TikToks Mutterkonzern ByteDance wird in den USA mit Sanktionen belegt, wenn TikTok nicht binnen 45 Tagen verkauft wird. Nach Gutsherrenart will US-Präsident Donald Trump per Dekret ein äußerst erfolgreiches Social-Media-Unternehmen unter Druck einem amerikanischen Unternehmen einverleiben.
Für ihn hat das digitale Säbelrasseln um die Video-App nur Vorteile: Er kann den starken Mann spielen, ein ausländischer Silicon-Valley-Konkurrent wird ausgeschaltet und gleichzeitig kann der Noch-Präsident den geopolitischen Gegenspieler China im Wahlkampf als das ultimative Böse charakterisieren – während im eigenen Land die Leute wegen Corona draufgehen. Volltreffer.
Nun sind wir bei netzpolitik.org die letzten, die unseren Leser:innen die Nutzung von TikTok empfehlen würden. Wir sind stets kritisch gegenüber Datenkonzernen. Wir haben die fragwürdigen Zensur- und Moderationspraktiken des Unternehmens offengelegt, welche politische Inhalte unterdrückten und Menschen benachteiligten, die aus der Norm fallen.
Wir haben über gefährliche Sicherheitslücken berichtet und auf die Gefahr hingewiesen, dass der chinesische Staat über Bande tatsächlich an die Daten der Nutzer:innen kommen könnte.
Das alles ist bekannt, schon seit Monaten, aber darum geht es Trump nicht. Er hat keine Beweise für eine Spionage oder auch nur eine Weitergabe der Daten durch die Plattform. Es geht um Geopolitik.
Wahl zwischen Pest und Cholera
Es passt zu diesem Getöse, dass sich der autoritäre chinesische Staat über diesen aggressiven Schritt in schrillen Tönen empört, während er selbst alle möglichen Unternehmen hinter der großen Firewall of China verbietet, wenn diese sich nicht den rigiden Zensurmechanismen und Regeln der neuen Supermacht unterwerfen.
Ganz außer Acht gelassen wird in der Debatte, dass Google und Facebook deutlich mehr Daten über uns haben als TikTok. Und die Vereinigten Staaten unterziehen – wie wir seit Edward Snowdens Enthüllungen wissen – das Internet einer Massenüberwachung. Konkret heißt das: Auch bei den US-Konzernen fließen die Daten der Nutzer:innen an die Sicherheitsbehörden ab. Für uns ungeschützte Europäer:innen ist das eine Wahl zwischen Pest und Cholera, von wem wir uns ohne Kontrollmöglichkeiten überwachen lassen müssen.
Autoritäre Nachahmer
Trump geht nun den Weg von Russland, China und Iran. Er baut jetzt doch seine Mauer. Im Internet. Heraus kommt bei so einer Politik ein Netz, das von geopolitischen Interessen zersplittert wird. Aus dem World Wide Web werden viele National Narrow Webs, in denen jeder Staat nach Lust und Laune das große Freiheits- und Demokratieversprechen des ehemals weltweiten Internets kaputtkontrollieren kann. Der Schritt von Trump wird Nachahmer finden, vor allem in autoritären Staaten.
Wer das Netz kontrollieren will, der will auch die politische Kommunikation der Menschen, die sich in diesen Netzen bewegen, unter seine Aufsicht bringen. Wir als Gesellschaft gewinnen in diesem großen geopolitischen Spiel der Spaltung gar nichts. Auf der Strecke bleiben nur demokratische Möglichkeiten.
Als ein erklärter Verweigerer von Facebook und Instagram kann ich trotzdem ohne jeden Zweifel sagen: Ich lasse meine Daten lieber in einem demokratischen Land als in einer kommunistischen Diktatur, die ethnische Minderheiten in Konzentrationslagern foltert, tötet und insgesamt vernichten will. Von daher ist der Vergleich zwischen Pest und Cholera ein sehr fragwürdiger – eher schon zwischen Pest und Cholera (China) und einer leichten Grippe (USA).
Ich habe beim Schreiben des Kommentars länger darüber nachgedacht, ob ich das so sagen kann. Natürlich gibt es einen riesigen Unterschied zwischen der Demokratie USA und dem autoritären China – ob nun in Sachen Überwachung, Rechstaatlichkeit, bürgerliche Freiheiten, usw. Die Auswahl Pest und Cholera zielt auf die Rechtlosigkeit beim Abfluss der Daten ab, der wir als Europäer:innen unterworfen sind. Die NSA-Leaks von Snowden haben eben gezeigt, dass es hier in den USA kaum Schranken gibt. Ich wollte also mehr ausdrücken, dass wir in der Bewertung von Überwachung nicht nur auf den Überwachungsstaat China zeigen sollten, sondern auch die Missstände der anderen aufzeigen sollten.
Genau richtig. Ich fände es eher merkwürdig in dem Zusammenhang die US-Konzerne zu ignorieren. Und nicht, wie hier, wenigstens auch zu erwähnen. Zumal wir bei den Betriebssystemen und Diensten aus den USA mehr oder weniger abhängig sind. Das relativiert in keiner Weise die Problematik mit TikTok und China.