Wochenrückblick KW 37Netzpolitik in der EU, in Deutschland und unser Geburtstag in Berlin

Während wir unsere Geburtstagsfeier vorbereiten, stellt Ursula von der Leyen ihr neues Team vor. Rheinmetall präsentiert ein neues Waffensystem und US-Bundesstaaten eröffnen ein Kartellverfahren gegen Google und Facebook. Die Themen der Woche im Überblick.

Mops mit pinkem Geburtstagshaarreif
Fast so süß wie unsere Geburtstagstorte: Dieser Geburtstagsmops. (Symbolbild) CC-BY-SA 2.0 DaPuglet

Happy Birthday! Wir werden 15 Jahre alt. Das feiern wir heute mit unserer sechsten „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz in Berlin. In der Volksbühne bieten wir parallel in vier Tracks aktuelle netzpolitische Debatten, die ganz großen Fragen der digitalen Gesellschaft und politische Digitalkultur. Das Programm, Informationen über die Beiträge und Speaker:innen und natürlich auch eine Live-Berichterstattung gibt es unter dem Stichwort 15np, auch auf Twitter. Ihr könnt auch im Stream vorbeischauen, später wird es Recordings geben, falls ihr was verpasst habt und nicht dabei sein konntet.

Was wir uns von der Bundesregierung zum Geburtstag wünschen? Kämpft endlich für unsere digitalen Freiheitsrechte!

Sprache formt den Gegenstand, den sie bezeichnet. Deshalb ist es ein wichtiger Unterschied, ob wir von Netzpolitik oder Digitalisierung sprechen. Der Begriff Netzpolitik benennt das Internet als eigene, politisch schützenswerte Sphäre, die freiheitliche Kommunikation ermöglicht. Wird dieses Konzept vom Begriff Digitalisierung abgelöst, zeigt das eine Verschiebung des Schwerpunktes auf die digitale Durchdringung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Was sich durchsetzt, hat große politische Auswirkungen, wie Ronja Kniep und Julia Pohle in ihrem Gastbeitrag herausarbeiten.

Während auf unserer Konferenz Kanzleramtschef Helge Braun zu Gast war und mit Markus Beckedahl diskutierte, stellte in dieser Woche Ursula von der Leyen ihr neues Team für die EU-Kommission vor. Wir haben alle netzpolitisch relevanten Besetzungen vorgestellt: Mit Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager wird eine alte Bekannte Hauptverantwortliche für alle Digitalthemen. Ein relevantes neues Gesicht ist unter anderem die französische Innenkommissarin Sylvie Goulard.

Europäischer Gerichtshof kassiert Leistungsschutzrecht. Oder: Netzpolitik in Deutschland

Sechs Jahre nach seiner Einführung heben die EU-Richter das deutsche Leistungsschutzrecht nun wieder auf, weil es nicht ordnungsgemäß in Brüssel gemeldet worden war. Das Gesetz sah vor, dass Dienste wie Google News für die kurzen Anreißertexte zu Artikeln Urheberrechtsabgaben an die Verlage abführen müssen. Google drohte schon 2018 mit einem Ende für Google News in ganz Europa, wenn das auf EU-Ebene beschlossene Leistungsschutzrecht wirksam wird.

Noch in diesem Jahr will das Wirtschaftsministerium Online-Tracking neu regeln. Es will einen Entwurf zur Änderung des Telemediengesetzes vorlegen, das unter anderem Nutzungsprofile für Werbezwecke regeln soll. Das alte Telemediengesetz ist nicht mit der Datenschutzgrundverordnung vereinbar, die für das Speichern von Daten durch Tracking-Dienste ein Opt-In der Nutzer:innen verlangt.

Eine weiterer Plan der Bundesregierung ist die Investition von drei Milliarden Euro in Projekte zur Förderung von Künstlicher Intelligenz. Die erste Tranche ist bereits verteilt: Am meisten Geld bekommen das Forschungs-, das Wirtschafts- und das Arbeitsministerium. Doch nicht alle KI-Projekte werden aus diesen Mitteln finanziert und so fehlen einige Ministerien und Behörden auf der Liste, selbst wenn sie bereits KI-Systeme einsetzen oder evaluieren.

