Facebook Libra: Der nächste logische Schritt ist die Privatisierung des Geldes

Bisher war Geld eine heilige Kuh, wenn es um Privatisierungen ging. Facebooks Kryptowährung Libra fordert das heraus. Das ist einer der mächtigsten Angriffe auf staatliches Geld, den es bisher gab. Ein Kommentar.

Facebook will seine eigene Währung weltweit. (Montage: netzpolitik.org) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Alex Haney | Christine Roy

Oliver Leistert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Leuphana-Universität Lüneburg. Er forscht unter anderem zu Blockchains und sozialen Medien, Protest und Kontrolle.

Facebook will mit seiner eigenen Kryptowährung Libra ins Privatgeldgeschäft einsteigen. Das ist logisch und gar nicht überraschend, wenn man die sehr unterschiedlichen Phänomene aus den letzten Jahren im Finanzsektor betrachtet: die Pleite von Lehmans, der Bail-Out vieler Banken mit Steuergeldern, der uns alle zu Schuldnern gemacht hat, und ungefähr zeitgleich das Auftauchen von Bitcoin.

Unter dem Motto „money is not a taboo anymore“ fanden folgerichtig die ersten MoneyLabs statt, bei denen Aktivist*innen, Künstler*innen, Finanzexpert*innen und Akademiker*innen diskutierten, wie die Zukunft des Geldes aussieht. Mit Bitcoin und dem Bankencrash kam ein echter historischer Einschnitt in der Geschichte des Geldes. Eine eiserne Gewissheit war verschwunden: Geld war nicht mehr alleinige Sache des Staates.

Mit Bitcoin hatte sich ein echter Underdog aufgemacht, die Frage nach Geld und dessen Wert operativ zu stellen. In der Folge entstand ein Ökosystem hunderter, wenn nicht tausender Coins und stellte eine völlig überforderte Politik bloß. „Out of thin air“ lag wirklich in der Luft: eine postmoderne Alchemie, die bis heute Werte erzeugt, und über deren Rechtmäßigkeit weiterhin Unklarheit herrscht.

Weite Teile der Bevölkerung haben das Vertrauen in das Finanzsystem im Allgemeinen und Investment-Banken im Besonderen verloren. Zahllose Zwangsversteigerungen von Häusern etwa in Spanien, durch die sich insbesondere die Deutsche Bank unbeliebt machte, die Panama Papers und unglaublicher Steuerbetrug mit den Cum-Ex-Geschäften.

Die Cum-Ex-Geschäfte, die durch Whistleblower ans Licht kamen, haben insbesondere gezeigt, wie skrupellos und zerstörerisch dieses System arbeitet. Es bleibt abzuwarten, ob der größte Steuerbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik zu Verurteilungen führen wird, oder ob alles doch noch rechtzeitig verjährt.

Banken: eine eigene Klasse mit eigenen Regeln

Je mehr über die kriminellen Machenschaften der Banken und angeschlossenen Institutionen sowie Steuerparadiese ans Licht kam, umso klarer wurde, dass hier eine eigene Klasse mit eigenen Regeln abgekoppelt vom Rest handelte. Werden sie erwischt, können sie praktisch jede Strafe aus der Portokasse zahlen. Bis heute hat sich hier gar nichts geändert.

Parallel gibt es seit Jahren eine Fülle an neuen Dienstleistern für das Zahlungswesen. Neben PayPal, einem Mitglied der Libra-Assoziation, pushen Apple, Amazon und Alphabet ihre Bezahldienste. Mit M-Pesa hat Vodafone, ein weiteres Mitglied der Libra-Assoziation, in Kenia und anderen Ländern die Nase vorn.

In China ist das Thema sowieso geklärt: WeChat und Alipay organisieren Kommunikation, Überwachung und Bezahlen mit dem Handy. Und schließlich drängt immer noch aggressiv das Kreditkartenkartell auf mehr Kund*innen. Kurz: Es ist fast ein Wunder, dass es noch Bargeld gibt. Lasst es uns verteidigen, denn nur Bargeld ist anonym und funktioniert ohne Strom!

Facebook kann es mit der Finanzbranche aufnehmen

Facebook ist der einzige IT-Konzern, der es mit seinen Machenschaften am ehesten mit der Finanzbranche aufnehmen kann. Facebook passt zum Finanzsystem besser als jeder andere. Es geht nicht um Glaubwürdigkeit oder Good Governance. Facebook hat immer wieder skrupellos, arrogant und ignorant reagiert, wenn es mal wieder von staatlichen Stellen gerügt – sehr selten auch verurteilt – wurde. Das gleicht einer Qualifikation dafür, sich nun der Frage des Geldes anzunehmen. Und, das ist meine eigentliche Botschaft: Bei allem, was man weiß, ist es beeindruckend schlau, wie Facebook Geld drucken wird.

