Die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly übt Kritik an Europol wegen zwei Mitarbeitern, die bei der Organisation Thorn angeheuert hatten. Die ehemaligen Europol-Bediensteten konnten dahin ohne Auflagen wechseln. Thorn lobbyierte in den letzten Jahren aktiv für die Chatkontrolle, ein kontroverser Vorschlag für eine EU-Verordnung, der Gewaltdarstellungen an Kindern entgegenwirken soll und dafür unter anderem das massenhafte Scannen von Chat-Nachrichten vorsieht.
Um ein derartiges Vorhaben technisch umzusetzen, entwickeln Unternehmen Softwarelösungen, die versprechen, diese digitalen Materialen aufzufinden. Genau in diesem Geschäftsfeld arbeitet Thorn: Die Organisation bietet eine solche automatisierte Softwarelösung mit dem Namen „Safer“ an. Eine Sprecherin von Thorn hatte netzpolitik.org bestätigt, dass diese Technologie für die Durchsetzung der Chatkontrolle verwendet werden könne.
Die EU-Kommission nannte Thorn einen „Partner“ und öffnete einem millionenschweren Lobby-Netzwerk die Türen. Die damalige EU-Kommissarin Ylva Johansson bezeichnete die priorisierten Lobbytreffen mit Thorn als normal.
O’Reilly attestierte Europol nun Missstände beim Thorn-Wechsel, die künftig korrigiert werden müssen. Sie reagierte damit auf eine schriftliche Beschwerde des früheren Europaparlamentariers Patrick Breyer (Piratenpartei), der mögliche Interessenkonflikte bei den Wechseln der beiden Mitarbeiter angezeigt hatte. Breyer beklagte, dass sich Thorn zwar als gemeinnützige Non-Profit-Organisation vermarkte, aber substantielle Einnahmen durch Verkäufe von Softwarelösungen erziele. Europol hätte daher die Interessenkonflikte und Risiken, die sich aus den Wechseln der ehemaligen Mitarbeiter zum „Chatkontrolle-Dienstleister“ ergeben, anders bewerten müssen.
O’Reillys Bewertung
In O’Reillys Entscheidung zu den Fällen betont die EU-Bürgerbeauftragte die „höchsten ethischen Verhaltensstandards“, an die sich EU-Bedienstete zu halten hätten und die auch nach dem Ausscheiden aus dem Dienst gelten würden. Wer innerhalb von zwei Jahren nach dem Ausscheiden eine neue Stelle oder Tätigkeit antrete, müsse mindestens darüber informieren. Europol hätte dann den Wechsel untersagen oder an bestimmte Bedingungen knüpfen können.
Stop scanning us
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Europol hatte sich gegenüber O’Reilly zweimal schriftlich zu dem Fall geäußert. Die Behörde vertrat die Auffassung, es habe keine tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Interessenkonflikt gegeben.
Die EU-Bürgerbeauftragte bewertet das anders. Sie kommt zu dem Schluss, dass es Europol versäumt hat, im Fall des ersten der beiden ehemaligen Bediensteten alle Risiken eines Interessenkonflikts angemessen zu bewerten. Das Polizeiamt habe auch nicht dokumentiert, ob und welche Einschätzungen zu Interessenkonflikten von den innerhalb der Behörde zuständigen Stellen getroffen wurden.
Auch in dem anderen der beiden Fälle würden keine Aufzeichnungen über die inhaltliche Beurteilung existieren. Es sei wahrscheinlich, dass es für den Wechsel, der ohne Bedingungen genehmigt worden war, gar keine Risikobewertung zu Interessenkonflikten gegeben habe. Das sei deswegen besonders schwerwiegend, weil ein Zusammenhang zwischen der Arbeit während der letzten drei Dienstjahre des Bediensteten und der geplanten künftigen Beschäftigung bestanden hätte. Das Risiko eines tatsächlichen oder aber potentiellen Interessenkonflikts sei eindeutig erfüllt gewesen.
Insgesamt bewertet O’Reilly das Agieren von Europol beim Arbeitswechsel des einen der beiden Mitarbeiter zu Thorn als einen „Missstand der Verwaltung“ (maladministration). Die vom Polizeiamt bekundete Bereitschaft, bestehende Prozesse zu überarbeiten, soll innerhalb von sechs Monaten in einen Bericht münden. Darin soll Europol erläutern, wie die festgestellten Mängel behoben worden sind.
Patrick Breyer sieht den Vorgang um den Wechsel der Mitarbeiter zu Thorn weiterhin kritisch: „Wenn ein ehemaliger Europol-Bediensteter sein internes Wissen und seine Kontakte verkauft, um ihm persönlich bekannte Mitarbeiter der EU-Kommission zu lobbyieren, ist dies genau das, was es zu verhindern gilt.“ Er fügt an: „Seit der Enthüllung des ‚Chatcontrol-Gate‘ wissen wir, dass der EU-Vorschlag zu Chatkontrolle letztlich ein Produkt der Lobby eines internationalen überwachungsbehördlich-industriellen Komplexes ist.“ Dass die Überwachungsindustrie die Pläne der EU-Kommission zumindest mitbestimmt, ist offenkundig. Breyer fordert daher: Der „Überwachungslobbysumpf“ müsse nun trockengelegt werden.
Aktuell bewegt sich das Vorhaben zur verpflichtenden Chatkontrolle nicht von der Stelle, da kein ausreichende Mehrheit der EU-Staaten den Vorschlag einer anlasslosen Überwachung von individueller Kommunikation unterstützt. Im März wird die zuständige EU-Arbeitsgruppe wieder verhandeln.
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