KW 45Die Woche, als wir die Databroker Files nach Brüssel holten

Die 45. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 20 neue Texte mit insgesamt 200.571 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser*innen,

für meinen Kollegen Ingo Dachwitz und mich ging diese Woche eine größere Recherche zu Ende, die uns seit vielen Monaten begleitet hat. Zuerst möchte ich euch eine Grafik zeigen, die für die Recherche eine wichtige Rolle spielt.

Hier seht ihr die Umrisse des Berlaymont-Gebäudes in Brüssel; das ist der Sitz der Europäischen Kommission. Hunderte Punkte liegen wie Konfetti auf dem Gebäude-Umriss verteilt. Jeder Punkt ist eine Handy-Ortung.

Eine Karte zeigt den Umriss des Gebäudes der EU-Kommission in Brüssel. Rote Punkte zeigen Handy-Ortungen innerhalb der Mauern des Gebäudes, weiße Punkte außerhalb.
So viele Handy-Ortungen im Gebäude der EU-Kommission gibt es allein in einem Vorschau-Datensatz, der dem Recherche-Team vorliegt. - Alle Rechte vorbehalten L'Echo

Die Standorte kommen aus Datensätzen, die wir – wieder einmal – kostenlos von Databrokern erhalten haben. Angeblich nur zu Werbezwecken über Apps erhoben, werden solche Standortdaten zur Handelsware – und damit auch zur potenziellen Beute für Geheimdienste.

Der Sitz der EU-Kommission ist eines der Machtzentren der EU. Klar nutzen auch die Menschen, die dort arbeiten, Apps und Handys. Dass sie damit allerdings auf Schritt und Tritt überwacht werden können, macht den Standortdaten-Handel auch zu einer Frage der nationalen Sicherheit.

Mit mulmigem Gefühl im Bauch

Ein paar der roten Punkte, die ihr auf der Grafik seht, gehören einer Person, die in hoher Position für die Kommission arbeitet. Ihr Bereich ist Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zugeordnet.

Was ihr auf dieser Grafik nicht sehen könnt: Für jeden einzelnen Punkt gibt es eine Werbe-ID, eine eindeutige Kennung. Sie ist wie ein Nummernschild fürs Handy. Auf diese Weise können wir sehen, welche Ortungen zum gleichen Gerät gehören. So zeichnen sich aus dem Wust an Ortungen klare Bewegungsprofile einzelner Personen ab.

Eines dieser Bewegungsprofile führte uns vom Berlaymont-Gebäude zu einer Privatadresse in einem noblen Stadtteil von Brüssel. Kollegen vor Ort sind dorthin gefahren – und zu einigen anderen Adressen auch.

Falls ihr euch fragt, ob wir so etwas gerne tun: Nein!

Man bekommt schon ein mulmiges Gefühl im Bauch, wenn man bei fremden und wichtigen Menschen zu Hause aufkreuzt, um ihnen zu eröffnen, dass man ihr Bewegungsprofil kennt. Das weiß ich von den Kollegen aus Brüssel, die sich zu diesem Zweck aus ihrer Komfortzone begeben haben. Warum wir diese Besuche trotzdem gemacht haben?

Weil vor uns niemand so eindrücklich demonstriert hat, was es bedeutet, wenn Datenhändler massenhaft Handy-Standortdaten horten und verticken. Dass man anhand dieser Daten selbst sicherheitsrelevante Beamt*innen ausspionieren kann. Dass wir dann wirklich bei denen im Vorgarten stehen und klingeln: 🏡 🛎️ 👋.

Zumindest ein Datensatz aus Belgien lag uns schon eine Weile vor. Wir waren uns aber nicht sicher, ob wir ihn überhaupt auswerten sollen. Denn im Prinzip hatten wir das Problem bereits im Sommer 2024 anhand von Daten aus Deutschland ausführlich behandelt.

Der Gedanke ließ uns aber nicht los, dass eine ähnliche Recherche mit Daten aus Belgien noch mal anders Wellen schlagen könnte. Denn Gesetze für Datenschutz werden in Brüssel gemacht. Und auch Menschen in Brüssel blicken anders auf ein Problem, wenn es buchstäblich vor ihrer Haustür passiert.

Kommission droht, Datenschutz zu schleifen

Im Sommer 2025 haben Ingo und ich uns also doch in die Standortdaten aus Belgien vertieft. Arbeitstitel: Targeting the EU. Eher durch Zufall kam ein Kontakt mit belgischen Kollegen der Zeitung L’Echo zustande. Wir haben erfahren, dass sie gerade an einer ähnlichen Geschichte arbeiten, und kurzerhand entschieden: Wir machen gemeinsam weiter.

Andere verdienen ihr Geld mit euren Daten, wir nicht!

Recherchen wie diese sind nur möglich durch eure Unterstützung.

Auch einige Medien aus unseren vorigen Databroker-Recherchen hatten wieder Interesse. So kamen auch Le Monde, BNR und der Bayerische Rundfunk wieder an Bord. Das Ergebnis könnt ihr jetzt bei uns auf der Seite lesen.