Dass manche Polizeibehörden es nicht für nötig halten, Menschen auf rechten Feindeslisten darüber zu informieren, ist problematisch. Aber nicht nur da ist das Vorgehen der Behörden uneinheitlich: Auch nach dem wohl bekanntesten Doxing-Fall, bei dem im Dezember letztes Jahr die Informationen von fast 1.000 Politiker:innen und Prominenten im Internet landeten, informierte das BKA nur Mitglieder von Bundesverfassungsorganen wie dem Bundestag einheitlich.

Neuigkeiten über die Methoden der Strafverfolgung

Predictive Policing ist der Einsatz von Software, die mit Daten gespeist wird und deren Algorithmen das Risiko für zukünftige Verbrechen voraussagen sollen. Das soll die Polizeiarbeit vereinfachen. Doch je nachdem, wie der Algorithmus aufgebaut ist und mit welchen Daten er arbeitet, besteht die Gefahr, Vorurteile zu verstärken, den Datenschutz zu missachten oder nicht einmal nachgewiesene Erfolge zu erzielen.

Auch automatisierte Gesichtserkennung wird zur Strafverfolgung eingesetzt. Die Plattform banfacialrecognition.com ist die bisher am breitesten unterstützte Initiative, die in den USA das Verbot des behördlichen Einsatzes der Technologie fordert. 30 NGOs, die über 15 Millionen Menschen vertreten, rufen zum kompletten Verbot der Technologie auf. Eine bloße Einschränkung könne die inhärenten Gefahren nicht beseitigen.

Womöglich um nach „Querverbindungen“ zu suchen, wurde von der EU ein zweites Strafverfolgungsregister für „terroristische Bedrohungen“ eingeführt. Seit dem 1. September werden in dem von Eurojust geführten Register begonnene und rechtskräftig abgeschlossene Strafverfahren mit terroristischem Bezug erfasst und zentral gespeichert.

Und was geschah noch?

Dem Hersteller der Stalkerware-App Spyapp247 ist es – wie vielen ähnlichen Firmen – offenbar egal, was mit den Daten seiner Nutzer:innen passiert. Private Überwachungsapps wie Spyapp247 können benutzt werden, um Partner:innen oder die eigenen Kinder ohne deren Wissen über ihr Smartphone zu überwachen. Die Überwachungsdaten sind auf Servern für die Überwachenden einsehbar. Was so schon gruselig genug klingt, wird noch schlimmer: Einige private Daten auf dem Server von Spyapp247 waren seit 2018 ungeschützt.

Mehrere US-Generalanwälte haben sich zusammengetan, um wegen einer möglichen Wettbewerbsverletzung der großen Tech-Unternehmen zu ermitteln. Sie wollen prüfen, ob die Firmen mit ihren Geschäften Mitbewerber ausgrenzen und damit den Kund:innen geschadet haben. „Die große Zerschlagung hat endlich begonnen“, kommentiert ein Wettbewerbsexperte.

Während vor dem niedersächsischen Sitz von Rheinmetall etwa 600 Menschen gegen das Unternehmen protestierten, präsentierte die Firma ein neues Waffensystem: eine Kombination aus einer Flug- und Landdrohne. Das Gerät ist zum Truppentransport geeignet und kann mit einem Raketenwerfer ausgestattet werden. Rheinmetall will damit die moderne Kriegsführung mit unbemannten Landfahrzeugen erweitern.

Zyklus-Apps übermitteln intimste Daten ihrer Nutzer:innen an Facebook. Die Datenschutzorganisation Privacy International veröffentlichte einen Bericht, in dem genau aufgedröselt wird, warum sich Werbebetreibende so brennend dafür interessieren, in welcher Zyklusphase sich die Betroffenen befinden. Warum viele Frauen trotzdem nicht auf die Apps verzichten, weiß Soziologin und Entwicklerin Marie Kochsiek.

