Medienmäzen GoogleTech-Konzern fördert regimenahes Medium in Ruanda

Die Google News Initiative unterstützt Medien auf der ganzen Welt. Dass das Geld des Konzerns auch bei einer extrem regierungsfreundlichen Zeitung in Ruanda landet, stößt bei Menschenrechtsorganisationen auf Unverständnis.

The New Times in Ruanda
Die Zeitung The New Times gilt als Sprachrohr von Präsident Paul Kagame. CC-BY 4.0 netzpolitik.org

The New Times beschreibt sich selbst als „Ruandas führende Tageszeitung“. Das Blatt berichtet in ehrerbietigem Tonfall über Präsident Paul Kagame, der das ostafrikanische Land seit 20 Jahren mit harter Hand regiert. Ungehalten wird die New Times hingegen bei Kritik von NGOs aus dem Ausland.

Das gilt etwa für Human Rights Watch. Die Nichtregierungsorganisation wagte es kürzlich, die Verhaftung des Regierungsgegners Paul Rusesabagina zu kritisieren.

In der New Times fand sich prompt eine harte Replik. „Wenn Human Rights Watch Terroristen verteidigt, dann ist es höchste Zeit, dass es seinen Namen in Terrorist Rights Watch ändert“, heißt es im Titel eines Kommentars, den das Blatt veröffentlicht. 21 Beiträge bringt die New Times binnen sechs Monaten allein über den Fall Rusesabagina. Die Schlagzeilen lauten etwa „Rusesabaginas Größenwahn kennt keine Grenzen“.

Attacken wie jene gegen Human Rights Watch sind in der New Times keine Seltenheit, beklagt Lewis Mudge. Der Direktor für Zentralafrika bei der Human Rights Watch sagt zu netzpolitik.org, das Blatt sei „ein Sprachrohr für Attacken der Regierung auf Widersacher der Regierungspartei RPF und des Präsidenten“.

Umso ungewöhnlicher ist es da, dass ausgerechnet der Weltkonzern Google die New Times in Ruanda finanziell unterstützt. Die Förderung ist Teil der Google News Initiative, mit der der das Technologieunternehmen weltweit Medien fördert (mehr dazu in der neuen Studie der Autoren und der Berichterstattung dazu auf netzpolitik.org).

Der Konzern sagt, er wolle mit der News Initiative Verantwortung für das digitale Nachrichtenökosystem übernehmen und den Journalismus fördern – und könnte an manchen Orten das Gegenteil erreichen. Ruanda ist nicht das einzige autoritär regierte Land, in dem Google regierungsnahen Medien Geld gibt.

Presseförderung ohne freie Presse

Noch immer ist Ruanda stark von den Folgen der europäischen Kolonialherrschaft und des Völkermordes der Hutu-Mehrheit an der Tutsi-Minderheit im Jahr 1994 geprägt. Auch wenn die Rolle des Präsidenten in den Bürgerkriegsjahren umstritten ist, regiert Paul Kagame das Land seit 20 Jahren.

Der ostafrikanische Staat gilt in Sachen Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung als Vorbild für die Region. Der Preis dafür ist jedoch, dass Präsident Kagame politischen Widerspruch durch breitflächige Überwachung, Einschüchterung und mutmaßlich auch durch Attentate unterdrückt, so die US-Organisation Freedom House.

Auch von freier Presse ist kaum zu sprechen. Im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen kommt Ruanda nur auf Rang 155 unter 179 Staaten. Zensur sei allgegenwärtig und auch Selbstzensur verbreitet, um Ärger mit dem Regime zu vermeiden, heißt es von Reporter ohne Grenzen. Der Genozid werde von der Regierung missbraucht, um gegen kritische Medien wegen angeblich „spalterischer“ Berichterstattung vorzugehen.

Doch das schwierige Umfeld hält Google nicht davon ab, hier Geschenke zu verteilen.

