Chatkontrolle EU-Kommission hält Gesprächsnotizen mit Lobbyorganisation Thorn weiter geheim

Bei der Chatkontrolle und den Beziehungen zur US-Organisation Thorn möchte sich die EU-Kommission weiterhin nicht in die Karten schauen lassen. Die EU-Bürgerbeauftragte hatte die Kommission zur Herausgabe von Dokumenten aufgefordert und bedauert nun, dass diese dem nicht nachkommt.

Ylva Johansson und Ashton Kutcher vor Europafahne
Ashton Kutcher (rechts) war nur das öffentliche Gesicht eines breiten Netzwerkes, das für die Chatkontrolle bei der EU-Kommission lobbyiert. Hier bei einem Treffen mit Johansson am 20. März 2023. Twitter / Ylva Johansson

Die Europäische Bürgerbeauftragte bedauert die Weigerung der Europäischen Kommission, ihrer Empfehlung zu folgen und vier Dokumente im Zusammenhang mit der Ausarbeitung von Gesetzesvorschlägen zur sogenannten Chatkontrolle öffentlich zu machen. Dies teilt die Bürgerbeauftragte auf ihrer Website mit.

Die Dokumente wurden von einem Journalisten im Jahr 2023 im Rahmen einer Informationsfreiheitsanfrage angefordert und betreffen Treffen der Kommission mit der Organisation Thorn. Zwar sind einige der Dokumente bei Anfragen in anderen Ländern öffentlich geworden, Gesprächsnotizen eines Treffens mit Thorn und dem EU-Innenkommissariat bleiben allerdings weiterhin geheim. Die EU-Kommission begründet dies mit angeblichen Geschäftsgeheimnissen.

Die EU-Bürgerbeauftragte hatte der EU-Kommission empfohlen, die Dokumente freizugeben, „um der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, zu prüfen, wie die Beiträge der Interessengruppen in ihren Legislativvorschlag eingeflossen sind, und um zu überprüfen, ob sie unabhängig und ausschließlich im öffentlichen Interesse gehandelt hat“, heißt es in der Mitteilung.

Thorns zweifelhafte Rolle

Die US-Nichtregierungsorganisation Thorn, die mehr eine Art Start-Up ist, spielt eine zentrale Rolle in der Entstehung der Pläne für die Chatkontrolle. Thorn hatte schon früh für die Einführung der Chatkontrolle bei der EU-Kommission lobbyiert, wie der damals bei netzpolitik.org arbeitende Journalist Alexander Fanta aufdeckte. Die Organisation stellt selbst eine Software zur Erkennung von Bildmaterial her.

Von Anfang an waren die Pläne einer Chatkontrolle durch Lobbynetzwerke rund um Thorn und Vorschläge des Sicherheitsapparates geprägt. Recherchen von netzpolitik.org ergaben, dass zwei Europol-Beamte zu Thorn wechselten.

Recherchen von netzpolitik.org deckten auch auf, wie gut der Zugang von Thorn zur EU-Kommission ist. Durch öffentlich gewordene Mail-Wechsel zeigte sich, dass Thorn innerhalb von 37 Minuten einen Termin mit der EU-Innenkommissarin vereinbaren konnte. Internationale Recherchen zeigten zudem, dass Thorn Teil eines weitverzweigten und gut finanzierten Lobby-Netzwerks ist, dass die Einführung der Chatkontrolle forciert.

„Schwarzes Loch bei der Transparenz“

Alexander Fanta, der mittlerweile bei der Investigativplattform Follow The Money arbeitet, ist weiter an Thorn drangeblieben. So kam durch seine Recherche heraus, dass Thorn die Chatkontrolle auch für andere Kriminalitätsfelder als Kindesmissbrauch empfahl. Fanta ist es auch, der die Dokumente mittels einer Informationsfreiheitsanfrage bei der EU-Kommission angefragt – und sich nach der Ablehnung bei der Bürgerbeauftragten beschwert hatte.

Fanta sagt gegenüber netzpolitik.org: „Die Bürgerbeauftragte hat nochmal deutlich auf das schwarze Loch bei der Transparenz hingewiesen, was die Rolle Thorns bei der Ausarbeitung des Gesetzesvorschlags für die Chatkontrolle angeht.“ Die Kommission müsse endlich eingestehen, wie groß die Rolle Thorns war, und auf inhaltliche Kritik an ihrem Entwurf angemessen reagieren. Die Intransparenz der Kommission bei diesem Gesetzesvorschlag sei untragbar, so Fanta weiter.

Die Chatkontrolle hat bisher nicht die notwendige Unterstützung der Mitgliedstaaten erhalten, weil einige Länder nicht zustimmen wollen und eine Sperrminorität haben. Zuletzt war Belgien mit dem Versuch einer Abstimmung gescheitert.

7 Ergänzungen

  1. Ganz polemisch gefragt: was haben die verbrochen und versuchen es jetzt zu verbergen? Denn wir wissen ja: wer nichts verbrochen hat der hat auch nichts zu verbergen, und sowieso nichts zu befürchten.
    Und um welche „Geschäftsgeheimnisse“ soll es denn gehen, THORN ist doch non-profit und wohltätig, dachte ich. Die sollten ihre „Geheimnisse“ mit der Welt teilen, damit noch viel mehr Wohltätiges getan werden kann. Warum wollen die das nicht? Ist das nicht komisch?

  2. Thorn hat nichts an der EU dran nichts zu suchen. Absolut nichts.

    Öffentliche Paper und Positionen gerne, aber darüberhinaus, in diesem Kontext ist das offensichtlich Geheimdienstarbeit.

    Der Prozess ist bereits unmöglich, ungeachtet des Inhalts.

  3. Und da sieht man es mal wieder:
    „Die EU-Bürgerbeauftragte hatte der EU-Kommission empfohlen, die Dokumente freizugeben“. Und was passiert – nichts.
    Aber auf der anderen Seite konnten Lobbyorganisationen wie Thorn sehr schnell einen Termin mit der Kommission organisieren.

    Auch bei Going dark, wo Teilnehmerlisten geschwärzt wurden und Dokumente gelöscht wurden ist es genau das gleiche.

    Denen, die diese Maßnahmen befürworten und vorantreiben ist doch vollkommen bewusst, dass sie im Grunde machen können, was sie wollen, sie haben nichts zu befürchten.

    Solange da bzgl Transparenzanforderung immer nur so halbherzige Sachen wie „Empfehlungen“, „Bitten“ usw kommen, wird sich nichts ändern. Es wird immer weitergemacht und bei Ablehnung weiter versucht – bis es irgendwann durchkommt.
    Es müssten wirklich mal zur Abschreckung saftige Strafen angedroht werden, wenn Politiker bei solchen Dingen die Dokumente nicht herausgegeben werden oder (vor allem) nach einer Ablehnung bzw ausreichend Kritik von z.B. Grund- und Menschenrechtsorganistionen das Thema immer noch weiter verfolgt wird.

    Dann hätte man mit eine Chance, solche Vorhaben wie Chatkontrolle & Co ein für allemal zu stoppen und zu beerdigen.
    So aber kann man nur zusehen, wie ein Anlauf nach dem nächsten gestartet wird, muss jedes mal hoffen, dass sich keine Mehrheit findet oder – falls doch – der EUGH es nachträglich verbietet.

    Ein super Beispiel dafür, dass mit netten Fragen und Bitten usw in solchen Fällen nichts zu erreichen ist, war u.a. der Artikel
    https://netzpolitik.org/2023/lobbynetzwerk-und-mikrotargeting-ylva-johansson-weicht-fragen-im-eu-innenausschuss-aus/

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