ZivilgesellschaftFamilienministerin will Demokratieprojekte mit Verfassungsschutz durchleuchten

Seit langem blasen rechte Akteure zum Angriff auf die Zivilgesellschaft. Nun verspricht Familienministerin Prien in einem Brief an die Union, dass Nichtregierungsorganisationen im Programm „Demokratie leben“ einer „breit angelegten Verfassungsschutzprüfung“ unterzogen würden. Wie viele Organisationen durchleuchtet werden, will das Ministerium nicht verraten.

Karin Prien stützt Gesicht in Hand und schaut kritisch
Möchte zivilgesellschaftliche Projekte „breit angelegt“ überprüfen: Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Jürgen Heinrich

Während die AfD in aktuellen Umfragen neue Höchstwerte verzeichnet, schießt sich die Bundesregierung ausgerechnet auf jenen Teil der Zivilgesellschaft ein, der für demokratische Werte und gegen den Rechtsruck kämpft. In einem Brief an die „Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag“ versichert Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU), dass sich im Programm „Demokratie leben“ nun „Grundlegendes ändern“ werde. Unter anderem sollen NGOs einer „breit angelegten Verfassungsschutzprüfung“ unterzogen werden. Den Brief veröffentlichen wir als PDF-Dokument.

Die Familienministerin stellt sich damit in eine unselige Tradition. Nicht nur die rechtsextreme AfD versucht seit Jahren, die demokratische Zivilgesellschaft unter Generalverdacht zu stellen. Auch Hetzportale wie Nius und rechte Medien wie Cicero, NZZ, Welt oder Focus kolportieren seit Langem, dass Deutschland von linken Nichtregierungsorganisationen quasi unterwandert sei und der Staat diese auch noch alimentiere.

Mit Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat diese Erzählung inzwischen einen Vertreter in der Regierung gefunden. Weimer treibt die Debatte kulturkämpferisch voran und hat bereits erste Maßnahmen gegen vermeintlich linke Medienprojekte ergriffen.

Attacken auf demokratische Zivilgesellschaft

Die Debatte um die Zivilgesellschaft geht inzwischen so weit, dass sich jüngst auch die als liberal geltende Wochenzeitung „Die Zeit“ zu der reißerischen Überschrift „Der Staat päppelt die Linken“ hinreißen ließ – nur um im Artikel Rechtsaußen-Rechtsanwalt Joachim „Natürlich bin ich ein Arschloch“ Steinhöfel zu Wort kommen zu lassen und im Verlauf des Textes die These der Überschrift halbwegs zu revidieren.

Auch die Union selbst hatte bereits zu Jahresbeginn ins gleiche Horn gestoßen. Ende Januar hatten CDU und CSU einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik in den Bundestag eingebracht und dabei mindestens billigend eine Mehrheit durch Stimmen der AfD in Kauf genommen. Daraufhin riefen zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen zu Protesten auf.

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Offenbar als Reaktion darauf reichte die Union nur wenige Wochen später eine Kleine Anfrage im Bundestag ein. In einem umfangreichen Fragenkatalog erkundigte sie sich unter anderem nach der staatlichen Förderung für gemeinnützige NGOs. Die Anfrage wurde innerhalb der Zivilgesellschaft als Einschüchterungsversuch verstanden. Wissenschaftler:innen und Organisationen zeigten sich zutiefst beunruhigt durch das Vorgehen der Unionsfraktion, mehr als 500.000 Menschen unterzeichneten einen Appell an die Bundesregierung.

Grundlegende Änderungen angekündigt

Die Debatte ist nun wieder erstarkt. Und nachdem das Kabinett Ende August die Gelder für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ bewilligt hatte, sah sich Familienministerin Karin Prien offenbar genötigt, sich für diese Entscheidung zu rechtfertigen und gleichzeitig anzukündigen, dass sich nun „Grundlegendes ändern“ werde.

In dem Brief von Prien an die CDU/CSU-Fraktion heißt es:

Wir stärken die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden und der wissenschaftlichen Extremismusforschung und berücksichtigen deren Erkenntnisse in der Programmsteuerung besser. Wer Zuwendungen des Bundes zum Schutz unserer Demokratie erhält, muss selbst Vorbild sein! Es gibt mehr als 400 direkte Partner und mehr als 3000 Projekte als Letztempfänger der Bundesmittel. Wir werden durch klare Strukturen und Verfahren sicherstellen, dass das Ziel, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen, von allen angestrebt und auch erreicht wird. In einem ersten Schritt – nach wochenlanger Arbeit und mit dem Bundesministerium des Innern abgesprochen – wurde bereits eine breit angelegte Verfassungsschutzprüfung im sogenannten „Haber-Verfahren“ eingeleitet.

