Während meine Generation heute vor 20 Jahren wegen Tschernobyl für einige Zeit nicht mehr draussen im Wald spielen dürfte und der Bundestag vor vier Jahren gerade über eine Verschärfung des Waffenrechts diskutierte, wo parallel in Erfurt gerade das „Schulmassaker“ stattfand, gibt es auch noch den „Tag des Geistigen Eigentums“. Eigentlich ist immer noch das aktuell, was ich vor einem Jahr schonmal launig dazu geschrieben habe: Hurra zum Tag des Geistigen Eigentums!.
Ansonsten gibt es natürlich auch Parallelen zwischen den drei Ereignissen. Die Kernenergie-Lobby wirbt weiter massiv für die Atomkraft, die Waffenlobby hatte sich trotz der Ereignisse von Erfurt mit ihren Forderungen und massiven Kampagnen durchgesetzt und auch beim Geistigen Eigentum feiert sich die Lobby selbst. Heute z.B. beim Bundesverband der deutschen Industrie in Berlin mit Brigitte Zypries und in Kooperation mit Microsoft.
Aber wie schön, dass Microsoft über news-aktuell ein passendes Pressefoto mitschickt, was man ja unproblematisch verwenden kann:
(v.l.n.r. Prof. Dr. Alain Pompidou, Präsident des Europäischen Patentamts; Dorothee Belz, Mitglied der Geschäftsführung Microsoft Deutschland; Heinz-Paul Bonn, Vizepräsident des Branchenverbands BITKOM und Brigitte Zypries, Bundesjustizministerin). Fotograf: Frank Ossenbrink
Fällt Euch was auf? Genau, alles Befürworter von Softwarepatenten und DRM, die ja „Innovation fördern“ sollen. Microsoft lobt sich auch selbst in der PM für das grosse eigene Portfolio an Softwarepatenten.
Und die aktuellen Pressemitteilungen von Brigitte Zypries und Günter Krings sind quasi auswechselbar mit denen vom Vorjahr.
Die Financial Times Deutschland hat heute eine Sonderbeilage zum Thema. Diese liegt der Zeitung bei und kann im Internet nur kostenpflichtig angeschaut werden. In der Titelstory „Wo Schutzrechte an Grenzen stossen“ komme ich mit Kritik und konkreten Alternativen im Umgang mit der Produktion von Wissen prominent vor.
Update: Stefan Krempl war für Heise auf der BDI-Veranstaltung und berichtet darüber: Wirtschaft und Politik zelebrieren den „Tag des geistigen Eigentums“.
Joachim Wuermeling, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, monierte, dass eine „geistige Bewegung“, die „dem Freakbereich verbunden“ sei und sich mit dem „Antifaschismus im Internet“ vereint habe, „den Mittelstand irregeführt“ habe.
Joachim Würmeling hat seinen Wahlkreis übrigens bei Siemens und sass als Softwarepatente-Befürworter bis zur letzten Bundestagswahl im Europaparlament im entscheidenen Industrie-Ausschuss. Die Äusserungen empfinde ich als Unverschämtheit und Beleidigung.
Und eigentlich könnte man auch sagen, dass damit ein Mitglied der Bundesregierung die Mitglieder des Deutschen Bundestages beleidigt hat, die sich auch gegen Softwarepatente in einem interfraktionellen Antrag ausgesprochen hatten.
Einen noch längeren Artikel findet man bei CT aktuell: „Geist ist geil“: Der Kampf ums geistige Eigentum in der Wissensgesellschaft.
Pikant sind die Äusserungen der Microsoft-Vertreterin, die wohl ganz vergessen hat, wie Microsoft in der Softwarepatente-Frage vorgegangen ist:
Dorothee Belz aus der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland empörte sich ebenfalls über eine „Instrumentalisierung der Politik“ im Kampf für und wider Softwarepatente. Lobbyorganisationen müssten mehr Verantwortung zeigen und „Grenzen“ bei ihrer Arbeit beachten. Es dürfe nicht darum gehen, die eigenen Interessen um jeden Preis durchzusetzen. Microsoft selbst war in der Auseinandersetzung aber in die Kritik geraten, eine mit gezinkten Karten spielende Lobbygruppe unterstützt zu haben.
Aber sonst ist der CT aktuell-Artikel in sehr lesenswert für Abschnitte wie diesem:
Noch ist die Politik aber mit dem Erlass neuer Gesetze etwa zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte beschäftigt oder versteift sich auf die Verfolgung von Urheberrechtsverletzern in Tauschbörsen mit bis zu drei Jahren Haft im Rahmen der laufenden 2. Stufe der Urheberrechtsreform. Marktbeherrschende Softwareunternehmen wollen Wettbewerb mit Hilfe von Patentrechten möglichst ausschließen. Die Chancen, die sich aus einer offenen Wissensdomäne für eine nachhaltige Wissensökonomie ergeben, drohen verspielt zu werden. Aufforderungen von Elite-Ökonomen wie Paul Romer, die bestehenden gewerblichen Schutzrechte im Eigeninteresse der Wirtschaft abzuschwächen, oder Warnungen von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der rigide Schutz geistiger Eigentumsrechte führe zur Behinderung von Innovationen, verhallen größtenteils ohne Wirkung.
Die Formulierung vom antifaschistischen Freakbereich könnte von mir sein. Die intellektuelle Nähe zu Wikipedia ist doch unverkennbar. Trivialpatente, selbst wenn sie so lächerlich sind, dass es nichtmal einen Löschantrag gibt, halte ich aber für extrem gefährlich. Das Portfolioschach ist genauso ungesund , wenn´s im wahren Leben auch eher selten ist.