, dass alles super ist und Verbraucherrechte gestärkt worden sind. Das stimmt aber nur in Teilen. Ich finde es schade, dass man in Teilen die Verantwortung auf die Nationalstaaten abgeschoben hat. Man hätte die Chance gehabt, auf EU-Ebene Verbraucherrechte deutlich zu stärken. Und zum Kompromisspapier hatten wir hier schon Anmerkungen gemacht. Mal schauen, was davon durchgekommen ist.

Mehr dazu:

Futurezone: Ohrfeige für „Three Strikes Out“.

Auch die Netzneutralität wird durch das Großvorhaben – insgesamt werden drei veraltete Richtlinien zum Thema gleichzeitig runderneuert – einigermaßen festgeschrieben, fixe IP-Adressen, die einer Person zugewiesen sind, gelten als persönliche Informationen, die unter Datenschutz stehen.[…] Kernaussage dieses Zusatzes ist, „dass die Rechte und Freiheiten der Endnutzer, insbesondere gemäß Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zur Meinungs- und Informationsfreiheit, keinesfalls ohne vorherige Entscheidung der Justizbehörden eingeschränkt werden dürfen“ [Änderungsantrag 138 zu Absatz 4]. Ausnahmen: „es sei denn aufgrund höherer Gewalt, aufgrund der Erfordernisse zum Schutz der Integrität und Sicherheit von Netzen oder aufgrund nationaler strafrechtlicher Bestimmungen, die aus Gründen öffentlicher Belange, der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Moral erlassen wurden“. Unter diese Kriterien fällt wohl die Verfolgung von Urhberrechtsverstößen durch Tauschbörsenbenutzer.

Laut Informationen aus dem Europaparlament ist der letzte Teil von der Futurezone zitierten Ausnahmen falsch. Die Berichterstatterin Trautmann hat einen mündlichen Änderngsantrag durchgebracht, der ein grosser Sieg für unsere Bestrebungen ist:

ga) applying the principle that no restriction may be imposed on the fundamental rights and freedoms of end-users, without a prior ruling by the judicial authorities, notably in accordance with Article 11 of the Charter of Fundamental Rights of the European Union on freedom of expression and information, save when public security is threatened where the ruling may be subsequent.

Demnach gibt es keine Ausnahmen für „strafrechtliche Bestimmungen, die aus Gründen […] der öffentlichen Moral erlassen wurden“. Und das ist gut so. Auf diesen Punkt haben wir uns in den letzten Tagen konzentriert, weil er viele Filterbestrebungen ausschliesst. Dafür gab es dann auch eine deutliche Mehrheit.

Heise: EU-Parlament: Provider sollen „rechtmäßige Inhalte“ fördern

Das EU-Parlament hat in erster Lesung umfangreiche Korrekturen am Entwurf der EU-Kommission zur Reform des Telecom-Pakets vorgeschlagen. Vom Tisch sind nach der Abstimmung über die Neuregulierung des Telekommunikationsmarktes zudem Änderungsanträge konservativer Abgeordneter für die direkte Etablierung eines Systems der „abgestuften Antwort“ auf Urheberrechtsverletzungen, wonach Internetzugänge nach wiederholten Warnungen per E-Mail gekappt werden sollten. Einer flächendeckenden Internetüberwachung widersetzten sich die Parlamentarier ausdrücklich. Eine große Mehrheit fanden aber Kompromissvorschläge, wonach nicht näher spezifizierte Verfahren zur Kooperation zwischen Internetprovidern und Unterhaltungsindustrie zur Förderung „rechtmäßiger Inhalte“ geschaffen werden sollen. […]Nicht durchsetzen konnte sich der konservative Berichterstatter Malcolm Harbour zudem mit einem Antrag, persönliche Informationen wie etwa Verbindungsdaten für die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte freizugeben. „Das verhindert, dass die Provider zu Hilfssheriffs werden“, begrüßte Helga Trüpel, grüne Vizechefin des Kulturausschusses im EU-Parlament, diese Klauseln gegenüber heise online.

Heute morgen hatte Spiegel-Online vor der Abstimmung berichtet: EU-Parlament stimmt über Web-Kontrolle ab.

Raubkopiesperren, Datenschutz, mobiles Internet auf Fernsehfrequenzen: EU-Abgeordnete entscheiden am Mittwoch, wie die Europäische Union das Web regulieren könnte. SPIEGEL ONLINE erklärt die wichtigsten Themenblöcke.

Und hier sind ein Teil der Abstimmungsergebnisse : (Siehe unsere Liste an Wahlempfehlungen)

Aus unserer Sicht „gute“ angenommen Änderungsanträge:

– – – trautmann : 120, 138 \o/, 142
– – – harbour : 157/163, 166 \o/, 186, 187

Aus unserer Sicht „schlechte“ abgelehnte Änderungsanträge:

– – – trautmann : 132/137 (withdrawn by Hyeronimi, Pan, le Toubon), 139
– – – harbour : 9/191, 30, 33, 34, 126, 130, 134, 177, 179

Aus unserer Sicht „schlechte“ angenommen Änderungsanträge:

– – – trautmann : 61, 64, 98, 100
– – – harbour : 11, 14, 62, 67, 75, 76, 101, 112, 117, 122, 182,
192 (without the word „individual“, splitted out), 194

Zoomer.de hat ein Interview mit mir gemacht: „Das hat in dem Gesetz nichts verloren“.

Die Vielzahl der Änderungsanträge macht es für gewöhnliche Bürger sehr schwierig, durchzublicken.

Wir kritisieren auch ganz stark die mangelnde Transparenz des Europa-Parlaments in dieser Sache. Dadurch, dass es so schnell gehen musste, hat man einen Teil der Änderungsanträge erst gestern im Internet gefunden – worüber heute die Abgeordneten abgestimmt haben. Das ist einerseits schon für die Abgeordneten ein Problem, die können sich gar nicht richtig vorbereiten. Die müssen sich auf andere verlassen, die quasi die Vorlagen liefern. Und für die interessierte Öffentlichkeit ist es eigentlich auch so gut wie unmöglich, den demokratischen Prozess zu kontrollieren und zu begleiten. Sie können nicht innerhalb von einem Tag 800 Änderungsanträge durchlesen – selbst, wenn Sie das juristische Fachwissen haben.

SWR: Mehr Rechte für Internet- und Handynutzer.

Der Sorge von Datenschützern und Bürgerrechtlern, das Telekom-Paket könnte durch einen Teil seiner vielen Unterpunkte die umfassende Kontrolle der Internetnutzung ermöglichen, trugen die Abgeordneten offenbar Rechnung. So hatte das Weblog “Netzpolitik.org“ vor einer Klausel in der Universaldiensterichtlinie gewarnt, die so ausgelegt werden könne, dass Internet-Zugangsprovider angehalten werden könnten, das Surfverhalten ihrer Kunden auf “rechtmäßige“ und “unrechtmäßige“ Inhalte hin zu überwachen. Die Blogger sahen darin ebenso wie andere Datenschutz- und Internetaktivisten das Einfallstor, um im Auftrag von Musik- und Filmindustrie nach möglichen Raubkopien zu suchen und Bürger auszuspionieren. Ihr Schreckensszenario: Nutzern “unrechtmäßiger“ Inhalte könnte der Internetzugang gesperrt oder gedrosselt werden, wie es in Frankreich auf nationaler Ebene eingeführt werden soll.

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