NetzsperrenEU-Parlament will illegales Sport-Streaming stoppen

Abgeordnete fordern gegen rechtswidriges Live-Streaming von Sportveranstaltungen den Einsatz von Netzsperren. Stimmen aus der Zivilgesellschaft halten dieses Mittel allerdings für fragwürdig.

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Das EU-Parlament will illegale Live-Streams stoppen – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Steven Lelham

Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments will illegale Echtzeit-Übertragungen von Sportveranstaltungen mit Hilfe von Netzsperren stoppen. Nach Meinung einer Mehrheit der Abgeordneten sind Live-Streams als geistiges Eigentum besonderes schützenswert, da der Verkauf von Sendelizenzen im Profi-Sport eine essentielle Einnahmequelle darstelle.

Der verhältnismäßig kurze Übertragungszeitraum von Sport-Events erfordere schnelle und wirksame Sperr-Maßnahmen. Die Anbieter von Vermittlungsdiensten sollen in Zukunft illegale Live-Streams nach Benachrichtigung durch Rechteinhaber:innen oder durch sogenannten „trusted flaggers“, zu deutsch vertrauenswürdige Hinweisgeber:innen, „unverzüglich oder so schnell wie möglich und spätestens nach 30 Minuten“ unterbinden.

Für EU-Parlamentsmitglied Adrián Vázqez Lázara spielt dabei der Schutz der Zuschauer:innen eine Rolle – bei der Nutzung illegaler Streaming-Angebote steige angeblich das Risiko durch Viren oder Datendiebstahl.

Eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments kommt zum Ergebnis, dass im Jahr 2019 rund 7,5 Millionen Abonnements für illegale Live-Streams abgeschlossen wurden. Die Betreiber:innen der besagten Seiten generierten über eine halbe Milliarde Euro Umsatz – und dem Fiskus gingen etwa 113,5 Millionen Euro an Steuern verloren.

Bei dem Ruf nach rascher Sperrung illegaler Streams handelt es sich um eine politische Forderung des EU-Parlaments. Die EU-Kommission kann nun entscheiden, ob sie den Gesetzesvorschlag aus dem Parlament aufnimmt oder nicht. Ob sie darauf reagieren wird, beantwortete die Kommission auf Anfrage von netzpolitik.org zunächst nicht.

Riskanter Ruf nach Netzsperren

Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments plädiert auf eine einheitliche, europaweite Regulierung im Rahmen eines Digital Services Act, um die Effizienz der Maßnahmen zu gewährleisten. Die nötige Schnelligkeit im Kampf gegen rechtswidrige Live-Streams erfordert rabiate Mittel – der Rechtsausschuss wirft den Einsatz von Netzsperren und dynamischer Verfügungen für Rechteinhaber:innen, die damit Sperren ohne gerichtliche Prüfung durchsetzen könnten, in den Ring.

Dabei sind Netzsperren politisch höchst umstritten, auch wenn die Unterhaltungsindustrie immer wieder erfolgreich für das Kontrollinstrument lobbyiert hat. Mit dem Instrument der Netzsperre blockieren Internet-Provider gesamte Webseiten – durch die direkte Sperrung der IP-Adresse oder Löschung von Einträgen aus den DNS-Servern. Allerdings lassen sich Netzsperren relativ leicht umgehen, zum Beispiel durch einen VPN-Zugang oder den Wechsel des DNS-Servers, weshalb IT-Expert:innen an der Wirksamkeit von Netzsperren zweifeln.

Auch wenn der Rechtsausschuss den Einsatz von Netzsperren im angemessenen Einklang mit Datenschutz und Grundrechten fordert, bleibt das Instrument aus grundrechtlicher Sicht fragwürdig. Nach Ansicht von Stimmen aus der Zivilgesellschaft stellen Netzsperren einen schwerwiegenden Eingriff in die Kommunikationsfreiheit des Internets dar. Die Netzaktivistin Julia Reda warnt vor Kollateralschäden für legale Kommunikation.

Kritik äußert auch der EU-Abgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei. Der Textentwurf sei „eine Bedrohung für unsere digitalen Grundrechte und hätte genauso gut von Lobbyisten der Verwertungsindustrie diktiert worden sein können”, sagt Breyer.

4 Ergänzungen

  1. „hätte genauso gut von Lobbyisten der Verwertungsindustrie diktiert worden sein können“.

    Es ist davon auszugehen, dass dem so ist.

  2. „spätestens nach 30 minuten“ und „Löschung im DNS“ greift meines Erachtens zu kurz. Denn wenn der stream schon läuft: braucht der Client/Zuschauer-Computer m.E. keinen DNS-Zugriff mehr. Der Name ist bereits in eine IP aufgelöst und in Verwendung. = Nutzlos.