Die New Times war eine der Gewinnerinnen von Googles Innovation Challenge für den Mittleren Osten, die Türkei und Afrika. Für das Projekt „Readers‘ Call on the News“ könnte das Blatt bis zu 150.000 US-Dollar erhalten haben. Es soll die Ideen von Leser:innen sammeln und aus ihnen Geschichten entwickeln. Das Blatt wolle dadurch „Misstrauen“ überwinden und die Distanz zu seinem Publikum verkleinern, heißt es auf der Website der Google News Initiative. Das Projekt werde helfen „sicherzustellen, dass die Ideen der Leser gehört und darüber berichtet wird und am Ende bessere Nachrichten über Ruanda produziert werden.“

Ermächtigung für ein Sprachrohr der Regierung

Dass Google Geld an Medien verschenkt, ist keine Seltenheit. Ein erstes Programm dieser Art entwickelte der Konzern 2013 in Frankreich. 2015 weitete er es auf ganz Europa aus, seit 2019 fördert Google Innovationsprojekte von Medien auf der ganzen Welt.

In Afrika unterstützt Google 2020 acht Projekte, davon eines in Ruanda. Das sorgt für Unverständnis unter Menschenrechtler:innen.

Die Mittelvergabe könne negative Entwicklungen fördern, sagt Sigi Waigumo Mwanzia von der NGO Article 19, die sich der Verteidigung der Meinungsfreiheit verschrieben hat. „Sie ermächtigt das, was einige für ein Sprachrohr der Regierung halten, weiterhin regierungsfreundliche und oft einseitige Informationen zu verbreiten.“

Unabhängige Medien, die keine Förderung von Google erhalten haben, würden dadurch in ihren Bemühungen geschwächt, „einseitige Erzählungen“ von regierungsnahen Medien zu bekämpfen.

Google verweist auf Nachfrage von netzpolitik.org auf die Organisationsstruktur seiner Innovation Challenges. Der Konzern schreibt hier zeitlich begrenzte Runden für unterschiedliche Weltregionen aus. Die Medien können sich mit Projekten um eine Förderung bewerben, am Ende entscheidet eine Jury aus Vertreter:innen der regionalen Medienlandschaft gemeinsam mit Googles Projektteam.

Insgesamt verteilte Google bei der Challenge für den Mittleren Osten, die Türkei und Afrika knapp 2 Millionen US-Dollar auf 21 Projekte. Pro Projekt gab es bis zu 150.000 US-Dollar, genaue Summen sind nicht bekannt.

Wer zur Jury gehörte ist genau so unbekannt wie die Kriterien, nach denen die Gewinner ausgewählt wurden. Von Pressefreiheit, Unabhängigkeit oder journalistischer Integrität ist auf der Seite der News Initiative jedenfalls nichts zu lesen. Es wäre durchaus hilfreich, Googles Kriterien für die Verteilung von Mitteln zu verstehen, sagt Waigumo Mwanzia.

„Im besten Fall hat Google Mist gebaut“

Die Berichterstattung der New Times könne nicht als unabhängig angesehen werden, kritisiert Lewis Mudge von Human Rights Watch. „Menschenrechtsaktivisten, insbesondere diejenigen, die Verletzungen der Meinungs- oder Vereinigungsfreiheit öffentlich anprangern, sind eine Zielscheibe für die Regierung und die RPF. Die New Times dient als Mittel für Versuche, diese Angriffe zu verstärken und Kritiker zu delegitimieren.“

Es seien zumindest zwei Varianten denkbar, sagt Mudge. „Im besten Fall: Jemand bei Google hat Mist gebaut, und es gab keine gebührende Sorgfalt. Das verblüfft angesichts der Ressourcen, über die Google verfügt.“

Der schlimmste anzunehmende Fall ist hingegen für den Menschenrechtler, dass „Google signalisieren möchte, dass es Unterdrückung finanziert und Maulkörbe für die freie Rede unterstützt, ebenso wie das Schließen politischer Räume in Ruanda und Attacken auf politische Widersacher:innen und Menschenrechtler:innen.“

Der Journalismusprofessor und Ruanda-Kenner Allan Thompson von der Carleton University in Kanada betont, es wäre nutzbringender für die lokale Medienlandschaft gewesen, würde Google mehr als nur ein Medium vor Ort fördern. „Meine Kritik ist nicht so sehr, dass sie die New Times finanzieren, sondern sie hätten nach anderen, unabhängigeren Nachrichtenorganisationen suchen sollen, die Hilfe brauchen.“

Förderungsbedürftig seien etwa Medien wie Kigali Today und Igihe. Die New Times als etablierte Zeitung „brauche am wenigsten Unterstützung von außen“, sagt Thompson.