„Breit angelegte Verfassungsschutzprüfung“

Das Haber-Verfahren sieht vor, dass die jeweiligen Ressorts zunächst aus ihnen zugänglichen Quellen, wie etwa die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder, jene Organisationen prüfen, die sie mit dem Programm fördern. „Soweit hiernach eine Klärung nicht möglich sein sollte, können die Ressorts ihre Anfragen zu möglichen verfassungsschutzrelevanten Erkenntnissen über Organisationen, Personen und Veranstaltungen, über deren materielle bzw. immaterielle Förderung das Ressort zu entscheiden hat, unmittelbar an das BfV und nachrichtlich an das BMI richten“, heißt es in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages.

Uns fehlen dieses Jahr noch 302.843 Euro.

Der Wunsch aus der Union, Initiativen der demokratischen Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus unter Generalverdacht zu stellen, ist keineswegs neu. Im Jahr 2011 führte die damalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder die sogenannte „Extremismusklausel“ bei Demokratieförderungsprogrammen ein. Diese Klausel sah vor, dass sich Initiativen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichten mussten. Diese Verpflichtung erschwerte unter anderem eine zivilgesellschaftliche Bündnisarbeit etwa bei Protesten gegen Rechtsextremismus, weil geförderte Organisationen für ihre Bündnispartner in Mithaftung genommen wurden. Anfang 2014 wurde die Klausel wieder abgeschafft.

In Vergangenheit hunderte NGOs vom Verfassungsschutz überprüft

Die Durchleuchtung aber ging weiter. Zwischen den Jahren 2015 und 2018 wurden zahlreiche zivilgesellschaftliche Projekte vom Verfassungsschutz geprüft. Bei insgesamt 51 Projekten leitete das Familienministerium damals Daten an den Inlandsgeheimdienst weiter, dem damals noch Hans-Georg Maaßen als Präsident vorstand. Maaßen wird heute selbst vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremer geführt und beobachtet.

In den Jahren 2018 und 2019 soll der Verfassungsschutz dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zufolge im Rahmen des Haber-Verfahrens ebenfalls „hunderte Nichtregierungsorganisationen“ durchleuchtet haben.

Familienministerium mauert

Wir haben beim Bundesfamilienministerium nachgefragt, was hinter der Ankündigung der Ministerin steckt – und ob dies „eine Änderung der bisherigen Überprüfungspraxis“ darstellt. Außerdem wollten wir wissen, wie viele Überprüfungen durch den Verfassungsschutz im laufenden Jahr sowie in den vergangenen fünf Jahren erfolgt seien.

Nach drei Tagen und mit wiederholter Fristverlängerung schickte uns eine Sprecherin des Ministeriums folgende Antwort, die keine unserer Fragen beantwortet:

Über das allgemein Zugängliche hinaus können keine näheren Informationen zum Prüfverfahren mitgeteilt werden. Die Wirkung des Verfahrens könnte ansonsten beeinträchtigt werden. Im Übrigen wurde und wird keine statistische Erhebung im BMBFSFJ zu Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden geführt.

Noch 302.843 Euro für digitale Freiheitsrechte.

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12 Ergänzungen

  1. Bei der CDU weiß man eben: Demokratie muss kontrolliert, durchleuchtet, überwacht und am besten auch gelenkt werden, weil sonst ist es einfach keine echte Demokratie,

  2. >> Im Übrigen wurde und wird keine statistische Erhebung im BMBFSFJ zu Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden geführt.

    HIer liegt wohl das eigentliche Problem. Der Verfassungschutz ist kein Instrument, mit dem die Regierung Klassen- oder Lagerkämpfe ausfechten und politische Gegner diskreditieren darf.

    Entweder gibt es einen begründeten Verdacht, der untersucht und bestätigt oder widerlegt wird. Oder der Verfassungsschutz bleibt aussen vor.

    Um zu kontrollieren, ob die Regierung sich im Rahmen ihrer demokratischen Rechte bewegt oder nicht, sind genau die Statistiken, die sie nicht vorlegen will, essentiell. Wenn Bundestag, Medien und Gerichte ihre Rollen als Säulen der Demokratie ernst nehmen, müssen sie dafür sorgen, dass die Regierung aussagekräftige Zahlen vorlegt.

    Nicht nur für den Verfassungsschutz, übrigens. Sondern für alle grundrechtsrelevanten Gesetze, Regelungen und Handlungen. Grundrechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn das nötig, zielführend und alternativlos ist. Die Beweispflicht liegt bei der Regierung.

    1. > Die Beweispflicht liegt bei der Regierung.

      Ich fürchte, Regierungshandeln unterliegt anderen Maßstäben als „Beweispflicht“. Es ist schlicht das politisch gewollt Mögliche, das mehrheitsfähig ist.

      Wenn wir uns nun den „blauen Osten“ ansehen, dann drohen erstmals Mehrheiten in Länderparlamenten, die auch über Institutionen wie die Landesämter für Verfassungsschutz entscheiden werde können. Wie resilient sind staatliche Dienste in diesen Ländern noch, soweit sie nicht schon unterwandert sind?

