Es erinnert an das Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Illegale Inhalte, die die öffentliche Sicherheit oder Gesundheit schwer gefährden könnten, sollen innerhalb von 24 Stunden aus dem Internet verschwinden. Für die Entfernung sonstiger illegaler Inhalte sollen Online-Dienste eine Woche Zeit haben.
Dieser Vorschlag steht im Berichtsentwurf der dänischen Sozialdemokratin Christel Schaldemose zum EU-Gesetz für digitale Dienste (Digital Services Act, DSA). Die EU-Abgeordnete ist Berichterstatterin im federführenden Ausschuss für den Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO), ihr fertiger Bericht, an dem auch andere Fraktionen mitarbeiten, wird schließlich die Position des EU-Parlaments zum Gesetz bestimmen.
Mit dem DSA und dem zeitgleich vorgestellten Gesetz für digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) will die EU die Regeln für den digitalen Raum weitreichend überarbeiten. Ihren Vorschlag hatte die EU-Kommission im vergangenen Winter präsentiert, ebenso wie das EU-Parlament ringen die EU-Länder noch um ihre Verhandlungsposition.
Bislang regelt die E-Commerce-Richtlinie den Umgang mit illegalen Inhalten im Netz. Allerdings ist der Prozess dort nur grob umschrieben, zudem fehlen genaue zeitliche Vorgaben. Die DSA-Verordnung würde – im Unterschied zur bisherigen Richtlinie – den EU-Ländern deutlich weniger Spielraum lassen, wie sie mit illegalen Inhalten und Online-Anbietern verfahren.
Kurze Löschfristen und unklare Rechtsbegriffe
Kurze Löschfristen, verbunden mit drohenden Geldstrafen oder gar dem Verlust der Haftungsfreiheit für einen Online-Dienst, bergen die Gefahr von „Overblocking“ – wenn im Zweifel also unnötig viele Inhalte gelöscht werden, sagt die deutsche EU-Abgeordnete Evelyne Gebhardt, die im IMCO sitzt. Abgeneigt ist die Sozialdemokratin dem Vorschlag aber nicht: „Mit einer Maximaldauer von 24 Stunden wird ein klares Regelwerk geschaffen, mit dem unterlassene Handlungen auch sanktioniert werden können“.
Martin Schirdewan, der als Schattenberichterstatter die Linksfraktion in den Verhandlungen vertritt, begrüßt klare Löschfristen für illegale Inhalte. Allerdings sei der neue Vorschlag von 24 Stunden zu ambitioniert und müsse insbesondere für kleinere Plattformen überarbeitet werden. „Sieben Tage für die Überprüfung und eventuelle Löschung von illegalen Inhalten betrachte ich als realistisch umsetzbar“, sagt Schirdewan.
Netzaktivist:innen sehen den Entwurf kritisch. Tom Jennissen von der NGO Digitale Gesellschaft hält feste Fristen für „abwegig“, insbesondere derart kurze. Genauso wenig seien die offenen Rechtsbegriffe vertretbar, die in Schaldemoses Vorschlag stehen. Insgesamt sei die Regelung „unmöglich, unpraktikabel und viel zu kurzfristig“, sagt Jennissen.
Auch der Piratenabgeordnete Patrick Breyer sieht eine zu große Gefahr für die Meinungsfreiheit. Als Teil der Grünenfraktion begleitet er als Berichterstatter im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) den Prozess. In seinem eigenen LIBE-Berichtsentwurf schlägt Breyer vor, bei der „bewährten Formulierung“ zu bleiben, also dass die Haftungsfreiheit „unverzügliches“ Handeln voraussetzt, sobald ein Anbieter Kenntnis von illegalen Inhalten erlangt.
Dieses Kriterium habe die erforderliche Flexibilität, mit der die Gerichte in dringenden Fällen, etwa beim Livestream eines Terroristen, und bei großen Plattformen mehr Eile fordern können, als wenn beispielsweise bei einem kleinen, nicht-kommerziellen Anbieter in den Weihnachtsferien ein unlizensiertes Foto gepostet wird, so Breyer. Zudem müssten Nutzer:innen vor einer Löschung Stellung nehmen können, fordert er: „Diese Zeit muss sein, um legale Inhalte zu schützen“.
Keine Ausnahmen für kleine Online-Dienste
Dem Vorschlag Schaldemoses zufolge würden Ausnahmen für Kleinst- und Kleinunternehmen entfallen, welche die Kommission vorgesehen hatte. Sie müssten dann etwa ein internes Beschwerdemanagementsystem aufbauen, Transparenzberichtspflichten erfüllen und sich gegebenenfalls an einer außergerichtlichen Streitbeilegung beteiligen.
Ziel des DSA müsse es sein, die Marktmacht der dominanten Großkonzerne zu brechen, sagt Breyer. „Kleine Wettbewerber übermäßig zu belasten, wäre an dieser Stelle kontraproduktiv“. Auch Schirdewan würde „Micro-Enterprises“ weiterhin aus den Regelungen ausschließen, um ihnen Chancen im digitalen Markt zu ermöglichen. Die Sozialdemokratin Gebhardt sieht die Forderungen hingegen als Mindestregeln, die Nutzer:innen „ein Mindestmaß an Transparenz und regelbasierten Handels“ der Anbieter zusichern.