Zum Schluss eine etwas bessere Nachricht: Die Ausstattung von Schulen mit modernerer Technik ist wichtig und im Digitalpakt festgehalten worden. Auch das Lernen mit digitalen Bildungsmedien freie und offene Lizenzen dafür gehören zum Konzept einer digitalen Bildung. Noch wichtiger allerdings sei Grundwissen über den Wert und Schutz der eigenen Daten, sagt die Digitale Gesellschaft und stellt nun Lehrmaterial frei zur Verfügung.

In Hongkong gehen die Demonstrationen auch nach der Rücknahme eines Auslieferungsgesetzes weiter. Dieses war der Anlass für die Proteste gewesen. Nun bekommt ein Protestsong Aufmerksamkeit, der kollaborativ in einem Reddit-ähnlichen Online-Forum entstand.

Für Leser:innen mit etwas mehr Zeit

In unserem Podcast vom Samstag dreht sich alles um die Arbeit unserer Praktikant:innen. Wer also hinter die Kulissen schauen oder lauschen möchte, kann sich ihre Geschichten vom Schreiben über Gesichtserkennung, digitalen Welthandel, das Deliveroo-Aus und den Besuch eines Live-Let’s-Plays mit Musik anhören. Und das aus Sicht der Praktikant:innen, die zwar keinen Kaffee kochen, aber seltsame Kommentare lesen müssen.

Ist der digitale Raum eine „entkörperte“ Welt, in der alle gleich behandelt werden, egal ob sie sich als Frauen, Männer oder geschlechtsneutral identifizieren? Dr. Judith Christine Enders und Amanda Groschke berichten in unserem dieswöchigen Bits&Bäume-Feature, inwieweit sich das Internet zu einem diskriminierungsfreien Ort entwickelt hat. Man ahnt es schon: Das Ergebnis ist ernüchternd. Die Forscherinnen bleiben aber optimistisch und weisen auf mögliche Gestaltungsräume hin.

Wir wünschen ein schönes Wochenende!

1 Ergänzungen

  1. 1. Danke schön für den spannenden Tag in der Volksbühne!!!

    2. Edward Snowden möchte nach Deutschland.

    In der nächsten Woche am 26. Sept. nachmittags spricht der Bundestag nachmittags zur Regelung der Stasi-Unterlagen ( Punkt 7 ) und zu 100 Jahren Weimarer Verfassung ( Punkt 9 ) – besonders bei letzterem wird es um die Verteidigung von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gehen, in den Punkten kommen also Geschwister Scholl, über Fritz Bauer später bis zu den Mauer-Stürmern die in Erinnerung, die ich benötige, um für Edward Snowdens Schutz bei uns zu bitten.
    Ich versuche, den Fraktionen zu schreiben, in diesem Zusammenhang nun doch noch für Edward Snowdens sicheren Aufenthalt bei uns einzutreten – in den Reden an diesem Tag -, diese Chance, den historischen Fehler doch noch zu korrigieren, zu ergreifen, damit dann umgesetzt wird, was EU-Parlament, schleswig-holsteinischer Landtag, UN-Menschenrechtskommission und so viele deutsche Bürger als unseren politischen Willen festgeschrieben haben.
    Ich plane, auch mein Fahrrad mit dem Banner „Whistleblowerschutz für Verfassungsverteidiger“ dann wieder vor dem Paul-Löbe-Haus zu parken – ich würde auch frei nehmen, und mich selbst mit Plakat aufstellen, wenn jemand eine Versammlung im Regierungsviertel mitträgt (?) –
    aber ich allein bin bei so etwas einfach nicht erfolgreich genug:
    macht Ihr vielleicht mit, mit besseren Anschreiben als meinem, die Fraktionen um Engagement für den sicheren Aufenthalt für Edward Snowden zu bitten ?

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