Zunächst wird ein Kartell gebildet, das vielleicht am besten mit „die Assoziation“ bezeichnet werden sollte. Mitglieder sind neben einigen großen Venture-Capital-Firmen das Kreditkartenkartell und andere Zahlungsdienstleister, außerdem weitere IT-Firmen wie Microsoft sowie Handels- und Dienstleistungsplattformen wie Ebay oder Uber.

Alle Gründungsmitglieder haben einen – für sie eher wenig aufsehenerregenden – Betrag von 10 Millionen US-Dollar bezahlt, um in der Libra-Assoziation Kontrolle über den Libracoin auszuüben. Die Assoziation kontrolliert das technische Regierungssystem Libra: Eine kleine Zahl Königsknoten validiert die Transaktionen.

Meines Erachtens geht es hier in erster Linie um die Schnittstelle von Fiatgeld zu Stablecoin, also staatlichem Geld zu Privatgeld. Es entsteht ein Cash-Flow: Jeder Euro, jeder Dollar, jeder tunesische Dinar, der in einen Libracoin gewechselt wird, bringt Rendite.

Libra ist die Zuspitzung aller Widersprüche von Fintechs

Es lohnt sich nicht, die technische Seite von Libra zu problematisieren, oder zu diskutieren, wieviel echte Blockchain in Libra steckt. Auch die Debatte, inwiefern das System irgendwann geöffnet wird, ist überflüssig. Nein, wichtiger ist es, den politischen Aspekt dieses Projektes zu verstehen: Libra ist die Zuspitzung aller Widersprüche von Fintechs.

Mit weit mehr als zwei Milliarden Kund*innen, die bereits ständig per Smartphone Daten ins Facebook-Universum einspeisen, sind ideale Startbedingungen gegeben. Es sind beispielsweise bereits alle Mastercard-Kund*innen nach den Regeln der Regulierer kontrolliert und deren Schnittmenge mit den Facebook-User*innen könnte umstandslos mit Libra verkoppelt werden.

Das Internet der Werte wird somit den Fintech-Startups und Kleinstprojekten aus der Hand geschlagen und nun von den Big Boys aus dem Valley übernommen. Mit der hauseigenen Smart-Contract-Programmiersprache Move werden im Prinzip alle, die Geldtransaktionen zu ihrem Alltag zählen, bei Libra ihr neues Zuhause finden können. Die Facebook-eigene Plattform Instagram ist für Transaktionen geradezu geschaffen.

Es wird zwar möglich sein, Libra wieder in Fiatgeld umzuwandeln, aber es ist zu erwarten, dass Facebook sein gesamtes Interface-Design so gestalten wird, dass dies so selten wie möglich passiert. Denn Ziel ist es, ohne große Gebühren praktisch alles mit Libra bezahlen zu können.

Facebook geht es letztlich darum, ein großes Sparschwein für sich zu bauen, in das alle freiwillig ihr Geld werfen. Das ist die Wette mit Libra. WeChat in China hat es vorgemacht: das Chatsystem wird vom Trinkgeld bis zur Spende an Obdachlose zum Bezahlen benutzt und ist ins staatliche Überwachungssystem integriert.

Libra bekommt einen neoimperialen Charakter

Die Zielgruppen unterscheiden sich sehr und nicht in allen Ländern wird Libra unterschiedslos starten können. Es bleibt dennoch einer der mächtigsten Angriffe auf das staatliche Fiatgeld, den es bisher gab. Während das Gewaltmonopol von Staaten durch private Söldnerarmeen, private Sicherheitsdienste und private Gefängnisbetreiber bereits stark erodiert ist, lag Geld bisher noch in staatlicher oder, im Falle des Euros, in suprastaatlicher Hand. Die Konkurrenz unter den Staaten macht eine koordinierte Regulierung von Libra schwierig.

Vielleicht werden die USA mit Libra ja noch fertig. Aber spätestens Ghana, Vietnam oder andere Länder, in die der Lohn der migrierten Familienmitglieder überwiesen wird, werden gegenüber einem Konzern wie Facebook wenig anrichten können. Facebook Zero definiert in vielen Ländern Afrikas, was das Internet überhaupt ist. Nämlich, Überraschung: Facebook. Das verleiht Libra einen dezidiert neoimperialen Charakter.

Banken und Konzerne wie Western Union, die mit überhöhten Gebühren auf Transaktionsschnittstellen sitzen, sind sowieso angezählt. Deren Zeit, und dies ist ganz im Sinne der Blockchain-Ideologie, läuft ab, insofern sie nicht ihre Gebühren gewaltig senken.

Facebooks Verankerung im Identitätsmanagement

Es ist wichtig, noch eine ganz andere Seite des Libra-Projektes zu verstehen: Bereits jetzt bieten praktisch alle großen, auf Datenhandel basierenden Websites, ein Login mit Facebook-Credentials an. Den allermeisten Nutzer*innen ist nicht klar, dass dies nichts anderes als ein Übergriff des Datenkonzerns auf fremde Websites ist, ähnlich wie der Like-Button. Facebook ist bereits tief verankert im Identitäts-Management.

