ExporteAmnesty International fordert scharfe Kontrolle von Überwachungstechnologien

Europäische Unternehmen profitieren vom Überwachungsstaat in China. Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zeigt, warum die EU den Export von Überwachungstechnik stark reglementieren muss.

Dual Use
Sogenannte Dual-Use-Güter lassen sich militärisch und zivil einsetzen. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Kayla Kozlowski

Der Verkauf von Technologie, die sich für Überwachung und Repression einsetzen lässt, ist ein einträgliches Geschäft. In Belarus half etwa die kanadische Firma Sandvine dabei mit, Netzsperren umzusetzen, die israelische NSO Group verkauft regelmäßig Hacking-Software an Saudi Arabien und andere Diktaturen.

An diesem Kuchen wollen auch europäische Unternehmen mitnaschen – selbst wenn die Technologie für eklatante Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird. An Absichtserklärungen europäischer Politiker:innen, dem einen Riegel vorzuschieben, mangelt es zwar nicht. Bis auf Weiteres verkaufen aber viele Unternehmen ihre Produkte in alle Welt, je nach Technik oder Land auch ohne jegliche staatliche Exportkontrolle.

Videoüberwachung aus europäischer Hand

Ein neuer Bericht der Menschenrechts-NGO Amnesty International weist nun am Beispiel von drei Unternehmen aus Frankreich, Schweden und den Niederlanden nach, wie deren Produkte für Unterdrückung in China eingesetzt werden. Die dortige Repression zielt generell auf die gesamte Bevölkerung ab, in den letzten Jahren jedoch besonders auf die in der westlichen Region Xinjiang lebende Minderheit der muslimischen Uiguren.

Dem Bericht zufolge haben die Unternehmen eine breite Palette an Überwachungsprodukten nach China exportiert – vor allem aber Produkte für Gesichtserkennung, die keinerlei Exportbeschränkungen unterliegen. Die Technik wird in China weiträumig eingesetzt, von Polizeiarbeit bis hin zu Klopapierdiebstahl.

So habe die französische Firma Idemia (vormals Morpho) der Polizei in Shanghai solche Technik geliefert, das schwedische „Axis Communications“ Videokameras für die Überwachungsprojekte „Skynet“ und „Sharp Eyes“ verkauft und das aus den Niederlanden stammende „Noldus Information Technology“ unter anderem das Ministerium für Öffentliche Sicherheit mit Software ausgestattet, mit dem sich Emotionen analysieren lassen.

„Wir sind sehr besorgt, dass Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten zwar in Lippenbekenntnissen die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang verurteilen, gleichzeitig aber Reformvorschläge blockieren“, sagt Lena Rohrbach, Expertin für Wirtschaft und Technologie bei Amnesty International in Deutschland, in einer Pressemitteilung. „Damit können in Europa ansässige Firmen weiterhin unkontrolliert genau die Technologie liefern, die für diese Menschenrechtsverletzungen benötigt wird.“

Gesetzlicher Vorstoß stockt

Seit gut vier Jahren liegt bereits ein Vorschlag der EU-Kommission auf dem Tisch, der den Export solcher Spähprogramme europaweit stärker reglementieren soll. Doch die EU-Länder blockierten den Gesetzentwurf hartnäckig. Erst im Vorjahr konnte sich der EU-Rat zu einer gemeinsamen Position durchringen. Diese fiel jedoch enttäuschend aus: In vielen Punkten schwächt sie die Vorschläge der Kommission ab. Zahlreiche „Dual-Use-Güter“, die sich friedlich wie feindlich einsetzen lassen, sollen weiterhin praktisch unreguliert bleiben.

Am morgigen Dienstag starten nun, nach einer längeren Verzögerung, die Verhandlungen mit dem EU-Parlament über die Dual-Use-Verordnung. Angesichts des bisherigen Tauziehens steht zu erwarten, dass die Verhandlungen recht zäh ablaufen werden – obwohl die Forderungen, die Amnesty an die Verhandler stellt, durchwegs moderat sind.

So fordert die NGO die EU auf, alle Überwachungstechnologien in die Exportregulierung aufzunehmen, also auch Videoüberwachung und Gesichtserkennung. Zudem solle sichergestellt werden, dass alle Unternehmen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einhalten, bevor sie einen Exportantrag stellen. Darunter falle etwa eine menschenrechtliche Risikoabschätzung möglicher Verkäufe. EU-Regierungen wiederum sollten Exportanträge nicht genehmigen, sollte ein signifikantes Risiko bestehen, dass die jeweilige Technologie zu Menschenrechtsverletzungen beitragen würde.

Worthülsen aus Wirtschaft und Politik

Die genannten Firmen winken erwartungsgemäß ab. Das schwedische Axis etwa verweist darauf, lediglich Videolösungen in alle Welt zu vertreiben, um die „Sicherheit“ zu verbessern. Zwar räumt das Unternehmen in seiner Erklärung ein, dass seine Produkte auch für andere Zwecke verwendet werden könnten als für die intendierten. Aber man würde seinen Geschäftspartnern „klar kommunizieren, wie unsere Produkte eingesetzt werden sollen“. Angesichts der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in China bleibt dies jedoch nur ein frommer Wunsch.

„Es darf keinen Freibrief für europäische Firmen geben, weltweit die Technologie auszuliefern, mit der Medienschaffende sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger zunehmend überwacht, diskreditiert und verfolgt werden“, sagt Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland.

Die EU müsse gesetzlich sicherstellen, so Beeko, dass europäische Technologie von autoritären Regierungen nicht gegen unliebsame Zivilgesellschaft eingesetzt werde. „Sonst sind Solidaritätsadressen für verfolgte Journalisten und Journalistinnen, Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten sowie Oppositionspolitiker und -politikerinnen, ob in Belarus, der Türkei, Russland oder Hongkong, wenig mehr als Worthülsen.“

1 Ergänzungen

  1. Müller Fleisch überwacht seit Jahren seine meist aus Osteuropa stammenden Mitarbeiter während der Produktion. Was mehrere Angestellte dem SPIEGEL berichten, bestätigt der Betrieb: Etwa 60 Kameras seien in „produktionsnahen Bereichen“ installiert. Zwei Drittel befänden sich in Randbereichen, hauptsächlich gehe es um die Überwachung der Anlagen. Die übrigen würden die Produktion „ins Visier“ nehmen.

    „Die Produktion“ jedoch sind jene Menschen, die als Schlachter und Zerleger die manuell die Arbeit verrichten.

    https://www.spiegel.de/wirtschaft/mueller-fleisch-so-ueberwacht-der-schlachtbetrieb-seine-mitarbeiter-a-00000000-0002-0001-0000-000173100132

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.