  3. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Die „Konservativen“ waren schon früher die Steigbügelhalter der Faschisten. Falls es sowas wie Konservatismus in einer Demokratie überhaupt jemals hätte geben können. Der Konservatismus war schon immer, empirisch betrachet, mit Hass auf alles andere, grasierender Korruption und einem extremistisch antihumanistischem Autoritarismus durchwachsen. Falls es jemals ein danach gibt, sollte in den Büchern für immer vermerkt bleiben, was diese politische Ausrichtung, diese Menschen der Menschheit , dem Leben auf dieser Erde angetan hat. So etwas darf niemals wieder eine Gelegenheit haben.

    1. „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ Ein zutreffender Satz, aber beim Konservativismus könnten Sie es übertrieben haben.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Konservatismus

      Ich jedenfalls frage mich, was unterscheidet erträgliche Konservative von jenen Konservativen, die mit ihrer Toxizität, ihrem Extremismus und ihrer Gewaltbereitschaft die Grenzen des Erträglichen überschreiten.

      Ich finde es ist ihr chauvinistisches Verhalten. Leider ist der Begriff Chauvinismus vielen jüngeren unbekannt.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Chauvinismus

      Und ja, Chauvinismus findet im Konservativismus einen voraussetzungsreichen Nährboden. Wie kommt’s, mag man sich fragen.

  4. 1. „… leitete das Familienministerium damals Daten an den Inlandsgeheimdienst weiter, dem damals noch Hans-Georg Maaßen als Präsident vorstand. Maaßen wird heute selbst vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremer geführt und beobachtet.“
    Das ist der Satz, der mir in diesem Artikel den Schmerz zufügt! Dass man Projekte/Organisationen auf Verfassungs-konform ja/nein prüfen lässt, wenn man dies mit fairen Mitteln tut, habe ich überhaupt nix. Aber ich brauche das Fairplay. Und da kommt beim Namen Hans Georg Maaßen eben der Schmerzschrei. Wie sichert Karin Prien, dass der Inlandsgeheimdienst den Namen „Verfassungsschutz“ verdient, nach all dem, was im Rahmen der Untersuchungsausschüsse der letzten Jahre Dunkles zu Tage gefördert wurde?
    Vielleicht sollte man sie das mal fragen?
    2. Und warum gibt es zwar eine transparente Seite im Netz („Zuwendungsempfängerregister“), auf der gezeigt wird, wer als gemeinnütziger Verein gilt laut Finanzbehörde, aber eben leider mit dem Hinweis, die Liste sei nicht vollständig ( => man kann nicht negativ prüfen, wer NICHT gemeinnützig ist )? Die vollständige Transparenz brauchte ich bitte, um zu verstehen, wie bei uns Prüfungen auf Verfassungstreue ausgehen, => um Vertrauen zu diesen Prüfungen zu entwickeln.

    1. Wer einen durch und durch unsympathischen Artikel zum Thema von der anderen Seite lesen möchte:
      https://www.focus.de/politik/deutschland/links-ist-vorbei-cdu-ministerin-zementiert-mit-einem-brief-ideologie-irrsinn_617f62d5-2339-4866-96f0-028dd17be910.html ,
      wird feststellen, dass Karin Prien die finanziellen Mittel von „Demokratie leben!“ bis 2032 nur ein bisschen anders verteilen kann (von: rechtsextrem-verhindern, auf: sonstige Extremismus-Prävention), aber nicht absagen.

      Zu Verfassungsschutz (ich habe nix gegen Prüfung, wenn mit Fairplay statt mit Hans-Georg-Maaßen-Style: => wie stellt sie Fairplay sicher?) und zur fehlenden Transparenz bei Gemeinnützigkeit habe ich sie gefragt (natürlich noch keine Antwort).

    1. Seit dem Jahr 2004 bietet das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) allen
      Ressorts ein Verfahren zur Überprüfung geförderter Projekte und Projektträger durch das Bundes-
      amt für Verfassungsschutz (BfV) an (sogenanntes Haber-Verfahren). Dieses Verfahren wurde im
      Jahr 2017 noch einmal aktualisiert und mit Rundschreiben vom 6. Februar 2017 den Ressorts
      bekannt gegeben. Ziel des Haber-Verfahrens ist es, durch eine frühzeitige Einbeziehung des BfV
      missbräuchliche Inanspruchnahme staatlicher Leistungen durch extremistische und terroristische
      Organisationen, Gruppierungen und Einzelpersonen „noch effektiver als bisher auszuschließen“.
      Angaben der Bundesregierung zufolge überprüfte das BfV auf Anfrage von Bundesministerien in
      den Jahren 2018 und 2019 hunderte Nichtregierungsorganisationen (NGO).

      Quelle: https://www.bundestag.de/resource/blob/817544/WD-3-253-20-pdf.pdf

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