Zähe VerwaltungsdigitalisierungNormenkontrollrat will föderale Hürden überwinden

Die Verwaltungsdigitalisierung kommt nur zäh voran. In einem Gutachten adressiert der Normenkontrollrat eine der größten Hürden: „Aufgabenzersplitterung“ infolge des Föderalismus. Dieses Problem ließe sich lösen, so das Gremium. Auch ohne eine „übergroße Staatsreform“.

drei Menschen in förmlicher Kleidung stehen vor einer Pressewand, zwei halten ein Heft in der Hand
Sabine Kuhlmann und Dorothea Störr-Ritter (Mitte) vom NKR stellten Anfang Februar zusammen mit Philipp Denker von PD – Berater der öffentlichen Hand das gemeinsame Gutachten vor. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO/Jürgen Heinrich

Vor gut einem Monat erklärte das Bundesinnenministerium, der Bund habe 115 Verwaltungsleistungen digitalisiert und damit das Ziel des Onlinezugangsgesetzes vollständig erreicht. Bürger:innen könnten online nun unter anderem Bildungskredite, Kindergeld oder auch die Zeit des Mutterschutzes anmelden. Auch mehr als hundert föderale Verwaltungsleistungen seien online verfügbar, etwa die Wohnsitzanmeldung.

Auf der entsprechenden Website glänzt das nigelnagelneue Logo des Bundesadler, daneben die Wörter „Bund, Länder, Kommunen“. All das erweckt den Anschein, als ginge es mit der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voran. Und es wirkt so, als würden Bund und Länder dabei an einem Strang ziehen.

Tatsächlich steckt hinter der Einigkeit im Design und Auftritt ein gewaltiger Apparat aus unterschiedlichen Kompetenz- und Zuständigkeitsbereichen sowie aus unterschiedlichen technischen Lösungen und rechtlichen Auffassungen. Die Verwaltungslandschaft im Föderalstaat ist analog wie digital divers. Die Verwaltungen aller Ebenen agieren größtenteils in eigener Verantwortung und nach eigenem Gutdünken. Dabei müssen alle Beteiligten ähnliche Probleme lösen und könnten daher von einer Arbeits- und Kostenteilung profitieren. Bei mehr als zehntausend Kommunen, sechzehn Landesverwaltungen und einer Bundesverwaltung ließen sich damit etliche Kapazitäten freisetzen.

In seinem neuen Gutachten „Bündelung im Föderalstaat – zeitgemäße Aufgabenorganisation für eine leistungsfähige und resiliente Verwaltung“ adressiert der Normenkontrollrat (NKR) das Problem der föderalen „Aufgabenzersplitterung“ innerhalb der Verwaltungsdigitalisierung. Nichts weniger, als das Vertrauen in die Demokratie, stehe auf dem Spiel, mahnt das Gremium. Um dieses Vertrauen zu stärken, müsse die öffentliche Verwaltung leistungsfähiger und krisenfest werden. Das aber kann laut NKR nur gelingen, wenn Verwaltungsaufgaben und -aufwände gebündelt werden.

Föderal und dezentral

Unter anderem sieht der NKR großes Potenzial im Konzept Government-as-a-Platform (GaaP). Es könne helfen, für alle einheitliche Standards festzulegen, Aufgaben zu bündeln und Zuständigkeiten klar zu regeln. GaaP sieht dementsprechend einen Plattform-Kern vor, der Basisdienste wie Schablonen vorgibt und verbindliche Standards für Schnittstellen definiert.

Laut einer Untersuchung des NEGZ – Kompetenznetzwerk Digitale Verwaltung besteht das Ziel darin, ein zentrales „Fundament für ein Ökosystem aus Online-Diensten“ aufzubauen. Ausgehend davon können Kommunen dann ihre Online-Dienste dezentral entwickeln.

Der Haken von GaaP ist jedoch, dass es sich in der föderal organisierten Bundesrepublik nur schwer umsetzen lässt. Denn die Verwaltungen agieren nicht nur unabhängig voneinander, das Grundgesetz sieht das auch so vor. Es verbietet sogar die Mischverwaltung. Danach müssen die Zuständigkeiten von Behörden klar zugewiesen sein und Einflussnahme durch Behörden anderer Verwaltungsbereiche gerät schnell zum Problem.