Offenkundig auf die Sperrung der Social-Media-Accounts des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump zielt ein neuer Abschnitt im Berichtsentwurf: Demnach soll die Suspendierung von Accounts von „Personen des öffentlichen Interesses“ erst durch ein Gericht bestätigt werden. „Allerdings ist vollkommen unklar, wie dies in der Praxis funktionieren soll und welchen Rechtsweg Plattformen initiieren sollen“, sagt die Abgeordnete Alexandra Geese, die im IMCO für die Grünen verhandelt.
Uploadfilter bei Online-Händlern
Für Diskussionen werden wohl die von Schaldemose ins Spiel gebrachten Uploadfilter sorgen. Gelten sollen sie für Online-Handelsplattformen, die das Wieder-Auftauchen von illegal markierten Gütern oder Dienstleistungen verhindern sollen. Allgemeine Überwachungspflichten sollen dabei aber außen vor bleiben.
„Die Absicht des Vorschlags ist es, dass Verkaufsplattformen konsequenter gegen illegale Waren vorgehen müssen“, verteidigt Gebhardt den Vorschlag ihrer Fraktionskollegin. Es sei eine Schwemme von Artikeln zu erleben, die nicht den europäischen Sicherheitsstandards genügten. „Hier die Plattformen mit in die Verantwortung zu nehmen, ist ein Beitrag zum Schutz von Verbraucher:innen und ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt die Abgeordnete.
Ähnlich wie Gebhardt will Schirdewan keine Uploadfilter in sozialen Netzen wie Facebook oder Youtube. Bei Online-Marktplätzen stehe jedoch die Sicherheit der Produkte im Vordergrund, welche mit den neuen Regelungen für die Verbraucher:innen garantiert werden müssen. „Dazu gehört auch, dass Produkte, die bereits gelöscht wurden, nicht erneut auf einer Plattform wie Amazon hochgeladen werden“, sagt Schirdewan.
Der Pirat Breyer hält Re-Uploadfilter gegen illegale Waren oder Dienste hingegen für unwirksam. „Für windige Händler aus China beispielsweise wäre es ein Leichtes, das Angebot dieser Waren in Text und Bild so zu verändern, dass es der Filter nicht erkennt“, so Breyer. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass auch Waren und Dienstleistungen grundrechtsrelevant sein können, etwa der Verkauf von Büchern.
Geschäftsmodell Online-Tracking
Nur leicht überarbeitet hat Schaldemose die Vorgaben zu Online-Werbung, Tracking und algorithmischen Empfehlungssystemen. So sieht sie etwa bessere Vorgaben bei der Transparenz vor. Die sollen sicherstellen, dass Nutzer:innen einfach herausfinden können, wer hinter Anzeigen steckt und warum sie ihnen eingeblendet werden. Zudem soll personalisierte Werbung erst nach einer „informierten Einwilligung“ erlaubt sein.
Der Vorschlag eines verpflichtenden Opt-In habe die gute Intention, Nutzer:innen schützen zu wollen, sagt die Grünen-Abgeordnete Geese. „Aber Google und andere große Plattformen haben leichtes Spiel bei diesen Einwilligungen, weil sie so viele Dienstleistungen anbieten, dass sie sich unverzichtbar machen können“. Eine freie Wahl hätten Nutzer:innen nicht.
Geese zählt zu einem Kreis von EU-Abgeordneten, die das Datensammeln zu Werbezwecken grundsätzlich stoppen möchten, ein Verbot fordern auch Breyer und Schirdewan. Die auf Überwachung aufbauende Praxis ist das Geschäftsmodell von Google und Facebook, die das Ad-Tech-Geschäft dominieren. „Die so gesammelten und rückgeschlossenen Datenmengen sind es, die den großen Plattformen einen enormen Wettbewerbsvorteil gegenüber allen anderen Unternehmen verschaffen“, sagt Geese.
Ob sich letztlich eine Mehrheit für ein komplettes Verbot finden wird, bleibt noch unklar. Dagegen sperren sich nicht nur die Lobbyisten der großen Anbieter, sondern etwa auch weite Teile der Verlagsbranche. Um eine aussichtslose Randposition handelt es sich allerdings nicht. Jüngst wurde etwa bekannt, dass sich Deutschland im EU-Rat für ein Verbot von personalisierter Online-Werbung für Minderjährige ausgesprochen hat. Die Sozialdemokratin Gebhardt fordert ein generelles Verbot personalisierter Werbung. Diese werde zur Verbreitung von Desinformationen und zur Vermarktung schädlicher Inhalte genutzt, so Gebhardt. „Wir müssen wirtschaftliche Anreize für schädliches Verhalten beseitigen und das geht nur über ein Verbot.“
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