ID-Management ist eines der klassischen Blockchain-Startup-Ideen, mit der Libra-Plattform lässt sich das auf eine ganz neue Qualitätsstufe heben. Das Faszinierende daran ist, dass die IDs sofort praktisch im ganzen Netz und fürs Bezahlen mit Privatgeld verbunden wären.

Auch wenn die G7, der Internationale Währungsfond, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und das Financial Stability Board zeitnah und koordiniert auf den Angriff Facebooks reagierten, wäre Libra noch lange nicht am Ende. Schließlich ist das, was wir derzeit von Libra wissen, gewissermaßen die Maximalforderung für das Privatgeld.

Facebooks Libra-Lead und Mitbegründer von PayPal David Marcus hat sich eine Allianz gebaut, die sicherlich zu Verhandlungen mit den Institutionen bereit ist. Gleichzeitig ist sie mit Libra am Ziel ihrer Träume angekommen und wird mit allen Mitteln versuchen, die feindliche Übernahme des Geldes durchzusetzen.

Dabei sind Befürchtungen, es gebe keine Kontrolle von Geldwäsche oder umgekehrt zu viel Überwachung und Kopplung von anderen Daten mit Transaktionsdaten, nur von kurzer Halbwertszeit: Solange Behörden Zugriff bekommen und solange der Datenhandel den der Kreditkartenkartelle nicht übersteigt, werden die wenigen relevanten staatlichen Akteure nichts einzuwenden haben.

Es bleibt am Ende nur die Sorge, dass mit Libra das gesamte Finanzsystem ins Wanken geraten könnte. Aber das ist angesichts der Bail-Outs und Cum-Ex Geschichten auch nur bedingt überzeugend. Schließlich ist eine Gefährdung der sogenannten Finanzstabilität auf keinen Fall im Interesse der Assoziation. Das würde die Profite nur ruinieren.

Libra wird in jedem Fall die Regulierer aktiv werden lassen. In Anbetracht der enormen Summen, die schon heute im Universum der Kryptowährungen stecken, ist das sowieso überfällig. Dass eine solche Regulierung nachteilig für Anbieter von Privatgeld wäre, ist noch lange nicht ausgemacht. Seit den 70er Jahren laufen alle gesellschaftlichen Prozesse in Richtung Privatisierung. Dass nun die heilige Kuh Geld dran ist, ist nur ein logischer nächster Schritt.

4 Ergänzungen

  1. Also ich bin etwas irritiert von dem Artikel. Geldhäuser die CumCum Geschäfte machen könne. Auch Problemlos mit Libra nach gut dünke. Spielen.

    Die Zentralbanken sind meines Wissens nach in dem Skandaldschungel wenig vertreten, und wenn dann eher mit diskussionswürdigen Entscheidungen.

    Ich glaube eine EZB und eine FED zufriedenstellen, wird noch eine Hürde sein. So wie sich die Zentralbanken in anderen Geschäftsfeldern anstellen glaube ich nicht das dies eine einfache Hürde ist.
    Ich verweise darauf das Basel3 eine 3000 Seiten umfassendes Regelwerk ist, welches sich recht allgemein liest. Das so umzusetzen das ein Buba oder BaFin das abnimmtist nicht mal einfach.
    Facebook hat wenig erfahrung mit dem finanzamtsschimmel.

    Und dann besteht immer noch das nicht unwesentliche technische Problem das das Facebook Sparwein währungswertechnisch in einem Rahmen stabil bleiben muss, sonst will es keiner als Währung haben, siehe Bitcoin.

    1. Libra sitzt in der Schweiz – und deren Bankaufsicht hat kein Problem mit dem Produkt.

  2. Wieso meint der Autor, Geld wäre staatlich? Das ist doch schon lange nicht mehr der Fall. Beim Dollar nachweislich seit 1913, bei anderen Währungen ist die Sachlage etwas verworrener. Aber irgendwie stecken alle Nationalbanken mit den großen Bankenkartellen unter einer Decke.

    Und nachdem Facebook auch nur Teil dieser großen Maschine ist, glaube ich hier nicht an eine feindliche Übernahme, sondern an einen bewußt lancierten und im Verschwommen gelassenen Übergang hin zu einer bargeldlosen Gesellschaft.

    Wehe dem, der das Recht verliert, sein Geld zu benutzen. Aus welchem Grund auch immer…

  3. Die Privatisierung von Geld ist eine Horrorvorstellung. Sämtliche aktuellen Versuche, seine Privatsphäre durch Datensparsamkeit zumindest ein wenig zu schützen, wären dann passé (vom Energieverbrauch wollen wir gar nicht reden). Den radikal-libertären Umtrieben der Thiels und Zuckerbergs dieser Welt muß dringend Einhalt geboten werden!

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