Das Timing hätte kaum besser sein können. Denn direkt nach unseren Veröffentlichungen wurden die Pläne der EU-Kommission bekannt, im Rahmen angeblicher Vereinfachungen auch den Datenschutz zu schleifen. Während die Databroker Files auf beispiellose Weise zeigen, wie der Handel mit Daten aus der Werbeindustrie Privatsphäre und nationale Sicherheit gleichermaßen bedroht, scheinen zumindest für manche die Zeichen auf Deregulierung zu stehen. Dabei brauchen wir mehr Datenschutz, nicht weniger!

Zugleich beobachten wir, wie die neusten Entdeckungen der Databroker Files international Kreise ziehen – obwohl das Problem dahinter bereits zuvor bekannt war. Viele internationalen Medien haben die Recherche aufgegriffen, darunter zahlreiche aus Belgien, einige aus den USA und sogar eine Tageszeitung aus Malaysia. Hoffentlich konnten unsere Hausbesuche mit mulmigem Gefühl im Bauch etwas ins Rollen bringen.

🏡 🛎️ 👋
Sebastian

Uns fehlen dieses Jahr noch 171.198 Euro.

Databroker FilesDatenhändler verkaufen metergenaue Standortdaten von EU-Personal

Exakte Ortungen, verräterische Bewegungsmuster: Die Handy-Standortdaten von Millionen Menschen in der EU stehen zum Verkauf. Angeblich nur zu Werbezwecken erhoben, lassen sich die Daten auch für Spionage nutzen. Der europäische Datenschutz versagt, selbst EU-Spitzenpersonal in Brüssel ist betroffen. Die EU-Kommission sagt: „Wir sind besorgt.“

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Databroker FilesDas Wichtigste zur Spionage-Gefahr durch Handy-Standortdaten in der EU

Unsere neueste Recherche zu 278 Millionen Standortdaten, mit denen sich EU und NATO ausspionieren lassen, schlägt in Brüssel hohe Wellen. Die EU-Kommission zeigt sich besorgt, EU-Abgeordnete fordern Konsequenzen. Allen ist klar: Werbe-Tracking und Datenhandel gefährden die Sicherheit Europas.

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Databroker FilesAll you need to know about how adtech data exposes the EU to espionage

Our latest investigation has shaken up Brussels by revealing that commercial datasets containing 278 million locations can be used to spy on the EU and NATO. The European Commission has expressed its concern, Members of Parliament are calling for action. One thing is clear: ad tracking and data brokers threaten Europe’s security.

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Interaktive WebseiteWie autoritäre Tech-Netzwerke die europäische Souveränität gefährden

In den USA übernehmen private Plattformen und Konzerne immer mehr staatliche Funktionen. Wissenschaftler:innen machen dieses System nun sichtbar: Auf einer interaktiven Webseite zeigen sie den „Authoritarian Stack“ und wie dieser zunehmend auch nach Europa greift.

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Dänischer VorschlagDer Kampf um die Chatkontrolle ist noch nicht vorbei

Internet-Dienste sollen nicht zur Chatkontrolle verpflichtet werden, aber mit Chatkontrolle freiwillig das Risiko für Straftaten mindern. Das schlägt die dänische Ratspräsidentschaft in einem Debattenpapier vor. Die EU-Kommission soll später prüfen, ob das reicht – oder nochmal ein Chatkontrolle-Gesetz vorschlagen.

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Digitaler OmnibusEU-Kommission strebt offenbar Kahlschlag beim Datenschutz an [UPDATE]

Freifahrtschein für KI-Training, weniger Schutz für pseudonymisierte und sensible Daten, Beschneidung von Betroffenenrechten: Es verdichten sich die Hinweise, dass die EU-Kommission einen Frontalangriff auf die DSGVO plant. Auch die Bundesregierung fordert dahingehend Einschnitte, wie ein Dokument belegt, das wir veröffentlichen.

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"Digitaler Omnibus"EU-Kommission will Datenschutzgrundverordnung und KI-Regulierung schleifen

In weniger als zwei Wochen will die EU-Kommission einen umfassenden Gesetzesvorschlag präsentieren. Der „digitale Omnibus“ würde bestehende Datenschutz- und Verbraucherrechte massiv aufweichen. Wir veröffentlichen die Entwürfe der Kommission.

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Automatisierte DatenanalyseDer grüne Palantir-Spagat

Baden-Württemberg hat bereits Millionen ausgegeben, um Software des US-Konzerns Palantir in die Polizeiarbeit zu integrieren. Im Petitionsausschuss wurde nun das Anliegen angehört, nicht mit Palantir zusammenzuarbeiten. Die Grünen sind dabei zerrissen: Die Bundespartei positioniert sich gegen Palantir, doch die Regierungspartei in Stuttgart trägt den Deal mit.

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Noch 171.198 Euro für digitale Freiheitsrechte.

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