    Wenn der Stream aber über Multicast verteilt wird dann hilft m.E. auch dafür keine Sperre mehr. Da müsste man schon zielgenau die Quell-IP des Streams wirklich blockieren so das deren Datenpakete nicht mehr raus kommen. Dazu muß man aber erst mal wissen woher der kommt und dann dort möglichst nah an der Quelle blockieren. Und möglicherweise stoppt man damit auch jede menge legale Angebote (die sich dann zu recht beschweren würden). = Nutzlos.
    In jedem anderen Fall: Wechsel des DNS-Servers wie o.g. Heißt: Alles Nutzlos und sogar gefährlich weil aktive Traffic-blockierung auf Zuruf eingeführt würde. Ob das der Cheheime Cheheimplan dahinter ist? :-/

    Warum folgt man nicht einfach der Spur des Geldes zum Täter? Irgendwohin müssen die Abonnenten ihre Illegalen Zahlungen ja schicken. Gibt es denn noch Reste eines Bankgeheimnisses die dem im Wege stünden? Das kriegen DIE dann auch noch klein argumentiert.

    Teufel == Beelzebub!

  3. Ich schätze, hier wird versucht Einzelinteressen der Gesamtheit, also dem Parlament und uns aufzuschwatzen.

    So sagt NP hier natürlich nicht falsch, es handele sich um eine politische Entscheidung des Parlaments. Korrekter wäre jedoch, es handelt sich um eine Entscheidung der Rechtsverwerter, die dem Parlament aufgeschwatzt werden soll. Ein Spiel über Bande. Für meine Annahme spricht auch, das hier vor „Viren“ gewarnt wird, als ginge es darum die armen Konsumenten dieser Streams zu schützen. Es wird versucht da manipulierend Angst zu verbreiten.

    Auch die Aussage, dem Staat würden 113,5Mio EUR verloren gehen, könnte man in dieser Form als manipulierend werten. Es geht mitnichten um den Staat. Ich fürchte, der geht denen am A**** vorbei. Das Geld ist schließlich nicht in einem schwarzen Loch verschwunden. Es wird ausgegeben, kurbelt die Wirtschaft an und generiert wenigstens wieder Mehrwertsteuer. Natürlich ist das trotzdem kein Freibrief. Es relativiert nur ein wenig.

    Auch beim Digital Services Act besteht die Gefahr, dass hier Recht durch private Firmen gesprochen wird. Die CUII-Initiative einiger privater Internetanbieter und der Verwertungsindustrie ist nicht der erste Vorbote.

    Es ist ihnen zu kompliziert zu klagen um ihr Recht einzufordern. Also nehmen sie das selbst in die Hand. Analoge Bestrebungen gibt es bei der Regulierung von KI und Uploadfiltern. Rechtsstaatlichkeit ist da einfach zu unbequem. „Hängen soll er“ ist jedoch Lynchjustiz.

    Das ist alles vielleicht verständlich. Denn nach geltendem Recht sind die Verwerter die, die einen Schaden haben (sorry für das Wortspiel). Es gibt nur ein Problem dabei:

    Demokratie beruht auf Gewaltenteilung. Es ist massiv schädigend, das zu untergraben. Es ist nicht möglich, das staatliche Gewaltmonopol derart in die Hände von Firmen oder Vereinen zu geben. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Firmen die Betroffenen sind. Sie sind einfach nicht unabhängig. Justizia muss blind genug sein. Doch die Industrie ist alles andere als blind.

    Aus meiner Sicht bedeutet die Forderung des Parlaments eine Schwächung des Rechtsstaats und der Demokratie an sich. Hier muss man eine Absicht der Initiatoren annehmen. Oder ist das Dummheit? Nicht ernsthaft, oder?

    Wie es besser geht hat mein Vorposter sehr gut beschrieben. Und da geht sogar noch mehr, wie damals der CCC, der AK-Zensur und viele Andere belegt haben.

    Ich habe so eine Vermutung, warum das nicht gewünscht ist. Ihr jetzt auch?

  4. Netzsperren … wie stellt sich das bei einem Entwicklerstream eines kleinen Studios auf deren eigener Seite dar (und zum Vergleich: auf Steam)?

    Wird deren Webpräsenz dann weggebombt, weil eine Anwaltskanzlei Urhebererpressung übt? Oder wird es „nur für die fiesen illegalen Streams“ nach händischer Prüfung verwendet, aber so weit formuliert, dass es hinreicht alles und jeden auf Verdacht sperren zu lassen, falls der Freund im Kommissariat das auch lustig findet, oder EU-bürgerlich gedacht: die Landwirtschaftsbehörde des EU-Neulings Bolzmenistans kollektiv einen sitzen hat?

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