Neuer VerordnungsentwurfEU-Kommission will mit allen Mitteln abschieben

Mit einem neuen Gesetzesvorschlag will die EU-Kommission Abschiebungen erleichtern. Neben langer Haft und Einreiseverboten öffnet der Entwurf auch Türen für EU-weite Datenträgerauswertungen und eine intransparente Risikoeinschätzung mit schweren Folgen.

Auf einem Stacheldrahtzaun sitzt ein Vogel. Das Bild ist sehr grau.
Die EU schottet sich weiter ab. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Alexey Demidov

Nicht nur in Deutschland soll es nach dem Willen der früheren und absehbar künftigen Regierungen mehr und schnellere Abschiebungen geben. In der gesamten EU sollen Geflüchtete leichter in ihre Herkunftsländer oder auch andere Drittstaaten zurückgeschickt werden können. Dafür stellte die EU-Kommission am Montag den Entwurf für eine neue Verordnung vor. Sie soll die Grundlage für ein „Gemeinsames Europäisches Rückkehrsystem“ sein und eine Richtlinie aus dem Jahr 2008 ablösen.

Teil des neuen Vorschlags ist, dass EU-Staaten gegenseitig ihre Abschiebebescheide anerkennen und ausführen sollen. Dabei unterscheidet sich die Praxis der EU-Staaten deutlich darin, wie vielen Personen sie Schutz gewähren. Daneben will die Kommission die Regelungen zur Abschiebehaft ausweiten. Regulär wäre es dann zwölf statt sechs Monate lang möglich, Geflüchtete in einen Abschiebeknast zu stecken. Auch die Ausnahmefälle werden um ein halbes Jahr auf 24 Monate verlängert, etwa wenn eine Abschiebung aufgrund fehlender Mitwirkung der betroffenen Person länger dauert.

Neben solchen Regelungen öffnet der Verordnungsvorschlag aber auch weitere Türen für Grundrechtseinschränkungen und eine unfaire Behandlung von Geflüchteten. Grundlage dafür sind Regelungen zu Mitwirkungspflichten der Geflüchteten und zum Umgang mit Personen, die vermeintlich ein „Sicherheitsrisiko“ darstellen.

Was sind „alle Informationen und Belege“?

In Deutschland sind die Mitwirkungspflichten von Asylsuchenden im Asylgesetz geregelt. Das ist auch die Basis für die Datenträgerauswertung, mit der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit einigen Jahren die Smartphones Geflüchteter analysiert. Sie ist in Deutschland derzeit erlaubt, wenn mildere Mittel fehlen, um Hinweise auf Identität und Herkunft einer Person zu ermitteln. Auch Ausländerbehörden dürfen bei Ausreisepflichtigen Geräte durchsuchen. Nun soll eine einheitliche Regelung in der EU her.

Neben der üblichen Verpflichtung, vorhandene Identitätsdokumente vorzulegen, sollen Drittstaatenangehörige laut Entwurf nun „alle erforderlichen Informationen und physischen Belege“ präsentieren müssen, die nötig sind, um ihre Identität festzustellen oder sie abzuschieben. Für letzteres sollen auch Durchsuchungen möglich sein. Ebenso müssen sie Informationen zu ihrer Fluchtroute vorlegen.

Um welche Informationen es geht, bleibt im Kommissionsvorschlag offen. Bezogen auf digitale Informationen könnte mit einer solchen Regelung die Durchsuchung von Smartphones und anderen Datenträger aber zum Regelfall werden. Denn ein Vorrang von wenig eingriffsintensiven Methoden findet sich im Text nicht.

Wer entscheidet, wer ein Risiko ist?

Abgeschoben werden und ein Einreiseverbot von bis zu zehn Jahren bekommen sollen laut dem Verordnungsentwurf Personen, die eine „Bedrohung der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit oder der nationalen Sicherheit“ darstellen. Sie sollen auch länger inhaftiert werden dürfen als andere, die abgeschoben werden sollen.

