Als einer der letzten EU-Staaten bekommt auch Belgien ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten. Das hat die Abgeordnetenkammer gestern mit großer Mehrheit beschlossen. Zugriff auf die anlasslose Massenüberwachung gibt es auch für Geheimdienste – und zur Verfolgung falscher Notrufe.
Die EU-Richtlinie über die Vorratsspeicherung verpflichtet seit 2006 alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die anlasslose Massenüberwachung sämtlicher Telekommunikation in nationalen Gesetzen festzuschreiben. Die meisten EU-Staaten haben das auch getan. Deutschland hatte ein entsprechendes Gesetz von November 2007 bis März 2010.
Als eins der wenigen Länder hatte Belgien die Richtlinie bisher gar nicht umgesetzt. Das liegt vor allem daran, dass wegen Streitigkeiten im Flämisch-wallonischen Konflikt Belgien lange Zeit keine handlungsfähige Regierung hatte. Deswegen verliefen bisherige Anläufe immer wieder im Sand. Nachdem die Europäische Kommission im Mai erneut mit Klage gedroht hat, wurde jetzt im Eilverfahren ein Gesetz verabschiedet.
Es verpflichtet Kommunikations-Anbieter zur Speicherung folgender Daten:
- Verkehrsdaten (IP-Adresse, Datum und Uhrzeit der Verbindung, Dauer, usw.)
- Standortdaten
- Endanwenderinformationen (Kontaktadresse und Rechnungsdaten)
- Daten zur Identifizierung in elektronischen Kommunikationsdiensten (Telefonnummern)
- Daten zur Identifizierung von verwendeten Endgeräten
Die Daten sollen ein Jahr lang gespeichert werden, auf Empfehlung der belgischen Datenschutzkommission. Zugriff haben Polizeibehörden, Nachrichten- und Sicherheitsdienste und der Militärgeheimdienst. Auch hier gibt’s Zugriff nicht nur bei schweren Straftaten (oder gar Terrorismus), sondern auch zur Verfolgung von Hacker-Angriffen, für die „Aufgaben der Geheimdienste“ und zur „Unterdrückung böswilliger Anrufe an Rettungsdienste“.
Die Belgische Abgeordnetenkammer, das Unterhaus, hat das Gesetz gestern Abend mit 102 gegen 38 Stimmen beschlossen. Die Absegnung des Senats (Oberhaus) wird als Formsache betrachtet.
Kirsten Fiedler, netzpolitik.org-Autorin und Mitglied der belgischen Digital Rights NGO NURPA kommentiert treffend:
Die Verabschiedung eines nationalen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung im Schnelldurchlauf ist ein schwerer Fehler. Grade angesichts der NSA-Affären sollten unsere Regierungen Grundrechte schützen anstatt das Gegenteil zu machen.
Besonders pikant wird dieser Fehler, weil die EU-Richtlinie gerade vor dem Europäischen Gerichtshof auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten untersucht wird. Nach der Anhörung in Luxemburg ist es möglich, dass das oberste europäische Gericht die Richtlinie in diese Form nicht gelten lassen wird. Eine Umsetzung der alten Vorschriften vor dem Urteil verursacht daher mehr Arbeit, mehr Kosten – und ist vielleicht grundrechtswidrig.
zur “Unterdrückung böswilliger Anrufe an Rettungsdienste”.
Inwiefern soll für diesen ach so edlen Zweck eine einjährige Vorratsdatenspeicherung helfen?