Nicht immer wieder das Rad neu erfinden

Hinzu kommt: Damit der Plattformansatz funktionieren kann, bräuchte es einen „Plattform-Eigner“, also eine Stelle auf Bundesebene oder eine interföderale Stelle, ähnlich dem IT-Planungsrat. Sie könnte die Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen koordinieren, etwa IT-Standards festlegen und einheitliche Basis-Komponenten definieren.

Eine solche Stelle könnten Bund und Länder laut Analyse des NEGZ zurzeit nur über den Weg der Simultangesetzgebung einrichten. Ein gemeinsamer politischer Wille vorausgesetzt, würden sie einander entsprechende Gesetze erlassen. Das habe allerdings wenig Aussicht auf Erfolg. Vielmehr müsse man das Grundgesetz gezielt anpassen, indem man entweder dem Bund eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz einräumt oder den IT-Planungsrat in seiner Kompetenz stärkt.

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Nicht ohne das Grundgesetz

Sabine Kuhlmann, die stellvertretende Vorsitzende des NKR, ist überzeugt: Es bedürfe keiner „übergroßen Staatsreform“, sondern man müsse nur den Spielraum nutzen, den das Grundgesetz noch vorhalte. Damit greift sie der Kritik vor, man wolle Strukturen zentralisieren und den Föderalismus insgesamt schwächen.

Kritik kommt unter anderem vom Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages (DLT) Hans-Günter Henneke. Er warnt in Reaktion auf das Gutachten vor „zentralisierten Strukturen für Verwaltungsleistungen“. Henneke befürchtet, dass die Vorschläge des NKR das Verbot der Mischverwaltung infrage stellen. Wer daran rüttele, lege „die Axt an die Wurzel“ der „Grundprinzipien unserer bewährten föderalen Ordnung“. Der Bund könne Verwaltungen auch entlasten und leistungsfähiger machen, indem er nicht immer wieder neue Aufgaben „kreiere“.

Verwaltungen unter sich

Die Frage, ob diese Sorgen berechtigt sind, beantwortet der NKR noch nicht endgültig. Er hat aber bereits ein Folgegutachten zur verfassungsrechtlichen Dimension angekündigt. Laut des aktuellen Gutachtens, das PD – Berater der öffentlichen Hand für den NKR verfasst hat, könne man schon jetzt das Grundgesetz um ein Gebot ergänzen, wonach Bund und Länder in Sachen Verwaltungsdigitalisierung „grundsätzlich zu mehr Kooperation angehalten sind“. Das wäre ein „Gegengewicht“ zur scharfen Trennung zwischen Bund und Ländern, die weit über Aufgaben der Verwaltung hinausgeht.

Das Gebot zur Kooperation könne als „Klarstellung“ an das Grundgesetz angegliedert werden und lasse sich außerdem durchaus mit einer „progressiven, kooperationsfreundlichen Verfassungsinterpretation“ vereinbaren.

Zum Verbot der Mischverwaltung stellt der NKR klar, dass das nicht dort greift, wo Verwaltungen einander intern unterstützen könnten. Zuständige Behörden müssten lediglich sicherstellen, dass sie in ihrer Entscheidung nicht von anderen Behörden beeinflusst werden, die nicht zuständig sind. Das stünde dem Plattformansatz also nicht per se im Wege.

Einer für alle und alle für sich

Der Aufgabenzersplitterung wollten Bund und Länder eigentlich mit Hilfe des Einer-für-alle-Prinzips (EfA) beikommen. Die Idee: Ein Land betreibt den Aufwand der Entwicklung und stellt den Dienst anschließend den anderen Ländern zur Nachnutzung bereit. So hat Hamburg etwa den Dienst der elektronischen Wohnsitzanmeldung (eWA) aufgebaut.