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Doch wann ist eine Person ein Risiko? Klar ist, es geht nicht nur um Personen, die bereits schwere Straftaten begangen haben. Denn das ist als separater Punkt im Entwurf enthalten. Der Entwurf der Kommission verweist auf die Screening-Verordnung der EU. Sie regelt, wie Drittstaatenangehörige an den Außengrenzen überprüft und in verschiedene Kategorien eingeteilt werden sollen. Das gilt, wenn sie etwa ohne notwendige Erlaubnis in die EU eingereist sind und an der Außengrenze aufgegriffen wurden oder bei einem Rettungseinsatz auf dem Meer in die EU gebracht wurden. Ob sie danach einen Asylantrag gestellt haben, ist unerheblich.

Das Screening umfasst sowohl eine Risikoabfrage, den Gesundheitszustand der Betroffenen als auch eine Entscheidung, ob sie ein reguläres Asylverfahren durchlaufen können oder direkt im Grenzverfahren über ihre Zukunft entschieden wird.

Im Kern der Ermittlung eines Sicherheitsrisiko stehen verschiedene Abfragen in EU-Datenbanken. Dazu gehören beispielsweise ECRIS-TCN, ein Register zu strafrechtlichen Verurteilungen von Drittstaatsangehörigen, oder das Visa-Informationssystem VIS. Doch auch „einschlägige nationale Datenbanken“ stehen in der Liste der vorgesehenen Werkzeuge. Außerdem dürfen die entsprechend unbefugt Einreisenden durchsucht werden. Was die jeweiligen Mitgliedstaaten als Risiko definieren und wie sie die abgefragten Informationen auswerten, ist dabei kaum einheitlich anwendbar und überprüfbar. Mit der neuen Verordnung müssten aber alle EU-Staaten Abschiebungsentscheidungen auf dieser Basis akzeptieren.

Um die Abschiebungen gemeinsam zu organisieren, sollen die Mitgliedstaaten digitale Systeme und Prozesse nutzen. Wie die aussehen können, soll bald klarer werden. Im Anhang des Vorschlags kündigt die EU-Kommission eine kommende „Initiative zur Digitalisierung des Fallmanagements im Bereich Rückkehr, Rückübernahme und Reintegration“ an.

Kein Widerwort von Deutschland zu erwarten

Den Vorschlag der Kommission müssen nun das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten im Rat diskutieren. Gerade die deutsche Position zu der Vorlage dürfte auch bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen von Union und SPD relevant werden. Große Uneinigkeit ist jedoch nicht zu erwarten. Während die Union bereits im Wahlkampf klarmachte, Menschen direkt an den Grenzen zurückweisen zu wollen, kam zu dem aktuellen EU-Entwurf auch die Zustimmung von Noch-Innenministerin Nancy Faeser (SPD). „Wir brauchen ein effektives Rückkehrsystem auf europäischer Ebene“, begrüßte sie den Vorschlag.

Von Menschenrechts- und Asylorganisationen hingegen kam scharfe Kritik. „PRO ASYL fordert alle Beteiligten auf, die uneingeschränkte Wahrung von Grundrechten und die Würde des Menschen ins Zentrum zu stellen – statt um jeden Preis auf Abschiebungen zu setzen“, schreibt die Organisation in einem Beitrag. „Obwohl es neutral als ‚Rückführungsgesetz‘ benannt ist, schlägt die EU in Wirklichkeit ein ausgeweitetes Abschieberegime vor“, sagte Sarah Chander von der NGO Equinox Initiative gegenüber EU Observer.

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2 Ergänzungen

  1. An einigen Stellen des Textes habe ich Probleme zu verstehen, wer genau mit Einreisende/r gemeint ist. Alle Drittstaatsangehörigen an den Grenzen (also auch Touristen) oder nur Asylbeantragende?

    zB im 8. Absatz: „Der Entwurf der Kommission verweist auf die Screening-Verordnung der EU. Sie regelt, wie Drittstaatenangehörige an den Außengrenzen überprüft und in verschiedene Kategorien eingeteilt werden sollen. Das Screening umfasst sowohl eine Risikoabfrage, den Gesundheitszustand der Betroffenen als auch eine Entscheidung, ob sie ein reguläres Asylverfahren durchlaufen können oder direkt im Grenzverfahren über ihre Zukunft entschieden wird.“
    Oder im folgenden Absatz „Im Kern der Ermittlung eines Sicherheitsrisiko… (…) Außerdem dürfen Einreisende durchsucht werden. “

    Vielleicht könnt ihr das noch klar(er)stellen? Danke :)

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