Google-Geld fließt auch in die Vereinigten Emirate

Geld aus der Google News Initiative landet unterdessen auch in einem anderen Land mit beschränkter Pressefreiheit. In den Vereinigten Arabischen Emiraten – Platz 131 von 180 auf der Rangliste der Pressefreiheit – fördert Google seit dem Frühjahr 2020 unter anderem die englischsprachige Zeitung The National. Der Besitzer des Mediums ist eine staatliche Aktiengesellschaft unter Kontrolle des emiratischen Herrscherhauses.

„Daher wäre es äußerst schwierig zu sagen, dass The National in irgendeiner Weise redaktionell unabhängig ist und ich glaube nicht, dass sie auch nur so tun“, sagt der britische Nahost-Forscher Christopher M. Davidson gegenüber netzpolitik.org. Das Blatt sei dabei eines der besseren englischsprachigen Medien in der Region, Google habe es wohl als noch die beste Wahl angesehen.

The National startete vor mehr als einem Jahrzehnt mit dem ehrgeizigen Ziel, die „New York Times des Mittleren Ostens“ zu werden. Doch schon wenige Jahre später verließen aus dem Ausland angeheuerte Journalisten das Blatt wieder, sie kritisieren Selbstzensur gegenüber dem Herrscherhaus der Emirate.

Das wäre kein Wunder: Selbst die leiseste Kritik am Regime durch Journalist:innen führe oft zu strafrechtlichen Vorwürfen und dem Risiko hoher Haftstrafen und Misshandlung im Gefängnis, schreibt Reporter ohne Grenzen in seinem Länderbericht. Der Lage zum Trotz fördert Google das regimenahe Blatt. Auf Kosten des US-Konzerns entwickelt The National ein Programm zur automatisierten Übersetzung seiner Artikel in Audio-Beiträge.

Rückzieher in Ungarn

Es ist nicht das erste Mal, dass Förderungen von Google für Kritik sorgen. Für Aufsehen sorgte vor eineinhalb Jahren ein Fall bei dem europäischen Vorläufer von Googles globalem Medienfonds, der Digital News Initiative. Im März 2019 vergab Google in Ungarn 50.000 Euro an ein Projekt der Nachrichtenseite Origo.

Origo gehört einer Familie im politischen Umfeld von Premierminister Viktor Orban, die Seite veröffentlicht regelmäßig Attacken auf Migranten und den Philanthropen George Soros. Ein Bericht der New York Times über Origo trägt den Titel: „Die Webseite, die zeigt, wie die Pressefreiheit sterben kann“.

Nach einem kritischen Bericht des Blogs MediaPowerMonitor zog Google die Förderzusage an Origo rasch wieder zurück. Nach „weiterer Prüfung“ habe Google sich entschlossen, das ungarische Medium doch nicht zu fördern, sagt der Konzern auf Nachfrage des Medienblogs NiemanLab.

Unsere Studie zu Googles Geschenken an Medien in Europa hat die Frage nach der Unabhängigkeit der Empfänger:innen und den Folgen für die Medienvielfalt aufgeworfen. Wenn der Konzern nun nach dem gleichen Muster regierungsnahe Medien in autoritären Staaten fördert, muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, sich mit den dortigen Regimen gemein zu machen. Was in einer demokratischen Gesellschaft schon fragwürdig erscheint, gerät in einer Autokratie zum Schlag gegen Pressefreiheit und Meinungspluralismus.

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