So sinnvoll diese Idee auch klingt, in der Praxis scheitert EfA an gleich mehreren Hürden. Viele Länder könnten EfA-Dienste anderer häufig nur dann nutzen, wenn sie sie mit hohem Aufand an eigene Systeme anpassen. Da das kostenintensiv ist, entscheiden sich viele dagegen und bauen lieber eigene Lösungen auf.

Die EfA-Dienste müssen die Kommunen in der Regel einkaufen, was aufgrund knapper Budgets meist ebenfalls nicht infrage kommt. Zudem müssen sie für jeden EfA-Dienst eine Koordinationsstelle schaffen, um sich mit anderen abstimmen zu können. Das erhöht dann die ohnehin hohe Arbeitslast der Verwaltung zusätzlich.

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2 Ergänzungen

  1. Ein zentraler Punkt in der Diskussion um die Verwaltungsdigitalisierung ist die Frage nach einem übergreifenden „Plattform-Eigner“, der klare Regeln, Architekturprinzipien und Standards für digitale Verwaltungsangebote setzt. Doch wäre dieser Akteur nicht bereits vorhanden?

    Die Domain gov.de, die dem Bund gehört, könnte genau diese Rolle übernehmen. Wenn Verwaltungsangebote unter gov.de zentral auffindbar gemacht werden, wäre es naheliegend, dass der Bund hier auch einheitliche Vorgaben zur technischen Umsetzung, zur Benutzerführung und zur Interoperabilität zwischen Bund, Ländern und Kommunen definiert.

    Das Onlinezugangsgesetz (OZG) könnte dabei als rechtlicher Hebel dienen, um solche Standards einzufordern. Schließlich verpflichtet es Bund und Länder, Verwaltungsleistungen digital bereitzustellen – warum dann nicht auch nach einheitlichen, verbindlichen Maßgaben unter einer gemeinsamen Dachstruktur?

    gov.de und die dazugehörige digitale Dachmarke erscheinen im Ansatz eigentlich sehr gelungen. Wenn man hier ein Tool-Kit anhängen würde – mit Dash-Boards, Formular-Designern, Prozess-Designs, Datenstrukturen, APIs usw. – hätte man doch schnell eine brauchbare Koordinierung zusammen?

    Es braucht also vermutlich nicht immer eine Mammutstaatsreform, sondern oft nur einheitliche Vorgaben, die konsequent durchgesetzt werden. So wie früher einige Kunden, die hartnäckig meinten, ihre Postleitzahl müsse immer mit „D-“ davor geschrieben werden – nach gefühlten 23 Korrekturen haben sie dann endlich eingesehen, dass das nach internationaler Schreibweise falsch ist. Warum sollte das nicht auch bei föderalen Verwaltungsstrukturen funktionieren?

  2. Ja, Bund und Länder verpflichten sich usw… – und die Kommunen werden nur als Anhängsel der Länder begriffen, machen aber den Großteil der Verwaltungsarbeit. Woher ihre Infrastruktur kommt und wer die bedient ist oft ein Problem, denn die Entlohnungsstruktur in den Kommunen bleiben weit unter den Möglichkeiten die fitte IT-Administratoren oder IT-Manager in den zahlreichen großen Anstalten (Land, Länderübreifend, Bund, Bundeswehr…) vorfinden, von der freien Wirtschaft ganz zu schweigen. Und die Leistungen die Länder-IT Unternehmen bereitstellen um ihre Kommunen zu unterstützen sind oft sehr teuer und belasten den eh schon zu schmalen Haushalt. Wir müssen die Kommunen stärken,Standardisierte IT-Stacks vorhalten statt sich in solchen Grafiken https://docs.fitko.de/kompass/docs/grundlagen-und-rahmen/akteure/ Strukturen immer wieder zu verlaufen. Klar, die Kooperation zwischen den Gebietskörperschaften muss besser werden, keine Frage. Dazu braucht es aber vor allem gesunde Strukturen im öffentlichen Dienst, und die wären auch mit einer Grundgesetzänderung nicht umgesetzt. Vor allem vor der Herausforderung des personellen Aderlass durch den demografischen Wandel! Nicht umsonst streiken die Gewerkschaften einmal mehr für einen Entlastungstarifvertrag!

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